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Siebzehntes Kapitel.

Glänzendes Umherschweifen.
1847–1852.

Da Dickens' Haus in Devonshire Terrace noch von Sir James Duke bewohnt wurde, miethete er ein Haus in Chester-Place, Regents-Park, wo am 18. April sein fünfter Sohn, dem er den Namen Sydney Smith Haldimand gab, geboren wurde. Er trat in die Königliche Marine und überlebte seinen Vater nur ein Jahr und elf Monate. Zur Zeit seines Todes, der durch einen scharfen Anfall von Bronchitis herbeigeführt wurde, war er Lieutenant, und befand sich auf einer Urlaubsreise in die Heimath, auf dem der Peninsular- and Oriental-Dampfschiffsgesellschaft gehörigen Schiff ›Malta‹. Er wurde am 2. Mai 1872 auf dem Meere begraben. Armer Junge! Er war der kleinste von Dickens' Kindern, auch im Mannesalter nur wenig größer als fünf Fuß, und hieß während seiner ganzen Kindheit nie anders als das »Seegespenst«, nach einem kleinen seltsamen geisterhaften, aber doch sehr anziehenden Ausdruck in seinen großen staunenden Augen, der in einer Oelskizze von Frank Stone, welche im September 1849 in Bonchurch gemacht wurde und jetzt im Besitze seiner Tante ist, sehr glücklich wiedergegeben wurde »Stone,« schrieb mir Dickens damals, »hat das Seegespenst gemalt und ein sehr hübsches kleines Bild von ihm gemacht.« Es war ein seltsamer Zufall, welcher den Vater veranlaßte, diesen scherzhaften Namen für einen zu erfinden, den die See in der That am Ende zu sich nahm. Genau einen Monat vorher hatten wir zusammen in Highgate an dem Leichenbegängniß seines Verlegers William Hall theilgenommen, für den er, trotz der augenblicklich über ihrem Verhältniß ruhenden Wolke, noch immer seine alte Achtung bewahrt hatte und mit dem ihn sowohl das Andenken an seinen ersten Erfolg, als an einen langen, in dieser trüben Zeit nicht vergessenen freundschaftlichen Verkehr, verband. Den größten Theil der folgenden Sommermonate brachte er in Brighton oder Broadstairs zu und die Hauptbeschäftigung seiner Muße in den Zwischenräumen von Dombey war die Leitung eines Unternehmens, welches in dem Erfolg unserer Privatvorstellung auf dem Theater in Dean-Street Vgl. S. 184. seinen Ursprung hatte und dessen Zweck war, einem großen Schriftsteller zu nützen.

Der Zweck und der Name waren kaum angekündigt worden, als Lord John Russell mit jener staatsmännischen Rücksicht auf die Literatur und deren Jünger, die ihn unter den englischen Politikern ausgezeichnet haben, Leigh Hunt eine Pension von zweihundert Pfund Sterl. aus der Civilliste bewilligte; allein, obgleich dies unsern Plan insofern abänderte, daß wir die in London beabsichtigten Vorstellungen fallen ließen, so wurde doch noch so viel für nöthig gehalten, als erforderlich war, frühere Schulden zu tilgen und einen der vortrefflichsten Schriftsteller in den Stand zu setzen, die leichtere Zukunft, welche sich ihm endlich eröffnet hatte, froher zu genießen. Während der Ertrag über eine gewisse Summe hinaus für den talentvollen Dramatiker John Poole, der ebenfalls des Beistandes dringend bedurfte, reservirt wurde, beschlossen wir zum Besten Leigh Hunt's zwei Vorstellungen von Ben Jonson's Komödie zu geben, die eine in Manchester, und die andere in Liverpool, und an jedem dieser Orte durch verschiedene Possen für Abwechselung zu sorgen. Außerdem sollte Talfourd einen Prolog schreiben, den Dickens in Manchester vortragen sollte, während eine andere ähnliche Ansprache von Sir Edward Bulwer Lytton in Liverpool mir übertragen wurde. Unter den Künstlern und Schriftstellern, welche an diesem Unternehmen theilnahmen, befanden sich Frank Stone, Augustus Egg, John Leech und George Cruickshank, Douglas Jerrold, Mark Lemon, Dudley Costello und George Henry Lewes, während die Hauptleitung und die oberste Controle in Dickens' Händen lag.

