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Zwanzigstes Kapitel.

Die letzten Jahre in Devonshire Terrace.
1848–1851.

Mit Ausnahme der Scenen und Erinnerungen seiner Kindheit hatte Dickens kein besonderes Gefühl für bestimmte Orte, und besondere Anhänglichkeit an Häuser, in denen er gewohnt hatte, machte sich bei ihm nicht bemerkbar. Aber er fühlte sich am behaglichsten in Devonshire Terrace, vielleicht wegen des mit dem Hause verbundenen Gartens, und es that ihm leid, als er plötzlich zu Ende des Jahres 1847 entdeckte, daß er dasselbe »im nächsten Frühling über drei Jahre« werde aufgeben müssen. »Ich hatte gedacht, der Miethtermin wäre noch zwei Jahre länger.« Dieser Zeit gehören einige Vorgänge an, über welche ich berichten muß, und ich verknüpfe sie mit dem Hause, in welchem er während der Arbeit an dem Buche wohnte, das gewöhnlich für sein größestes gilt, und während der Jahre, welche ich für die glücklichsten seines Lebens halte.

Es fanden nie so vertrauliche Mittheilungen unter uns statt, als in der Zwischenzeit nach seiner Rückkehr von Paris; doch diese sind schon in der Erzählung von seiner Kindheit und den Erfahrungen seines Knabenalters benutzt worden und was noch übrig bleibt, waren nur gelegentliche Bemerkungen. Von dem Ursprung des ebenfalls früher mitgetheilten Bruchstücks seiner Selbstbiographie habe ich berichtet; aber die Absicht, ein solches Dokument zu hinterlassen, hatte ihn, wie wir jetzt sehen, schon früher beschäftigt und es war eben die Tiefe unseres Interesses an dem Beginn seines Bruchstücks, was den Plan zu dem größeren Werke veranlaßte, von welchem jenes absorbirt wurde. »Ich weiß kaum, weshalb ich dies schreibe,« so lautete seine eigene Bemerkung über eine seiner persönlichen Enthüllungen, »aber das mehr als freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen uns herangewachsen ist, scheint es mir in meiner gegenwärtigen Stimmung aufzuzwingen. Wir, Du und ich, werden, das gebe der Himmel, noch manchmal in späteren Jahren weise und staunend davon reden. Inzwischen fühle ich mich ruhiger, nachdem ich Dir mein ganzes Empfinden und Denken erschlossen habe. . . . Heute vor elf Jahren starb die arme liebe Mary.« Ich benutze diese Veranlassung, zu sagen, daß in der früher (Band I. S. 94) angeführten Grabschrift drei Worte fehlen. Der Grabstein auf dem Kirchhofe von Kensal-Green trägt diese Inschrift: »Jung, schön und gut, zählte Gott in seiner Gnade sie in dem frühen Alter von siebenzehn Jahren seinen Engeln zu.«

Dies wurde am 7. Mai 1848 geschrieben, aber ein anderes, damals bevorstehendes schmerzliches Ereigniß führte seine Gedanken noch weiter zurück – zurück in die Zeit, als er mit seiner kleinen älteren Schwester in dem kleinen Garten des Hauses in Portsea umhertrabte. Die schwache Hoffnung auf ihre Wiederherstellung, welche Elliotson ihm in Paris gemacht hatte, war seitdem völlig erloschen und in weniger als zwei Monaten nach dem eben angeführten Briefe sollte ich hören, wie nahe das Ende gekommen war. »Es fand,« schrieb er am 5. Juli, »gestern in der Mitte des Tages eine Veränderung mit der armen Fanny statt, welche mich gestern Abend zu ihr hinausführte. Ihr Husten hörte plötzlich fast ganz auf und seltsam genug, wurde sie sofort ihres hoffnungslosen Zustandes inne, in den sie sich, nach einer Stunde voller Unruhe und Kampf, mit außerordentlicher Sanftmuth und Standhaftigkeit ergab. Die Reizbarkeit ging vorüber und alle Hoffnung schwand dahin, obgleich sie noch zwei Nächte vorher Pläne ›für die Zeit nach Weihnachten‹ gemacht hatte. Sie ist sehr verändert. Ich hatte heute, allein, eine lange Zusammenkunft mit ihr, und nachdem sie einige Wünsche über das Begräbniß kundgegeben und darüber, daß sie in ungeweihter Erde begraben werden würde,« (ihres Mannes Familie gehörte einer dissentirenden Sekte an) »fragte ich sie, ob sie irgend eine Sorge oder Angst in der Welt habe. Sie sagte: nein, keine. Es sei schwer, in einem solchen Lebensalter zu sterben; aber sie fühle durchaus keine Beunruhigung im Hinblick auf die bevorstehende Veränderung, sei überzeugt, daß wir uns in einer besseren Welt wiedersehen würden; und obgleich man ihr gesagt, sie könne sich noch auf eine Zeit erholen, wünsche sie dies in Wahrheit nicht. Sie sagte, sie sei ganz ruhig und glücklich, vertraue auf die Vermittlung Christi und empfinde keinerlei Schrecken. Sie habe, selbst während ihrer Krankheit, hart gearbeitet; glaube indeß, das liege in ihrer Natur und bedauere es weder, noch beklage sie sich darüber. Burnett (ihr Mann) sei immer sehr gut gegen sie gewesen; sie hätten sich nie veruneinigt; es thue ihr leid, zu denken, daß er in ein so einsames Haus zurückkehren werde und ihre Kinder jammerten sie, aber es sei kein quälender Schmerz. Sie zeigte mir, wie mager und abgezehrt sie war, sprach über eine Erfindung, von der sie gehört hatte und die sie gern an dem Rücken des mißgestalteten Kindes versucht haben möchte; erinnerte mich an die Geduld und Standhaftigkeit unserer Schwester Letitia und machte mir, obgleich sie zuweilen Thränen vergoß, den Eindruck, daß ihr Geist gefaßt und ruhig war. Ich bat sie sehr oft, wenn sie sich auf irgend etwas besinnen könne, das ich für sie thun könne, es aufzuschreiben, oder gegen Jemand zu erwähnen, wenn ich nicht da sei und sie sagte, sie wolle es, aber sie glaube fest, es sei Nichts, Nichts da. Da ihr Mann jung und ihre Kinder klein seien, sagte sie, so könne sie nicht umhin, zuweilen zu denken, daß es nach dem Naturlauf sehr lange dauern müsse, ehe sie wieder vereinigt würden; aber sie wisse, das sei eine bloße menschliche Einbildung und könne keine Wirklichkeit haben, nachdem sie gestorben sei. Eine so rührende Offenbarung von Kraft und Zartgefühl, bei so frühem Verfall, ist ganz unbeschreiblich. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie es mich ergriff. Ich kann die lieben Kinder hier nicht ansehen ohne die Besorgniß, daß diese traurige Krankheit nicht mit ihr aus unserm Blute verschwinden wird; aber ich bin gewiß, es ist keine Selbstsucht in dem Gedanken und Gott weiß, wie klein die Welt dem scheint, der an einem hellen Sommertage aus einem solchen Krankenzimmer hinaustritt. Ich weiß nicht, warum ich dies schreibe, ehe ich zu Bette gehe. Ich weiß nur, daß mir mitten in der Trauer und dem Gram meines Herzens zu Muthe ist, als ob ich etwas damit thäte.« Nicht viele Wochen nachher starb sie, und das kleine Kind, welches ihre letzte Sorge war, überlebte sie nicht lange.

Während der letzten Hälfte des Jahres waren Dickens' Gedanken lebhaft mit der Form beschäftigt, welche sein nächstes Buch annehmen sollte. Ich hatte ihm den Vorschlag gemacht, er solle es zur Abwechselung in der ersten Person schreiben, und er hatte denselben sofort sehr ernst genommen und dies sowie andere Umstände wirkten zu jenem Entschlusse zusammen, obschon er noch nicht im Traum daran dachte, von seinen persönlichen und privaten Erinnerungen einen öffentlichen Gebrauch zu machen. Ein kleiner Vorfall dieser Zeit mag zeigen, mit welch eigenthümlicher Wahrhaftigkeit er Wahrheit und Dichtung zu verschmelzen wußte, nachdem sein Entschluß einmal gefaßt war. Man hat aus der Lebhaftigkeit der Knabenerinnerungen Davids an Yarmouth den Schluß gezogen, daß der Ort Dickens in seinen eigenen Knabenjahren vertraut gewesen sein müsse; allein die Wahrheit ist, daß er jenen berühmten Seehafen zuerst am Ende des Jahres 1848 sah. Einer der früheren Monate dieses Jahres war durch ein Abenteuer bezeichnet gewesen, an welchem außer ihm Leech, Lemon und ich selbst theilnahmen. Wir hatten in Salisbury Pferde genommen und einen ganzen Märztag damit hingebracht, die ganze Ebene zu durchreiten, hatten Stonehenge besucht, Hazlitt's Hütte in Winterslow, den Geburtsort einiger seiner schönsten Essays, durchforscht – und Alles mit so glänzendem Erfolge, daß er jetzt (13. November) vorschlug, »den Gedanken der Ebene von Salisbury mitten im Winter in einer neuen Richtung zu wiederholen, nämlich bei Blackgang Chine auf der Insel Wight, inmitten dunkler Winterklippen und brausender Meere.« Aber der Winter brachte schon von selbst zu viel Oede mit sich, um jene stürmischen Zugaben schmackhaft zu machen; und am letzten Tage des Jahres meinte er, »es werde besser sein, einen Ausflug nach einer alten Kathedralstadt zu machen, die wir noch nicht kennen; und was sagst Du zu Norwich und Stanfield-Hall?« Dorthin gingen demnach die drei Freunde, während ich selbst noch im letzten Augenblick durch Krankheit verhindert wurde, sie zu begleiten; und über das Resultat hörte ich (12. Januar 1849), daß Stanfield-Hall, der Schauplatz eines grade damals vorgefallenen schrecklichen Trauerspiels, nichts Anziehendes habe, wenn man nicht etwa diese Eigenschaft »einem mörderischen Aussehen beilege, das zu einem solchen Verbrechen einzuladen scheine. Wir kamen,« fuhr Dickens fort, »zwischen Stanfield-Hall und der Potaß-Farm an, als gerade das Suchen nach der Pistole stattfand, was auf eine so erstaunlich dumme Weise geschah, daß Nichts in der Welt einen der Arbeiter Rush's verhinderte, von dem jüngeren Rush fünf Pfund St. anzunehmen, um die Waffe zu suchen und sie ihm zu geben. Norwich war eine Enttäuschung, mit Ausnahme seines Richtplatzes, den wir für das Ende eines colossalen Schurken geeignet fanden. Aber der Erfolg des Ausfluges sollte für mich noch kommen. Yarmouth, Sir, wohin wir dann gingen, ist der seltsamste Ort in der weiten Welt: dreißig Meilen hügelloser Marschebene zwischen dort und London. Mehr darüber, wenn wir uns sehen. Ich werde mich jedenfalls daran versuchen.« Er machte es zu der Heimath seiner ›kleinen Em'ly‹.

