Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Die lüderliche Nase

Ein reizendes Kind wurde geboren und entwickelte sich auch weiterhin normal, zur Genugtuung aller seiner Angehörigen. Aber auch hier gab es, wie gewöhnlich, einen Haken; dieser Haken war die Nase. Nasen, nicht wahr, haben schon an und für sich unleugbar etwas Komisches – sie wirken doppelt komisch, wenn sie verunglücken: wenn die Hand der Natur hier schief ausrutschte oder sonstwie fehlging. Dieser Trichter mit der Doppelöffnung nach unten, kleine Pyramiden auf löcheriger Basis hat gewiß ein mächtiger Humorist ersonnen, ein sehr witziger Mathematiker. Welcher groteske Einfall, mitten ins schöne Gesicht einen solchen Schnauber zu setzen! Der Brille wegen? – Sei jedenfalls daran erinnert, daß man seine Nase rümpfen kann; und hierin lag die Tragik im Leben des obengenannten Kindes.

Der Grad der Rümpfbarkeit der Nase des Kindes Richard Pfujek übertraf jede Phantasievorstellung. Es hob die Köchin förmlich hoch, als sie es zum ersten Mal bemerkte. Gewiß! Es gibt sprechende Augen, einen sprechenden Gesichtsausdruck im allgemeinen; vielleicht gibt es sogar sprechende Hände, Rücken, Gesten. Als mimischen Brennpunkt sich aber die Nase zu denken: zu denken, daß das Kind – nicht etwa durch die Nase – sondern mit ihr sprach; eine Nase hatte, deren Anblick, wenn es sie rümpfte, wie eine stumme, aber deutlich wahrnehmbare – man kann es nicht anders nennen . . . Zote wirkte, während doch der kleine Pfujek die Unschuld selber war! Das ist eine Schlinge deines Lebenspfades, mein lieber Richard, welche sich in einen verhängnisvollen Knoten zusammenziehen muß.

Die Kinderjahre bis zum Eintritt in die Schule verliefen dem Richard so gut wie harmlos. Abgesehen davon, daß ab und zu eine Tante, ein Oheim oder gar Vater oder Mutter selbst zusammenschraken, wenn der Kleine sie mit seiner Nase gleichsam anschielte – ja, vielleicht ist das noch der 102 treffendste Ausdruck, um eine anschauliche Vorstellung zu geben. Richard schielte mit den Nasenlöchern überquer, so daß man sich auf eine sonderbare Weise . . . in Nasenschein genommen, sich durchrochen fühlte, und zwar eben in einer peinlichen und nicht sehr reinlichen Weise. Ein anmutiger Backfisch wurde einmal, als der kaum Sechsjährige ihn derart . . . annaste, purpurrot. Onkel Balduin machte vorsichtig auf Verschönerungsmöglichkeiten aufmerksam, ärgerte aber die Mutter damit nicht wenig. «Tut es lieber beizeiten!» warnte er, «besser wird es nicht, aber schlimmer, es ist ein ausgesprochen spitzbübischer Zinken.» Man brach den Umgang mit diesem allzu aufrichtigen Manne ab, vielleicht gerade deshalb, weil man ihm im stillen recht geben mußte. Seinem Rate zu folgen, entschloß man sich nicht. Hält man doch jede angeborene Anomalie für normaler, als eine künstlich herbeigeführte Norm des Aussehens.

Richard kam zur Schule, und als er seine Nase zum ersten Mal ihre tragikomische Rolle spielen ließ, nannte man ihn, der Einfachheit wegen, Riechard. Im Lehrerkollegium geschah nicht geringe Heiterkeit über diesen Spitznamen. «Der Kleine», sagte Direktor Poffeck, «hat aber auch eine wirklich polizeiwidrige Nase!» Nichtsdestoweniger hatte das bis zur Konfirmation des Schülers nicht viel zu bedeuten. Man gewöhnt sich an noch so abnorm aussehende Kinder. Unschuld legitimiert schließlich das fratzenhafteste Gesichtlein. In dem Maße jedoch, in welchem das Wissen um die Gesichtszüge an die Stelle der kindlichen Unschuld tritt, wird man für das eigene Aussehen immer mehr verantwortlich gemacht. Und so mußte, durch die Pubertät, der Augenblick kommen, in dem Richarden die zynische Mimik seiner Nase sittlich zugerechnet wurde. Das geschah bereits während des Konfirmandenunterrichtes bei Pastor Schämel: «Pfui, Pfujek! Was machst du mit deiner Nase? Übe dir gefälligst mal vorm Spiegel ne hochanständige Nase ein, bevor Du hier zur Religionsstunde kommst!» Von diesem Moment an begannen für Richarden die Qualen des 103 radikalen Verkanntwerdens. Die Unschuld seiner Nase, ob auch nicht seiner Seele, war dahin. Aber dahin war auch die Unwissenheit seiner Seele um diese ihre zynische Maskierung. Das stereotype Erlebnis, dem er begegnete, war die Verwechslung seines Gesichtsausdrucks mit seinem Innern. Als der Jüngling einst in der Dämmerung durch die Straßen ging und zufällig ein Mädchen genauer anblickte, geriet dieses in eine höllische Begeisterung und legte auf ihn Beschlag, indem es den sich höflich Sträubenden energisch mit sich zog. Auf diese Weise wurde er, gegen seinen Willen, immer wieder verführt; nur die bare Schamlosigkeit seiner Nase, keineswegs sein eigener Wille, war daran schuld. Es ging soweit, daß er zu Fremden kein harmloses Wort mehr sprechen konnte. Sobald er z. B. einen Schutzmann auch nur ansah, wollte der ihn sofort notieren. Oder er fragte irgendwen nach der Wegrichtung, und der antwortete in listigem Einverständnis: «Gleich hier um die Ecke – das mit der roten Laterne – sehr hübsche Dinger drin». Es stimmt aber leider nicht, daß der Mensch so aussieht, wie er ist. Ja, Richards Fall beweist gerade das Gegenteil; er kann so werden, wie er aussieht. Allmählich wurde Richard es müde, der Nase und der durch sie fortwährend hervorgerufenen Verkennung Widerstand zu leisten. In einer Art trotziger Verbissenheit lebte er sein Wesen in die Rolle hinein, welche ihm von seiner Nase vorgeschrieben war. Er lebte dieser lüderlichen Nase nach. Und sonderbarerweise fand alle Welt das in der Ordnung. Er stand sich besser mit den Menschen als vorher, da er ihnen als Heuchler gegolten hatte, weil seine Seele nichts von seiner Nase zu wissen schien. Er war zum Ludrian abgestempelt; fast auch für sich selber. Nur noch im geheimsten Winkel seines Innern fühlte er sich von der Gefolgschaft losgesprochen, die er seiner Nase zu leisten hatte, wenn er nicht alle Welt gegen sich auf bringen wollte. – Als er jedoch in seinem 37. Lebensjahre starb, gewann er die Kraft, seinem Antlitz und sogar auch der bis dahin so 104 widerspenstigen Nase die hehrsten, majestätischsten Linien zu geben; es erregte allgemeine Verwunderung und war erklärlich genug: Unschuld liebt so oft das lüderlichste Inkognito. 105

 


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