Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Revolution in Genf, das Weihnachtsbuch und die letzten Tage in der Schweiz.
1846.

Ich schicke Dir in zwölf Briefen, von denen dieser für einen zählt, die beiden ersten Theile (fünf und dreißig Blätter) des Weihnachtsbuchs. Ich habe in Bezug darauf jetzt zwei Besorgnisse. Erstens, zu wissen, daß Du es richtig erhalten hast und zweitens, zu wissen, wie es Dir gefällt. Du mußt jedenfalls den ersten und zweiten Theil auf einmal lesen . . . Mir scheint es von Interesse zu sein und einen hübschen Grundgedanken zu haben, und es ist nicht wie die andern . . . Einige kleinere Punkte erfordern noch Berücksichtigung, wie die Nothwendigkeit, in einigen der Reden des Doktors im ersten Theile etwas abzuändern, und ob es ›Der Kampf des Lebens, eine Liebesgeschichte‹, heißen soll – um sowohl eine Liebesgeschichte in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes zu bezeichnen, als auch eine Geschichte der Liebe und noch einige andere ähnliche Dinge. Wir können dieselben allmälig in Anregung bringen. Ich hatte gestern einen ungeheuern Arbeitstag und war entsetzlich aufgeregt; ich will daher so rasch hinauseilen, als ich kann; denn ich fühle mich etwas erschöpft und krank. Aber nur nie den Muth verloren! Ich habe mein Auge eben im Spiegel betrachtet. Es sieht ganz hell aus.«

Ich machte es am folgenden Tage noch heller, als ich ihm sagte, daß der Absatz des ersten Heftes von Dombey den des ersten Heftes von Chuzzlewit um mehr als zwölftausend Exemplare übertroffen habe; und sein nächster Brief, in welchem er den Schluß der kleinen Erzählung schickte, zeigte, daß er die Aufheiterung, welche meine angenehme Nachricht ihm verschafft hatte, bedurfte. »Ich weiß wirklich nicht, was diese Geschichte werth ist. Ich bin so zu Boden geworfen, aus Mangel an Schlaf, und nachdem mein Kopf während des ganzen verflossenen Monats nie von dem Gedanken daran frei gewesen ist. Ich glaube, in diesem letzten Theile sind einige Stellen, die ich in den Correkturbogen verbessern kann, und wo die Hinzufügung einiger Züge von Nutzen sein wird, besonders in der Scene zwischen Craggs und Michael Warden, wo, wie sie jetzt dasteht, das Interesse anticipirt scheint; doch ich werde den Beistand Deiner Vorschläge haben und den meines eigenen, dann hoffentlich kühleren Kopfes, und ich werde mit den Correkturbogen sehr vorsichtig sein und sie so lange hier behalten als möglich . . . Mr. Britain muß also einen andern Vornamen haben? ›Tante Martha‹ ist die Sally, von welcher der Doktor im ersten Theile spricht. Martha ist ein besserer Name. Was denkst Du über den Schlußparagraphen? Würdest Du ihn um des Glückes willen beibehalten? Er ist bloß experimental . . . Ich fliege morgen früh nach Genf hinüber.« (Das war am 18. Oktober und am 20. schrieb er von Genf.) »Wir kamen gestern hierher und werden wahrscheinlich bis zu Kate's Geburtstage, der Donnerstag über acht Tage ist, hier bleiben. Ich werde an das dritte Heft von Dombey Hand anlegen, sobald ich irgend kann. Gegenwärtig fühle ich mich stark von der Arbeit angegriffen, aber doch bei weitem nicht so, wie ich vorigen Sonntag erwartete. Ich hatte eine Zeit lang nicht schlafen können und Morgens, Mittags und Nachts daran fortgehammert. Eine Flasche Rheinwein am Montag, als Elliotson bei uns dinirte (er brach gestern Morgen zur Rückkehr in die Heimath auf), that mir unendlich gut. Die Veränderung kam gerade im rechten Moment und ich fühle mich schon in der Dombey'schen Stimmung.. Allein mein Kopf hat doch etwas gelitten und thut gelegentlich sehr weh, wie auch jetzt gerade, obgleich ich noch nicht geschröpft bin. Ich träumte die vorige Woche, daß der Kampf des Lebens eine Reihe von Zimmern wäre, die sich nicht in Ordnung bringen ließen, und aus denen nicht herauszukommen sei und die ich die ganze Nacht trübselig durchwanderte. In der Sonnabend-Nacht habe ich, glaube ich, nicht eine Stunde geschlafen. Ich schweifte beständig durch die Geschichte hin und bemühte mich, die Revolution hier mit dem Plane im Einklang zu bringen. Die geistige Qual dabei war ganz entsetzlich.«