Sein ganzes Sinnen nahm jetzt diese Richtung und bald wälzte, nach seinem eigenen Ausdruck, sein Geist Namen umher »wie eine hohe See«. Vier Tage nach dem Datum des zuletzt angeführten Briefes (»alles war, Gott sei Dank, heute Morgen um vier Uhr vorüber«) kam die Geburt seines achten Kindes und sechsten Sohnes, den er zuerst nach Oliver Goldsmith nennen wollte, später aber schließlich noch Henry Fielding nannte, und bei dem unser alter Freund Ainsworth, der uns zuerst miteinander bekannt gemacht hatte und immer ein willkommener und angenehmer Gefährte war, als Gevatter gebeten wurde. Indem er mich von jener Namensveränderung des Kleinen benachrichtigte, zu der eine Art von Huldigung gegen den Styl des Werkes, welches er jetzt anfangen wollte, ihn veranlaßt hatte, fügte er hinzu: »Was denkst Du von folgendem, als Grundgedanken eines Charakters? ›Ja das ist vollkommen wahr; aber Was ist sein Motiv?‹ Mir scheint, als könnte ich etwas Derartiges in eine Sorte von belustigendem und unschuldigerem Pecksniff verarbeiten. ›Ja freilich, – das war ganz gewiß eine schöne Handlung. Aber – aber, Was ist sein Motiv?‹« Es war dies wieder nur eins der vielen äußeren Zeichen der Phantasie und Fruchtbarkeit, welche den Beginn aller seiner bedeutenderen Werke kennzeichneten, obgleich es, wie gewöhnlich, auch nicht an andern, solchen Anfängen eigenthümlichen, weniger günstigen Gemüthsstimmungen fehlte. »Tiefste Niedergeschlagenheit bedrückt mich, wie immer, wenn ich anfange;« lautete der Anfang eines Briefes, worin er von dem sprach, was natürlich immer eine seiner ersten Sorgen war: die Wahl eines Titels. In diesem besondern Falle hatte er Zweifel und Befürchtungen in einem mehr als gewöhnlich hohen Grade ausgestanden. Erst am 23. Februar gelang es ihm, eine Art Form für einen annehmbaren Titel zu finden. »Ich möchte wissen, was der beiliegende Titel (einer von denen, an die ich gedacht habe) Dir auf den ersten Blick für einen Eindruck macht. Er ist, wie mir scheint, seltsam und neu, aber er mag an A's Mangel: ›zu komisch, mein Junge!‹ leiden. Als Motto würde ich wohl hinzufügen müssen: ›Und kurz, es führte zu eben dieses Mag Zerstreuungen. Altes Wort.‹ Oder würde es, da für Beides eine gleiche Autorität vorhanden ist, besser sein zu sagen: ›Und kurz, Alle spielten Mag's Zerstreuungen. Altes Wort?

Mag's Zerstreuungen.
Die persönliche Geschichte Mr. Thomas Mag's
des Jüngeren,
Von Blunderstone House.«

Dies schien mir kaum befriedigend und es zeigte sich bald, daß er derselben Meinung war, obgleich er mir diesen Titel während der nächsten drei Tage in drei andern Gestalten mittheilte. » Mag's Zerstreuungen. Die persönliche Geschichte, Abenteuer, Erfahrungen und Beobachtungen Mr. David Mag's des Jüngeren, von Blunderstone House.« Die zweite Variation ließ ›die Abenteuer‹ aus, nannte seinen Helden Mr. David Mag den Jüngeren, von Copperfield House. Die dritte zeigte eine größere Annäherung an den Titel, welchem das Schicksal ihn entgegenführte und verwandelte Mr. David Mag in Mr. David Copperfield den Jüngeren und seine Großtante Margaret, behielt aber noch als Haupttitel » Mag's Zerstreuungen« bei. Es ist eigenthümlich, daß, während der Name auf so seltsame Weise durch Zufall zusammengebracht wurde, es ihm nie auffiel, daß die Anfangsbuchstaben umgekehrt seine eigenen waren; aber er war auf's Höchste überrascht, als ich ihn hierauf aufmerksam machte und betheuerte, das sei ganz im Einklang mit den Schicksalen und Zufällen, denen er immer ausgesetzt sei. »Warum,« sagte er, »hätte ich sonst so hartnäckig an dem Namen festhalten sollen, nachdem er einmal zum Vorschein gekommen war?«

Von der Wahrheit dieser Behauptung empfing ich unmittelbar nach jenem dritten Vorschlage merkwürdige Beweise. »Ich bitte Dich,« schrieb er am 20. Februar, »Dir die beiliegenden Titel sorgfältig anzusehen und mir zu sagen, welchem Du am meisten geneigt bist. Du wirst sehen, daß sie Mag vollständig aufgeben und sich ausschließlich mit einem Namen befassen – mit dem – welchen ich Dir zuletzt schickte. Ich zweifle, daß ich einen besseren Namen finden könnte.

  1. Copperfield's Enthüllungen. Die persönliche Geschichte, Erfahrungen und Beobachtungen Mr. David Copperfield's des Jüngeren, von Blunderstone House.
  2. Die Copperfield'schen Archive. Die persönliche Geschichte, Erfahrungen und Beobachtungen Mr. David Copperfield's des Jüngeren, von Copperfield Cottage.
  3. Die letzten Reden und Bekenntnisse David Copperfield's Junior, von Blunderstone Lodge, der nie in Old Bailey hingerichtet wurde. Seine persönliche Geschichte nach seinen hinterlassenen Papieren.
  4. Copperfield's Ansicht von der Welt, wie sie rollte. Die persönliche Geschichte, Erfahrungen und Beobachtungen David Copperfield's des Jüngeren, von Blunderstone Rookery.
  5. Das Testament David Copperfield's. Seine als Vermächtniß hinterlassene persönliche Geschichte.
  6. Der vollständige Copperfield. Die ganze persönliche Geschichte und die Erfahrungen Mr. David Copperfield's von Blunderstone House, deren Veröffentlichung nie im mindesten von ihm beabsichtigt wurde.

Nun, was sagst Du?«

Was ich sagte, läßt sich aus dem schließen, was er am 28. antwortete. »› Copperfield's Ansicht von der Welt‹ ist von Anfang an mein Lieblingstitel gewesen. Kate wählte ihn sich aus den andern aus, ohne daß ich etwas darüber gesagt hatte. Ebenso Georgy. Dir gefällt er auf den ersten Blick. So zweifle ich denn nicht, daß es unbestreitbar der beste Titel ist, und ich will daran festhalten.« Nichtsdestoweniger fand eine Abänderung statt. Die Vollendung des zweiten Kapitels machte ihm den Charakter seines Buches und die Angemessenheit, alles nicht streng Persönliche aus dem ihm gegebenen Namen auszumerzen, klarer als vorher. Der Wortlaut des Titels wurde daher schließlich folgender: »Die persönliche Geschichte, die Abenteuer, Erfahrungen und Beobachtungen David Copperfield's des Jüngeren, von Blunderstone Rookery, deren Veröffentlichung nie im mindesten von ihm beabsichtigt wurde.« Und der Brief, durch welchen ich erfuhr, daß der Roman unter diesem Titel am ersten Mai vom Stapel gelassen werden sollte, erzählte mir auch von den Schwierigkeiten, denen er noch beim Anfang begegnete. »Meine Hand ist in Bezug auf Copperfield erlahmt. Heute und gestern habe ich nichts gethan. Obgleich ich weiß, was ich thun will, wackle ich doch wie ein alter Wagen vorwärts. Ich werde heute nicht einmal im Temple diniren; es scheint mir so wichtig, heute Abend dabei zu bleiben und etwas vom Fleck zu kommen. Ich bin ganz am Boden, ein vollständiger literarischer Benedikt, wie er erschien, als seine Fersen nicht am Teppich haften wollten, und die lange Copperfield'sche Perspektive sieht an diesem schönen Morgen schneeig und trübe aus.« Die Anspielung bezog sich auf ein Dîner in seinem Hause am Abend vorher, bei dem nicht bloß Rogers an seinem Tische übel wurde und hinausgetragen werden mußte, sondern, als wir bald nachher aufstanden, um das Eßzimmer zu verlassen, auch Julius Benedikt Der bekannte, in London ansässige deutsche Musiker, seit 1871 Sir Julius Benedikt. – D. Uebers. dem Beispiel des Dichters gefolgt und in unserer Mitte der Länge nach auf den Teppich hingefallen war. Bei der allgemeinen Bestürzung schien es an der gehörigen Sorge für die Kranken zu fehlen; dem berühmten Musiker erging es in dieser Hinsicht nicht so gut als dem berühmten Barden, dessen verlängerte Leiden in der Bibliothek, wohin man ihn gebracht hatte, die ganze im Hause verfügbare sanitarische Hülfe in Anspruch nahmen. Dickens hatte sich beim Dîner mit großer Beredtsamkeit über die Abscheulichkeiten der Behandlung der Armen in einer der Londoner Vorstädte ausgesprochen und Fonblanque benutzte den Umstand, um zu erklären, daß er es selbst nicht besser mache, da er seine Gäste erst durch die Speisen, welche er ihnen vorsetze, in eine bedauernswerthe Lage bringe, und dann diese traurige Lage noch durch die Abwesenheit jeder gehörigen Verpflegung verschlimmere. Quin und Edwin Landseer trugen das ihrige zu der Durchführung des Scherzes bei, während Lord Strangford zugleich seiner tragischen Sympathie für seinen Freund, den Dichter, Ausdruck gab; und das auf so klägliche Weise unterbrochene Banquet endete in ausgelassener Heiterkeit. Denn in der That war nichts Ernstes vorgefallen. Benedikt ging lachend mit seiner Frau fort und ich half Rogers, zu seinem gewöhnlichem Abendspaziergang nach Hause, seine Ueberschuhe anziehen. »Wissen Sie, wie viele Westen ich trage?« fragte der Dichter mich, während ich ihm diesen Dienst erwies. Ich gestand meine Unfähigkeit, es zu rathen. »Fünf!« sagte er, »und da sind sie.« Worauf er sie nach Art des Todtengräbers in »Hamlet« öffnete und mir jede einzeln zeigte.

