Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Neues Kinderspielzeug

«Aber nun laßt mir diese Kinderstube,
meine eigne Höhle,
wo heute alle Kinderei zu Hause ist.»
                («Also sprach Zarathustra.»)

Das ganze, das ganze Leben sollen unsre lieben Kleinen kennen lernen! Man wende nicht ein, daß sie ja noch für so Vieles keinen Sinn hätten. Fürchtet ihr Euch denn, ihren nur schlummernden Sinn für Alles – für Alles – zu wecken? Oh pfui! wollt ihr Feiglinge heranzüchten?

Ganz falsch und verhängnisvoll schädlich ist es, die Kinderlein für unvollständig zu halten. Sie sind so vollständig wie wir Erwachsene: sie sind nur in jeder Hinsicht enger, kleiner, feiner, schwächer; aber nichts Menschliches ist ihnen fremd und sei ihnen fremd!

Beachtet es wohl! Das Erziehungs-Prinzip, wonach man die Kinder möglichst lange vom echten, vollen, runden Leben abhält, ist absurd. Nicht durch Fernhaltung erziehe man, sondern mitten im Element des so ängstlich Gescheuten sollen die Kinder schon spielerisch schwimmen und fliegen und so das Furchtbare oder Ekelhafte oder Böse oder Gemeine und Kranke überwinden und beherrschen lernen.

Oh! Gerade in dieser so kostbaren Periode der Unschuld und Arglosigkeit werden sich alle jene Dinge, welche später schon gefährlich, verführerisch und gleichsam schuldig verstanden werden, mit der reinsten Kindlichkeit so innig durchtränken, daß schließlich, wenn, Generationen lang, die Kindlein auf Alles – aber auch auf Alles in der Welt vorbereitet werden, das ganze Leben von Unschuld duften wird. Sei es mir doch gestattet, in diesem Sinne einige Vorschläge zu machen. Sie betreffen das Kinderspielzeug.

Das Kinderspielzeug wird bisher von . . . Feiglingen erdacht. Gewiß gibt es z. B. auch hier Soldaten, Festungen, 186 Kanonen, Wehr und Waffen, so daß es knallt, dampft, zischt, und prasselt, schreckliche Schlachten geliefert werden. Aber es fließt z. B. kein Blut, die Sache bleibt trocken. Man führe Blut ein (natürlich künstliches!!!), und sofort macht es auch den Kindchen mehr Spaß. Das ist kolossal leicht: man verfertige hohle Soldaten mit siebartigen Öffnungen. Purzeln sie um, so verspritzen sie rotgefärbtes Wasser. Um granatenartige Wirkungen zu erzielen, nehme man magneteiserne Soldatchen, deren Glieder sich, auf einen Anprall hin, loslösen; man repariert sie rasch. Verunglückende Flieger, Soldaten zum Explodieren und restlosen Verschwinden macht man aus Glas, nach Art der Bologneser Fläschchen. Sehr prächtig würde sich ein kleines Kreisel in der Form eines beliebten Feldherrn, z. B. Hindenburgs, ausnehmen: vom Kreisel radial gehen Sicheln aus. Man dreht es an und läßt es, aus einem Miniatur-Zeppelin, auf die Feinde hinab. Während es wirbelnd ihre Massen ringsum niedersichelt, läßt es die Melodie «Heil dir im Siegerkranz» oder «Deutschland, Deutschland über alles» ertönen. Patriotischer kann man die deutschen Kindlein gar nicht präparieren. – Das Massengrab darf in keinem Soldatenkästchen fehlen, so wenig wie ein gutes Musterungslokal, ein Lazarett mit gut imitierten Verwundeten, an denen die kleinen Ärzte Operationen, Amputationen u. dergl. vornehmen können. Wie soll denn später einmal der echte Feldzug zum Kinderspiel werden, wenn er es nicht, ob auch nur in kindischem Spiel, bereits einmal gewesen war? Ich ließ für meine Kleinen von ehrsamer Handwerkerhand einen Lazarettzug mit Leichnamen, Verwundeten, Ärzten, Schwestern, mitreisenden Witwen, Waisen und andern, schwarz gekleideten Trauerpüppchen anfertigen und erregte damit Jubel über Jubel. Auf diese Weise wird die spätere echte Trauer durch diese kindlichen frohen Eindrücke verklärt und gelindert. Und wie tiefsinnig! z. B. vor Gott ist unser Leidwesen klein, und wir Alten schließlich auch nur Kinderchen.

187 Füsilierung ist ein sehr hübsches Spiel; desgleichen sollte auch eine Menge Zivilbevölkerung in militärischem Spielzeug enthalten sein, mit lütten Barrikaden, ansonst man nicht «Revolution» spielen könnte. So leicht wird dann keine Mama plötzlich von der Sorge befallen werden: was schenke ich Helmut zu Weihnachten?

Überhaupt! Kinderspielzeug kann gar nicht realistisch genug ersonnen werden. Was macht sich mein Junge aus einer Kuh, die nicht gemolken werden kann. Ein Gummiballon-Euter, und die Sache klappt und macht enormen Spaß.

