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Drittes Kapitel.

Chuzzlewit-Enttäuschungen und das Weihnachtslied.
1842–1844.

Chuzzlewit war hinter allen in Bezug auf seinen Verkauf gehegten Erwartungen zurückgeblieben. Obgleich bei weitem das vorzüglichste von Dickens' bis dahin geschriebenen Werken, hatte das Publikum sich in weit geringerer Anzahl als um irgend einen seiner Vorgänger darum geschaart. Die ursprüngliche Ursache hiervon war höchst wahrscheinlich der Uebergang zu wöchentlichen Heften bei der Veröffentlichung seiner beiden letzten Romane gewesen; denn bloße Gewohnheit übt auf alle Dinge dieser Welt einen stärkeren Einfluß aus als man denkt. Auch war die zeitweise Abwesenheit in Amerika einer unmittelbaren Wiederaufnahme der alten intimen Beziehungen mit seinen Lesern nicht günstig gewesen. Außerdem muß bemerkt werden, daß die Aufregung, durch welche ein nationaler Ruf auf der Fluthöhe erhalten wird, stets Abnahmen unterworfen bleibt, die zu launenhaft sind, um sich erklären zu lassen. Was jedoch auch die Ursachen sein mögen, die Thatsache einer ernstlichen Abnahme des Verkaufs seiner Werke, ohne eine entsprechende Abnahme ihrer Vortrefflichkeit oder des Rufes ihres Verfassers, war unleugbar. Sie war sehr vorübergehend, aber sie war da und mußte demgemäß berücksichtigt werden. Die 40–50,000 Käufer von Pickwick und Nickleby, die 60–70,000 der ersten Hefte des Unternehmens, das den Raritätenladen und Barnaby Rudge zu Tage förderte, waren auf wenig mehr als 20,000 herabgesunken. Sie stiegen etwas bei Martin's bedeutungsvoller Ankündigung am Ende des vierten Hefts: er wolle nach Amerika; aber obgleich man meinte, dieser Entschluß, den Dickens eben so plötzlich faßte als sein Held, werde die Zahl seiner Leser vermehren, so beeinflußte ihn doch dieser Grund weniger als die Herausforderung, seine Noten zu bewahrheiten, die ihm jede Post von schonungslosen Kritikern jenseits des atlantischen Oceans gebracht hatte. Die thatsächliche Wirkung der amerikanischen Episode auf den Verkauf war indeß keineswegs groß. Ein paar Tausend neue Käufer wurden hinzugefügt, aber die höchste vor dem Schluß des Romans erreichte Zahl betrug zu keiner Zeit mehr als 20,000. Seitdem ist der Verkauf demjenigen von Pickwick und Copperfield am nächsten gekommen.

Jetzt aber sollte uns eine Wahrheit nahe gebracht werden, die wohl Wenigen, welche eine wirkliche oder mannigfache Erfahrung in solchen Dingen gehabt haben, nicht eingeprägt worden ist: daß nämlich die Verleger bitter schlechte Richter über einen Autor sind und daß es eine gewagte Sache ist, sie in Bezug auf das Schicksal oder das Loos, welches ihn erwarten mag, zu Rathe zu ziehen. Als ich den im September 1841 gemachten Contract für dies Buch erwähnte, sprach ich von einer Klausel über die unwahrscheinliche Eventualität, daß der Ertrag für gewisse nothwendige Rückzahlungen nicht ausreichen sollte. Vgl. Band I., S. 255. In diesem unwahrscheinlichen Falle, der nach dem Ertrag der fünf ersten Hefte erwogen werden sollte, sollten die Verleger Vollmacht haben, 50 Pfd. St. monatlich von den aus den Kosten eines jeden Heftes an den Verfasser zahlbaren 200 Pfd. für sich zu behalten. Aber obgleich diese Klausel mit meinem Wissen eingeschaltet war, wußte ich auch zu viel von den vorhergängigen Beziehungen der kontrahirenden Parteien, um mehr darin zu sehen, als eine bloße Form zur Zufriedenstellung der dabei betheiligten Advokaten. Das fünfte Heft, welches Martin und Mark in Amerika landete, und das sechste, welches ihre ersten Erfahrungen beschrieb, waren herausgekommen und am Vorabend des siebenten, in dem Mrs. Gamp zuerst auftreten sollte, hörte ich zu meinem unendlichen Bedauern, daß Mr. Hall, der jüngere Theilhaber der Firma, die sich durch Pickwick und Nickleby bereichert hatte, ein sehr freundlicher wohlwollender Mann, gegen den Verfasser jener Bücher eine unbedachte Andeutung habe fallen lassen, es möge wünschenswerth sein, jene Klausel in Kraft zu setzen. Sie war ihm entfallen, ohne daß er daran dachte, was Alles daran hänge. Gewiß ist, daß der ältere Theilhaber, wie weit seine ebenso unbedachte Einwilligung auch für den Augenblick gehen mochte, sie immer sehr bedauerte und sich bemühte, sein Bedauern zu zeigen; allein das Unheil war geschehen und für den Augenblick unabänderlich.

»Ich bin so gereizt,« schrieb mir Dickens am 28. Juni, »so an dem zartesten Theil meines Augenlides mit Seesalz gerieben durch das, was ich Dir gestern erzählte, daß eine Art falsches Feuer mir im Kopfe brennt und ich nicht glaube, daß ich schreiben kann. Nichtsdestoweniger versuche ich es. Sollte es mir gelingen, und sollte ich heute Morgen nicht zu Dir kommen, wirst Du dann nach dem Essen im Club oder sonstwo zu treffen sein? Es ist mein fester Entschluß, das Geld zu bezahlen; und ehe ich die Sache mit irgend Jemand bespreche, möchte ich, daß Du in meinem Namen die eine vorläufige Frage an Bradbury und Evans richtetest. Es ist jetzt mehr als anderthalb Jahre, seit Clowes in mich drang, ihm ein Gehör zu geben, falls ich je an eine Änderung meiner Pläne denken sollte. Ein Drucker ist besser als ein Buchhändler, und es liegt ebenso sehr im Interesse eines solchen (wenn nicht mehrerer), sich mit mir zu verbinden. Wer oder was es aber auch sein mag, ich bin fest entschlossen, Chapman und Hall abzubezahlen. Und wenn das geschehen ist, werde ich Mr. Hall etwas von meiner Meinung sagen.«

Was er unter der vorgeschlagenen Rückzahlung verstand, ergiebt sich aus dem, was früher über seine Verträge mit diesen Herren bei dem Wiederankauf des Verlagsrechts seiner ersten Bücher gesagt wurde. Vgl. Band I., S. 98–99, 137 und 197–198. Ohne durch diese Ankündigung überrascht zu sein, bewog ich ihn doch, seine Pläne bis zu seiner Rückkehr von Broadstairs im Oktober zu vertagen, und was ich ihm dann auseinandersetzte, führte zu denkwürdigen Entschlüssen. Die Mittheilung, welche ich seinem Wunsche gemäß an seine Drucker gemacht hatte, hatte diese zu sehr überrascht, als daß sie ein klares Urtheil darüber bilden konnten und sie antworteten mit Vorschlägen, die in der That ein Geständniß jenes Mangels an Vertrauen zu sich selbst waren. Sie redeten von den großen Erfolgen, welche eine neue billige Ausgabe seiner Schriften haben würde; sie drangen stark auf ein solches Unternehmen und sie erboten sich, eine so große Summe als er wünschte, für die Herstellung eines von ihm herausgegebenen Magazins oder einer sonstigen Zeitschrift zu verwenden. Kurz, die möglichen Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie die Stellung sowohl von Verlegern als von Druckern neuer Werke aus seiner Feder übernahmen, schienen zuerst so viel größer als bei näherer Untersuchung der Fall war, daß sie sofort davor zurückschreckten, denselben zu begegnen. Und daher der bemerkenswerthe Brief (vom 1. November 1843), den ich nur einschalte.