Dieses Dîner fand im April 1849 statt, und unter den Gästen waren auch Mrs. Procter und Mrs. Macready, immer liebe und vertraute Namen in Dickens' Hause. Niemand konnte ein schnelleres oder sichereres Verständniß haben für das, was in dem menschlichen Charakter tüchtig und schön war; er schätzte dies höher als intellektuelle Kraft, und Macready und Procter würden dieselbe hohe Stelle in seiner Neigung und Hochschätzung eingenommen haben, wäre der eine nicht der größte Schauspieler und der andere ein Dichter von eben so echtem Schrot und Korn gewesen, als der alte Fletcher und Beaumont. Es waren bei diesem Dîner ebenfalls zugegen der amerikanische Gesandte Mr. Bancroft und dessen Frau, sowie Lady Graham, die Gemahlin Sir James Graham's, der nicht einmal ihre Nichten, Mrs. Norton und Lady Dufferin, den Rang als Vertreterin der glänzenden Familie der Sheridan's durch Geist und Schönheit streitig machen konnten, eine Familie, von welcher Dickens viele Mitglieder, und vor Allen diese drei, unter seinen Freunden hochhielt. Der Tisch jenes Tages wird »voll« sein, wenn ich die berühmte Sängerin Miß Katharine Hayes und ihre einfache, gutmüthige Mutter hinzufüge, die uns Alle sehr in Staunen setzte, indem sie Mrs. Dickens ein Compliment darüber machte, daß sie einen so ausgezeichneten Maler, wie Mr. Hogarth, zum Vater gehabt habe.

Andere Freunde des Hauses in Devonshire Terrace werden angedeutet werden, wenn ich ein früheres, zur Tauffeier des » Besessenen« gehaltenes Dîner (3. Januar) erwähne, bei dem außer den Familien Lemon, Evans, Leech, Bradbury und Stanfield, Tenniel, Topham, Stone, Robert Bell und Thomas Beard gegenwärtig waren. Im folgenden Monat (24. März) traf ich an seinem Tische Lord und Lady Lovelace; Milner Gibson, Mowbray Morris, Horace Twiß und deren Frauen; Lady Molesworth und ihre Tochter; John Hardwick, Charles Babbage und Dr. Locock. Der letztgenannte berühmte Arzt hatte Miß Abercrombie, das arme Mädchen, behandelt, deren Tod durch Strychnin die Entdeckung von Wainewright's Mordthaten herbeiführte; und er erzählte mir, daß die Ansicht, welche er sich über ihre Aussichten auf Wiederherstellung gebildet, zuerst erschüttert worden sei durch den traurigen, herzzerreißenden Ausruf der alten Familienwärterin: daß ihre Mutter und ihr Onkel gerade so gestorben seien! Es wurde später bewiesen, daß diese sich unter den früheren Opfern des Mörders befanden. Die Lovelace's waren häufige Gäste bei Dickens nach seiner Rückkehr von Italien, da Sir George Crawford, der sich in Genua gegen ihn so freundlich gezeigt, mit Lord Lovelace's Schwester verheirathet war; und wenige fühlten eine wärmere Bewunderung für Dickens als Lord Byron's »Ada«, Ada Byron vermählte sich mit dem Grafen Lovelace. Sie ist die hier erwähnte Lady Lovelace. – D. Uebers. auf welche Paul Dombey's Tod einen seltsamen Zauber ausübte. Sie waren wieder bei einem im folgenden Jahre für Scribe und Halévy veranstalteten Dîner, als diese nach England gekommen waren, um den ›Tempest‹ in der Königlichen Oper zur Aufführung zu bringen. Der damalige Direktor der Oper, Lumley, M. Van de Weyer, Mrs. Gore und ihre Tochter, die Hogarth's und, wie ich glaube, der vortreffliche französische Komiker Samson, waren ebenfalls zugegen. Früher im Jahre versammelten sich um seinen Tisch die Familien Delane, Isambard Brunel, Thomas Longman, Delane war und ist noch Hauptredakteur der Times; Brunel der berühmte Ingenieur, Longman Mitglied der bekannten Londoner Buchhändlerfirma. – D. Uebers. Lord Mulgrave und Lord Carlisle, mit welchen Allen, und mit Delane besonders in späteren Jahren, er in vertrautem und häufigem Verkehre stand. Lord Carlisle erheiterte uns, wie ich mich entsinne, an jenem Abende, indem er wiederholte, was der gute Lord Brougham über das »Punch-Volk« zu ihm gesagt hatte, eine Aeußerung, an deren Wahrheit er wirklich fest glaubte. »Es gelingt ihnen nie mit meinem Gesichte, und sie müssen sich mit meinen karrirten Hosen begnügen.« Anspielung auf die Carrikaturen Lord Brougham's in dem Witzblatt Punch. – D. Uebers. In Bezug auf Lord Mulgrave, der mit Dickens' ersten amerikanischen Erlebnissen in angenehmer Weise verknüpft war, will ich hinzufügen, daß er uns jetzt nach mehreren abgelegenen Vergnügungsorten begleitete, die er kennen zu lernen wünschte und die Dickens besser kannte, als irgend ein Anderer: kleine Theater, Salons und Gärten in der City und in den Vorstädten; und wie ich glaube nahm er Theil an einem Ausfluge an einem famosen Abend des Sommers von 1849 (29. Juni), als wir mit Talfourd, Edwin Landseer und Stanfield nach Vauxhall gingen, um die » Schlacht von Waterloo« zu sehen und auf's Höchste erstaunt waren, da wir den großen Herzog selbst, in einem glänzenden weißen Ueberrock, mit Lady Douro am Arme und den kleinen Ladies Ramsay an seiner Seite, dicht vor uns dahinschreiten sahen, während die Masse ihn mit Cheers empfing und Platz machte. Daß dies Alles dem alten Helden Freude machte, schien unzweifelhaft; aber »die Schlacht« war ohne Frage langweilig und man konnte nicht umhin, dem wiederholt und sehr hörbar ausgesprochenen Wunsche Talfourds beizupflichten: daß »die Preußen herankommen möchten«.

In dem vorhergehenden Monat hatte die Veröffentlichung » Copperfield's« begonnen, und ich will hier noch ein Dîner (am 12.) besonders erwähnen, wegen Derjenigen, die daran theilnahmen. Thomas Carlyle und seine Frau kamen, Thackeray und Rogers, Mrs. Gaskell und Kenyon, Jerrold und Hablot Browne, nebst Mr. und Mrs. Tagart; und es war ein Genuß, Dickens' Freude zu sehen über Carlyle's lachende Erwiederung auf Fragen nach seinem Befinden: er sei, in den Worten von Peggotty's Haushälterin, ein verlassenes, einsames Geschöpf und Alles laufe ihm zuwider. Ich dachte bei mir selbst, es werde wohl kaum besser gehen, als ich den großen Schriftsteller – den freundlichsten wie den weisesten der Menschen, aber nicht den geduldigsten, in Bezug auf sentimentales Philosophiren, – neben dem guten Mr. Tagart sitzen sah, den man bald verschiedene metaphysische Fragen über den Himmel und dergleichen an ihn richten hörte; und die Erleichterung war groß, als Thackeray mit seltener Laune eine Geschichte vorbrachte, die er und ich Macready hatten erzählen hören, als dieser mit uns von seinen Knabentagen sprach, – über einen provinciellen Schauspieler, der sich sechs Monate lang durch seine geschickte Behandlung der Schlußworte in dem » Schloßgespenst« sein Brod verdiente. In dem Original heißt es, man solle den Argwohn fahren lassen, gemeines Mißtrauen verbannen und, fast in den Worten, welche wir eben den Geistlichen an den Philosophen hatten richten hören: »Glaubt daß es einen Himmel gibt und daß der Himmel gerecht ist!« wofür Macready's Freund, welcher bemerkte, daß der Vorhang meist ohne jede Erregung des Publikums fiel, eines Abends die wirksamere Ansprache substituirte: »Und gewährt uns Euern Beifall, denn der ist immer gerecht,« was die begeistertsten Beifallsbezeugungen zur Folge hatte.