Hervorragende Männer in beiden Städten trugen freigebig zu der Ausführung des Planes bei, und einige Briefe, die mir vor Kurzem durch meinen Freund Alexander Ireland in Manchester mitgetheilt wurden, sind ebenso charakteristisch für Dickens' Energie, als für den Eifer Aller, an die er sich gewandt hatte, nach Kräften zu helfen. In einem jener Briefe erwähnt er seiner Genossen bei dem Unternehmen, und schildert die Truppe als ›die am leichtesten zu regierende Schauspielergesellschaft auf der Erde‹; und ohne Frage war er es, der sie dahin gebracht hatte, obschon keineswegs sehr leicht. Einige seiner Mühen als Theaterdirektor bei den Proben sind in Briefen an mich selbst aufbewahrt, und mögen noch immer zur Belustigung dienen. Er bezieht sich sowohl auf die Komödie als auf die Possen, aber die Possen waren die schlimmste Plage. »Großer Gott! Ich finde, daß A. keine zwölf Worte zu sagen hat und bin in stündlicher Erwartung einer Rebellion.« – »Du hattest recht mit dem grünen Zeug, daß es die Stimmen abdämpfen würde, und einige unserer Schauspieler haben im besten Falle nicht zu viel von diesem Artikel.« – »B. entsetzte mich neulich Abends so durch eine unruhige Bewegung seiner Hände in der ersten Scene, die er mit Dir spielt, daß ich ihn gestern Morgen eine Stunde vornahm, und seine Nerven hoffentlich etwas beruhigte.« – »Ich habe eine verzweifelte Anstrengung gemacht, C. zum Aufgeben seiner Rolle zu bewegen. Aber trotz aller Mühe, die er mir verursacht, thut er mir leid; er leidet so offenbar durch sein eigenes Bewußtsein davon, daß er schlecht spielt. Nichtsdestoweniger hielt er zäh an der Rolle fest und dreimal schleppten wir uns gestern Abend auf klägliche Weise hindurch.« – »Der infernalische E. vergißt Alles.« – »Ich sehe deutlich, daß F., wenn er in Aufregung geräth (und das wird er jedenfalls), sein Gedächtniß verliert. Ueberdies sind seine ›zur Seite‹ gesprochenen Worte unhörbar, selbst in Miß Kelly's Theater, und jedesmal, wenn ich ihm Einhalt thue, damit er sie noch einmal sagt, ruft er mit qualdurchwühltem Gesichte aus: ›er werde am Abend der Aufführung laut sprechen,‹ als thäte Jemand das, wenn er es nicht immer thut.« – »G. hat nicht das geringste Talent und ist, ich fürchte es sehr, von Natur zu eingebildet, um es gut zu machen. Gestern Abend schien er etwas besser, aber ich würde ebenso leicht über ein Störeisen in der Küche lachen, als über ihn.« – »Stelle Dir vor, daß H., zehn Tage nach der Vertheilung der Rollen, F's Rolle für sich fordert, obgleich er selbst schon einen vortrefflichen alten Mann darin spielt und in der andern Posse eine bewunderungswürdige Rolle hat.« – Hiernach wird man sich vorstellen können, daß das Amt meines Freundes keine Sinecure war und daß es ihm, wie den meisten Direktoren von Amateur-Theatern, nicht an den Erfahrungen von Peter Quince fehlte. Und sehr wenige haben sich wohl mit so vollkommenem Erfolg hindurch gearbeitet; denn die Gesellschaft, welche schließlich zu Stande kam, würde jedem Unternehmen Ehre gemacht haben. Sie verdiente die Benennung, die Maclise auf sie anwendete: es waren ›glänzende wandernde Schauspieler‹.