»Staune nicht über die Neuheit und den Umfang meiner Pläne. Beide machten zuerst mich selbst staunen; aber ich bin von ihrer Weisheit und Nothwendigkeit überzeugt. Ich scheue mich gerade jetzt vor einem Magazin. Ich halte die Zeit nicht für geeignet, die Aussichten nicht für günstig. Ich mag mich nicht vor die Leute hinstellen als Jemand, der nach Leibeskräften um's liebe Brot schreibt, halsüberkopf, gerade am Schlusse eines Buches, das mir soviel genommen hat, wie Chuzzlewit. Ich fürchte, ich könnte es nicht mit Gerechtigkeit gegen mich selbst thun. Ich weiß, daß, was wir auch zuerst sagen mögen, ein neues Magazin, oder ein neues Irgendetwas, so viel Hülfe erfordern würde, daß ich nothgedrungen (gerade wie bei der Wanduhr) in der alten Weise daran würde theilnehmen müssen. Ich fürchte den Wunsch von Bradbury und Evans, die billige Ausgabe meiner Bücher, oder eines derselben, vorzeitig herbeizuzwingen. Ich bin überzeugt, daß eine solche, wenn sie schon jetzt stattfände, mir und meinem Eigenthumsrecht daran ungeheuern Schaden zufügen würde. Es ist sehr natürlich, daß sie es wünschen; aber da sie es wünschen, glaube ich nicht, daß sie mich in irgend einem andern Lichte betrachten, als sie irgend einen andern Menschen bei einer Speculation betrachten würden. Ich erkenne, daß dies in der That auch Deine Meinung ist und ich sehe nicht, was ich in diesem Falle gewinnen würde, wenn ich Chapman und Hall verlasse. Hätte ich einen guten Verdienst gehabt, so würde ich ohne Frage für ein Jahr vor dem Auge des Publikums verschwinden, und meinen Vorrath von Beschreibung und Beobachtung vergrößern, indem ich Länder sähe, die mir neu sind, Länder, die ich nothwendigerweise sehen muß und die ich bei dem Anwachs meiner Familie kaum hoffen darf zu sehen, wenn ich sie nicht jetzt sehe. Schon seit einiger Zeit habe ich diese Hoffnung und Absicht gehegt, und obgleich ich noch kein Geld gemacht habe, finde ich oder bilde ich mir ein, daß ich in der Lage bin, sie zu verwirklichen. Und folgendes ist der Plan, den ich im Auge habe. Am Schlusse von Chuzzlewit (um welche Zeit meine Schuld bedeutend ermäßigt sein wird) beabsichtige ich, von Chapman und Hall meinen Antheil an dem Ertrage zu ziehen – Wechsel oder Geld, ist mir einerlei. Ich beabsichtige ihnen zu sagen, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß ich auf Zeit eines Jahres etwas thun werde, daß ich inzwischen keine Verträge mit irgend Jemand eingehe und daß unsre geschäftlichen Beziehungen in statu quo bleiben. Dasselbe an Bradbury und Evans. Ich werde mein Haus vermiethen, wenn ich kann, wenn nicht, es zum Vermiethen hinterlassen. Ich werde meine ganze Familie und zwei Domestiken – höchstens drei – nach einem Orte bringen, von dem ich im voraus weiß, daß er billig ist und ein schönes Klima hat, in der Normandie oder in der Bretagne, wohin ich zuerst gehen und ein Haus auf sechs oder acht Monate miethen will. Während dieser Zeit werde ich die Schweiz durchwandern, über die Alpen gehen, Italien und Frankreich bereisen, Kate vielleicht nach Rom und Venedig mitnehmen, aber nirgendwo sonst hin; und kurz, Alles sehen was zu sehen ist. Ich werde Dir von Zeit zu Zeit meine Beschreibungen schicken, gerade wie ich's in Amerika that, und Du wirst beurtheilen können, ob sich auf dieser Grundlage ein neues und anziehendes Buch herstellen läßt, oder nicht. Zugleich werde ich die Geschichte durchdenken können, die ich im Sinne habe, und die vielleicht mit großem Vortheil zuerst in Paris erscheinen möchte – doch das ist eine andere Sache, die wir zusammen besprechen müssen. Und natürlich bin ich auch noch nicht entschieden, ob ein Buch über meine Reisen oder dieses das erste sein soll. ›Alles schön genug‹, sagst Du, ›wenn Du nur Geld genug hättest‹. Gut; aber wenn ich die Möglichkeit vor mir sehe, das Nöthige zu bekommen, ohne mich in irgend welcher Form an irgend etwas zu binden, ohne Zinsen zu bezahlen oder Sicherheit, Bürgschaft zu leisten, außer die meiner fünftausend Pfund Lebensversicherung, dann würdest Du diesen Einwand fallen lassen müssen. Und ich habe Verpflichtungen gegen keinen Buchhändler, Drucker, Geldverleiher, Banquier oder Patron irgend welcher Art und befestige ganz entschieden meine Stellung bei meinen Lesern, statt sie tropfenweise zu schwächen, wie sonst geschehen muß. Ist das nicht so? und ist das nicht der Weg, der klar vor mir liegt? Ich nehme an, daß Du selbst in Wahrheit denkst, daß das woran ich zuerst dachte, nicht der Weg ist. Ich habe Dir, wie ich vorhergesagt habe, meinen Plan sehr schlecht auseinandergesetzt. Ich sehe seine großen Vorzüge, gegenüber manchen entgegenstehenden Nachtheilen – wie das Verlassen Englands, der Heimath, der Freunde, alles Dessen, was ich liebe, – aber es scheint mir, in einer kritischen Zeit, der Schritt, der mir helfen muß. Gesegnet sei Mariotti, mein italienischer Lehrer, und sein Schüler! – Wenn Du noch etwas Athem übrig hast, sage Topping wie es Dir geht.«