Dies Kapitel würde seine Grenzen weit überschreiten, wollte ich von andern ebenso angenehmen Zusammenkünften unter Dickens' Dache reden, während der Jahre, die ich jetzt besonders beschreibe; denn außer den Dîners fanden musikalische Vergnügungen und, sobald seine Kinder daran theilnehmen konnten, Tanzgesellschaften fast unaufhörlich statt. »Bewahre das für meine Biographie auf!« sagte er zu mir mit ernstem Tone am Dreikönigstag des Jahres 1849, nachdem er mir erzählt hatte, was er in der Nacht vorher gethan; und ebenso erfülle ich jetzt mein damals gegebenes lachendes Versprechen. Die kleine Mary und ihre Schwester Kate hatten sich viele Mühe gegeben, ihrem Vater die Polka zu lehren, damit er sie an dem Geburtstagsfest ihres Bruders mit ihnen tanzen könne. Und mitten in der vorhergehenden Nacht, als er im Bette lag, überfiel ihn plötzlich die Furcht, er habe den Tanz vergessen, und unverzüglich sprang er in der winterlichen, kalten, dunkeln Nacht aus dem Bette, um ihn zu üben. Etwas Charakteristischeres könnte nicht erzählt werden, es sei denn, daß ich ihn hätte zeigen können, wie er nachher tanzte und in unermüdlicher Kraft und Lebendigkeit den jüngsten Tänzer weit übertraf. Niemand kam ihm bei diesen Veranlassungen auch nur annähernd gleich, außer unser treuer Freund Capitän Marryat, dem es ein leidenschaftliches Vergnügen machte zu tanzen, besonders mit Kindern, an denen und deren Vergnügungen er so innig theilnahm, wie es sich für einen so von Grund aus gutherzigen Mann ziemte. Sein Name würde unter den von mir genannten an der Spitze gestanden haben, wie er unter Denen, die Dickens am liebsten leiden mochte, zu den ersten gehörte; aber im Herbst 1848 war er unerwartet dahingeschieden. Doch noch andere Namen werfen mir ihre Auslassung vor, indem mein Gedächtniß weiter zurückgeht. Mit dem Namen Marryat's steht auf der ersten Seite dieses Bandes der Name von Monckton Milnes, der während dieses ganzen Zeitraums mit Dickens befreundet war und noch mehr hervorragte in den Tagen von Tavistock-House, als er in Begleitung Lady Houghton's mit frischen Ansprüchen auf die Bewunderung und Achtung meines Freundes erschien. Monckton Milnes, bekannt als freisinniger Politiker und Schriftsteller, wurde 1863 als Lord Houghton zur Pairswürde erhoben. – D. Uebers. Ueber Bulwer Lytton's häufige Anwesenheit in allen seinen Häusern, und über Dickens' so oft öffentlich ausgesprochene unwandelbare Bewunderung für ihn, als einen der größten Meister seiner Kunst, würde es nnnöthig sein, hier noch einmal zu sprechen. Auch bei seinem gastlichen Verkehr mit ausgezeichneten Männern aus den beiden Berufskreisen, welche mit der Literatur und ihren Jüngern so enge verknüpft sind, will ich nicht verweilen – seinem Verkehr mit den Denman, Pollock, Campbell und Chitty; Berühmte Juristen. – D. Uebers. mit den Watson, Southwood Smith, Locock und Elliotson. Berühmte Aerzte. – D. Uebers. Alfred Tennyson empfing von ihm während aller jener vertrauten und freundschaftlichen Jahre, von denen ich rede, volle Huldigung und ehrenvolles Willkommen. Tom Taylor war oft bei ihm und der milde und doch edle Charakter Lord Dudley Stuarts, Der treu ausdauernde Vertreter der Sache Polens, von der Revolution von 1830 an bis zu seinem Tode, 1854. – D. Uebers. sein gebildeter Geist und seine hochherzige öffentliche Thätigkeit, welche in seinem ritterlichen Gesicht so vollkommen ausgedrückt waren, übten einen Reiz auf Dickens aus, den es mir schwer sein würde zu übertreiben. Unvollständig würde auch diese Liste sein, wenn ich ihr nicht den offenen, lebhaften Lord Nugent hinzufügte, der an literarischem Geschmack und Sinn für gesellige Heiterkeit so stark an seinen Großvater, den Freund Goldsmith's, erinnerte. Auch darf ich gelegentliche Tage mit dem lieben alten Charles Kemble und einer oder der andern seiner Töchter nicht vergessen, mit Alexander Dyce, und mit Harneß und dessen Schwester, oder mit seiner Nichte und ihrem Mann, Mr. und Mrs. Archdale, die besonders durch Unterhaltungen über die große Zeit der englischen Bühne genußreich waren. Es war ein Genuß, Kemble über seine Schwester, Mrs. Siddons, und über seinen Bruder John reden zu hören. Er machte kein Geheimniß aus seiner Ansicht, daß seine Schwester von Beiden das größere Genie gehabt habe; aber er sprach mit Entzücken von John's »Macbeth« und Theilen seines »Othello«, und verglich seine Deklamation des »Fahr wohl Du ruhiger Geist«, mit dem Ablaufen einer Uhr, ein Bild, welches, ohne daß er es wußte, Hazlitt schon früher auf den Vortrag des »Morgen und morgen« angewandt hatte. Harneß schien mit diesem Urtheil übereinzustimmen. Er bezeichnete den Unterschied zwischen Beiden sehr gut, indem er bemerkte: daß die Natur in Kemble's Spiel nur seine großartige Kunst ergänzt habe, während seine Schwester, obgleich der Künstlergeist nicht minder mächtig in ihr war, sich doch vor Allem auf die Natur verließ, und die andere Macht nur bei jener zu Hülfe nahm. »Es war,« sagte Harneß zu Dickens an dem Abend, von dem ich hier rede, »in einem andern Sinne, wie mit Ihrem literarischen Schaffen: die gewöhnlichsten Naturgefühle wurden, wenn auch nicht veredelt, so doch groß gemacht durch die Kunst.« Mrs. Siddons' »Constanze«, erklärte er, würde fischweibig gewesen sein, hätte nicht ihre wunderbare Wahrheit über jedes andere Gefühl den Sieg davongetragen und ihre Volumnia konnte nur deshalb nicht für vulgär gelten, weil sie so unendlich großartig war. Wenn sie, sagte Harneß, zuerst eintrat und mit jeder Bewegung der römischen Volksmenge, die hinausströmte und in Verwirrung zurückkehrte, von Seite zu Seite auf und ab wogte, absorbirte sie ihren Sohn so in ihrem eignen Selbst, indem sie ihn anblickte, wuchs und erhöhte sich so in dem stolzen Gefühl seines Ruhmes, daß »das ganze Parterre weinte« und auch er weinen mußte.

Noch einige andere Namen sollten in diesen umherschweifenden Erinnerungen eine Stelle finden, obgleich es mir nicht einfällt, alle anführen zu wollen. Einen Abend machte Mazzini denkwürdig, indem er mit uns in die Schule ging, die er in Clerkenwell für die italienischen Orgeljungen gestiftet hatte. Dies war nach einem Dîner bei Dickens, welcher mit dem großen Italiener in persönlichen Verkehr getreten war, nachdem er einem betrügerischen Bettler Geld gegeben, der ohne Erlaubniß von seinem Namen Gebrauch machte. Von seinen Edinburgher Freunden empfing er im Frühling regelmäßige Besuche: nicht bloß von Jeffrey und dessen Familie, sondern von dem Sheriff Gordon und der seinigen, mit der er auf ebenso vertrautem Fuße stand, von Lord Murray und seiner Frau, von Sir William Allan und seiner Nichte, von Lord Robertson mit seinen wunderbaren schottischen Possen, und von Peter Frazer mit seinen bezaubernden schottischen Liedern. Allan's Name erinnert mich an andere, oft in seinem Hause gesehene Künstler, an die Castlake, Leslie, Frith und Ward, abgesehen von den schon früher oft erwähnten, denen ich auch Charles sowohl als Edwin Landseer und William Boxall hätte hinzufügen sollen. Ebensowenig darf ich in dieser Klasse seiner Freunde (und keine andere übte eine so starke Anziehungskraft auf ihn aus) so berühmte Namen auf dem Gebiet der Schwesterkünste auslassen, wie den von Helen Faucit, einer Schauspielerin, welche mit den glänzendsten Tagen der Bühnenverwaltung unseres Freundes Macready in würdigem Zusammenhange stand – so wie die von Sims Reeves, John Parry, Phelps, Webster, Harley, Mr. und Mrs. Keeley, Whitworth und Miß Dolby. Für George Henry Lewes empfand er seit vielen Jahren die größte Hochachtung; unter andern Repräsentanten der Literatur dürfen nicht vergessen werden der cordiale Thomas Ingoldsby und der vielseitige, treu ausdauernde Charles Knight; Mr. R. H. Horne und seine Frau besuchten ihn häufig in London und während seiner Ferien am Meere, und ich traf an seinem Tische Mr. und Mrs. S. C. Hall. Auch die Duff Gordon, die Lyell und die Emerson Tennent, sehr alte Freunde von uns Beiden, verkehrten dort, sowie Frank Beard und seine Frau, Charles Black und seine Frau, nahe Verwandte George Cattermole's, zu denen er vor und während seines Aufenthalts in Italien in intimen Beziehungen stand; Thomson, der Bruder der früher genannten Mrs. Smithson und seine Frau, deren Schwester Frederick Dickens geheirathet hatte; Mitton, sein eigener Jugendgefährte Vgl. Band I. S. 61. – D. Uebers. und Mrs. Torrens, die mit den Amateurs in Canada gespielt hatte. Vgl. Band I. S. 389. – D. Uebers. Alle diese sind in meinem Gedächtniß als Freunde oder genaue Bekannte so eng mit Devonshire Terrace verknüpft, daß sie dieses Wort des Andenkens fordern, ehe wir das Haus verlassen; und bemerken will ich auch, daß Besucher aus Amerika immer einem gastlichen Willkommen begegneten. Die Bancroft wurden bereits erwähnt und ihnen müssen hinzugefügt werden Abbot Lawrence, Prescott, Hillard, George Curtis und der Bruder Felton's. Felton selbst besuchte England erst um die Zeit, als Dickens in Tavistock House wohnte. Im Jahre 1847 hatten wir einen genußreichen Tag mit den Colden und Wilke's, den Verwandten Jeffrey's, und im folgenden Jahre trafen Dickens und Carlyle sich in meiner Wohnung (weil irgend ein Zufall an diesem Tage Devonshire Terrace verschloß) mit dem trefflichen Emerson. Der letzte und nicht am wenigsten geehrte Name in meiner Liste von Dickens' Bekannten und Freunden ist derjenige Professor Owen's, bei dem ich mich einer amüsanten kleinen Unterbrechung von Seiten Dickens erinnere, als Professor Owen eines Tages ein Fernrohr von gewaltigem Umfange beschrieb, welches ein Geistlicher hatte anfertigen lassen, der sich mit Astronomie beschäftigte und tiefer in den Himmel sehen wollte als – Lord Rosse, wollte Owen sagen, hätte Dickens nicht trocken die Worte eingeschaltet – »als seine Berufsstudien ihm möglich gemacht hatten«.

