Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Häßlichkeit entstellt nicht immer

Klotilde war die Schönheit selber (bis auf eine kleine Partie, deren Sitz wir noch nicht verraten . . . also nein, warten Sie doch ab! Sie finden es nicht von selbst). Oh, sie kannte ihre leibliche Erscheinung nur allzu genau, sie war hellsichtig auch für ihre Fehler und wußte, daß es ihr unmöglich war, restlos schön zu wirken. Klotilde war einer der tragischen Fälle, in denen die letzte Vollendung der Schönheit an einer fürchterlichen Häßlichkeit unvermeidlich scheitert. Ihre ganze Lebensart wurde durch das Bewußtsein dieser entsetzlichen Eigentümlichkeit bestimmt. Von hinten gesehen, war Klotilde übrigens allerliebst. Erzählt man sich doch, daß jene Meduse ihre versteinernde Wirkung auch nicht gerade mit ihrem Rücken ausübte. Klotildens Schönheit in Ruhe und die Grazie ihrer Bewegungen übertraf alles, was man bei jungen Mädchen in dieser Weise sieht, unvergleichlich. Nur . . .

Naja, nichts ist vollkommen in dieser Welt. Und verschönernde Ärzte zuckten ratlos die Achseln. Klotilde blieb eine mißgeborene Venus (versalzener Meeresschaum?) Wie kam es, wenn sie ihren himmelblauen Blick aus schwarzen Wimperstrahlen unter den zartfeinen Linien ihrer Brauen so wundervoll auf leuchten ließ, – daß alle Hunde hinterm Ofen blieben, sie lockte keinen hervor!

Aha! sagt hier ein besonderer Schlaumeier, wahrscheinlich roch sie übel? – Im Gegenteil: der Duft ihrer rosenweißen Haut wetteiferte mit dem der Hyazinthen, ihr Atem war wie der Monat Mai. Ihr Gebiß ärgerte jeden Zahnarzt krank, in so gesunder Kraft blitzten die Zähne wie Schnee zwischen den blutroten Korallen ihrer wie Amors Bogen geschwungenen Lippen. Das Haar gesponnenes Abendsonnengold (oder paßt Ihnen die morgenrötliche Sonne besser?)

Trotzdem, wenn sie ihnen diese blendend lieblichen 192 Vorzüge spendete, wendeten sich nicht nur Gäste, sondern auch Einheimische mit Grausen, und ihr erregender Mund blieb nie geküßt.

Welches Rätsel! Versetzen wir uns in ihr Gemüt! Nur allzu liebesbedürftig, verstand sie doch übergenau, weswegen sie abstieß. Am widerwärtigsten mutete sie an, wenn man sich, wie ihre gewohnte Umgebung, Mühe gab, ihre bei solcher Schönheit sonderbare Garstigkeit zu übersehen. Der Eindruck, den sie machte, war so drastisch, daß selbst ihre intim Vertrauten zusammenschraken, sobald sie sie unversehens anlachte oder auch nur lächelte. Aber Fremde, denen sie begegnete, ließen Gegenstände, die sie in Händen hielten, plötzlich fallen, so unerwartet entsetzlich war der Anblick, gleichsam einer Kröte im wonnigen Blumenkelch ihres Antlitzes. Ihre Häßlichkeit war um ein nichtsdestoweniger reizendes Näslein konzentriert, das nur, wenn sie lachte, zur enormen Sattelnase wurde. Diese aber saß zwischen extrem hunnischen Backenknochen, und zu beiden Seiten der Nase waren ihre Wangen scheckig wie von einem Vitriolattentate gefleckt und obendrein pockengrübig; sonst hatte sie keinen Fehl, sondern war im Gegenteil geradezu ein Ausbund von Schönheit.

Eines Tages erhielt dieses anziehend-abstoßende Monstrum die Einladung zu einem Kostümfest und Maskenball und konnte sich begreiflicherweise nicht dazu bringen, weder abzulehnen noch zuzusagen. Die Zwiespältigkeit ihres Gemüts drohte, in Zerrissenheit auszuarten. Aber mitten in derartigen Schwankungen kam ihr plötzlich ein Gedanke, dem sie sich glühend hingab. Dieser Einfall ermöglichte ihr, ohne alles Kostüm und Maske als bare Eva auf das Fest zu gehen, gerade dadurch alle Häßlichkeit aus ihren Zügen zu tilgen und ihre herrliche Schönheit restlos an den Tag zu legen.

Ihren neugierigen Bekannten gegenüber tat sie, als hätte sie abgesagt: «Ich, mit meiner Fratze, dorthin! Womöglich zum Schönheitswettbewerb! Nein, nein! So blind bin ich 193 nicht vor meinem ehrlichen Spiegel!» Natürlich versicherte man ihr galant, sie brauche nur eine Halbmaske zu tragen, um sich von der Venus nicht mehr zu unterscheiden. Sie lächelte fürchterlich (wie oben beschrieben) und bemerkte spitzbübisch: «Ohne Maske oder gar nicht!» Freute sich diebisch, als selbst ihre diplomatischsten Freunde eine Geste des Abscheus nicht zurückhalten konnten. Wußte sie doch, was sie wußte, und ging sofort an die Ausführung.