Montag, den 26. Juli, spielten wir in Manchester und Mittwoch, den 28., in Liverpool und die Einnahmen betrugen am ersten Abend £. 440. 12 s. und am zweiten £. 463. 8 s. 6. d. Aber obgleich die verheiratheten Mitglieder der Gesellschaft, die ihre Frauen mitgenommen hatten, diesen Theil ihrer Ausgaben selbst bestritten, und obgleich jeder der Mitspielenden £. 3. 10 s für seine Hotelkosten in die allgemeine Kasse zahlte, waren die unvermeidlichen Ausgaben doch so groß, daß der Reinertrag auf 400 Guineen vermindert wurde; und so anständig dies an sich war, so hatte man doch auf 500 Pfund gerechnet. Dies war daher eine kleine Enttäuschung; und kurz nach unserer Rückkehr und nachdem Dickens wieder nach Broadstairs gegangen war, wurde ich durch einen Brief von ihm überrascht. Am 3. August hatte er geschrieben: »Alles wohl. Die Kinder« (die eben den Keuchhusten gehabt hatten) »viel besser. Die aus dem jüngsten Triumph entspringende Arbeit schlimmer als je.« Dann folgte die überraschende Mittheilung am Tage darauf. Als wäre seine Arbeit nicht schon groß genug, war ihm der Gedanke gekommen, er könnte die vielgewünschten hundert Pfund zu dem Fonds hinzufügen durch ein kleines jeu d'esprit in Form einer mit Illustrationen der dabei betheiligten Künstler veröffentlichten Erzählung unseres Ausfluges; und sein Plan war, dieselbe in dem Charakter von Mrs. Gamp zu schreiben. Es sollte, in der Phraseologie dieser notorischen Frau, ein neuer › Piljeans ProjißMrs. Gamp'sche Corrumpirung von › Pilgrims Progreß‹, dem bekannten Werke John Bunyan's. – D. Uebers. werden, und sollte auf dem Titelblatt beschrieben werden als ein: Bericht über eine jüngst stattgehabte Expedition in den Norden, zu einer Amateur-Benefiz-Vorstellung, geschrieben von Mrs. Gamp (als Augenzeugin), gewidmet an Mrs. Harris, herausgegeben von Charles Dickens und veröffentlicht, mit Illustrationen von So und So, zum Besten des Benefizfonds. »Was meinst Du zu dem folgenden Plane? Der Grundgedanke würde sein, daß Mrs. Gamp, am Vorabend eines Ausfluges nach Margate, wo sie sich von ihren professionellen Anstrengungen zu erholen denkt, von der beabsichtigten Excursion unserer Gesellschaft hört; erfährt, daß mehrere der dabei betheiligten Damen in interessanten Umständen sind und sich entschließt, die Gesellschaft, ohne deren Mitwissen, in einem Waggon zweiter Klasse zu begleiten – ›für den Fall daß‹ –. An der Eisenbahnstation trifft sie einen Herrn aus dem Strand, in carrirtem Anzug, »der mit den Perrücken hingeht« – der bei diesen Veranlassungen beschäftigte Theaterfriseur, ein Mr. Wilson, hatte excentrische Eigenheiten, welche Dickens Anlaß zu unendlicher Belustigung boten – »und seiner Höflichkeit hat Mrs. Gamp für viel Unterstützung und Beistand bei der Excursion zu danken. Sie soll das Ganze auf ihre Weise beschreiben. Bei jeder Aufführung sitzt sie im Orchester neben dem Herrn, der die Pauke spielt. Sie gibt ihre kritische Ansicht über Ben Jonson als Schriftsteller ab und schildert, im Laufe ihrer Beschreibung des Ausfluges, die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft, wobei sie immer eine unbezwingliche Abneigung gegen Jerrold blicken läßt, wegen Caudle's. Sie richtet sich meist an Mrs. Harris, der das Buch gewidmet ist – macht aber auch ihre eignen Abschweifungen. Umfang der Erzählung: ein halber Bogen von Dombey; vielleicht eine Seite oder so mehr, aber nicht weniger.« Ach, sie erreichte nie selbst diesen kleinen Umfang, sondern ging, wie ich gefürchtet hatte, vorzeitig zu Grunde, weil die Künstler es versäumten, ihr die nöthige Nahrung angedeihen zu lassen. Allein konnte sie natürlich nicht bestehen. Ohne angemessene Illustrationen hätte sie ihre Pointe und ihren Witz verlieren müssen. »Mac will eine kleine Guirlande von den Damen für das Titelblatt machen. Egg und Stone wollen selbst Phantasiestücke erfinden und mit Cruickshank und Leech will ich die Sache in Ordnung bringen. Ich zweifle nicht, daß das kleine Ding lustig und anziehend werden wird.« Und das würde es gewiß geworden sein, wären die Thane der Kunst ihm nicht abtrünnig geworden; aber nach ihrem Abfall mußte er es aufgeben, nachdem die ersten paar Seiten geschrieben waren. Dieselben wurden mir damals zur Verfügung gestellt, und obgleich der kleine Scherz jetzt viel von seinem Aroma verloren hat, kann ich es doch nicht über mich gewinnen, ihn hier auszulassen. Es gibt so viele Freunde Mrs. Gamp's, die sich über diesen unerwarteten Besuch von ihr freuen werden!