Ich hatte allerdings nicht viel Athem mehr übrig, nachdem ich diesen Brief gelesen, der inmitten der Zerstreuungen seiner Arbeit, während er sowohl das Weihnachtslied als Chuzzlewit in Händen hatte, geschrieben war; aber den ungenügenden Athem, der mir noch blieb, verwendete ich gegen seinen Plan und zu Gunsten einer viel sorgfältigeren Ueberlegung desselben, ehe er sich für irgend etwas entscheide. »Ich erwartete,« schrieb er am folgenden Tage (2. November), »daß Du staunen würdest. Wenn ich selbst staunte, als mir dieser Plan zu Reisen im Auslande zuerst vor Monaten in den Kopf kam, wie viel mehr mußt Du es, dem der Gedanke ganz neu ist: für den er erst nach Stunden zählt! Doch mein Entschluß steht fest, sehr fest. Ich bin überzeugt, daß meine Ausgaben drüben nicht mehr als die Hälfte meiner Ausgaben hier betragen würden; der Einfluß eines Luftwechsels und der Natur auf mich, ist ungeheuer. Du weißt eben so gut als ich, daß ich Chuzzlewit in hundert Beziehungen für bei weitem den besten meiner Romane halte; daß ich mein Talent jetzt mehr als je empfinde; daß ich größeres Zutrauen zu mir selbst habe, als ich je zuvor hatte, daß ich weiß, wenn meine Gesundheit nur fest bleibt, daß ich meine Stelle in den Geistern denkender Menschen behaupten kann, sollten morgen auch fünfzig neue Autoren auftauchen. Aber wie viele Leser denken dies nicht! Wie Viele nehmen auf Treu und Glauben das Gerede von Schelmen und Idioten an: man schreibe zu schnell, schreibe oder hetze die Dinge zu Tode! Wie kalt nahm man eben dieses Buch Monate lang auf, bis es die Gemüther mit Macht einnahm, ohne an Absatz zuzunehmen. Schriebe ich für vierzigtausend Forsters oder für vierzigtausend Leute die wissen, daß ich schreibe weil ich nicht anders kann, so würde ich nicht nöthig haben, den Schauplatz zu verlassen. Aber gerade dies Buch warnt mich, daß, wenn ich ihn überhaupt auf eine Zeit verlassen kann, es besser wäre, ich verließe ihn jetzt. Abgesehen davon fühle ich, daß mir nach dieser Arbeit ein längeres Ausruhen gut thun würde. Du sagst, zwei oder drei Monate, weil Du daran gewöhnt gewesen bist, mich acht Jahre lang nie aufhören zu sehen. Aber eine solche Ruhe würde nicht genügen. Es ist unmöglich, das Gehirn fortwährend in diesem Maße anzustrengen. Der Geist der Arbeit selbst läßt eine entsetzliche Niedergeschlagenheit zurück, wenn sie gethan ist, und es muß nachtheilig auf den Geist wirken, wenn sich das sobald erneuert, wenn er so selten in Ruhe gelassen wird. Was würde der arme Scott gegeben haben, hätte er als junger Mann, aus freiem Antrieb, in's Ausland reisen können, statt als ein Faselhans, in seinem kläglichen Verfall, dorthin zu kriechen! Ich sagte selbst in meinem Briefe an Dich, Deine Bemerkung darüber anticipirend, es sei eine Frage, womit ich zuerst wieder hervortreten solle. Das Reisebuch, wenn es überhaupt geschrieben werden soll, würde mir sehr wenig Mühe kosten und würde ganz gewiß einen bedeutenden Theil meiner Ausgaben decken, wenn es veröffentlicht würde. Wir haben über unser Baby gesprochen und daß wir es hier bei meiner Schwiegermutter lassen wollen. Daß die Kinder nach Frankreich gehen, kann ihnen in dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nur gut thun. Und außerdem ist die Frage, was es Demjenigen thun würde, wodurch sie leben, nicht, was es ihnen thun würde. Ich hatte den von Dir berührten Punkt in den Unterhandlungen mit Bradbury und Evans vergessen. Aber sie schlugen jedenfalls die sofortige Veröffentlichung einer neuen Ausgabe meiner Schriften, oder doch einiger derselben, vor und ich weiß natürlich, daß ich, wie Du andeutest, mich dadurch mit dem Nothwendigen versehen könnte. Das heißt die Sache einfach als eine Geschäftsangelegenheit auffassen und sie als solche empfinden. Und würde ich, von diesem rein geschäftlichen Gesichtspunkte aus, sowohl ihnen, oder irgend welchem andern Buchhändler, als dem Publikum gegenüber, nicht weit besser stehen – nach einem Jahre, wenn man weiß, daß ich in der Zwischenzeit so viel gesehen habe? Der Grund, welcher Dich auf diesen Plan mit Abneigung hinblicken läßt – Trennung auf so lange Zeit – wiegt gleich schwer bei mir. Außer dem natürlichen Verlangen, jene großen Scenen gesehen zu haben, sehe ich wenig Vergnügen darin; ich verspreche mir, während ich dort bin, keinen Genuß davon. Ich bin dahin gekommen, es als eine Sache der Politik und der Pflicht zu betrachten. Ich habe noch tausend andere Gründe, werde aber selbst bald bei Dir sein.«

Es gab noch andere Schwierigkeiten, die ich ihm dringend vorstellte, um ihn wenigstens vorläufig von Schritten abzuhalten, welche seinen Entschluß unwiderruflich gemacht haben würden, und er gab ein wenig nach. Allein sein Drängen erneuerte sich bald nachher. »Ich habe« (schrieb er am 10. November) »den ganzen Tag in Chuzzlewit-Wehen zugebracht – nur empfangend. Morgen hoffe ich zu gebären. Willst Du um sechs Uhr hierher kommen? Ich möchte einige Worte mit Dir reden über den Umschlag des Weihnachtsliedes und die Annoncen, und Dich auch über einen schwierigen Punkt in der Erzählung um Rath fragen. Ich glaube sie wird gut werden. Mac wird etwas später bei mir vorsprechen, und wir können dann alle Drei zusammen zu Bulwer gehen. Und um Gottes Willen, mein lieber Mensch, überlege Dir die Angelegenheit mit Chapman und Hall, und betrachte meinen Plan als eine abgemachte Sache. Wenn Du nicht zu ihnen gehen magst, muß ich an sie schreiben.« Mein Widerstreben in Bezug auf die seine alten Verleger betreffende Frage stand im Zusammenhang mit der kleinen Geschichte, die er inmitten aller Aufregungen und Mühen und Chuzzlewit-Wehen mit fester Hand ihrem Schlusse zuführte, und die ein glänzender Beweis dafür bleibt, wie vollkommen Recht er hatte mit seiner unmittelbar vorher gemachten Behauptung über das Gefühl von Kraft, dessen er sich bewußt sei und sein Vertrauen, daß seine Leistungsfähigkeit nie größer gewesen als zu der Zeit, wo seine Leser so von ihm abfielen. Er hatte die Veröffentlichung des Carol auf seine eigene Rechnung, unter den gewöhnlichen Commissionsbedingungen, der Firma anvertraut, mit der er so lange in Verbindung gestanden hatte, und meiner Ansicht nach setzte er die Chancen des kleinen Buches einer nutzlosen Gefahr aus, wenn er in einem solchen Augenblick, ohne daß es absolut nothwendig war, der Firma seine Absicht, mit ihr zu brechen, ankündete. Er gab diesen Gründen nach; aber der Erfolg war, wie sich zeigen wird, weniger günstig als ich gehofft hatte.

So sehr jedoch Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten ihn bedrängen mochten, sobald er nur mit ganzer Seele bei der Arbeit war, war Alles vergessen. Seine Stimmung färbte natürlich Alles heiter oder trübe, und seine gegenwärtigen Aussichten wurden durch eingebildete Besorgnisse getrübt; aber es war unzweifelhaft, daß seine Arbeiten und Erfolge bis dahin Andere mehr bereichert hatten als ihn selbst, und während er wußte, daß seine Lebensweise sich auf's strengste Dem angepaßt hatte, was er für seine Mittel hielt, machte der erste Argwohn, daß diese letztern nicht ausreichend sein könnten, einer so geraden Natur eine Veränderung zur Nothwendigkeit. Es war der Wendepunkt seiner Laufbahn und der Ausgang rechtfertigte ihn schließlich, obgleich nicht unmittelbar. Viel von seiner gegenwärtigen Rastlosigkeit schrieb ich selbst nur zu bereitwillig jener Liebe zur Veränderung zu, die immer aus seinem leidenschaftlichen Verlangen entsprang, seine Beobachtungen zu bereichern und auszudehnen; aber auch in Hinsicht hierauf bewies der Erfolg, daß er Recht hatte, wenn er glaubte, daß die bloße Wirkung solcher weiteren Reisen ihm zu entschiedenem geistigen Nutzen gereichen müsse. Hier sprach er freilich aus Erfahrung, denn schon war er aus Amerika mit einem erweiterten Gesichtskreise und größerer Reife des Geistes zurückgekehrt. Ebenso muß jetzt zugegeben werden, daß die Geldverlegenheiten, auf die er so dringend hinwies, unzweifelhaft waren. Außer seinen eignen nothwendigerweise zunehmenden häuslichen Ausgaben, wurden viele nie befriedigte, beständig wiederkehrende Ansprüche aus dem Familienkreise an ihn gestellt, die sich darum nicht leichter vermeiden ließen, weil sie unvernünftig und ungerecht waren; und es war, nachdem er mir einen solchen Anspruch mit großer Bitterkeit beschrieben, wenige Tage nach dem zuletzt angeführten Briefe, daß er (19. November) meine darüber gemachten Bemerkungen folgendermaßen erwiederte: »Ich war eine Weile furchtbar verstimmt; denn ich war früh aufgestanden und voller Interesse für die vor mir liegende Arbeit. Aber nachdem ich meinem Herzen durch jenen Brief an Dich Luft gemacht, und einigemal im Zimmer auf- und abgegangen war, ging ich wieder an's Werk und wurde bald so interessirt, daß ich bis neun Uhr gestern Abend daran forthämmerte, nachdem ich nur eine Pause von zehn Minuten für das Essen gemacht hatte. Ich glaube, ich habe gestern acht Druckseiten von Chuzzlewit geschrieben. Die Folge ist, daß ich heute damit fertig werden könnte, aber ich mache mir's leicht, und bin äußerst vergnügt dabei.« Unglücklicherweise stand ihm schon den Tag nachher eine Wiederholung ganz derselben Belästigung, in vergrößerter Gestalt, bevor, und mir eine frische Mahnung an Das, was allmälig zu einem festen Entschlusse wurde. »Ich spreche ganz ernst und nüchtern, wenn ich sage, daß ich ernstlich daran denke, meine ganze Menagerie auf drei Jahre nach Italien zu führen.«