Ueber die ›Revolution‹ hatte er mir eine Woche vorher aus Lausanne geschrieben, wo die Nachricht ihn gerade erreicht hatte, daß in Folge des Dekrets des Bundesraths, welches die Vertreibung der Jesuiten anbefahl, die römisch-katholischen Cantone gegen das Dekret aufgestanden seien, worauf die Protestanten den Großen Rath abgesetzt und eine provisorische Regierung gebildet hatten, welche die katholische Liga auflöste. Sein Interesse an diesen Vorgängen und seine rasche Erkenntniß dessen, was wirklich bei diesem Conflikt in Frage kam, ist in jeder Beziehung charakteristisch für Dickens. »Du wirst,« schrieb er am 11. Oktober aus Lausanne, »lange ehe dieser Brief Dich erreicht, Alles über die Revolution in Genf wissen. Man erzählte sich von Anschlägen gegen die Regierung, als ich dort war; aber ich glaubte nicht daran; denn alle möglichen Lügen über die Radikalen sind fortwährend im Umlauf, und überall wo ein Consul einer katholischen Macht ist, werden beständig die monströsesten Erdichtungen gegen sie verbreitet – wie auch hier, wo der sardinische Consul neulich im Ernst zu verstehen gab, es habe sich eine Gesellschaft gebildet, welche den Namen der Todtschläger führe, der der Präsident des Staatsraths, der O'Connel der Schweiz und ein gescheidter Mensch, als Mitglied angehöre; die auf Schädel und Todtenknochen schwöre, alle Besitzenden auszurotten und so fort. An dem Tage, als in Genf gekämpft wurde, herrschte hier große Aufregung. Wir hörten die Kanonen (sie erschütterten das Haus) den ganzen Tag; und siebenhundert Mann marschirten aus Lausanne, um den Radikalen beizustehen – kamen aber erst in Genf an, als Alles vorüber war. Ohne Zweifel hatten sie geheimen Beistand von hier empfangen, denn ein Pulverfaß, mit den darauf gemalten Worten Canton de Vaud, wurde von dem Genfer Volke gefunden und als Fahne auf einer Stange durch die Straßen getragen, um zu zeigen, daß es ihnen außerhalb der Stadt nicht an sympathisirenden Freunden fehle. Wie Lord Vernon mir erzählte, der zugegen war und uns gestern Abend besuchte, war der Kampf eine ziemlich klägliche Affaire. Die Regierung fürchtete sich, traute vermuthlich ihren Soldaten nicht und die Kanonen wurden überall hin abgefeuert, außer auf die Gegenpartei, die (ich meine die Revolutionisten) eine Brücke nur mit einem Omnibus verbarrikadirt hatten und jedenfalls im Anfang mit Leichtigkeit hätten geworfen werden können. Die Geschicklichkeit der gemeinen Leute mit der Flinte zeigte sich besonders an einem Häufchen von fünf, die auf den Wällen an einem der Stadtthore warteten, um einen Trupp Soldaten abzuweisen, welcher der Regierung zu Hülfe eilte. Sie suchten sich die Offiziere aus und schossen dieselben nieder, sowie der Trupp erschien. Es waren ihrer im Ganzen drei oder vier – worauf die Soldaten ernsthaft kehrt machten und abmarschirten. Ich glaube, es sind nicht fünfzig Leute in diesem Orte, die nicht Deine Visitenkarte von einer Scheibe auf mindestens hundertundfünfzig Schritt Entfernung herunterschießen würden. Ich habe sie zahllose Male über eine große Schlucht, die so breit ist, als der Garten im St. James-Park, hinfeuern und nie das Centrum verfehlen sehen.

»Es ist hier entsetzlich ungentil, es zu sagen, obgleich ich es ohne jede Zurückhaltung sage, – aber meine Sympathieen sind ganz auf Seiten der Radikalen. Ich kenne nichts, in Bezug worauf dies unbezähmbare Volk ein so gutes Recht hat, leidenschaftlich zu fühlen, als den Katholicismus – wenn nicht als Religion, so doch als Mittel socialer Entartung. Sie wissen, was er ist. Sie haben ihn ganz in der Nähe. Sie haben Italien jenseits der Berge. Sie können die Erfolge der zwei Systeme zu jeder Zeit in ihren eigenen Thälern miteinander vergleichen; und ihre Furcht davor, ihr Entsetzen vor der Einführung katholischer Priester und Emissäre in ihre Städte, scheint mir das vernünftigste Gefühl in der Welt. Auch ganz abgesehen hiervon, hast Du keine Vorstellung von der abgeschmackten, unverschämten kleinen Aristokratie von Genf: die lächerlichste Carrikatur der englischen, die man sich denken kann. Ich sprach vor nicht langer Zeit mit zwei berühmten, sehr intelligenten Männern der Stadt, die herüberkamen, um mich zu einer Art von Empfang dort einzuladen, den ich ablehnte. Wahrlich, ihre Reden über ›das Volk‹ und ›die Massen‹ und die Nothwendigkeit, in welche sie demnächst versetzt werden würden, einige daraus zur Warnung für die andern zu erschießen, war eine Ungeheuerlichkeit, wie man sie in Genua hätte hören können. Auch die trotzige Unverschämtheit und Verachtung gegen das Volk in ihren Zeitungen ist ganz absurd. Es ist schwer zu glauben, daß verständige Leute in politischer Hinsicht solche Esel sein können. Es war genau ein solcher Stand der Dinge, der hier den Regierungswechsel veranlaßte. Eine höchst achtungsvoll gehaltene Bittschrift in Bezug auf die Jesuitenfrage, unterzeichnet von Zehntausenden kleiner Pächter, den ansässigen Bauern des Cantons, sämmtlich Leuten, die in öffentlichen Schulen vortrefflich unterrichtet werden und sowohl in intellektueller, als in physischer Hinsicht eine äußerst bemerkenswerthe Klasse von Arbeitern bilden, wurde eingereicht. Dies Dokument wird von der gentilen Partei mit der erhabensten Verachtung behandelt, und die Unterschriften als Unterschriften ›des Pöbels‹ bezeichnet. Worauf ein jeder Mann von dem Pöbel seine Büchse auf die Schulter nimmt, und an einem vorher verabredeten Tage nach Lausanne hineinmarschirt und die gentile Partei hinausmarschirt, ohne einen Schlag zu führen.«