» I. Mrs. Gamp's Bericht über ihre Verbindung mit dieser Angelegenheit.

»Wobei Mrs. Harris' eigene Worte an mich diese waren: ›Sairey Die aus Martin Chuzzlewit bekannte Corrumpirung von ›Sarah‹. – D. Uebers. Gamp,‹ sagt sie, ›warum nicht nach Margate gehen? Krabben,‹ Die Küste bei Margate ist berühmt wegen ihrer reichlichen Krabbenfischerei. – D. Uebers. sagt das liebe Geschöpf, ›sind, was Ihr gern mögt, Sairey; warum nicht auf eine Woche nach Margate gehen, Eure Constitution mit Krabben herstellen und dann blühend zu den liebenden Herzen zurückkehren, wo Euch kennen und werthschätzen? Sairey,‹ sagt Mrs. Harris, ›Ihr befindet Euch nur schlecht. Läugnet es nicht, Mrs. Gamp; denn Bücher stehen in Euern Blicken. Ihr müßt Ruhe haben. Euer Geist,‹ sagt sie, ›ist zu stark für Euch. Er wirft Euch zu Boden und tritt Euch mit Füßen, Sairey. Es nützt nichts, die Wahrheit zu verbergen – die Klinge nutzt die Scheide ab.‹ – »Mrs. Harris,« sage ich zu ihr, »ich kann nicht sagen, und ich will Euch nicht täuschen, daß ich die Frau bin, die ich sein möchte. Die unruhige Zeit, die ich mit Mrs. Colliber hatte, der Bäckerfrau, die zuerst in ihrem Geist so schlecht war, daß sie eine Flasche Bockbier nicht mal ansehen mochte und den ganzen Monat nichts als Hafersuppe aß, hat mich gealtert, Mrs. Harris. Aber, liebe Frau,« sage ich zu ihr, »redet nicht von Margate, denn wenn ich irgendwohin gehe, so ist es anderswo und nicht da.« – ›Sairey,‹ sagt Mrs. Harris feierlich, ›woher dies Geheimniß? Wenn ich je die fleißigste, nüchternste und beste der Frauen beleidigt habe, deren Name wohlbekannt ist: S. Gamp, Hebamme, Kingsgate Street, High Holborn, so erwähnt es. Wenn nicht,‹ sagt Mrs. Harris, mit Thränen in den Augen, ›enthüllet Eure Absichten.‹ – »Ja, Mrs. Harris,« sage ich, »das will ich. Ich kenne Euch, Mrs. Harris; Ihr kennt mich; wir beide wissen, was unser gegenseitiger Charakter ist. Nun, Mrs. Harris,« sage ich, »ich habe gehört, daß eine Expedition nach Manchester und Liverpool geht, zu schauspielen. Wenn ich irgendwo anders hingehe, so gehe ich mit der.« – Mrs. Harris schlägt die Hände zusammen und fällt in einen Stuhl, als wäre ihre Zeit gekommen – was ich wußte, konnte noch nicht mit rechten Dingen zugehen, denn es fehlten noch mehr als sechs Wochen. ›Und muß ich erleben,‹ sagt sie, ›daß ich von Sairey Gamp höre, die sich immer respektabel gehalten hat, in Gesellschaft mit Schauspielern?‹ – »Mrs. Harris,« sage ich zu ihr, »erschreckt nicht – nicht ordentliche Schauspieler – Hammerteurs.« Amateurs. – ›Gott sei Dank!‹ sagt Mrs. Harris und bricht in einen Thränenstrom aus.

»Als das süße Geschöpf sich gesammelt hatte (was ein Schluck Brandy mit warmem Wasser und angenehmem Zucker, und etwas Muskatnuß dazu, that), fahre ich mit diesen Worten fort. »Mrs. Harris, ich höre, diese Hammerteurs sind litererrisch und künstlerisch.« – ›Sairey,‹ sagte diese beste der Frauen mit einem Schauder und kleinen Rückfall, ›fahre fort, es könnte schlimmer sein.‹ – »Ich höre ebenfalls,« sage ich zu ihr, »sie wollen zum Besten von zwei litererrischen Männern schauspielen; einen, dem lange Unrecht geschehen ist und der endlich sein Recht bekommen hat, und einen, der zu seiner Zeit Viele lustig gemacht hat, aber selbst traurig und krank und einsam ist.« – ›Sairey,‹ sagt Mrs. Harris, ›Ihr seid eine Engländerin und das geht Euch nichts an.‹