Einige Vorfälle, die ganz speciell den drei Jahren angehörten, welche seinen Aufenthalt in dem Hause, das so mit dem nicht am wenigsten interessanten Theile seiner Laufbahn verknüpft war, beschlossen, werden fernere Aufschlüsse geben über seine damalige Beschäftigung und Lebensweise. Im Sommer 1849 kam er von Broadstairs nach London, um bei einem Dîner im Mansion-House zugegen zu sein, welches der Lord-Mayor jener Zeit, von löblichem Ehrgeiz erfüllt, »der Literatur und Kunst« gab, unter der Voraussetzung, daß dieselben hinreichend vertreten sein würden durch die Königlichen Akademiker, die Mitarbeiter des Punch, Dickens und einige Zeitungsredakteure. Im Ganzen war das Resultat nicht erfreulich, da das würdige Haupt der City-Obrigkeit, ohne Zweifel ganz unabsichtlich, eine zu große Ueberraschung über die ungewohnten Gesichter um ihn her ausdrückte, um den Forderungen der Höflichkeit ganz zu genügen. Im Allgemeinen (das war der Ton seiner Rede) sind wir gewohnt, Prinzen, Herzoge, Minister und was sonst nicht als Gäste hier zu haben; aber was für eine Freude (um so größer, je ungewöhnlicher sie ist), Herren wie Sie hier zu sehen! In andern Worten, was konnte für Leute, die durch hohe Gesellschaft gesättigt waren, angenehmer sein, als zur Veränderung auf kurze Zeit dem Zimmer des Kellermeisters einen Besuch abzustatten? So lautete der Hauptsache nach der Bericht, den Dickens mir am nächsten Tage über das Dîner machte und sein Grund für die sehr vorsichtigen Ausdrücke, deren er sich bei seiner Antwort auf den Toast: »Die Novellisten« bedient hatte. Eine scherzhafte Anspielung auf ihn selbst in der Daily News, in Bezug auf diese Vorgänge, ärgerte ihn daher nicht wenig; und er bat mich eine Erwiederung darauf an die Redaktion gelangen zu lassen. Da ich eine starke Abneigung gegen alle solche zur Schau getragene Empfindlichkeit habe, hielt ich den Brief zurück; aber jetzt ist er vielleicht werth gedruckt zu werden. Er ist datirt von Broadstairs, Mittwoch 11. Juli 1849. »Ich habe kein anderes Interesse und keine andere Beziehung zu einem sehr scherzhaft gehaltenen Artikel über das Dîner vom vorigen Sonnabend im Mansion-House, der gestern in Ihrer Zeitung erschien und heute seinen Weg hierher fand, als daß derselbe Demjenigen, was ich bei jener Gelegenheit sagte, eine unrichtige Deutung gibt. Wenn Sie es für den Witz jener Satyre nicht nachtheilig halten sollten, das mitzutheilen, was ich wirklich sagte, so würde ich Ihnen sehr verbunden sein. Was ich sagte war Dies: daß das Compliment einer Anerkennung der Literatur durch die Bürger von London mir um so annehmbarer scheine, je ungewöhnlicher es sei, und daß es vermuthlich für sie in demselben Verhältniß von Vortheil und Nutzen sein werde, als es in Zukunft weniger ungewöhnlich werde; daß ich im Namen der Novellisten den dargebrachten Tribut als einen angemessenen annehme, insofern wir zuweilen Grund hätten zu hoffen, daß die Welt unserer Einbildungskraft Männern, welche sich in den Geschäften des Lebens abmühten, gelegentlich einen Zufluchtsort gewähre, aus dem sie nicht ungekräftigt an die tägliche Arbeit zurückkehrten, und daß der oberste Beamte der größesten Stadt der Welt jedenfalls mit Recht als der Vertreter dieser Klasse unserer Leser betrachtet werden dürfe.«

Ueber einen Vorfall am Schlusse des Jahres wird hier eine kurze Erwähnung genügen, obgleich derselbe wichtige praktische Folgen hatte. Wir sahen die Hinrichtung der Mannings auf den Mauern des Horsemonger-Lane Gefängnisses, und mit dem Briefe an die ›Times‹, in welchem Dickens am Tage darauf beschrieb, was er an jenem denkwürdigen Morgen gesehen, begann eine thätige Agitation gegen öffentliche Hinrichtungen, die nicht aufhörte, bis die heilsame Veränderung durchgesetzt wurde, welche sich so gut bewährt hat. Etwas später machte er einen Besuch in Rockingham-Castle, dem Landsitz Mr. und Mrs. Watson's, seiner Lausanner Freunde; und ich muß dem amüsanten Briefe, worin er mir von diesem Besuch erzählte, einige einleitende Worte voranschicken. Der Brief war nämlich in einer Charakterrolle geschrieben und zwar in derjenigen eines amerikanischen Besuchers in England.

»Ich kannte ihn Horatio«; und er war ein sehr freundlicher wackerer Mann, der mit dem Auftrage nach England gekommen war, eine Untersuchung über unsere ländlichen Zustände anzustellen und der seine Mission erfüllte, indem er einige Berichte veröffentlichte, welche seinem Verstand und Talent alle Ehre machten und in einer einfachen kräftigen Sprache abgefaßt waren, die an Cobbett's Schriften über denselben Gegenstand erinnerte. Aber in einer bösen Stunde veröffentlichte er auch eine Anzahl von Privatbriefen an Freunde aus den Landsitzen, welche seine Empfehlungen ihm geöffnet, und diese Briefe waren voll von den außerordentlichsten Enthüllungen über die innere Oekonomie der Landsitze des englischen Adels. Wie z. B., daß bei unserer Ankunft in einem Hause »unser Name angekündigt und unser Koffer sofort in unser Zimmer gebracht wird, welches uns der Diener mit allen seinen Bequemlichkeiten zeigt«. Daß »man beim Frühstück von dem Diener gefragt wird, was man haben will; oder man steht selbst auf und bedient sich«. Daß man sich bei dem Dîner nicht auf die Speisen losstürzt oder darum kämpft, sondern wartet, bis »Jedem seine Portion von den Dienern gereicht wird«. Daß alle Weine, Obst, Gläser, Leuchter, Lampen und Silbergeschirr sich unter der Obhut von Kellermeistern befinden, die Unterkellermeister als »Amtsgehülfen« haben; daß die Damen ihre weißen »Atlasschuhe und weißen Handschuhe nie mehr als einmal tragen«; daß die Servietten »nie auf dem Tische gelassen, sondern entweder auf den Stuhl oder auf den Fußboden unter den Tisch geworfen werden«; daß man sich unendliche Mühe gibt, die Spülkumpen zu leeren und vor Allem, was für eine nationale Neigung existire, eines Mannes Kleider zu bürsten und seine Stiefel zu putzen, wann und wo man immer der Kleider und der Stiefel ohne den Mann habhaft werden könne. Das war es, worüber Dickens gutgelaunt lacht.