Die Spuren der Revolution, die er noch bei seinem damaligen Besuch in Genf vorfand, beschrieb er mir in einem Briefe aus dem Hotel de L'Ecu vom 20. Oktober. »Nach dem Aussehen dieser Stadt würde man nie denken, es habe eine Revolution stattgefunden. Ueber dem Fenster meines alten Schlafzimmers hat eine Kanonenkugel in der Fronte des Hauses ein großes Loch gemacht, und zwei von den Brücken werden ausgebessert. Aber das sind kleine Anzeichen, die auf irgend eine andere Weise hätten hervorgebracht werden können. Die Leute sind alle an der Arbeit. Die kleinen Straßen sind voll von allen Bildern und Tönen der Industrie; der Ort ist um zehn Uhr Abends so ruhig wie Lincolns-Inn-Fields, und das einzige äußere und sichtbare Zeichen des öffentlichen Interesses an politischen Begebenheiten ist eine kleine Gruppe an jeder Straßenecke, die eine öffentliche Ankündigung der neuen Regierung über die bevorstehende Wahl der Staatsbeamten liest, welche das Volk an ihre Wichtigkeit als republikanische Einrichtung erinnert und den Wunsch ausdrückt, daß es in seinem ganzen Benehmen seiner Würde eingedenk sein möge. Nichts sehr Gewaltsames oder Schlechtes kann in einem Gemeinwesen stattfinden, das so gut erzogen ist wie dieses. Es ist das beste denkbare Gegengift gegen amerikanische Erlebnisse. Was das unsinnige Gerede der ›gentilen Partei‹ angeht: Opposition gegen das Eigenthum und so fort, so gab es nie eine größere moralische Abgeschmacktheit. Einer der Hauptführer der jüngsten Bewegung besitzt hier ein Uhren- und Juwelenlager von ungeheurem Werth, und besaß es während der Unruhen – ohne jeden Schutz. James Fazy hat ein reiches Haus und eine werthvolle Gemäldesammlung und, ich bin ganz gewiß, zweimal mehr zu verlieren, als die Hälfte der conservativen Raisonneure zusammengenommen. Dieses Haus, das liberale, ist eins der am reichsten möblirten und luxuriösesten auf dem Festlande. Und wäre ich ein Schweizer mit Hunderttausend Pfd. Sterling, ich würde ebenso standhaft gegen die katholischen Cantone und die Ausbreitung des Jesuitismus ankämpfen, als irgend einer ihrer Radikalen, denn ich halte die Verbreitung des Katholicismus für das schrecklichste Mittel politischer und gesellschaftlicher Erniedrigung, das es gegenwärtig in der Welt gibt. Was diese Leute, da sie gründlich erzogen sind, vollkommen wissen . . . Die Jungen von Genf machten sich sehr nützlich durch das Herbeischaffen von Materialien für den Bau der Barrikaden auf den Brücken, und das beiliegende Lied wird Dich amüsiren. Man singt es zu einer Melodie, die sich aus der großen französischen Revolution herschreibt – einer sehr guten.«

Aber auch Revolutionen können, ebenso wie ihre Helden, klein sein und während er mir so seinen Gamin de Genève schickte, schickte ich ihm Nachricht von einer plötzlichen Veränderung in Whitefriars, Die Straße wo damals die Expedition der Daily News sich befand. – D. Uebers. welche ein ebenso lebhaftes Interesse für ihn besaß. Zuerst konnte nicht viel erzählt werden, aber seine Neugier stieg sogleich zur Fieberhöhe. »In Bezug auf jene Daily News Revolution,« schrieb er am 26. von Genf, »bin ich den ganzen Tag durch ein vollständiges Labyrinth dunkler Vermuthungen auf und ab gewandert. Hoffentlich klärst Du mich am Mittwoch ganz auf, oder das dritte Heft wird darunter leiden.« Als er zwei Tage später seine Rückreise nach Lausanne antrat, nahm er den Gegenstand von Neuem auf. »Ich befinde mich in der größten Aufregung durch Deine Nachrichten und wünsche ganz verzweifelt, Alles darüber zu erfahren. Ich werde unsäglich enttäuscht sein, wenn ein Brief von Dir mich nicht erwartet. Gott weiß, wir haben beide von den neun Monaten mit der Daily News wenig Freude gehabt.« Es gab damals nicht viel und es gibt jetzt noch weniger darüber zu erzählen; aber der unbehagliche Zustand erreichte endlich für uns beide ein Ende, da ich mich nicht mit einem längeren Verbleiben in dem Dienste versöhnen konnte, den ich in Whitefriars geleistet hatte, seit Dickens denselben verließ. Seine Bemerkungen in seinem ersten Briefe, nach der Rückkehr nach Rosemont, mögen hier zum Abschluß der Sache einen Platz finden. »Ich freue mich jedenfalls sehr über den Ausgang der Angelegenheit mit der Daily News, obgleich meine Freude getrübt wird durch den melancholischen Gedanken, daß Du Dich dort so lange mit so geringem Erfolge abgemüht hast. Ich kam leichter davon. Allein, das Alles ist jetzt vergangen . . . Die unzweifelhafte Nothwendigkeit Deiner Handlungsweise erleidet für mich nicht die mindeste Frage. Daß Dir, wie Du bist, nur ein Weg offen stand und daß Du ihn eingeschlagen hast, ist für mich ebenso klar, als daß Old Bailey nicht Westminster-Abbey ist. Du mußtest fortgehen mit der vollen Summe des Werthes, auf den Du selbst Dich schätzest; und nun Du gegangen bist, wirst Du nach Paris kommen und dort und auch in der Heimath werden wir, so Gott will, wieder die alten Abende und das alte Leben genießen, wie es war, ehe jene täglichen Schlingen uns an den Beinen packten und uns gelegentlich zu Boden warfen. Mache ein Gelübde (wie ich gethan), nie wieder jene Passage mit dem kleinen Zeitungsladen an der Ecke hinunter zu gehen, und laß uns wie in alten Zeiten bei Jack Straw Jack Straw's Castle, das oft erwähnte Lieblingswirthshaus Dickens', auf dem Hügel von Hampstead. – D. Uebers. schwören . . . Ich fange an, meinen Kummer über Deine Nächte hoch oben in Whitefriars zu überwinden, und nichts als Freude zu fühlen im Gedanken an Deine Befreiung. Gott segne Dich!«