*

Ich muß jetzt einige Bemerkungen über das Buch machen, welches so verschiedene Gefühle erweckte und solche Glückswechsel veranlaßte, und im Einklang mit der bisher von mir befolgten Regel werden diese Bemerkungen nicht so sehr kritisch als biographisch sein. Er war nach Italien abgereist, ehe das Ende des Romans erschien, und der Empfang desselben entsprach eine Zeit lang genau dem, was sein eben citirter Brief andeutet. Er hatte sich der öffentlichen Meinung in höherm Grade bemächtigt, ohne daß sein Verkauf zugenommen hatte. Man empfand allgemein, daß er einen Fortschritt gegen seine früheren Werke bezeichnete und Dickens' eigene Ansicht, daß dieser Roman in hundert Beziehungen bei weitem sein bester sei, (weniger auf der Oberfläche, als wenn man die tieferen Springfedern der Charaktere berücksichtigt) kann nicht in Frage gestellt werden. Auch würde es nicht schwer sein, mit einem einzigen Worte zu sagen worin die Vortrefflichkeit bestand, welche ihm diesen Rang sicherte. Dickens hatte seine höchste Fähigkeit darin ins Spiel gebracht: über alle andern Eigenschaften hinaus hatte er seiner Phantasie ein freies Feld eröffnet, und er gab dem Unterschied zwischen seinen früheren und seinen späteren Büchern in dieser Beziehung zuerst Ausdruck. Auch ganz abgesehen hiervon, werden seine Briefe eine bereits gemachte Bemerkung über den Grad in welchem seine Geisteskraft durch die Wirkungen des Besuches in Amerika vertieft und erweitert war, bestätigt haben.

In Anlage und Ausführung des Planes ist Martin Chuzzlewit mangelhaft; Charakteristik und Schilderung bilden seine Hauptstärke. Aber was er als Roman durch die amerikanische Episode verlor, gewann er nach der andern Seite, indem der junge Martin durch glückliche Benutzung einer bittern Erfahrung seinen Pfuhl von Selbstsucht in dem Giftsumpf Eden's abschüttelt. Dickens gestand übrigens oft, wie viele Schwierigkeiten diese Lücke in dem Hauptgang seiner Erzählung ihm verursacht habe, und ich will ein Beispiel aus einem Briefe anführen, den er mir schrieb, während er an dem Heft arbeitete, in welchem Jonas seine Frau in ihr elendes Haus führt. »Ich schreibe in Eile (28. Juli 1843), denn ich bin den ganzen Tag an der Arbeit gewesen und habe, da es mir gegen den Strich geht, nach Amerika zurückzukehren, während der Schwerpunkt meines Interesses an den andern Theilen der Geschichte liegt, nur langsame Fortschritte gemacht. Ich beabsichtige stark, Sydney's Liebling Chuffey. Sydney Smith hatte bei dem Erscheinen des vierten Heftes, zu Anfang April, an Dickens geschrieben: »Chuffey ist vortrefflich . . . Ich habe nie etwas schöner Geschriebenes gelesen: es ist tief pathetisch und ergreifend.« auszuarbeiten und sehne mich, wieder bei ihm zu sein.« Aber solche Hemmnisse entsprachen bei Dickens stets nur dem Grade der Fähigkeit und Erfindungsgabe womit er sie überwand, und nie war seine Charakterentwicklung so meisterhaft gewesen als in Chuzzlewit. Die in seinen frühern Büchern geschilderten Persönlichkeiten waren angenehmer gewesen, aber nie so voll von Bedeutung, welche durch eine so umfassende, leichte und feste Behandlung entfaltet wurde. Sowohl hierin, als in der leidenschaftlichen Lebhaftigkeit seiner Schilderungen, macht die Kraft der Phantasie sich fühlbar. Die windige Herbstnacht mit der tollen Verzweiflung der wirbelnden Blätter und der prasselnden Heiterkeit der lodernden Dorfschmiede; der Markttag in Salisbury; der winterliche Spaziergang und die nächtliche Postfahrt nach London; die Seereise über den Atlantischen Ocean; die stürmische Mitternachtfahrt vor dem Morde, das verstohlene Unternehmen und die feige Rückkehr des Mörders – dies alles sind Beispiele von Schilderungen ersten Ranges, originell in der Anlage, phantasievoll in allen Einzelnheiten und sehr vollständig in der Ausführung. Aber noch besser läßt die höhere Kraft, auf welche ich hier aufmerksam mache, sich in den Personen und dem Dialog erkennen. Ohne die geringste Abwesenheit oder Verminderung seiner scharf ausgeprägten realistischen Eigenthümlichkeit, findet man mehr von jenen seinen Eigenschaften, welche die Reflexion befriedigen. Man hat in diesem Buche meist nicht nur Beobachtung, sondern das Ergebniß derselben, sowohl Erkenntniß als Thatsachen. Während man das unmittelbar verfließende Leben ebenso lebendig vorüberziehen sieht, wird man sich zugleich des darüber hinausliegenden dauernden Lebens bewußter. Dickens hatte daher noch nichts auch nur annähernd so Bedeutendes geschrieben. Er hatte ebenso wahr geforscht und ebenso scharf satirisirt; aber er hatte noch nie jene phantasievolle Einsicht gezeigt, mit welcher sein Humor und seine Kunst hier das Mark der Laster seiner Zeit durchdrangen.

Indem er mir am 15. August das zweite Kapitel seines achten Heftes schickte, gab er mir die letzten Nachrichten aus Amerika. »Ich entnehme einem Briefe, den ich heute Morgen erhielt, daß Martin die Leute drüben am andern Ufer in die tollste Wuth des Wahnsinns versetzt hat. Ich möchte, daß Du Folgendes bedächtest. Glaubst Du nicht, es wäre an der Zeit für mich, zu erklären, daß die mir gewidmeten öffentlichen Festlichkeiten in den Vereinigten Staaten entweder schon angenommen waren ehe ich meine Reise antrat, oder in der ersten Woche nach meiner Ankunft angenommen wurden; und daß ich, sobald ich einigermaßen mit dem Lande bekannt zu werden begann, jede öffentliche Anerkennung zurückwies, außer derjenigen, die mir zur Zerstörung meines Friedens und meiner Behaglichkeit aufgezwungen wurde, und daß ich aus meinen wirklichen Gefühlen kein Geheimniß machte?« Wir stimmten in diesem Punkte nicht überein und er gab seinen Gedanken auf, obgleich sein Correspondent die Heftigkeit des Ausbruchs in den Vereinigten Staaten, als jene Kapitel über ihnen losplatzten, nicht übertrieben hatte. Aber die Amerikaner sind, wenngleich ein heftiges, doch ein gutmüthiges und sehr versöhnliches Volk; und nachdem einige Zeit vergangen war, wurde das Gelächter über den staunenswürdigen Spaß und die Komik jener Scenen auf der andern Seite des Atlantischen Oceans gerade so groß als unsere Heiterkeit auf dieser Seite. Nach einigem Nachdenken hatten die Amerikaner ohne Zweifel angefangen zu sehen, daß weder der Vortheil ganz bei uns lag, noch das Gelächter ganz gegen sie ging.

