Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Warum ich immer so traurig bin?

Warum bin ich denn immer so traurig? Warum nur? Ich kann es nicht herauskriegen – ach! Das macht mich ja noch viel trauriger. Nun gewiß, es passiert mir zweifellos viel Schlimmes. Ich verlor vor Jahren meinen guten Vater, meine – na, gut war sie nicht – meine schöne Mutter. Nein! Wer das Wort Mutter ausspricht, ohne . . . ich will nicht sagen Tränen, aber ohne Zähren zu vergießen, auch der macht mich unsäglich traurig!

Oft rät mir mein guter Geschmack an, wie die edlen Japaner, meine Trauer unter einem Lächeln zu verbergen, das sicherlich schon manches Herz zerrissen hat, z. B. das der wunder . . . . . . wundernetten Berta v. Pommchen. Es war nach dem Mittagessen, wir gingen in den strahlenden Garten, und in der Gitterlaube mit schattigem Licht gestand ich ihr voll unsagbarer Trauer meine . . . . . . . jetzt wird man denken: Liebe. Nein, bloß meine unbesiegbare innere Verdüsterung, die mich verhinderte, mich in Liebe jemandem anheimzugeben. Und um das gute Mädchen nicht unglücklich zu machen, lächelte ich. Ich lächelte in einer so erschütternden Weise, daß Frl. v. Pommchen aus der Laube lief, und nebenan hörte ich sie zum Gärtner sagen: «Walter, haben Sie vielleicht einen Nußknacker bei sich?» – Gott, was die lieben Mädchen Schelmerei aufbringen, um einem Schwermütigen eine frohe Sekunde zu machen. Der alte Herr v. Pommchen sagte mir: «Heigeratet! mein Lieber, das heilt alle Junggesellengrillen – weiter ist das ja nichts.» Und Frau v. Pommchen sah mir so – – – – – so traut, so unwiderstehlich traut ins Gesicht und sagte dann gar nichts und rief nur Berta und ließ uns allein. Kinder, was war das eine Trauer – so wie wenn Sie immerfort einem uralten Bettler in sein lebenswundes Auge blicken müßten, das nicht mehr auf die Münze sieht, weil die tastende welke Hand inzwischen sehen gelernt hat. Dann Verlobung – na, 164 warum weint man nicht noch viel mehr bei Verlobungen? Warum blieb Bertas Auge so beleidigend trocken, während meines schwamm? Die Erinnerung macht mich seufzen. Dann Heirat. Das Kind. Wie hab' ich beim (für andere so seligen) Momente der Erzeugung dieses Kindes mich, laut aufzuweinen, nicht entbrechen können! Des Kindes erstes Schreien betaute ich mit Tränen, die gleichsam noch naß sind. Geweinte Diamanten – so wahr ich lebe und ungesund bin! Ich habe viel Schlimmes durchgemacht, aber meiner Trauer komme ich nicht auf den feuchten Grund. Wie viele erleben noch Schlimmeres und grämen sich nicht halb so sehr, während mich auch die heitersten Ereignisse womöglich noch tiefer verstimmen als die trübsten. Woran mag das liegen? – Ich habe für meine Trauer keinen Grund, sie ist ein Abgrund, in dem mir mein bißchen Leben versinkt. Ich will noch mehr sagen: meine Tränen fließen nicht um Leid oder Glück, das ich erlebe, sondern sie fließen um nichts Feststellbares – im Gegenteil! Ohne solche Scheingründe, solche scheinbaren Feststellungen würden Sie mich nicht hier sehen, ich wäre längst in eine Tränenfletsche zerronnen . . . 165

 


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