Das Ende seines Aufenthalts in Lausanne rückte jetzt heran; aber ehe meine Skizzen über sein dortiges angenehmes Leben zum Abschluß kommen, mag die kleine Geschichte seines Weihnachtsbuchs noch durch einige Auszüge aus Briefen vervollständigt werden, welche unmittelbar auf die Abreise der Talfourds folgten. Ohne Commentar werden dieselben den Abschluß des Buches, sein eigenes Bewußtsein der Schwierigkeit, die Erzählung in Grenzen auszuführen, welche zu enge waren, um ihre Entwicklung nicht unvollständig zu machen und den richtigen Takt erklären, mit dem er von außen kommenden Einwänden und Vorschlägen begegnete. Sein Zustand während der Zeit als er das Buch schrieb, erlaubte mir nicht, auf Dingen zu bestehen, die ich sonst für nöthig gehalten haben würde; aber wie die kleine Geschichte endlich seine Hand verließ, enthielt sie Manches, was seiner nicht unwürdig war, und ein Umriß ihres Planes wird die Bruchstücke aus seinen Briefen verständlicher machen. Ich las sie vor Kurzem mit der Empfindung, daß der hindurch gehende Ton ruhiger Schönheit das Lob wohl verdiente, welches Jeffrey ihr in jenen Tagen ertheilt hatte. »Ich mag und bewundere den Kampf außerordentlich,« sagte er in einem bei der Veröffentlichung geschriebenen Briefe, den Dickens mir schickte, und der nicht in Lord Cockburn's »Leben Jeffrey's« enthalten ist. »Es ist besser geschrieben als irgend ein anderer lebender Mensch hätte schreiben können und enthält Stellen, die so schön sind, als irgend Etwas was der Mensch selbst geschrieben hat. Der Tanz der Schwestern in jenem herbstlichen Baumgarten ist allein ein Dutzend unbedeutendere Erzählungen werth, und ihre Wiedervereinigung am Schluß und in der That alle ernsteren Theile sind schön, einige Züge von Clemency reizend.«

Dennoch verhielt es sich hier wohl wie mit den Sylvesterglocken, daß nämlich die ernsteren Theile zu tief mit der Erzählung verwebt waren, um den Gegenstand für die alte Heiterkeit bringende Jahreszeit ganz angemessen zu machen; doch hatte dies auch seine Vortheile. Die Geschichte erzählt von zwei Schwestern, von denen die jüngere, Marion, ihre eigene Neigung opfert, um die ältere, Grace, glücklich zu machen. Aber Grace hatte bereits dieser jüngeren Schwester dasselbe Opfer gebracht; der erste und härteste Kampf des Lebens war von ihr gewonnen worden, ehe die Geschichte anfängt, und als sie zuerst auftritt, ist sie beschäftigt, die Heirath ihrer Schwester mit Alfred Heathfield zu Stande zu bringen, den sie selbst geliebt und den sie, durch eine stille Veränderung in ihrem Benehmen gegen ihn, völlig unbewußt erhalten hat über das, was sein eigenes, noch ungebundenes Herz gewiß nicht zurückgewiesen haben würde. Marion jedoch hatte dies früher entdeckt, obgleich Alfred erst nach ihrem Siege über sich selbst davon hört; und inzwischen ist er ihr Verlobter geworden. Wie die Schwestern so am Anfang erscheinen: die eine im Glauben, daß ihre Liebe unentdeckt ist und die andere um jener Liebe willen entschlossen, ihre eigene aufzugeben, jede ihre Gefühle vor der andern verbergend und beide selbstlos wahr, bieten sie ein hübsches und zartes Bild. Der zweite Theil soll der Flucht Marion's den Anschein eines Entlaufens mit einem Liebhaber geben und die Schwierigkeit des Verfassers bestand darin, dies so darzustellen, daß sie während der ganzen Zeit unverändert erscheint gegen den Mann, dem sie ihr Wort gegeben hat und vor dem sie doch flieht. Ein gewisser Michael Warden ist de deus ex machina durch welchen sie gelöst wird, wenngleich wohl kaum mit dem gewöhnlichen Geschick; allein es ist viel Kunst in der Art, wie seine Ansprüche auf die Hand Marion's, deren Mann er nach einer Reihe von Jahren wird, als die Ursache dargestellt werden, welche ihm jede Hoffnung auf Erfolg verschließt, und zwar in derselben Stunde, wo ihre eigene Handlung ihm denselben anscheinend verheißt. Während der Zwischenzeit wird Grace, die glaubt, Marion sei mit Warden fort, Alfred's Frau und erst bei der Wiedervereinigung, nach einer Abwesenheit von sechs Jahren, wird die Wahrheit ihr ganz bekannt. Der Kampf ist für sie alle von Schmerz erfüllt und durch Schmerz geheiligt; aber endlich kehrt die Freude zurück. Keine Herzen werden durch die auferlegten Pflichten gebrochen; auch wird das Leben nicht als ein so vergänglicher Feiertag dargestellt, daß es unter edelm Schmerz und großmüthiger Selbstverläugnung seine Fähigkeit zum Glück verlieren muß. Die Erzählung rechtfertigt so ihren Platz in der Weihnachtsserie. Auch was Jeffrey über Clemency sagt, verdient hier ein Wort. Die Geschichte würde nicht von Dickens sein, könnten wir darin nicht das ihm eigenthümliche Talent finden, die gewöhnlichsten Dinge mit Frische und Schönheit darzustellen, in den alltäglichsten Formen des Lebens viel von seiner seltensten Lieblichkeit zu enthüllen und sich mit Leichtigkeit aus der unmittelbarsten Wirklichkeit in das Gebiet phantasievoller Gedanken zu erheben. Dieser glücklichsten Richtung seiner Kunst zahlen Clemency und ihr Mann einen neuen Tribut, und in ihr ganz besonders erkennen wir einmal wieder eine jener wahren Seelen, die einen so großen Raum in seinen Schriften ausfüllen, Seelen, für welche gewöhnlich die niedrigsten Sitze am Mahl des Lebens aufbewahrt werden, die er aber zu einem passenderen Platz unter die Geschätzten und Geehrten an den oberen Tischen emporhebt und willkommen heißt.