»Rockingham-Castle, Freitag, 30. November 1849. Stelle Dir, mein lieber Forster, ein großes altes Schloß vor, dem man sich durch ein alterthümliches Verließ mit Fallgatter &c. nähert; voll von Besuchern, denen sechsundzwanzig Bedienten aufwarten; wo die Spülkumpen (und Weingläser) fortwährend geleert, und meine Kleidungsstücke (und ich selbst in ihnen), immer nach allen möglichen Orten geschleppt werden – und Du wirst Dir eine schwache Vorstellung von dem Edelhofe machen können, in dem ich mich jetzt aufhalte. Ich würde Dir schon gestern geschrieben haben, hätte ich nicht einen so geschäftigen Tag gehabt. Unter den Gästen befindet sich eine Miß B., Schwester der hochwohlgebornen Miß B. (aus Salem, Massachusetts), der wir einmal in dem Hause unseres berühmten literarischen Landsmannes, Oberst Landor, begegneten. Diese Dame ist berühmt als Amateur-Schauspielerin; wir führten daher gestern Abend in der großen Halle einige Scenen aus der School for Scandal auf, sowie die Scene mit dem Wahnsinnigen auf der Mauer, aus dem »Nicholas Nickleby« des Generalmajors C. Dickens (aus Richmond, Virginien), einige Zauberstücke – und machten dann den Beschluß mit Contretänzen, von denen zwei vortreffliche mir ganz neu waren, obgleich sie in Wahrheit alt sind. Die Vorbereitungen nahmen (wie Du Dir denken kannst) den ganzen Tag in Anspruch; und es war drei Uhr, ehe ich in's Bett kam. Es war eine köstliche Unterhaltung und wir waren alle außerordentlich lustig. . . . Ich habe einen sehr höflichen Brief von unserm unternehmenden Landsmann, Major Bentley Der im ersten Bande öfter genannte Londoner Buchhändler und Verleger ist hier gemeint. Dickens unterhielt von dieser Zeit an wieder einen seitdem nicht mehr gestörten freundschaftlichen Verkehr mit Bentley. (aus Lexington, Kentucky) erhalten, den ich Dir nach meiner Heimkehr zeigen werde. Wir werden heute Nachmittag von hier abreisen und ich werde Dich, unserer Verabredung gemäß, morgen früh um ein viertel nach Zehn erwarten. Von allen englischen Landhäusern und Landgütern, die ich bis jetzt gesehen, halte ich dies bei Weitem für das beste. Alles was hier geschieht, zeugt von einer glänzenden Gastfreiheit und es wird Dir Freude machen zu hören, daß unser berühmter Mitbürger, General Boxall (ans Pittsburg, Pennsylvanien) damit beschäftigt ist, das Gesicht des Eigenthümers dieses Edelhofs und diejenigen seines jungen Sohnes und seiner Tochter der Nachwelt zu überliefern. Es wird später meine Pflicht sein, über Rüben, Mangelwurzel, Pflüge und Vieh einen Bericht zu erstatten; und vorläufig will ich nur sagen, daß ich es als einen glücklichen Umstand für die umwohnende Bevölkerung ansehe, daß diese Besitzung in die Hände meines hochherzigen und aufgeklärten Wirthes gefallen ist. Jeder hat Nutzen davon gehabt, und ganz besonders für die Arbeiter wird in jeder Hinsicht gründlich gesorgt. Zu sehen, wie das ganze Hausgesinde, eine ungeheuer fette Wirthschafterin an der Spitze, gestern Abend die Hinterbänke einnahm und ohne allen Rückhalt lachte und applaudirte und einen erröthenden, glattköpfigen Bedienten, unter dem begeisterten Jubel seiner Brüder- und Schwesterschaft, für das Kunststück mit der Uhr, eine silberne Uhr von gewaltigem Umfang hervorziehen zu sehen, war ein sehr angenehmes Schauspiel, sogar für einen gewissenhaften Republikaner, wie Dich oder mich, der nicht umhin kann, das Mutterland mit Gefühlen des Stolzes auf unser eigenes Vaterland zu betrachten, das (wie von dem hochwohlgebornen Elias Deeze aus Hertford, Connecticut, gut bemerkt wurde) wahrhaftig das Land der Freien ist. Die besten Grüße von Columbia's Töchtern. Stets der Deine, mein lieber Forster – C. D.« Dickens wiederholte während der nur kurzen Zeit, während welcher dieser vortreffliche Freund ihm erhalten blieb, seine Besuche in Rockingham-Castle oft, immer zu seiner größten Befriedigung; und im Winter 1851 brachte er dort mit Hülfe des Landzimmermannes »ein sehr elegantes kleines Theater« zu Stande, dessen Regisseur er selbst wurde. Es wird den vielen schon gegebenen Beispielen seiner unermüdlichen Energie, in der Arbeit wie im Spiele, ein neues hinzufügen, wenn ich die Thatsache erwähne, daß dieses Theater in Rockingham für die erste Aufführung am Mittwoch, den 15. Januar, eröffnet wurde, daß nach der Aufführung ein Contretanz stattfand, der bis früh Morgens dauerte, und daß Dickens am nächsten Abend, nach einer Eisenbahnfahrt von mehr als fünfundzwanzig Meilen, in London bei dem Premier-Minister Lord John Russell dinirte.

Etwas früher in diesem Winter hatten wir zusammen seinen ältesten Sohn nach Eton gebracht und bald darauf befiel ihn ein großer Schmerz. »Der arme, liebe Jeffrey!« schrieb er mir am 29. Januar 1850. »Ich kaufte gestern Morgen an der Station eine ›Times‹ und war so betäubt durch die Ankündigung, daß ich es fast unmittelbar in jenem wunden Theil meines Innern fühlte und die schlechten Symptome nach wenigen Stunden zurückkehrten. Es sind erst etwa zwei Wochen, seit ich einen in der besten Stimmung geschriebenen Brief von ihm hatte – er wäre besser, sagte er, als er seit langer Zeit gewesen – und noch vorigen Mittwoch schickte ich ihm Correkturbogen meines neuen Heftes. Ich sage nichts von seinen wunderbaren Fähigkeiten und seiner großen Laufbahn, aber er war mir ein äußerst liebevoller und ergebener Freund; und obgleich Niemand wünschen könnte, glücklicher zu leben und zu sterben, so alt an Jahren und doch so jung an Geist und Sympathie, schmerzt sein Verlust mich sehr, sehr tief.« Dickens war vollkommen berechtigt stolz zu sein, daß er seinem Tribut trauernder Liebe solche Worte verleihen konnte. Jeffrey hatte, wenn je ein Mensch, die ihm in dieser Welt bestimmte Arbeit mit vollkommenem Erfolge vollendet und Wenige haben nach einem so thätigen Leben ein so unbeflecktes, reines Andenken hinterlassen. Aber andere und tiefere Schmerzen erwarteten Dickens.

Die Hauptbeschäftigung des verflossenen und des gegenwärtigen Jahres, David Copperfield, wird ein Kapitel für sich haben und kann hier nur leicht berührt werden. Nachdem einmal ein guter Anfang gemacht war, riß die Erzählung ihn unwiderstehlich mit sich fort, jedenfalls (abgesehen von jener feurigen Sympathie mit den Geschöpfen seiner Einbildungskraft, welche ihre Leiden oder Schmerzen immer so absolut wirklich für ihn machte) mit weniger Beschwerde für ihn selbst, bei der Composition, und nie wurde er wohl weniger durch Unterbrechungen und Störungen seiner Erfindungskraft gequält. Am meisten schwankte er in Bezug auf das Kindweib Dora, die in dem weiteren Fortschritt der Erzählung ein großer Liebling geworden war; und kurz nachdem er eine Entscheidung über ihr Schicksal getroffen, im Frühherbst 1850, aber noch ehe sie starb, wurde ihm eine dritte Tochter geboren, die er nach seiner sterbenden kleinen Heldin nannte. Ich will hier bemerken, daß er zu Ende Juni mit Maclise einen kleinen Ausflug nach Paris gemacht hatte, hinsichtlich dessen die nachstehenden Auszüge aus einem Briefe an mich vom 24. Juni 1850, Hotel Windsor, Rue de Rivoli, genügende Auskunft geben werden. »Da im Hotel Brighton kein Raum ist, sind wir hier in sehr guten Zimmern einquartiert. Die Hitze ist geradezu entsetzlich. Ich habe in Italien nie etwas Aehnliches gefühlt. Schlaf ist so gut wie unmöglich, außer am Tage, wenn das Zimmer finster und der Patient erschöpft ist. Wir beabsichtigen am Sonnabend von hier abzureisen und nach Rouen zu gehen, von wo wir uns entweder nach Havre oder nach Dieppe begeben. und unsere Pläne so einrichten werden, daß wir, so Gott will, am Dienstag Abend zu Hause sind. Heute Abend gehen wir in eins der kleinen Theater und am Mittwoch, zu Rachel's letzter Vorstellung, ehe sie nach London geht, in das Théâtre Français. In theatralischer Beziehung scheint sich hier nichts besonders Bemerkenswerthes zuzutragen. Auch bemerke ich nicht, daß die Stadt nach außen sehr verändert ist, ausgenommen in Bezug auf die Wagen, die allerdings weniger zahlreich sind. Es kommt mir auch vor, als wäre der Sonntag noch mehr ein Geschäftstag als früher. Da wir morgen mit Regnier auf's Land gehen, schreibe ich dies nach der Postzeit und ehe ich zum Dîner nach den Trois Frères gehe, damit Du es mit der morgigen Post erhältst. Die Fahrt hierher in zwölf Stunden ist erstaunlich – bewunderungswürdig eingerichtet, außer in Bezug auf die Möglichkeit, Erfrischungen zu nehmen, wovon absolut keine Rede ist. Mac ist sehr wohl (seine Weste sitzt ihm äußerst lose und auch sonst kümmert er sich wenig um Knöpfe) und läßt Dich grüßen. De Fresne schlägt ein Dîner mit allen jetzt in Paris anwesenden Notabilitäten vor, aber ich will mich nicht dazu hergeben. Ich habe wirklich mit meiner Arbeit so große Anstrengungen durchgemacht, daß ich entschlossen bin, ihn nicht einmal zu sehen, sondern zu thun was mir beliebt. Ich finde, mein Kind (wie Horace Walpole sagen würde), daß ich Dir hier nichts geschrieben habe, aber Du wirst den Willen für die That annehmen.« Ohne das, was über die Composition dieses schönen Werkes gesagt werden soll, zu anticipiren, werden einige erläuternde Worte aus seinen Briefen über diesen und andere Punkte hier eine passende Stelle finden. » Copperfield ist halb fertig,« schrieb er über das zweite Heft am 6. Juni. »Ich fühle mich, Gott sei Dank, voll von Zutrauen auf die Geschichte. Ich habe einen Fortschritt darin bereit für diesen Monat, einen anderen für den nächsten, und einen dritten für den dann folgenden.« »Ich glaube, es ist nothwendig« (15. November), »daß ich mich gegen den Sachwalter entscheide. Deine Gründe sind völlig genügend. Es ist möglich, daß es mit dem Bankgeschäfte geht. Ich will es mir auf einem Spaziergange überlegen.« »Das Bankgeschäft ist unthunlich« (17. November) »wegen der Gefangenschaft, die, wie ich vorhersehe, der Geschichte ein Ende machen würde. Ich habe daher vorläufig für alle Fälle den Sachwalter genommen. Ich bin wunderbar im Geschirr und nichts ärgert und quält mich.« » Copperfield ist fertig« (20. November) »nach zwei Tagen äußerst angestrengter Arbeit; und ich glaube es ist ein kräftiges Heft. Seine erste Ausschweifung wird, wie ich hoffe, als ein Stück grotesker Wahrheit, der Beachtung werth sein.« »Ich hege eine lebhafte Hoffnung« (23. Januar), »daß man sich wegen der kleinen Em'ly noch nach vielen Jahren meiner erinnern wird.« »Ich fange an zu zweifeln, ob ich mich Dir werde anschließen können« (20. Februar), »denn Copperfield geht in hohen Wellen und muß morgen fertig sein. Aber wo möglich werde ich es thun und jeden Nerv anspannen. Wie ich hoffe, findet sich in dem Hefte etwas von schöner, komischer Liebe.« »Noch unentschieden über Dora« (7. Mai), »aber muß mich heute entscheiden.« Der Rest des Briefes mag die Ecke einer Anmerkung ausfüllen. Die Anspielungen auf Rogers und Landor beziehen sich auf eine Einladung, welche ich ihm geschickt hatte. »Die Nachricht über Fox thut mir außerordentlich leid. Ich werde mich erkundigen, wenn ich an dem Temple vorbeikomme. Und will auch bei Dir vorsprechen (auf die Chance hin Dich zu finden), wenn ich jenem Sitz der Langenweile zuwandere. Ich schrieb den Artikel für die › Hausworte‹ gestern und habe Copperfield heute Morgen angefangen. Noch unentschieden über Dora, aber muß mich heute entscheiden. La difficulté d'écrire l'Anglais, m'est extrêmement ennuyeuse. Ah, mon Dieu! si l'on pouvait toujours écrire cette belle langue de France. Monsieur Rogère! Ah, qu'il est homme d'esprit, homme de génie, homme des lettres! Monsieur Landore! Ah, qu'il parle Français – pas parfaitement comme un ange – un peu (peut-être) comme un diable! Mais il est bon garçon – serieusement, il est un de la vraie noblesse de la nature. Votre tout dévoué, Charles. A Monsieur Monsieur Fos-tère.« »Ich habe« (Dienstag, 20. August) »während der drei letzten Tage sehr angestrengt gearbeitet und muß Dora noch tödten. Aber mit gutem Glück mag es mir morgen gelingen. Heute muß ich nach Shepherds-Bush und kann deshalb diesen Morgen nur wenig thun. Weise alle möglichen Dinge ab, die sich meiner Phantasie darstellen – sie kommen in solchen Haufen!« »Meine Arbeit in sehr anständig vorgerücktem Zustande« (13. August), »trotz meines Zuhausesitzens. Ich hoffe, ich werde ein glänzendes Heft zu Stande bringen. Ich fühle die Geschichte bis in ihren kleinsten Punkt.« »Mrs. Micawber ist noch« (15. August), »ich bedauere es sagen zu müssen, in statu quo. Stets Dein Wilkins Micawber.« Am nächsten Tage, dem 16., wurde das kleine Mädchen geboren und erhielt die Namen Dora Annie. Den Rest des Jahres brachte er größtentheils von Hause zu.