Jedenfalls hatten sie keinen Pecksniff. Erzeugt in einem giftigeren Sumpfe als ihrem Eden, von weit längerer Dauer und viel schwerer auszutrocknen, war Pecksniff ganz unser eigen. Das Geständniß ist kein erfreuliches für unsern Nationalstolz; aber dieser Charakter ist insofern ächt englisch, daß, obgleich unsere Landsleute der Regel nach keineswegs Pecksniffs sind, es doch ihre vorherrschende Schwäche ist, die Race der Pecksniffs zu begünstigen und aufzumuntern. Wenn man den Charakter übertrieben nennt und behauptet, die Züge seien zu stark aufgetragen, um irgend Jemand zu täuschen, so weigert man sich nur, ganz natürlicherweise, in einem Buche zu genehmigen, was man sein halbes Leben duldet, wenn nicht verehrt. Als Erläuterung seiner nie fehlenden Erfahrung, dergemäß er sich gezwungen fand, in seinen Büchern das was er als wirklich kannte, abzuschwächen aus Furcht, man möge es für unmöglich halten, hatte Dickens schon in seinem Vorwort zu Nickleby die Bemerkung gemacht, daß die Welt, die in Hinsicht auf das was sich für wahr ausgibt, so leichtgläubig ist, ungläubig ist in Hinsicht auf das was sich für erdichtet ausgibt. Man kommt überein, sich in etwas Wirklichem täuschen zu lassen und entschädigt sich dafür, indem man sich in einer Dichtung nicht täuschen lassen will. Daß sehr viele Leute, die als Modelle für Pecksniff hätten sitzen können, ihn wegen seiner grotesken Unmöglichkeit verurtheilten, wie Dickens behauptete, war nicht mehr als sich erwarten ließ. Wichtiger ist seine Enthüllung einer größeren Gefahr, indem er auf die größere Zahl Derer hinweist, die, mit dem Verlangen für besser gehalten zu werden als sie sind, eifrig Anmaßungen unterstützen, welche ihre eigenen befördern, und ohne Pecksniffs zu sein, die Pecksniffs möglich machen. Der Anblick aller Betrügereien würden etwas zu Verdächtiges und Abschreckendes haben, wären wir nicht bereit, ihnen auf halbem Wege entgegenzukommen.

Selbst von diesem Gesichtspunkt aus genießen wir jedoch einen Vorzug, auf den ein französischer Kritiker vor Kurzem hingewiesen hat. Indem er uns benachrichtigt, daß es in Frankreich keine Pecksniffs gibt, erklärt Mr. Taine dies durch den Umstand, daß seine Landsleute aufgehört haben nach der Tugend zu streben, und sich nur zu Lastern bekennen; daß ein Charlatan, der sich ein moralisches Ansehen gebe, auf keinerlei Anhänger rechnen dürfe; daß die Religion und die häuslichen Tugenden so vollständig in die Brüche gegangen, daß es nicht mehr der Mühe werth ist, sie als täuschendes Gewand anzulegen und daß, da es keine Grundsätze mehr gibt, mit denen man Staat machen könnte, dem neuern französischen Tartüffe weiter nichts übrig bleibt, als Schwächen einzugestehen und zu übertreiben. Hier scheinen wir eine Art von Vorzug zu genießen. Wir verlangen wenigstens, daß die respektable Huldigung, welche das Laster der Tugend darbringt, nicht unterbleibt. »Meine liebe Charity,« sagt unser englischer Tartüffe, wenn man ihn geradeaus fragt, was er eigentlich ist, »wenn ich heute Abend beim zu Bett Gehen mein Licht nehme, erinnere ich mich daran, daß ich mehr als gewöhnlich für Mr. Anthony Chuzzlewit bete, der mir ein Unrecht gethan hat.« Keine noch so große Nachsicht gegen sich selbst schwächt oder stimmt seinen frommen nachdenklichen Ton ab. »Das sind ihre Töchter,« bemerkt er, indem er Mrs. Todgers im Andenken an seine verstorbene Frau sentimentale Eröffnungen macht. »Mercy und Charity, Charity und Mercy, keine unheiligen Namen, wie ich hoffe. Sie war schön. Sie hatte ein kleines Vermögen.« Wenn sein Zustand so viel schlimmer als sentimental geworden ist, daß seine Freunde ihn zu Bett bringen müssen, haben sie noch nicht Zeit gehabt die Treppe hinabzusteigen, als sie ihn oben an dem höchsten Treppenvorsprung ›flattern‹ sehen, mit dem Wunsche, ihre Empfindungen über die Natur des Menschenlebens zu sammeln. »Laßt uns moralisch sein. Laßt uns über das Leben nachdenken.« Er jagt seinen alten Schüler aus dem Hause, indem er eine Haltung annimmt als segne er ihn, und wenn er diese gesellschaftliche Pflicht erfüllt hat, zieht er sich zurück, um seinen persönlichen Tribut einiger Thränen in dem Hintergarten zu vergießen. Keine denkbare Lage, Handlung oder Aeußerung findet ihn ohne das Laster, von dem sein ganzes Wesen durchtränkt und gesättigt ist. Die Praxis desselben ist bei ihm von so vollendeter Consequenz, daß er sie auch in seinem eigenen Hause seinen Töchtern gegenüber aufrecht erhält, und aus der bloßen Gewohnheit, auch sich selbst gegenüber den Schein aufrecht zu erhalten, in die ihm von Jonas gelegte Falle geht. Thackeray pflegte zu sagen, es gebe nichts Schöneres auf dem Gebiet des Schurkenthums, als dieser Ruin Pecksniffs durch seinen Schwiegersohn, in demselben Augenblick wo der salbungsvolle Heuchler meint, er selber vollende sein Meisterstück der Verstellung über den gemeineren, rückhaltslosen Spitzbuben. »›Jonas, rief Pecksniff mit tief gerührter Stimme. Ich bin kein Diplomat; mein Herz liegt offen in meiner Hand. Bei weitem der größte Theil der unbedeutenden Ersparnisse, die ich in dem Laufe eines, wie ich hoffe, nicht unehrenhaften oder nutzlosen Lebens angesammelt habe, ist bereits weggegeben, hinterlassen oder vermacht (verbessere mich, mein lieber Jonas, wenn ich nicht den richtigen technischen Ausdruck gebrauche), mit Ausdrücken des Vertrauens, die ich nicht wiederholen will und in Papieren, die es unnöthig ist, zu erwähnen, an eine Person, die ich nicht nennen kann, nicht nennen will, nicht zu nennen brauche.‹ Hier drückte er die Hand seines Schwiegersohns mit Wärme, als hätte er hinzufügen wollen: ›Gott segne Dich; gehe sorgfältig damit um, wenn Du es bekommst.‹«

Sicher ist, daß Dickens bis jetzt Nichts geschrieben hatte, worin das Detail mit so eingehendem und unvergleichlichem Geschick behandelt war, wie in diesem Roman; wo der Reichthum komischer Situationen mit solch überfließender Fülle auf einzelne Charakterfiguren ausgeströmt war, oder wo überhaupt in dem ganzen Verlauf der Darstellung die Schärfe seiner Beobachtung persönlicher Launen und Laster eine so reiche Mannigfaltigkeit phantasievoller Formen angenommen hatte. In der That war ihm Alles in Chuzzlewit unter den Händen gewachsen, wie dies bei einem Menschen von Genie gewöhnlich der Fall ist; denn er weiß nie, wohin eine Conception, bei dem Reichthum der Entwicklung und der Umstände den sie selbst erschafft, ihn führen mag. »Die Art,« schrieb er mir über die beiden hervorragendsten Gestalten des Romans, nachdem ihre ganze Entwickelungsfähigkeit ihm klar geworden war, »die Art, auf welche diese Charaktere sich entwickelt haben, ist für mich einer der überraschendsten geistigen Prozesse auf diesem Felde der Erfindung. Das was man weiß als Thatsache gegeben, kommt das was man nicht weiß zum Vorschein; und ich bin so absolut davon überzeugt, daß auch dies wahr ist, wie von dem Gesetz der Schwere – ja, wäre das möglich, in noch höherem Grade.« Diese Bemerkung zeigt genau, was bei allen seinen bedeutenden Charakteren der schöpferische Prozeß in ihm war.