*

»Ich möchte wissen, ob Du das Ende des Weihnachtsbuchs vorhergesehen hast! An einigen Stellen kann ich es, glaube ich, durch kleine Abänderungen hübscher machen . . . Ich hoffe, es wird Dir gefallen. Was für eine rührende Geschichte hätte ich in einem Oktavbande daraus machen können. O, der Gedanke, daß die Drucker meinen freundlich cynischen alten Vater in Doktor Taddler verwandelt haben!« (28. Oktober.)

*

»Hältst Du es für die Illustrationen der Mühe werth, den Zeitraum, um gewisser Vorzüge des Kostüms willen, weiter zurück zu verlegen? Die Geschichte kann sich zu irgend einer Zeit innerhalb der letzten hundert Jahre zugetragen haben. Ist es der Mühe werth, Röcke und Mäntel aus der Zeit des lieben alten Goldsmith, oder daherum, in Anwendung zu bringen? Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Wenn Du oder die Künstler nicht daran gedacht haben, verdient es vermuthlich keine Berücksichtigung, aber ich befreie mich von dem Gedanken, indem ich ihn Dir vorlege. Es mag schon zu spät sein, oder Du magst Deine Gründe haben, ›bei dem Leisten‹ zu bleiben, und an den Frühlings- und Wintermoden der Damen und Herren unserer Zeit festzuhalten. Was Du für das beste hältst, in diesen wie in allen andern Dingen, wird jedenfalls das beste sein . . . Ich möchte, daß bei den Illustrationen die Schönheit so sehr als möglich zu ihrem Rechte käme, und daß jeder Theil am Anfang eine allgemeine Illustration hätte, die den Gang der Ereignisse andeutet, ungefähr in derselben Art, wie Browne es auf den Umschlägen zu Dombey gemacht hat. Weiter möchte ich Deine Discretion in der Sache nicht beschränken. Je besser es illustrirt wird, um so besser wird es mir natürlich gefallen.« (29. Oktober.)

*

»Ich schreibe nur, um zu sagen, daß es nichts nützt, wenn ich Dir einen langen Brief schreibe, ehe ich von Dir gehört habe und, daß ich warten will, bis ich Deine versprochene Mittheilung (wie mein Vater es nennen würde) morgen gelesen habe. Ich habe die Correkturbogen des dritten Theiles durchgesehen und wundere mich wirklich nicht, daß die Heirath Grace's und Alfred's Dir unbefriedigend scheint, da einige der außerordentlichsten Druckfehler in Clemency's Bericht an Warden vorkommen. Was in Bezug hierauf geschieht, muß in den leichtesten Zügen ausgeführt werden, denn etwas muß der Leser als selbstverständlich annehmen; aber ich halte es beinahe für unmöglich, ohne der Wirkung furchtbar zu schaden, eine Scene zwischen Marion und Michael einzuschalten. Die Einführung muß in der Scene zwischen den Schwestern stattfinden und vorzugsweise in den Mund von Grace gelegt werden. Du kannst Dich darauf verlassen, etwas anderes ist im Einklang mit dem Geist der Erzählung unmöglich. Mit dieser Verbesserung, und hier und da einem Zuge im letzten Theil (ich weiß ganz genau, wo sie am besten kommen) wird, glaube ich, das Ganze hübsch und rührend und auch gemüthlich werden . . .« (31. Oktober.)

*

»Ich hoffe das Weihnachtsbuch durchzugehen, sobald ich Deine Ansicht darüber höre. Ohne das würde ich es nicht thun. Es ist mir eine große Freude, von dem edeln alten Stanny zu hören. Grüße ihn herzlich und sage ihm, ich denke daran, katholisch zu werden. Ich finde (Du magst es vielleicht auch gefunden haben), daß eine andere gute Stelle, einige Zeilen Dialog einzuschalten, am Anfang der Scene zwischen Grace und ihrem Manne ist, wo er von dem Boten am Thore redet.« (4. November.)