Das folgende Jahr fing nicht mit einem günstigen Omen an, da Kind und Mutter gefährlich krank wurden. Das erstere erholte sich jedoch, und »die kleine Dora macht, Gott sei Dank, wackere Fortschritte,« war sein Bülletin während der ersten Februarwoche. Bald nachher wurde beschlossen, für Mrs. Dickens Great Malvern zu versuchen; und im März wurde eine Wohnung dort gemiethet, wohin Dickens und ihre Schwester sie begleiteten, während die Kinder in London blieben. »Es ist ein wunderschöner Ort,« schrieb er mir am 15. März. »O Himmel, den Kaltwasserleuten zu begegnen (wie ich heute Morgen that, als ich zu einem Schauerbade ausging), wenn sie mit ernstem Ausdruck im Gesicht, wie Leute, die in die Wette rennen und nicht gerade gewinnen, die Hügel hinunterstürzen! Dann ist da eine junge Dame in einer grauen Polka, die, ohne Rücksicht auf ihre Beine, die Hügel hinauf geht; und dann ein junger Herr (vermuthlich ein schlechter Fall), der unter seinem Hute eine leichte schwarzseidene Mütze trägt und unter dieser die Spuren von ich weiß nicht wie vielen Douchen; ferner ein alter Mann, der, lieber als stillstehen, ein Milchmädchen überrennt, aus Grundsatz kein Halstuch trägt und den Mund weit aufsperrt, um die Morgenluft zu erwischen.« Es war dies, wie wir gesehen, der Monat, in welchem die Aufführungen der »Gilde der Literatur und Kunst« eifrig vorbereitet wurden, Vgl. S. 364–366. und es war auch die Zeit des Abschiedsmahls an unsern Freund Macready, als dieser die Bühne verließ. Dickens und ich selbst kamen dazu von Malvern nach London, und aus der geistvollen Rede, worin er die Gesundheit des Vorsitzenden ausbrachte, will ich, um der darin ausgesprochenen Wahrheit willen, einige Worte beifügen. »Es ist ein weit verbreitetes Vorurtheil, eine Art Aberglaube, daß die Schriftsteller keine besonders verbundene Genossenschaft sind und ich fürchte, daß ein halbes Körnchen Wahrheit darin enthalten ist. Aber unsern Vorsitzenden habe ich nie in meinem Leben öffentlich erwähnt, ohne zu sagen, was ich nie zurückhalten kann: daß ich auf dem Pfade, den wir beide wandeln ohne Ausnahme, von Anfang an, den großmüthigsten der Menschen in ihm gefunden habe – rasch zu ermuthigen, langsam zu schmälern und immer bereit die Interessen des Standes zu vertreten, dem er zu so hoher Zierde gereicht. Daß wir Schriftsteller uns unveränderlich oder untrennbar aneinander anschließen oder angeschlossen haben, ließ sich weder früher noch jetzt behaupten, aber unter den Jüngern der Literatur kann es keinen geben, noch je gegeben haben, der so vollständig frei ist von den mißgünstigen kleinen Eifersüchteleien, welche nur zu oft ihren Glanz trüben, als Sir Edward Bulwer Lytton.« Das war eben so reich verdient, als gut gesagt.

Nach der Mitte des Märzmonats mußte Dickens nach London zurückkehren in den Geschäften einer wohlthätigen Anstalt, welche von Miß Coutts in der wohlwollenden Hoffnung gegründet war, gefallene Frauen zu retten durch die Prüfung ihrer Schicklichkeit zur Auswanderung. Diese Anstalt, die mehrere Jahre hindurch regelmäßig einen beträchtlichen Theil seiner Zeit in Anspruch nahm, wird später noch weiter erwähnt werden. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit wurde Dickens' Aufenthalt verlängert durch die Krankheit seines Vaters. Derselbe war seit einiger Zeit leidend gewesen und man sprach jetzt von ernsteren Symptomen. »Ich sah meinen armen Vater gestern zweimal,« schrieb er mir am 27., »das zweitemal zwischen zehn und elf Uhr Abends. Am Morgen schien er mir nicht so wohl. Am Abend so wohl, als Jemand in diesem Zustande sein kann.« Am nächsten Tage ging es ihm so viel besser, daß sein Sohn nach Malvern zurückkehrte und uns sogar Grund zu der Hoffnung gab, daß wir ihn noch auf Sir Edward Lytton's Landsitze sehen würden, um einige auf das von Lytton für die Gilde geschriebene Lustspiel bezügliche Fragen mit uns zu erörtern. Aber das Ende kam plötzlich. Ich kehrte von Knebworth in der Meinung nach London zurück, ein Zufall habe ihn in Malvern aufgehalten; und in meinem Hause erwartete mich folgender Brief. »Devonshire Terrace, Montag, 31. März 1851. . . . Mein armer Vater starb diesen Morgen, um 25 Minuten vor sechs. Sie hatten mir eine Botschaft nach Malvern geschickt, aber ich traf John an der Eisenbahn; denn ich war in der Absicht nach London gekommen, heute zu Bulwer Lytton zu eilen, ehe Du ihn verlassen hättest. Ich kam gestern Abend um elf hier an und war ein viertel nach elf in Keppel-Street. Aber er kannte mich nicht mehr, noch irgend Jemand sonst. Um Mittag gestern fing seine Kraft an zu sinken und er erholte sich seitdem nicht wieder. Ich blieb dort bis er starb – o, so ruhig . . . Ich weiß kaum, was ich thun soll. Ich werde nach Highgate gehen, um dort das Grab zu bestellen. Vielleicht möchtest Du mitgehen, und es würde mir lieb sein, wenn Du könntest. Ich werde nicht vor zwei Uhr von hier fortgehen. Ich glaube, ich muß heute Abend wieder nach Malvern, um zu erfahren, wie es mit der Trauer der Kinder gehalten werden soll; und da Du zu Bulwer zurückkehrst, hätte ich denselben Weg fahren mögen, wenn dies thunlich wäre. Daß ich Dich ganz besonders zu sehen wünsche, brauche ich wohl kaum zu sagen. Ich darf mich durch nichts – und Gott weiß, ich habe einen zu traurigen Anblick verlassen – zu sehr von dem Plane ablenken lassen, auf den so viel ankommt. Die meisten der vorgeschlagenen Veränderungen scheinen mir gut.« John Dickens wurde am 5. April auf dem Kirchhofe von Highgate begraben und der Grabstein, welchen der Sohn, der seinen Namen in England berühmt gemacht hat, ihm setzte, brachte seinem »eifrigen, nützlichen, heitern Geiste« den Tribut des Andenkens. Was noch sonst über ihn zu sagen ist, wird am passendsten gesagt werden, wenn ich von David Copperfield rede. Während dies Werk geschrieben wurde, erwachte Alles, was am besten in ihm gewesen war, mehr und mehr wieder in der Erinnerung des Verfassers; im Laufe der Zeit erinnerte er sich endlich an nichts anderes und fünf Jahre vor seinem eigenen Tode, als er in einem seiner Briefe an mich eine bei ihm etwas ungewöhnliche Wendung gebrauchte, fügte er hinzu: »Ich finde, daß dies meinem Vater ähnlich ist, den ich für einen besseren Menschen halte, je länger ich lebe.«

Er hatte um diese Zeit versprochen, bei der Jahresversammlung des General Theatrical Fund am 14. April den Vorsitz zu führen. Große Anstrengungen wurden gemacht, ihn seines Versprechens zu entbinden; aber seiner Anwesenheit wurde so besondere Bedeutung beigemessen und der Fonds bedurfte damals so dringend der Hülfe, daß er endlich, da eine Abänderung des Tages für die Schauspieler, welche zugegen zu sein wünschten, sich als unmöglich erwies, dem auf ihn geübten Druck nachgab, wodurch mir selbst eine traurige Verantwortlichkeit auferlegt wurde. Der Leser wird begreifen, weshalb, selbst in dieser Ferne der Zeit, meine Anspielung darauf kurz ist.