Und immer noch fragt Tante Paula und ringt, sich härmend, die Hände: soll ich die Kleinen aufklären? Aber Tante! Du sollst es. Du sollst dir zu diesem Zwecke eine Wöchnerin-Puppe besorgen. Grade weil die Kinder diese Eindrücke so unschuldig hinnehmen, sollen sie daran gewöhnt und dadurch gegen deren spätere Verfänglichkeit geschützt werden: Kinderspielzeug ist prophylaktisch. Es ist schade, daß mir hier eine verlogene Dezenz den Mund zuhält. Schamhaftigkeit ist gewiß sehr schön, aber ihre Verbindung mit der Feigheit, statt mit dem Mute, ist häßlich, ist Prüderie. Es gibt eine schamhafte und eine schamlose Entblößung des Leibes. Denn die wahre Scham bezieht sich ja gar nicht auf die Dinge, sondern auf die Gebärde, mit welcher sie diese Dinge zeigt: sie selber ist so sehr Schleier über allem Schlimmen, daß sie objektiv keine Schleier mehr braucht, sondern gerade sie sich ihrer Nacktheit nicht mehr schämt.

Auf den ersten Anhieb wird man ein Bordell als Kinderspielzeug voreilig verwerfen. Warum? Weil es im Leben vorkommt? Feigheit! – Es «sollte» nicht vorkommen?! Wohl! Schon recht. Schwächen Sie eben deswegen seine unheilvolle Wirksamkeit sofort im Unmündigen ab. Der Reiz der Sünde beruht auf Überraschung. Machen Sie die Kleinen zu Blasierten des Verbotenen. Ja, eröffnen Sie ihnen als Kinderspielzeug das gesamte Reich der Kriminalistik!

Welche begeisternde Idee! Eine entzückende kleine Morgue mit allem Drum und Drin; eine Anatomie; ein 188 Mütterheim mit Hebammen: von Vater keine Spur. Wundervoll gelingende kleine Bombenattentate mit entzweigehenden, leicht heilbaren Prinzen. Warenhäuser mit automatisch funktionierenden Brandstiftungen, Einbrüchen, Diebstählen. Auf vielerlei Weise ermordbare Opfer und die zu ihnen gehörigen Mörderpuppen mit allen einschlägigen Instrumenten.

Denken Sie an entzückende kleine Leichenwagen und Särgchen, an Puppenfriedhöfe und Krematorien mit drolligen Gräberchen und Urnen, Leichensteinen mit auswechselbaren Inschriften, Pastören und anderen Puppen.

Warum sollte das Kind nicht sein kleines Museum haben? es lernt den Wert von Bildern, Plastiken usw. vorahnen – es kann gar nicht genug vorahnen!!! Es soll nicht unwissend gehalten werden, erlebe Alles.

Warum versagt man ihm seinen zierlichen Reichstag? Weswegen fehlt ihm eine federleicht einbalsamierbare Monarchenleiche? Meine Kinder lachten neulich Tränen über eine der niedlichen Sozialistenversammlungen bei Streik und weinenden Müttern, auf welche jenes Kreisel losgelassen wurde. Ich wurde inne, von welcher sieghaften Höhe hinab alles Menschliche zu erblicken und zu betreiben, sie sich einübten. Glauben Sie denn, diese Vogelperspektive schwäche alsdann die Tatkraft? Unsinn! Lähmt sie denn die Energie der Adler und anderer Immelmänner (Immelmann klingt ja an Himmelmann an)?

Sogar Seuchen und Hungersnöte sind für Kinderchen darstellbar. Dick und mager werden könnende Hunger-Gummipuppen streng ergötzlich! Geschwür-Puppen furchtbar komisch. Guillotine und Galgen möchten wenigstens meine Kleinen nicht mehr missen. Ein Asyl für Obdachlose – das Appetitlichste, das man sich denken kann. Ob man (vermittelst Stinkbomben) die kleinen Rotunden und die unterirdischen Bedürfnis-Anstalten auch für die lieben Näschen überzeugend machen solle? wage ich nicht zu entscheiden. Dagegen bin ich bestimmt für Paradies mit 189 Sündenfall; für kleine Kirchen (allen jüdischen Kindern Synagögchen), resp. Moscheen u. a.

Eisenbahn-Spielzeug, ohne die Möglichkeit, Eisenbahn-Katastrophen darzustellen, macht nur das halbe Vergnügen. Sollen aus Kindern einmal ganze Kerle werden, so darf man ihnen nichts Menschliches verbergen. Ihre Unschuld sorgt schon unwillkürlich für alle nötigen Schranken: und später, wenn diese Schranken sich allmählich erweitern, trifft das Neue auf vorbereitete Gemüter. Daß die Kleinchen über Alles lachen, auch über die Kehrseiten des Lebens, das ist geradezu die herrliche Ausdehnung der strahlenden Heiterkeit auch über alles sonst so schnöde von ihr Verlassene und nur dadurch so Triste. Das ist der Humor, welchem künftige Geschlechter, so erzogen, nichts mehr vorenthalten werden!

Ich versage mir nicht, an etwas weihevolles zu rühren: Kein Kinderzimmer mehr ohne nagelbare Denkmäler! 191

 


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