*

»Ehe ich auf Deine Fragen antworte, möchte ich im Allgemeinen über den dritten Theil bemerken, daß alle Leidenschaft, die, wenigstens nach meiner Auslegung, hineingebracht werden kann, darin ist. Ich weiß das daran, was er mich gekostet hat und als eine Frage der Kunst und des Interesses betrachtet, scheint es mir in dem Wesen der Geschichte selbst begründet, daß sie mit schnellem Schritt fortschreitet, nachdem die Schwestern einander wieder im Arme halten. Alles andere nach diesem würde und müßte schwer anhängen wie Blei . . . Nun zu Deinen Fragen. Ich glaube nicht, daß eine kleine Scene mit Marion und sonst Jemand den Weg für den letzten Paragraphen der Erzählung bahnen könnte: ich glaube nicht, daß irgend etwas als ein Strich zwischen diesen Paragraphen und Warden's Rede paßt. Ein geringerer Zeitraum als zehn Jahre? Ja. Ich sehe keinen Einwand gegen sechs. Ich zweifle nicht, daß Du Recht hast. Ein Wort von Alfred in seinem Elend? Unmöglich: Du könntest ebenso gut versuchen, Dich mit Jemandem in einem Schnellzuge zu unterhalten. Die Vorbereitung für seinen veränderten Zustand findet sich im ersten Theile, und in jener Scene der Rückkehr kniet er neben ihr. Er wird gleichsam mit ihr in der Welt allein gelassen. Ich bin ganz sicher, daß es völlig unmöglich für mich ist, das zu ändern . . . Aber (behalte mich im Auge) als Marion fortging, hinterließ sie einen Brief für Grace, worin sie dieselbe bat, die Liebe, welche Alfred zu ihr fassen würde, zu begünstigen und ihr vorhersagte, daß Jahre vergehen würden, ehe sie sich wieder sähen &c. Es wird, hoffe ich, einen gewaltigen Unterschied machen, wenn dies in der Scene zwischen den Schwestern herauskommt, und wenn etwas Aehnliches im Beginn der kleinen Scene zwischen Grace und ihrem Manne vor dem Boten am Thore ausgedrückt wird; und ich werde versuchen, etwas von Tante Martha und dem Doktor hereinzubringen, was die Erzählung deutlicher und unmißverstehbarer zu dem Schlachtfelde zurückführen wird. Ich hoffe, diese Aenderungen in der nächsten Woche zu machen und Dir den dritten Theil zurück zu schicken, ehe ich von hier fortgehe. Wenn Du auch dann noch denkst, daß das Buch der Verbesserung fähig ist, so sage mir's in Paris und ich will noch einmal daran gehen. Ich möchte nicht, daß es hinkte, wenn es fliegen kann. Ich sage Dir nichts über viel anderes hierher Gehöriges, was schon in der anfänglichen Bemerkung enthalten ist, weil Dein zartes Verständniß alles das schon weiß. Bemerke für die Künstler: Grace wird jetzt nur ein Kind haben – die kleine Marion.« . . . (Am Abend desselben Tages) . . . »Du erinnerst Dich, daß ich Dich bat, das Ganze auf einmal zu lesen, weil ich wußte, daß ich darauf hinarbeitete. Aber ich sehe keinen Zweifel über Deine Zweifel und will thun, was ich gesagt habe . . . Ich hatte daran gedacht, die Zeit in der kleinen Geschichte festzustellen und will dies thun . . . Denke noch einmal über die Zwischenzeit zwischen dem ersten und dem dritten Theile nach. Ich will dasselbe thun.« (7. November.)

*

»Ich hoffe, Du wirst den dritten Theil (wenn Du ihn mit diesen Abänderungen im Druck liesest) sehr verbessert finden. Meiner Meinung nach ist er es. Solltest Du noch etwas daran auszusetzen haben, so sage es mir, bitte, in Paris. Ich bin entschlossen, Alles in Ordnung zu bringen, wenn ich kann . . . Wenn Du beim Durchlesen der Correkturbogen die Tendenz zu fünffüßigen Jamben zu stark findest (ich kann dieselbe nicht hindern, wenn ich es sehr ernst meine), schlage einem Worte hie und da das Gehirn aus.« (13. November. Bei Zurücksendung der Correkturbogen.)

*

»Deine Nachrichten über die Illustrationen zum Weihnachtsbuch machen mich vor Freude springen. Ich werde Dir morgen ausführlich schreiben. Ich möchte folgende Widmung haben: Dies Weihnachtsbuch ist meinen englischen Freunden in der Schweiz freundlichst gewidmet. Gerade diese zwei Reihen und weiter nichts. Wenn ich die Correkturbogen zurückbekomme, werden, glaube ich, noch einige andere Bemerkungen über das Schlachtfeld sich mit Nutzen hinzufügen lassen. Es freut mich, daß die Abänderungen Dir gefallen. Mir ist zu Muth, als ob sie das Buch vollständig machten und, daß es ohne Deine Winke unvollständig gewesen sein würde.« (21. November. Aus Paris.)

Es war mir, zu freudiger Ueberraschung für ihn, gelungen, sowohl Stanfield als Maclise für die Illustration des Weihnachtsbuchs zu gewinnen, außer den vorzüglichen Künstlern, welche die Verleger dafür engagirt hatten: Leech und Richard Doyle; und unter den von Stanfield beigetragenen Blättern sind drei Stücke englischer Landschaft, welche damals einen eigenthümlichen Reiz für Dickens hatten und mir noch jetzt in ihrer Art ganz tadellos erscheinen. Ich will eine merkwürdige Thatsache hinzufügen, die bisher noch nie erwähnt worden ist. In der Illustration, welche den zweiten Theil der Erzählung beschließt, wo die Festlichkeiten zur Bewillkommnung des Bräutigams auf dem obern Theil der Seite mit der auf dem untern dargestellten Flucht der Braut contrastiren, machte Leech das Versehen, zu denken, daß Michael Warden an der Flucht theilgenommen, und setzte seine Gestalt mit der Marion's hinein. Wir entdeckten dies erst, als es zur Abhülfe zu spät war, da man die Veröffentlichung um dieser Zeichnungen willen bis zum letzten Moment verzögert hatte; und es ist äußerst charakteristisch für Dickens und für die wahrhafte Achtung, die er für diesen ausgezeichneten Künstler hegte, daß er, wohl wissend, welchen Schmerz sein Einwand oder seine Klage unter den Umständen verursachen müsse, es vorzog, darüber zu schweigen. Niemand machte eine Bemerkung darüber und die Illustration ist geblieben wie sie war; aber wer die Erzählung aufmerksam liest, wird sofort sehen, welche Verwüstung an einer ihrer zartesten Wendungen dadurch hervorgebracht wird.