Die denn auch dermaßen von Erfolg gekrönt war, daß Klotilde die süßesten Tänzerinnen in lauter Mauerblümchen verwandelte. Sie war die Krone, die Königin des Balles. Was irgend männliche Tanzbeine hatte, riß sich um Klotilde zuschanden. Vergebens raunte man sich das offenbare Geheimnis ihrer Abgrundhäßlichkeit zu. Just in diesen Abgrund stürzte sich Hals über Kopf der von allen Jungfrauen und anderen Mädchen angebetete jugendliche Liebhaber des Staatstheaters, der weltberühmte Stoissi, der Eva-Klotilde nicht aus den Augen noch aus den Armen ließ. Tatsächlich bestand ihr Kostüm nur in zwei Ausschnitten, die oben und unten alles frei gaben, während die Mitte eigentlich nur von einem goldiggrün schillernden, feigenblattförmigen, halbdurchsichtigen seidenen Schurzfell verhüllt war. Weiße Sandalen vervollständigten diese Nacktheit. Vorm Antlitz trug sie eine seltsam groteske schwarze Halbmaske, durch deren Augenschlitze ihr wunderschöner Blick dem Stoissi magnetisch liebreizend ins Innerste drang. Selbst ihre Bekannten vermochten sich der holden Illusion, die, von der Maske abgesehen, nur die außerordentliche Schönheit zeigte, nicht zu erwehren. Um Stoissi war es geschehen, er fühlte sich an Klotilde verloren.

So zog er sie, die scheinbar Widerstrebende, in einen lauschigen Winkel und bestürmte sie mit seinem innigen Feuer, bis im Saal zur Demaskierung Alarm trompetet wurde. Diesen Moment zur Flucht zu benutzen, lag in Klotildens Plan. Sie wand sich in und aus Stoissis Armen, er ließ sie nicht. Voller Verzweiflung stieß sie ihn jählings zurück und wollte 194 verschwinden. Er holte sie ein, fing sie ab, drang darauf, daß sie nur einen einzigen Augenblick ihre Maske lüftete. Sie rangen miteinander. Er griff nach ihrer Maske und – erstarrte, griff schwarz gefärbte Haut. Diese groteske Form war angewachsen . . .

«Sie dösiger Affe!» streckte Klotilde wütend ihre Waffen, «glotzen Sie nur! Es ist meine Haut!» Sie hatte ihr Gesicht in Form einer Halbmaske schwarz bemalt und dadurch ihre Häßlichkeit fast unsichtbar gemacht, so daß nur ihr rotgoldenes Haar, ihre göttlichen Augen und der anmutigste Mund zum vollen Vorschein kamen. Bevor sie aber davonrannte, durchzuckte es den erstarrten Stoissi elektrisch, er riß sie ungestüm an sich. Ausgerechnet das hatte dem gegen die hübschesten Frätzchen längst Abgestumpften so sehr gefehlt, diese grotesk pikante Schönheit. Eben deswegen wäre sie ihm ohne diese Maske vielleicht nicht einmal aufgefallen, er war zu verwöhnt. Und nun war die Maske keine Maske, sondern ihr wahres, nur geschwärztes Angesicht! Er war und blieb bezaubert und bewies es ihr so stichhaltig, daß sie ihm schließlich glaubte, ihn erhörte. Sogar willigte sie in einen Akt desperatester Courtoisie, durch den sich die ausgeschriebene Schönheitskonkurrenz in einen Häßlichkeitswettbewerb umwandelte. Selbstverständlich errang Klotilde den Hauptgewinn, darüber hinaus als bleibenden Besitz ihren Tänzer, dessen angetrautes Weib sie ward. Als raffinierter Schauspieler brachte er ihr gewisse Schmink- und Puderkünste bei, durch die ihr Gesicht in einiger Entfernung vollendet schön und in der Nähe toll interessant wirkte.

Klotilde hatte mit ihrem Einfall, ihr Gesicht zur Maske zu machen, den innerlichsten Tiefsinn aller Liebe, auf den die Schönheitspflästerchen viel zu zaghaft anspielen, unwiderstehlich in sein Herz geflößt. Seht nur näher hin: die Venus selber hinkt auf den Beinen ihres Hephäst. Zugegeben, Klotildens Schönheitsfleckchen war etwas umfangreich geraten. Aber durch den witzigen Einfall, ihre Häßlichkeit zur 195 neckenden Maske ihrer Schönheit zu machen, hatte sich für die Phantasie des Liebenden diese Häßlichkeit nur wie ein magischer Schleier über die sich niemals gänzlich offenbarende, daher immer anlockende Schönheit des Mädchens gelegt. Lieben wir doch im Grunde stets nur die Masken der eigentlichen Bedeutung. Dadurch daß Klotilde verstanden hatte, ihre Häßlichkeit nur als Maske ihrer ausbündigen Schönheit zu tragen, hatte sie im Leben und in der Liebe von nun an gewonnenes Spiel.

Bitte nehmt euch dieses gelungene Vorbild, meine Schönen! Suchet, so werdet ihr finden: entdeckt nur auch eure Häßlichkeiten und verwertet sie geschickt kosmetisch. Bekanntlich ist die regelmäßige Schönheit nur ein Brechmittel. Ohne ihre bezaubernd arrangierte Häßlichkeit ist die schönste Schöne nichts. 197

 


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