Er kam mit dem Zuge von Malvern erst fünf Minuten vor der für das Dîner festgesetzten Zeit an und wir trafen uns in der London Tavern. Ich hörte ihn nie besser reden als an diesem Abende. Seine Sympathie für den Fonds gründete sich auf die Thatsache, daß derselbe seine Wohlthaten nicht auf eine besondere oder ausschließliche Körperschaft von Schauspielern beschränkte, sondern sie großmüthig allen zu Theil werden ließ; und er gab eine bis ins unendlich Kleine gehende Beschreibung des nicht von dieser freundlichen Hülfe ausgeschlossenen Schauspielers, deren halb pathetischer Humor seinen Reiz noch immer nicht verloren hat. »In unserm Fonds,« sagte er, »ist das Wort Ausschließlichkeit nicht bekannt. Wir schließen jeden Schauspieler ein, einerlei, ob er Hamlet oder Benedikt ist: der Geist, der Bandit, der Hofarzt, oder, in seiner einen Person, die ganze Königliche Armee. Er mag die leichten Rollen spielen oder die schweren, die komischen oder die excentrischen. Er mag der Kapitän sein, der sich um die junge Dame bewirbt, deren Onkel unbegreiflicherweise darauf besteht, sich in ein Kostüm zu kleiden, das hundert Jahre älter ist als seine Zeit. Oder er mag der in weiße Handschuhe und Unaussprechliche gekleidete Bruder der jungen Dame sein, dessen Pflicht in der Familie darin zu bestehen scheint, daß er den weiblichen Mitgliedern zuhört, wenn sie singen, und zwischen jedem Verse aller Welt die Hand drückt. Oder er mag der Baron sein, der das Fest gibt und der mit der Baronin unruhig auf dem Sopha unter dem Thronhimmel sitzt, während das Fest seinen Verlauf nimmt. Oder er mag der Bauer bei dem Feste sein, der auf die Bühne kommt, um den Chor bei dem Trinkliede zu verstärken und der, wie man bemerken mag, immer sein Glas unterst zu oberst kehrt, ehe er daraus zu trinken anfängt. Oder er mag der Spaßmacher sein, der die Treppe von der Hausthür nimmt, wo eine Abendgesellschaft stattfindet. Oder er mag der Herr sein, der auf einen falschen Lärm aus dem Hause herauseilt und in das Erdgeschoß hinunterfällt. Oder, wenn es eine Schauspielerin ist, mag sie die Fee sein, die ewig in einem sich umdrehenden Sterne wohnt, abgesehen von einem gelegentlichen Besuch in einer Laube oder einem Palaste. Oder wiederum, wenn es ein Schauspieler ist, mag er der bewaffnete Kopf des Hexenkessels sein – kurz diese Gesellschaft sagt: Wer ihr auch seid, Schauspieler oder Schauspielerin, und so hoch oder so niedrig, so stolz oder so demüthig euer Pfad in euerm Berufe auch sein mag, wir bieten euch die Mittel, euch selbst gut zu thun und euern Brüdern gut zu thun.«

Eine halbe Stunde, ehe er sich zu seiner Rede erhob, war ich aus dem Zimmer gerufen worden. Es war der Diener aus Devonshire Terrace, der mir sagte, Dickens' Kind Dora sei plötzlich gestorben. Sie war von ihrer Geburt an nicht stark gewesen; aber gerade damals war keine Ursache zu besondern Befürchtungen vorhanden, als unerwartete Krämpfe eintraten und das gebrechliche kleine Leben erlosch. Ich hatte sofort eine Entscheidung zu treffen und ich überzeugte mich, daß es am besten sein werde, Dickens seinen Antheil an den Verhandlungen zum Schlusse bringen zu lassen, ehe ihm die Wahrheit mitgetheilt wurde. Als er jedoch nach den oben angeführten Sätzen weiter fortfuhr von Schauspielern zu reden, die Scenen der Krankheit, des Leidens, ja des Todes selbst verlassen müßten, um ihre Rollen vor uns zu spielen, wurde die mir zugefallene Aufgabe sehr schwer. »Doch wie oft müssen wir Alle,« fuhr er weiter fort, und ich erinnere mich bis auf diese Stunde, mit welcher Seelenangst ich Worten lauschte in dem gedrängt vollen Raume, welche für mich allein ihre ganze Bedeutung hatten, »wie oft müssen wir Alle in unsern verschiedenen Kreisen unseren Gefühlen Zwang anthun und unsere Herzen verbergen, indem wir diesen Lebenskampf weiterkämpfen, wenn wir unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten tapfer darin erfüllen wollen!« Bei der Enthüllung, welche folgte, als Dickens vom Tische aufstand, stand Lemon, der gegenwärtig war, mir zur Seite, und ich ließ diesen guten Freund am folgenden Tage bei ihm, während ich selbst nach Malvern ging und Mrs. Dickens und ihre Schwester zurückbrachte. Das kleine Mädchen ruht in einem Grabe in Highgate, neben dem von Mr. und Mrs. John Dickens, und auf dem Steine, welcher sie deckt, stehen jetzt auch ihres Vaters Name und die Namen von zweien ihrer Brüder geschrieben.

Noch an einer öffentlichen Discussion nahm er Theil, ehe er London für den Rest des Sommers verließ; und was er bei dieser Veranlassung sagte (es war ein Meeting unter Lord Carlisle's Vorsitz, zum Besten sanitarischer Reformen), erläutert in höchst schlagender Weise eine früher von mir gemachte Bemerkung. Vgl. S. 366–367. Er sprach seine Ueberzeugung aus, daß weder Erziehung noch Religion von wirklichem Nutzen für sociale Verbesserungen sein könnten, ehe ihrer Thätigkeit durch Reinlichkeit und Anstand der Weg gebahnt worden. Er sprach mit Wärme von den Verdiensten Lord Ashley's in Bezug auf die Lumpenschulen; Vgl. S. 36. aber er nahm den Fall eines armen Kindes an, das aus den ekelhaften Orten, wo es sein Leben zubringe, in eine dieser Schulen gelockt werde und fragte, was einige Stunden in der Schule gegen die immer erneute Lehre eines ganzen Lebens ausrichten könnten. »Aber man gebe ihm und den Seinigen eine Ahnung des Himmels, durch etwas von seinem Lichte und seiner Luft, man gebe ihnen Wasser, man helfe ihnen, reinlich zu sein, man helle die schwere Atmosphäre, in welcher ihr Geist verkümmert und welche sie zu den unempfindlichen Geschöpfen macht, die sie sind, auf; man nehme den Körper des todten Verwandten aus dem Zimmer, wo die Lebendigen bei ihm wohnen und wo eine so ekelhafte Vertraulichkeit den Tod selbst seiner Schrecken beraubt – und dann, aber nicht eher, wird man sie dahin bringen, gern von Dem zu hören, dessen Gedanken so viel bei den Elenden verweilten und der Mitleid fühlte für jeden menschlichen Schmerz.« Er schloß seine Rede mit einem Trinkspruch auf Lord Ashley, der den höheren Ehrgeiz, für die Armen zu arbeiten, dem Ehrgeiz einer Laufbahn im Staatsdienste, welche ihm offen gestanden, vorgezogen, und der auch bei allen Gelegenheiten »den Muth gehabt habe, dem scheinheiligen Gerede die Spitze zu bieten, welches das schlimmste und gewöhnlichste von Allem ist, dem scheinheiligen Gerede über die Scheinheiligkeit der Philanthropie.« Lord Ashley (damals bereits Lord Shaftesbury) speiste bei ihm zuerst im folgenden Jahre in Tavistock-House.

Kurz auf dies sanitarische Meeting folgten die ersten Aufführungen der »Gilde der Literatur und Kunst«; und dann verließ Dickens Devonshire Terrace, um nie dorthin zurückzukehren. Was ihn in der Zwischenzeit beschäftigte, ehe er von seiner neuen Wohnung Besitz ergriff, ist früher erzählt worden; aber bei der Beschreibung des Fortschritts seiner Arbeit in dem vorhergehenden Jahre wurden zwei Briefe übersehen, und Auszüge aus diesen werden mich naturgemäß zu dem Gegenstande meines nächsten Kapitels hinüberführen. »Ich bin« (15. September) »während dieser beiden Tage gewaltig an der Arbeit gewesen; acht Stunden in einem Zuge gestern und siebentehalb Stunden heute, bei dem Kapitel über Ham und Steerforth, das mich vollständig zu Boden geworfen, ganz und gar besiegt hat.« »Ich bin« (21. October) »drei Seiten vom Ufer entfernt und fühle mich, wie gewöhnlich in solchen Fällen, seltsam zwischen Schmerz und Freude getheilt. O mein lieber Forster, wollte ich nur die Hälfte von dem sagen, was Copperfield mich heute Abend empfinden läßt, wie seltsam würde, sogar für Dich, mein Inneres nach außen gekehrt werden! Mir ist, als entließe ich einen Theil meines Selbst in die Welt der Schatten.«

 

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