Auch hatte er nicht bloß in der Behandlung seines gegenwärtigen Dichterwerkes Höheres geleistet als in seinen früheren Romanen, sondern ebenfalls in dessen Gegenstand und Anlage. Was er im Großen und Ganzen bezweckte, würde er, hätte ich ihm nicht davon abgerathen, auf dem Titelblatt ausgedrückt haben, indem er als Motto einen etwas abgeänderten Vers aus seinem früher erwähnten Prolog dorthin gesetzt hätte: »Eure Häuser sind hier die Scene; ihr selbst die Schauspieler.« Schuldgefängnisse, das Bumblethum der Gemeindeverwaltung, die Schulen von Yorkshire waren nichtswürdig genug; aber etwas Pestbringenderes war jetzt das Ziel seiner Satire, und nie vorher hatte er gleiche Kraft, Kühnheit und Erkenntniß dessen gezeigt, was innerhalb des Bereiches seiner Kunst lag, als indem er eine Persönlichkeit wie Pecksniff zu der Centralfigur einer Erzählung aus dem gegenwärtigen Leben machte. Indem man Pecksniff als einen Spiegel aufgestellt, durch den man die ihn umgebenden Gruppen betrachtet, wird man nicht weniger zu einer gründlichen Verachtung der gesellschaftlichen Laster, welche sie darstellen, und besonders der Selbstsucht in allen ihren Formen, bewegt, weil man klarer als je erkennt, daß es nur ein Laster gibt, welches ganz unheilbar ist. Die älteren Chuzzlewits sind schlecht genug, aber sie finden ihre selbstverhängten Strafen; die Jonas' und Tigg Montague's sind verabscheuungswürdig, aber das Gesetz hat seine Galgen und seine Zuchthäuser; die Mould und die Gamp haben einen verpesteten Athem, von dem die Gesundheitspflege uns reinigen kann; aber gegen den glatten, lächelnden, kriechenden Gräuel eines Pecksniff gibt es keine andere Hülfe als Selbsthülfe. Jedermanns Hand sollte wider ihn sein, denn seine Hand ist wider Jedermann, und wie Taine uns weise ermahnt, sollten ganz besonders die Tugenden Sorge tragen, daß sie sich nicht zu Kupplerinnen seines Lasters machen. Es ist eine liebenswürdige Schwäche, aus Allem das Beste zu machen, aber keine andere Schwäche ist gefährlicher. Nichts ist so gewöhnlich als der Irrthum von Tom Pinch, und nichts so selten als seine Entschuldigung.

Die Kunst, womit dieser ergötzliche Charakter am Anfang des Romans neben Pecksniff hingestellt wird, und der Beistand, den er leistet, um der Falschheit an die er glaubt, Glauben zu verschaffen, tragen das Ihrige zu einer vortrefflichen Durchführung dieses Theils des Planes bei; und derselbe verschwenderische Reichthum der Erfindung und der Verhältnisse, welcher dem Werke seinen höhern Phantasiestempel aufdrückt, erscheint gleich lebendig in den kleineren wie in den Hauptgestalten. Wunderbare Züge dieser Art finden sich in dem Haushalt Mould's, des Leichenbesorgers, und durch das lebensvolle Bild, welches uns durch eine von Mrs. Gamp's Erinnerungen vorgeführt wird, werden wir zu den Spielen seiner Kinder zurückversetzt. »Die süßen Geschöpfe! Wie sie im Laden Begräbniß spielen, und dem Bestellbuch in seine lange Heimath in der eisernen Kiste folgen!« Die amerikanischen Scenen selbst sind nicht voller von Leben und Humor und Frische, und tragen nicht mehr zu der allgemeinen Heiterkeit bei, als die Cockney-Gruppe bei Todgers, die als solche eine kleine Welt der Eigenschaften und Launen darstellt, welche das Interesse des Menschenlebens ausmachen, einerlei, ob es hoch oder niedrig, vulgär oder verfeinert ist, entworfen von der Hand eines Meisters. Hier werden, gewissermaßen nebenher, die besten Sachen aus den frühern Büchern den neuen und höheren Leistungen hinzugefügt, welche seine späteren Werke kennzeichnen. In der That ist die Ausführung keines Theiles dieses bemerkenswerthen Romans von untergeordneter Art. Der junge Bailey und Sweedlepipes stehen in der ersten Reihe seiner humoristischen Schöpfungen; und die arme Mrs. Todgers, erschöpft aber nicht entartet durch die Sorgen um Bratensauce und die Leiden ihres Hausstandes, deren eines Auge von Berechnung glänzt, während aus dem andern noch Neigung und Gutmüthigkeit strahlen, ist in ihrer Art ein ebenso vollkommenes Bild als selbst die schreckliche Mrs. Gamp, mit ihrer grimmigen Seltsamkeit, ihren schmutzigen Gewohnheiten und faulen Freuden, ihren dicken und feuchten, aber höchst erstaunlichen Aeußerungen, ihren feuchten, klebrigen Funktionen, ihren Holzschuhen, ihrem Hut, ihrem Bündel und ihrem Regenschirm. Doch so außerordentliche Ansprüche verdienen eine besondere Erwähnung.

Diese weltberühmte Persönlichkeit ist übergegangen und eins geworden mit der Sprache, welche ihre eigene Sprachweise sicherlich nicht veredelt oder verfeinert hat. Selbst von Dickens' Charakteren hat kein anderer eine solche Popularität genossen, und sie wird unter den dauernden Triumphen der Dichtung, als ein prachtvolles Meisterstück des englischen Humors ihre Stelle behaupten. Was Mould in seiner Begeisterung von ihr sagt: daß sie die Sorte von Frau ist, die man umsonst begraben möchte, und es obendrein hübsch machen, empfindet Jedermann als einen ihr gebührenden Tribut; und gerade dies ist es, was der Genius dem sie ihr Dasein verdankt, als er sie ins Leben rief, durch eine glückliche Eingebung mit dem häßlichen Originale that, nach dem er sie darstellte. Das was seinem Werke dessen belustigendste Gestalt dauernd einprägte, hatte aus dem englischen Leben einen seiner Schandflecke auf immer ausgelöscht. Die sterbliche Mrs. Gamp wurde auf passende Weise in ihr Grab versenkt, und nur die unsterbliche Mrs. Gamp blieb am Leben. Die Zeit wird diese nicht verwittern lassen, noch die Gewohnheit ihre mannichfachen Reize abstumpfen. In der letzteren Beziehung genießt sie sogar über Pecksniff einen Vorzug. Sie hat eine Freundin, ein alter ego, deren eigenthümliche Bedeutung für sie in ihrer ersten Aeußerung in dem Roman Ausdruck findet, und mit dieser ersten sie einführenden Aeußerung können wir am füglichsten von ihr Abschied nehmen. »Mrs. Harris, sage ich, bei dem letzten Falle mit dem ich zu thun hatte, was nur eine junge Person war; Mrs. Harris, sage ich, laßt die Flasche auf dem Kamin und verlangt nicht, daß ich nichts nehmen soll, sondern laßt mich die Lippen dran setzen, wenn ich Verlangen fühle. – ›Mrs. Gamp‹, sagt sie zur Antwort, ›wenn je ein nüchternes Geschöpf zu haben war, für achtzehn Pence den Tag für Arbeitsleute und drei Schillinge und sechs Pence für die Vornehmen – wobei Nachtwachen, sagte Mrs. Gamp mit Emphase, besonders bezahlt wird – so seid Ihr diese unschätzbare Person‹. Mrs. Harris, sage ich zu ihr, erwähnt die Bezahlung nicht; denn könnte ich alle meine Mitgeschöpfe umsonst zur Schau legen, ich würde es gern thun, so groß ist meine Liebe zu ihnen.« Hierzu braucht nichts hinzugefügt zu werden, es sei denn, daß in der Person jener wunderbaren Freundin jede Phase des Humors und der Komik in dem Charakter der Mrs. Gamp unter neuen Bedingungen der Würdigung und des Genusses wiederholt wird. Die Ueberfülle komischer Erfindungsgabe, welche Pecksniff seine hervorragende Stellung anweist, kommt in demselben Maße Mrs. Gamp zu Gute; derselbe Reichthum lachenerregender Umstände, welcher jenen würdigen Mann umgibt, ist zum Ueberfließen auf sie gehäuft; aber über dies hinaus wird er durch die hinzukommende Erfindung der Mrs. Harris reproducirt, mit frischem Geiste erneuert und zu ihren Gunsten verdoppelt und vervierfacht. Dies ist wohl der glücklichste Griff der humoristischen Kunst in sämmtlichen Dickens'schen Werken.

