Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Chorus mysticus

Vierzig Männer, darunter ruchlose Grübler, asthmatisch Lächelnde, melancholische Tänzer, tiefsinnige Betrüger, geile Weisheitsverächter, charakterlose Greise, häßliche Jünglinge, festliche Zuhälternaturen, dicke Dialektiker, magre Sonnenanbeter und kranke Affen – gingen die Straße entlang und schoben alle ihre Schatten vor sich her. Diese vierzig Männer atmeten wie Leute, sie waren nicht uniformiert, sie trugen sich, wie es einem jeden von ihnen paßte. Man sah sie des Weges gehen und merkte wohl, sie gehörten zusammen. Sollte es wohl einen Verein bedeuten? Sie trotteten wie ein Rudel, wobei keiner den anderen ansah oder ansprach. Da sie aber recht gesittet einherschritten, wohlanständig Platz machten, nicht einmal Stöcke trugen und im allgemeinen freundlich, wenn auch verschlossen dreinschauten, wunderte man sich wohl, ja einige junge Damen lächelten flüchtig; aber man ließ sie ruhig passieren; sogar die Schulkinder verhielten sich artig. Nur ein paar joviale Herren in schönen blauen Tuchanzügen mit silbernen Knöpfen, Metallspitzen auf den Schädeln, schienen nervös zu werden und begannen die vierzig Männer sanft zu begleiten. Die Vierzig begaben sich in ein Warenhaus, sie umstellten einen Verkaufstisch, an dem es kleine sattgelbe Kuchen gab, und sie verzehrten jeder einen Kuchen.

Als man sie so im Geviert herumstehend kauen und dazu gleichmäßig schweigsame Gesichter machen sah, verbreitete sich eine milde Heiterkeit, welche sogar auf die sonst so würdevollen Blauröcke überging. Sie aber kauten ihre Kuchen zu Ende und kauften sich an einem anderen Lager vierzig Paar Handschuhe, welche sie sorgsam anprobierten; es ging dabei ein heiteres Raunen um sie herum, worauf sie aber nicht achteten. Sämtlich weiß behandschuht, begaben sie sich wieder auf die Straße und wandelten stumm unter den anderen Menschen dahin. Vielleicht waren es Musiker? 128 Doch wo waren ihre Instrumente? Oder ein Kegelklub? Die Blauen wurden auch nicht klug daraus. Auf dem Platz vor dem großen Warenhaus drehte ein beinloser Mensch seinen Leierkasten. Die Vierzig aber standen wie auf ein geheimes Kommando still; sie umringten den Spieler lautlos, Tränen schienen in ihre achtzig Augen zu treten. Ihre vierzig Paar weiß behandschuhten Hände zogen vierzig Geldbeutel aus den Hosentaschen, und sie reichten, vorbeidefilierend, jeder dem erbärmlichen Manne (mit edel stilisierter Geste) eine Münze. Der Mann erhob sich sofort auf seinen Krücken; er öffnete den Mund sehr weit und blickte seine Wohltäter gerührt und aufmerksam an; er schaute ihnen noch lange nach und orgelte dann:

Freude! Schöner Götterfunken!

Das Publikum indessen war nicht wenig ergriffen. Die Bläulichen geben in ihrer Haltung nach: allerdings nur, um sofort wieder ihre straffste anzunehmen – denn Se. Majestät fuhr in einer Kalesche vorüber. Die Vierzig winkten mit kleinen Fähnchen, welche sie von hinten her aus ihren Gehröcken hervorholten; sie standen förmlich Spalier. Majestät nickte lächelnd. Alsbald aber ging ein blaues Auge des Gesetzes auf die vierzig Männer zu: Meine Herren, Ihre Legitimation! Jetzt geschah etwas, worüber das Publikum außer sich geriet. Es stellte sich nämlich heraus, daß jeder der Herren «Fritz Müller» hieß (Fritze Müller aus Zürich war zufällig nicht darunter). Der Blaue argwohnte schon Fopperei; aber alle Papiere stimmten, er mußte sich höflich entfernen: «Ich rate Ihnen, wenn Sie keinen Auflauf verursachen wollen, sich zu zerstreuen. Es sind jetzt schwere Zeiten.» Er erhielt vierzig Zigarren für diesen Rat, welcher auf der Stelle befolgt wurde. Dort war nämlich eine Droschkenhaltestelle. In acht Droschken stiegen je vier Mann, auf die Böcke neben den Kutscher je einer. Sie fuhren los, und das Publikum hatte das lustigste Nachsehen. – Es war also ein Verein von vierzig genauen Namensvettern? Nein! Erinnern Sie sich, daß es am Orte eine bedeutende 129 Herrenkonfektion gibt? Ein Riesenhaus. In den gigantischen Schaufenstern stehen gegen vier Dutzend hölzerne Gentlemen in allerlei exquisiten Kavalieranzügen. In der Nacht darauf befanden sich alle vierzig Müllers, eifrig beschäftigt, in den Garderoben dieser Firma. Sie kleideten sich anständig und sorgfältig ein, und zwar in tiefer Dunkelheit. Man sparte des Krieges wegen die Nachtbeleuchtung. Die Herren wollten soeben ihren Heimweg durch ein verstecktes Kellerfenster antreten – da wurde der Wächter mißtrauisch. Sie hörten, wie er aufschloß, und hatten keine Zeit mehr, das Weite zu suchen. Arme Müllers! Sie stolperten durcheinander, und der Wächter hörte den Lärm und telephonierte um Hilfe nach dem Polizeirevier. Es erschienen drei Schutzleute mit Revolvern. Man drang ein, der Wächter knippste überall das Licht an, allein, man fand nichts. «Ha'm Se woll geträumt», meinten die Polizisten. Während dieser Zeit aber standen die vierzig Müllers als unfreiwillige Mannequins starr in den Schaufenstern. Es dauerte eine kleine Stunde, bevor Müller der Siebenundzwanzigste sagen konnte: Rührt euch! Sie gingen dann feingekleidet nach Haus. Der Wächter wurde entlassen; er ist noch heute halb wahnsinnig, und die Schutzleute halten ihn für den Dieb. (Die Augen des Gesetzes sind meistens nur seine Hühneraugen.) – Die Spezialität der Müllers sind solche . . . Gruppenverbrechen. Es ist eine schlaue Bande. Am Tage mimen sie möglichst öffentlich, wie dargetan, Harmlosigkeit, um nachts desto verruchtere Streiche zu begehen. Daher ist es ein gutes Werk, hier darauf aufmerksam zu machen. Achten Sie nur ja auf vierzig anscheinend gute Leute! Lassen Sie sich doch nicht durch deren Komik entwaffnen! Es sind wirklich Gauner! Sie heißen alle Fritz Müller; sie scheinen so drollig – es sind Halunken und hier endlich am Pranger. – 131

 


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