Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Mein Papa und die Jungfrau von Orleans

Schon war es Nacht geworden; die Sterne blinkerten so zitterig durch die gestrickten Gardinen. Auf dem Kaminsims stand mein Papa, ein übel beleumdeter Volksredner, im mausgrauen Frack mit graziöser Glatze, lachsfarbener Nase und hoch erhobenem rechten Arm. Dieser Arm sollte den Gedanken ausdrücken: «Erhebe dich wie ein Mann, du mein großes gutes Volk! Es gilt die Freiheit vom Despotismus! Sterbet für sie, wenn es euch nicht gelingt, für sie zu leben! Opfert euch! Immer los! Opfert euch in Masse! Seid alle so begeistert wie bisher nur ich allein! Reißt die Konkubine!» . . . usw. usw. Man weiß ja, wie diese Papas reden. Das Volk aber hört ihnen gern zu; es ißt und trinkt dabei, die Damen machen Handarbeit, man lacht, und Kinder und Hunde lärmen so fröhlich. Der Despot sorgt auch für Papa; der kriegt warme Würstchen, Aromatik und freie Eisenbahn dritter Klasse.

Nun aber kommt ein grobes Mißverständnis: Zu welchem populären Zwecke mein Papa, in pathetischer Weise, seinen rechten Arm hochreckte, ist ja gesagt worden. Da ging der Mond auf, ein silberner Strahl kitzelte das fromme Auge der Jungfrau von Orleans, welche, dem Kamin gegenüber, auf einer Ebenholzkonsole stand. Die Jungfrau von Orleans bezog unwillkürlich die feierlich betonende Geste meines Papas auf sich. Sie sah sich meinen Papa immer aufmerksamer an, und diese Prüfung fiel zu ihrer vollen Zufriedenheit aus. Mein Papa war ein solid gearbeiteter Mann; er ähnelte Eugen Richter. Die Jungfrau dagegen schien bereits ein wenig mitgenommen und hysterisch. Sie litt an dem berühmten Zwiespalte zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden. Kurzum, mein Papa schien ihr das Fleisch gewordene Sinnenglück, nach dem sie heimlich schmachtete; welches sich aber doch keineswegs mit ihrem 178 Seelenfrieden vereinigen lassen wollte. Und schon machte sie Miene, das Sinnenglück notgedrungen fahren zu lassen, als das kupplerische Mondlicht eine zärtliche Gegenseitigkeit zwischen meinem Papa und ihr herstellte: mein lieber Papa mochte jetzt erst merken, wie liebevoll seine Gestik mißverstanden worden war. Das war zuviel für den Alten! Genau wie die Jungfrau versuchte er das Kompromiß.

Er bildete sich ein, der brave Volkstribun zu bleiben, auch wenn er sein Gliederspiel so zweideutig einrichtete; und Fräulein von Orleans fühlte ihr Herz für den Heiland erglühn, wenn sie meinem Papa ihre süßesten Augen machte. Doch zwischen Kaminsims und Konsole klaffte immerhin der fatale Abgrund, welcher sich so herzlich gern zwischen Begierde und Befriedigung einschiebt. Jedoch lechzte die gespannte Situation nach einem auslösenden sogenannten Zufall, der meinen ein paar Zolle höher stehenden lieben Alten in die Arme der etwas unter ihm ragenden Jungfrau von Orleans bringen sollte. Dieser Zufall trat denn auch in der Gestalt des Kätzchens Schniezel sammetpfotig durch die Pforte.

Schniezel sprang aufs Sofa, vom Sofa auf den Tisch. Vom Tische aus wollte Schniezel mit der Kralle den (oben erwähnten) Mondstrahl aus irgendeinem Grunde abfangen und schnellte sich dabei aufwärts. Schade! Sie streifte bei dieser Gelegenheit meinen jovialen Papa vom Sims; er fiel mit gut gespieltem Gepolter in die betend erhobenen Arme des Fräuleins von Orleans, beider Lippen fanden sich zu innigem Kuß, und, auf das harmonischste vereint, sanken sie in den (oben erwähnten) Abgrund. Sie erregten Schniezels lebhaftes Interesse; bildeten sich zu dem bekannten heißen Brei aus, um den Katzen für ihr Leben gern herumschleichen. Und sie waren auch, metaphorisch verstanden, ein einziger heißer Brei. Der Papa war der Jungfrau an die alabasterne Brust gerutscht; sein demagogischer Rhetorarm rankte sich um die keusche Taille der ältlichen Naiven. Sie lagerten auf dem mildgeblümten Teppich wie auf einer 179 mondbeschienenen Wiese; vordem war ihre Lage beträchtlich vertikaler gewesen.

Schniezel versuchte, in dieses zarte Verhältnis einzugreifen; sie rollte die beiden hin und her, miauzte sie erregend an. Aber wie konnte sie Leben in diese stille, ruhige, abgeklärte Liebe bringen? –

Am andern Tag in der Frühe fand die beiden das Dienstmädchen Lilli. Sie rief die Köchin. «Ich hab' es der Gnädigen immer gesagt», schimpfte diese, «sie soll den Herrn Papa nit auf den Simsrand stellen. Um den Fratzen, das Frauenzimmer, ist es nicht schade; das dumme Luder hat mich immer geärgert. Schauen Sie nur, Lilli, wie sie mit dem seligen gnädigen Herrn daliegt! Man könnt' ordentlich auf Gedanken kommen. Ja, Lilli, unser Seliger, das war erst ein Fescher!!»

Die Jungfrau hatte das linke Bein gebrochen. Papa war mit ein paar Abschürfungen davongekommen. Mama sah sich die Bescherung an, befahl die Ausbesserung des Schadens und schloß sich weinend in ihr Zimmer ein. Die Jungfrau von Orleans war nach dem bekannten Modell gemacht, mit welchem Papa jene liaison dangereuse gehabt hatte. Und nun, vier Jahre nach Papas Tode, dieser auf meine Mama wie die höhnischste Absicht wirkende Zufall. Natürlich wurden Papa und die Jungfrau – isoliert ist kein Ausdruck.

Mama, Mama, warum hattest du sie denn, in einer Art dumpfen Billigkeitsgefühls, so nahe zusammengestellt? Du vertrautest zu grob auf die Totheit des Leblosen. Mama, es gibt nichts Lebloses. Setze den Moses von Michelangelo auf einen Nähtisch – wie! Glaubst du ehrlich, der Nähtisch werde nicht eines Tages – – – «zufällig» – – – (welche Blödheit!) unter ihm erliegen?? Hältst du die Holzwürmer, welche von jenem Augenblicke an in ihm minieren, für Zufälle?!?

Ach Welt! Wie zerrissen bist du in deiner echten Zusammengehörigkeit! Aber das, was ihr Zufall nennt, ist gerade 180 der dunkle Magnetismus, der das noch so grausam Getrennte trotzdem so unwiderstehlich zueinander treibt, wie meinen lieben Papa jedennoch zur Jungfrau von Orleans. 181

 


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