*

Aber ich schreibe hier ein Kapitel der Enttäuschungen und muß jetzt erwähnen, daß, wie der Erfolg Martin Chuzzlewit's ihm zuerst nur fern und problematisch scheinen sollte, so selbst der staunenswürdige augenblickliche Erfolg des »Christmas Carol« keine ungetheilte Befriedigung bot. Nie trat ein kleines Buch mit so glänzenden Verheißungen in die Welt. Nur wenige Tage vor Weihnachten veröffentlicht, wurde es von allen Seiten mit begeisterten Grüßen bewillkommnet. Die erste Auflage von 6000 Exemplaren wurde an einem Tage verkauft, und am 3. Januar 1844 schrieb er mir, »Zweitausend von den für die zweite und dritte Auflage gedruckten Exemplaren sind bereits von den Buchhändlern bestellt.« Aber nur wenige Wochen sollten vergehen, ehe die dunklere Seite des Bildes sich zeigte. »Was für eine Nacht ich verlebt habe!« schrieb er mir Sonnabend Morgen, den 10. Februar. »Ich glaubte wirklich, ich würde nicht wieder ausstehen, ehe ich alle Schrecken eines Fiebers durchgemacht hätte. Die Rechnungen für den »Carol« erwarteten mich und sie waren die Ursache davon. Die ersten 6000 Exemplare ergaben einen Profit von 230 Pfd.! Und die letzten 4000 werden eben so viel eintragen. Ich hatte aufs Festeste auf einen Reinertrag von 1000 Pfd. gerechnet. Wie seltsam, daß ein so großer Erfolg mir eine so unerträgliche Angst und Enttäuschung verursachen muß! Meine noch unbezahlten Jahresrechnungen sind so furchtbar, daß es aller mir möglichen Energie und Entschlossenheit bedürfen wird, um vor meiner Abreise damit ins Reine zu kommen; und abreisen werde ich im nächsten Juni, wenn ich noch am Leben bin. Guter Gott! hätte ich nur schon vor einem Jahre den Entschluß gefaßt! Bitte, komm bald! ich sehne mich, mit Dir zu reden. Wir können nach Deiner Ankunft zu Mac herumschicken und ihm sagen, daß er uns in Hampstead oder sonstwo trifft. Ich war gestern Abend so vollständig zu Boden geworfen, daß ich heute Morgen ganz kühn an die Betrachtung aller dieser Dinge herantrat. Wenn ich mein Haus für diese Saison vermiethen kann, will ich nach irgend einem Orte an der See gehen, sobald ein Miether sich findet. Ich fürchte mich nicht, wenn ich meine Ausgaben vermindere; wenn ich dies nicht thue, werde ich über alle sterbliche Hoffnung einer Erlösung hinaus ruinirt werden.«

Das schließliche Resultat war, daß er andere Verleger annahm, und das unmittelbare Resultat, daß seine Abreise nach Italien eine abgemachte Sache wurde. Doch mag hier erst ein Wort über diese Carol-Rechnungen bemerkt werden, ehe wir seine neuen Verlagsanordnungen erwähnen. Es mag den Leser interessiren und eine Art literarischer Curiosität sein, wenn ich die Kosten der ersten Auflage von 6000 Exemplaren und der 7000 weiteren Exemplare, welche die fünf folgenden Auflagen bildeten, nebst dem Ertrag der übrigen 2000 Exemplare, welche den Gesammtverkauf von 15,000 vervollständigten, hier mittheile.

Christmas Carol.

Erste Auflage, 6000 Exemplare.
£ s. d.
December 1843:  Druck 74 2 9
Papier 89 2
Zeichnungen und Stahlstiche 49 18
Zwei Stahlplatten 1 4
Druckplatten 15 17 6
Papier für do. 7 12
Färbeplatten 120
Einband 180
Nebenausgaben und Annoncen  168 7 8
Commissionsgebühren 99 4 6

£ 805 8 5
–––
2. bis 7. Auflage, zusammen 7000 Exemplare.
£ s. d.
Januar 1844:  Druck 58 18
Papier 103 19
Druckplatten 17 10
Papier 8 17 4
Färbeplatten 140
Einband 199 18 2
Nebenausgaben und Annoncen. 83 5 8
Commissionsgebühren 107 18 10

£ 720 7
–––

Zweitausend weitere Exemplare, durch das letzte Item in der nachstehenden Berechnung repräsentirt, wurden vor dem Ende des Jahres verkauft, worauf noch 70 Exemplare übrig blieben.

1843 £ s. d.
December. Mr. Dickens' Guthaben  186 16 7
1844
Januar bis April. do 349 12
Mai bis December.  do. 189 11 5

Reinertrag des Werkes  726
Man hatte einen Mangel an Urtheil bewiesen, indem man die Kosten der Herstellung nicht zu dem Verkaufspreise in ein richtiges Verhältniß brachte; aber auch so empfing er, vor dem Ende des Jahres, von dem Verkauf von 15,000 Exemplaren einen Ertrag von 726 Pfd. St. und der Unterschied zwischen dieser Summe und derjenigen, welche durch dieselbe Verkaufsmenge des Nachfolgers des » Carol« realisirt wurde, rechtfertigte unzweifelhaft die Unzufriedenheit, welche er damals kundgab. Von jener zweiten Weihnachtsgeschichte, sowie von der dritten und vierten wurde sofort mehr als die doppelte Zahl des » Carol« verkauft, und man hörte natürlich keine Klage hinsichtlich des Erfolges. Allein die Wahrheit in Bezug auf alle in dieser Form veröffentlichten Weihnachtsgeschichten war im Grunde, daß der dafür angesetzte Preis für das Publikum, an das sie gerichtet waren, zu groß, und doch zu gering war, um die Kosten hinreichend zu lohnen; und als er in späteren Jahren ähnliche Weihnachtsphantasieen zu einem Preise von einer geringeren Zahl von Pfennigen als diese Schillinge erforderten, herausgab, zählte er seine Käufer, mit einem entsprechenden Gewinnst für sich selbst, nicht nach Zehntausenden sondern nach Hunderttausenden. Im November 1865 schrieb er mir, daß der Verkauf seiner Weihnachtsphantasie für dieses Jahr (»Dr. Marigold's Recepte«) während der ersten Woche auf 250,000 Exemplare gestiegen sei.

Es war jetzt nothwendig, die Unterhandlungen mit seinen Druckern wieder aufzunehmen; doch ehe er einen Schritt dazu that, wurden Chapman und Hall von seiner Absicht, nach dem Abschluß von Chuzzlewit keine neuen Verlagsbeziehungen mit ihnen einzugehen, in Kenntniß gesetzt. Sodann folgten viele und ernste Berathschlagungen und Erörterungen, welche endlich in Form eines am 1. Juni 1844 unterzeichneten Contractes mit Bradbury und Evans ihr Ziel erreichten, wodurch er, in Anbetracht eines ihm gezahlten Vorschusses von 2800 Pfd. St., jenen ein Viertel des Antheils an Allem übertrug, was er während der nächsten acht Jahre schreiben würde, auf welchen Zeitraum der Vertrag streng begrenzt sein sollte. Es befanden sich die gewöhnlichen schützenden Clauseln darin; aber Dickens sollte keine Zinsen bezahlen, und ebensowenig waren ihm Verpflichtungen auferlegt in Bezug auf Werke die er schreiben sollte, oder auf die Form solcher Werke. Die einzige weitere Stipulation bezog sich auf den Fall, daß eine Zeitschrift begründet würde, von der Dickens nur theilweise Herausgeber oder Autor wäre; in diesem Falle sollte sein Eigenthumsrecht an dem Verlag und dem Profit zwei Drittel, statt drei Viertel betragen. Man war, als dieser Contract unterzeichnet wurde, darüber einig, daß zu Weihnachten 1844 der » Carol« einen Nachfolger haben solle; aber kein anderes Versprechen wurde verlangt oder gemacht, in Hinsicht auf irgend ein anderes Buch. Auch war er noch nicht entschieden, welche Form er seinen Erlebnissen in Italien geben werde, sollte er schließlich den Plan fassen, dieselben überhaupt zu veröffentlichen.