»Als ich sie zuerst sah, befiel mich ein unbeschreiblicher Schrecken und Schmerz. Natürlich brauche ich Dir, mein Lieber, nicht erst zu sagen, daß Warden an der Fluchtscene keinen Antheil hat. Er war nicht dabei! In dem ersten heißen Schweiß der Ueberraschung und des Erstaunens wollte ich darum flehen, daß man mit dem Druck dieses Blattes einhalte und die Figur aus dem Block herausnehme. Als ich aber an den Schmerz dachte, welchen dies unserm lieben Leech bereiten werde und, daß das was für mich eine so ungeheuerliche Absonderlichkeit war, weil es mir nie in den Sinn gekommen, sich andern nicht so darstellen möge, wurde ich gefaßter, obgleich die Thatsache wunderbar für mich bleibt. Ohne Zweifel wird um die Zeit, wenn dies Dich erreicht, schon eine große Anzahl von Exemplaren gedruckt sein und ich werde daher annehmen, daß die Illustration bleibt wie sie ist. Sonst hat Leech es sehr gut gemacht und überhaupt sind die Illustrationen bei Weitem die besten, die für eins der Weihnachtsbücher gemacht sind. Du weißt, wie ich in meinem Geist Tempel aufbaue, die nicht von Menschenhänden gemacht (noch auch, fürchte ich, durch Feder und Dinte ausdrückbar) sind, und wie leicht ich in diesen Dingen enttäuscht werde. Aber diesmal bin ich wirklich nicht enttäuscht. Ruhe und Schönheit sind durchweg aufrecht erhalten. Sage Alles an Mac und Stanny, mehr als Alles! Es ist eine wahre Freude, diese kleinen Landschaften des lieben alten Jungen anzusehen. Wie zart und elegant, und doch wie männlich und kräftig sind sie! Ich habe eine ungetrübte Freude daran.«

Von den wenigen noch übrig bleibenden Tagen seines Lebens in Lausanne, ehe er nach Paris reiste, ist nicht viel zu sagen. Seine Arbeit hatte ihn während des ganzen Monats vor seiner Abreise so vollständig in Anspruch genommen, daß für wenig Anderes Zeit blieb und selbst gelegentliche Briefe an theure Freunde in der Heimath fortfielen. Hier ist ein Beispiel unter vielen. »Ich will an Landor schreiben sobald ich Zeit finden kann; aber ich bin wirklich nothgedrungen so viel an meinem Pulte und habe, einerlei ob ich dort oder sonstwo bin, mit dem Weihnachtsbuch und mit Dombey so viel zu thun, daß es die schwierigste Sache in der Welt ist, mich zu entschließen, an irgend einen Andern zu schreiben, als an Dich. Ich hätte an Macready schreiben sollen. Ich wollte, Du sagtest ihm, mit meinen herzlichen Grüßen, in welcher Lage ich mich in Bezug auf Dinte, Federn und Papier befinde. Eine der Lausanner Zeitungen, die über den Freihandel schreibt, hat in jüngster Zeit sehr häufig von Lord Gobden gesprochen. Verdrehung des Namens von Richard Cobden, der bekanntlich nie ein Lord war. – D. Uebers. Das ist eine Thatsache und es scheint mir ein guter Name.« Dann, als die unvermeidliche Zeit herannahte, brachte er sich die Annehmlichkeiten, welche die kommende Veränderung bringen könne, als Gegengewicht gegen ihren Schmerz zum Bewußtsein und fing an, an Paris »mit einer weniger romantischen und mehr häuslichen Ansicht des Bildes,« als an etwas nicht ganz Unerfreuliches zu denken. »Ich zweifle auch nicht, daß beständige Abwechselung mir unentbehrlich ist, wenn ich an der Arbeit bin, und zuweilen drängt sich mir mehr als ein Zweifel auf, ob nicht etwas in einem Schweizer Thale ist, was mir nicht bekommt. Wenn ich noch einmal wieder in der Schweiz wohne, soll es jedenfalls auf der Spitze eines Hügels sein. Etwas von dem goître- und cretin-Einfluß scheint an den tiefer gelegenen Orten zuweilen meinen Geist zu ergreifen. »Ich kann es Dir jetzt sagen,« schrieb er mir zu Ende November aus Paris, »nun es Alles vorüber ist. Ich weiß nicht, ob es der heiße Sommer oder die Aufregung mit den beiden Büchern nebst den Erinnerungen und Mahnungen an die Daily News war, – aber mein Zustand in der Schweiz, als ich mich so schlecht befand, war derart, daß ich mich in ernstlicher Gefahr fühlte. Doch hatte ich wenig Schmerzen in der Seite. Ausgenommen jene Zeit in Genua habe ich überhaupt kaum an diesen Schmerzen gelitten seit die arme Mary starb, als sie so schlimm wurden – und ich bin regelmäßig jeden Tag in schnellem Tempo meine drei Meilen zu Fuße gegangen.« Wie leid, ach ja! wie leid wird es mir nichtsdestoweniger thun, die kleine Gesellschaft zu verlassen! Wir haben uns durchweg auf's beste miteinander vertragen, und ich werde immer in ein Hurrah für die Schweizer und die Schweiz einstimmen.«