Zwischen diesem Contract und seiner Reise verflossen sechs Wochen, und in diese Zwischenzeit fielen mehre charakteristische Vorgänge; aber zunächst muß noch des ganz ungetrübten Erfolges gedacht werden, den sein kleines Buch errang, und der jede Spur von Zweifel oder Verdacht in freudiger Erregung auslöschte.

»Gesegnet sei Ihr gütiges Herz!« schrieb Jeffrey an den Verfasser des » Carol«. »Sie sollten glücklich sein; denn Sie dürfen versichert sein, daß Sie durch dieses kleine Werk mehr Gutes gethan, mehr menschenfreundliche Gefühle genährt und mehr wirkliche Handlungen der Wohlthätigkeit befördert haben, als alle Kanzeln und Beichtstühle der Christenheit zusammen genommen, seit Weihnachten 1842.« »Wer kann,« rief Thackeray aus, »Einwendungen gegen ein Buch wie dieses Gehör schenken? Es scheint mir eine nationale Wohlthat, und für Jeden der es liest eine persönliche Gunst.« Dies Lob drückte das aus, was Leute von Genie fühlten und sagten; aber das kleine Buch empfing auch andere Tribute, die weniger gewöhnlich und nicht minder echt waren. Sein Verfasser wurde während jener ganzen Weihnachtszeit mit Briefen von ihm völlig unbekannten Leuten überschwemmt, die ich, wie ich mich erinnere, mit staunendem Vergnügen las: Briefe durchaus nicht von literarischer, sondern von der einfachsten häuslichen Art, deren allgemeiner Refrain, neben vielen vertraulichen häuslichen Mittheilungen, darin bestand, ihm zu sagen, daß man den »Carol« im Familienkreise laut vorgelesen, und daß man ihm auf einem kleinen Bücherbrett eine Stelle für sich angewiesen habe, und daß er auf Alle alle möglichen guten Wirkungen hervorbringen solle. Was etwa sonst noch darüber gesagt werden könnte, würde diesem nicht viel hinzufügen.

In der That gab es Keinen, der nicht ein Interesse an der Botschaft des » Christmas Carol« hatte. Sie forderte die Selbstsüchtigen auf, sich von der Selbstsucht zu befreien, die Gerechten, großmüthig zu sein und die Gutmüthigen, den Kreis ihres Wohlwollens zu erweitern. Ihre durch die ganze Insel hintönende helle Stimme des Glaubens und der Hoffnung brachte Allen ohne Ausnahme die frohe Mahnung, daß ohne die Beobachtung der Weihnachtspflichten die Beobachtung seiner äußern Gebräuche ohne wahren Nutzen sei; daß das Fest dem kalten Herde Licht und Wärme, und dem traurigen Herzen Trost bringen solle; daß es Güte sein müsse, Wohlwollen, Wohlthun, Gnade und Geduld, oder sein Plumpudding werde sich in Galle verwandeln, und sein Roastbeef unverdaulich sein. Auch hätte Niemand dies mit derselben Angemessenheit sagen können wie Dickens. Was ihn bis zuletzt auszeichnete, war jetzt offenbar. Er hatte sich mit den Weihnachtsphantasieen identificirt. Ihr Leben und ihre Geister, ihr ausgelassener, überströmender Humor gehörten ihm von rechtswegen an. Sowohl ihre Poesie als ihre menschenfreundlichen Gedanken waren die seinen, und ihr Vorrecht, die armseligsten Orte mit einer Art von Behagen aufzuhellen, hatte er sich zu eigen gemacht. Der Weihnachtstag konnte nicht geselliger oder willkommner, der Neujahrstag nicht neuer, der Dreikönigstag nicht charakteristischer sein als er sie schilderte. Die Pflicht, Freude zu verbreiten, war nie von einem reicher begabten, heitereren, gedankenvolleren, immer zeitgemäßen Schriftsteller gelehrt worden. Ein charakteristischer Brief aus dieser Zeit, der sich selbst erklären wird, wurde mir freundlicherweise von dem Herrn mitgetheilt, an den er geschrieben war, Mr. James Verry Staples, in Bristol. »3. April, 1844. Es war mir eine große Freude, Ihren interessanten Brief zu erhalten und ich versichere Ihnen, daß es mir eine tiefgefühlte Genugthuung gewesen sein würde, an Ihrer Stelle zu sein, als Sie meinen kleinen »Carol« den Armen Ihrer Nachbarschaft vorlasen. Ich habe großes Vertrauen zu den Armen, nach bester Fähigkeit bemühe ich mich immer, sie den Reichen in einem günstigen Lichte darzustellen und ich hoffe, ich werde nie aufhören, so lange ich lebe, meine Stimme dafür zu erheben, daß sie so glücklich und so weise gemacht werden, als die höchstmögliche Verbesserung der Lage, in der sie sich befinden, zuläßt. Ich erwähne dies, um Sie zweier Dinge zu versichern. Erstens, daß ich versuche, ihre Aufmerksamkeit zu verdienen; und zweitens, daß alle solche Zeichen ihrer Billigung und ihres Vertrauens, wie die von Ihnen angeführten, meinen Gefühlen sympathisch sind, und mir unmittelbar zu Herzen gehen.«

Auch über den Geist des Buches, und den der andern, welche ihm folgten, muß ein Wort gesagt werden, welches später zu machende besondere Andeutungen nicht anticipiren wird. Niemand konnte alte Kindergeschichten mehr lieben als Dickens, und es gewährte ihm eine geheime Freude, zu fühlen daß er denselben hier nur eine höhere Form gab. Die geselligen und männlichen Tugenden die er zu lehren wünschte, waren für ihn nicht ohne den Reiz des Gespenstes, des Kobolds, und der Feenmärchen seiner Kindheit, so unvollkommen auch die Form gewesen sein mochte, die sie in jenen früheren Tagen annahmen. Was jetzt überwunden werden mußte, waren die furchtbaren Drachen und Riesen an unserm eignen Herde, und die dazu nöthigen Waffen waren von feinerer Beschaffenheit als von der ›Härte des Eisbachs‹. In tüchtige und starke Schranken sollte das was in uns selbst schlecht ist gebändigt, mit warmer und reiner Sympathie das was in andern schlecht oder verdorben ist erlöst werden; die Schönheit sollte, wie in dem göttlichsten aller jener Mährchen, das Thier umarmen; der Stern sollte, wie bei unserm geliebten Aschenbrödel, aus der Asche emporsteigen, und wir sollten mit unseren wilderen Brüdern Valentine spielen, und sie mit brüderlicher Sorge der Civilisation und dem Glücke zurückgeben. Und wie mir scheint, that er in jenem weitesten Sinne unzweifelhafte öffentliche und private Dienste, positives ernstes praktisches Gutes, durch die außerordentliche Popularität und den fast allgemeinen Beifall, welche diesen kleinen Festgaben zu Theil wurden. Sie brachten an zahllose Herde, zugleich mit einem neuen Genuß der Festzeit, eine bessere Vorstellung ihrer Ansprüche und Pflichten; sie mischten ernste mit frohen Gedanken, zum großen Vortheil beider; was fast zu fern zu liegen schien, um sich damit abzugeben, brachten sie in den Bereich der Liebe, und was nahe lag, weckten sie zu wärmerem Leben. Sie brachten dem Großmüthigen Trost, dem Nichtswürdigen Vorwürfe; sie heilten die Thorheit durch wohlgemeinten Spott und heitern Humor, und ihr Wort an ihre Leser: So hast Du gehandelt, aber es wäre besser so, mag für Manchen die berühmte Erfahrung des Philosophen verwirklicht, und durch einen einzigen glücklichen Gedanken die ganze Bedeutung eines Lebens verändert haben. Die Kritik steht hier in zweiter Linie, und wir können dem Leser die Entdeckungen, welche sie etwa in Hinsicht auf den » Christmas Carol« gemacht hat, ersparen.

 

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