Mehrere Engländer, die über Lausanne kamen, hatten ihn inzwischen auf ihrer Rückreise in die Heimath begrüßt, und einige ihm von Elliotson gewidmete Tage waren eine ungetheilte Freude für ihn gewesen. Es war jetzt Spätherbst geworden, heftige Winde durchstürmten das Thal und sein vorletzter Brief schilderte mir die Veränderung, welche das Herannahen des Winters in der Landschaft hervorbrachte. »Wir haben in Lausanne mehrere furchtbare Orkane gehabt. Es ist jetzt in Bezug auf Wind ein außerordentlicher Ort, da es eigenthümlich zwischen Bergen liegt – zwischen den Ketten des Jura und des Simplon, des St. Gotthard, des St. Bernhard und des Mont Blanc, und Nachts, wenn man zu Bette liegt, möchte man schwören, man befände sich auf dem Meere. Man kann sich nicht denken, daß der Wind so über das Land hinbläst. Es ist sehr schön zu hören. Im Allgemeinen ist das Wetter jedoch vortrefflich gewesen. Es liegt Schnee auf fast allen Berggipfeln, aber im Thale ist keiner gefallen. An hellen Tagen ist es zwischen elf und halb drei ganz heiß. Die Nächte und die Morgen sind kalt. Während der letzten zwei oder drei Tage ist es nebliges Wetter gewesen und ich kann jetzt von der Stelle, wo ich schreibe, ebenso wenig vom Mont Blanc sehen, als wäre ich in Devonshire-Terrace, obgleich er vorige Woche sämmtliche Spaziergänge in Lausanne begrenzte. Ich würde viel dafür geben, könntest Du an einem hellen kalten Tage mit mir in der Umgegend von Lausanne einen Spaziergang machen. Es ist unmöglich, sich etwas Edleres und Schöneres zu denken als diese Landschaft, und die Herbstfarben des Laubes sind jetzt glänzender und lebhafter, als irgend eine Beschreibung sie schildern kann. Ich führte Elliotson während seines Aufenthalts hier eine Schlucht von achthundert oder tausend Fuß hinauf, die ich in den Bergen entdeckt hatte. Ihre steilen Abhänge waren durch das sich wandelnde Laub hochgelb und tiefroth gefärbt; ein Bergstrom stürzte brausend in die Tiefe nieder; der Genfer See lag uns zu Füßen; an dem obern Ende erhob sich eine gewaltige Masse und ein Chaos von Bäumen, und Berg auf Berg stieg in der Ferne zum Himmel empor. Die Majestät und der Glanz machten ihn völlig verstummen.«

Er hatte sein drittes Heft von Dombey am 26. Oktober angefangen; am 4. des folgenden Monats hatte er es halb fertig, am 7. befand er sich in »den Wehen« seines letzten Kapitels und am 9., einen Tag vor dem Tage, den er für seine Vollendung festgesetzt hatte, war das Ganze gethan. Dies war nach allem Andern, was er durchgemacht hatte, ein merkwürdig schnelles Arbeiten; doch binnen einer Woche (Montag, der 16., war für die Abreise festgesetzt) sollten sie ihre Zelte streichen, und unruhig und traurig waren die ihm so zur Vorbereitung und zum Lebewohl gelassenen Tage. In sein Abschiednehmen schloß er seine taubstummen und blinden Freunde ein und noch tiefer ergriff ihn der Abschied von seinen hörenden, sprechenden und sehenden Freunden. »Hoffentlich werde ich Dich bald wiedersehen und das söhnt mich mit Allem aus. Aber ich glaube nicht, daß es viele Punkte auf der Erdkarte gibt, wo wir ein so warmes Andenken zurücklassen, als in Lausanne. Es war uns gestern Abend ganz kläglich zu Muthe, als wir von Haldimands Abschied genommen hatten.«

Er selbst soll beschreiben, wie sie zu Wagen nach Paris reisten, eine Fahrt, welche fünf Tage beanspruchte. »Wir sind über die Reise vortrefflich hinweggekommen, obgleich nicht ganz so schnell, als wir hofften. Die Kinder waren so gut wie gewöhnlich und selbst Skittles vergnügt bis zuletzt. (Dieser Name ist, beiläufig gesagt, schon längst an die Stelle von Sampson Braß Vgl. S. 223. getreten. Ich nenne ihn so wegen etwas Kegelschieberischen und Schenkwirthlichen in seinem Aussehen.) Wir standen jeden Morgen um fünf Uhr auf und waren vor sieben unterwegs. Wir hatten drei Wagen: eine Art Lastwagen mit angefügtem Cabriolet für das Gepäck; eine schauerliche alte Schaukel auf Rädern (in Genf gemiethet) für die Kinder; und für uns jenen Reisewagen – den ich die Güte hatte, zum Verkauf hierher zu bringen. Es war sehr kalt, als wir über den Jura fuhren – nichts als Nebel und Frost; aber nachdem wir die Schweiz verlassen und die französische Grenze überschritten hatten, wurde es wärmer und blieb so. Wir hielten jeden Abend zwischen sechs und sieben Uhr an, kamen nach zwei ziemlich wunderlichen Gasthäusern, wilden französischen Land-Gasthäusern – aber die übrigen waren gut. Es dauerte viertehalb Stunden, daß unser Gepäck an dem Grenzzollhause visitirt wurde, auf dem Gipfel eines Berges, in hartem und beißendem Frost. Ich kann Dir versichern, daß Anne und Roche dort in Athem gehalten wurden und der Letztere bestand darauf, aus freien Stücken die erstaunlichsten und unnöthigsten Lügen über meine Bücher vorzubringen, lediglich wegen des Vergnügens, die Beamten zu betrügen. Nachdem wir das Bergland hinter uns hatten, ging es rasch weiter; aber wir kamen doch einen Tag zu spät hier an.«

Sie waren in Paris, als dies geschrieben wurde, im Hotel Brighton, das sie Freitag Abend, den 20. November, erreicht hatten.

 

*

 


 << zurück weiter >>