»»Nein, Mrs. Harris,« sage ich, »das ist ganz wahr; ich hoffe, ich kenne meine Pflicht und mein Vaterland. Aber,« sage ich, »wie ich höre, sind Damen bei dieser Gesellschaft, und ein halbes Dutzend von diesen, wenn nicht mehr, findet sich in verschiedenen Stadien eines interessanten Zustandes. Mrs. Harris, Ihr und ich wissen wohl, was Lokomotiven oft thun. Wenn ich diese Expedition unbekannt und zweiter Klasse begleite, kann ich nicht meinen Beruf mit Luftveränderung verbinden, und mich meinen Mitgeschöpfen hülfreich erweisen?« ›Sairey,‹ war Mrs. Harris Antwort, ›Ihr wurdet dazu geboren, ein Segen für Euer Geschlecht zu sein und sie hindurchzubringen. Alle guten Wünsche für Euch! Aber haltet Euch in einer angemessenen Entfernung, bis Ihr gerufen werdet, Gott segne Euch, Mrs. Gamp; denn man kennt die Leute an der Gesellschaft, worin sie sind, und literrerische und künstlerische Gesellschaft könnte Euren Ruf verderben, ehe Ihr es wüßtet, bei Euern besten Kunden, Kranken und Wöchnerinnen, wenn sie was auf sich halten.‹«

» II. Mrs. Gamp beschreibt ihre Reise.

»Die Nummer des Cabs hatte eine sieben, wie ich glaube, und eine Null ganz gewiß – und sollte er dies zu lesen bekommen (es war ein schwarzes, neu angefrischtes Auge, womit er sah; das andere war verbunden), so warne ich ihn hiermit, daß er den Regenschirm und den Holzschuh lieber nach dem Cab-Bureau trägt, ehe er es bereut. Er war ein junger Mann mit einer Weste, mit Aermeln dazu und Bändern hinten, und braucht sich nicht mit dem Glauben zu schmeicheln, daß er davon kommt, da ich der Polizei diese Beschreibung von ihm in demselben Augenblicke machte, als ich fand, er war mit meinem Eigenthum weggefahren; und wenn er denkt, es gibt nicht Gesetze genug, so irrt er sich – das sage ich ihm.

»Ich versichere Euch, Mrs. Harris, als ich an dem Morgen in der Eisenbahnstation stand, mit meinem Bündel auf dem Arm und einem Holzschuh in der Hand, hättet Ihr mich mit einer Feder zu Boden stoßen können, weit mehr die Schweinehändler, die gegen mich stießen, fortwährend und heftig ringsum. Ich wurde herumgestoßen, wie ein unvernünftiges Thier und fiel beinahe in Krämpfe, als ein Herr mit einem großen Hemdkragen und einer krummen Nase und einem Auge, wie einer von Mr. Sweedlepipes' Habichten, und langen Haarlocken und mit einem Bart, von dem ich nicht möchte, daß eine Dame, bei der ich bestellt bin, ihm begegnete, wenn er plötzlich um die Ecke kommt, um keinen Preis, den Jemand mir bieten könnte, – lachend sagt: ›Holla, Mrs. Gamp, was haben Sie vor!‹ Ich wußte nicht, ob es ein Mann war (außer an seinen Kleidern); aber ich sage mit matter Stimme: Wenn Ihr ein Christenmensch seid, zeigt mir, wo ich ein Billet zweiter Klasse nach Manchester bekommen kann und laßt mich in einen Wagen bringen, oder ich werde hinfallen. Was er freundlich that, mit einer vergnügten Art, wobei er herumhüpfte auf die sonderbarste Weise, die mir je vorgekommen ist, und alle möglichen Bewegungen machte und mich unter dem Rande seines Hutes her (der sehr weit zurückgekrämpt war) ansah und mir zuwinkte, in solchem Grade, daß ich gedacht hätte, er meinte was, wäre ich nicht in solcher Aufregung gewesen, daß ich gar keine Gedanken hatte, bis ich in ein Waggon gesetzt wurde, zusammen mit einem Individen – dem höflichsten das ich je sah – in einem carrirten Anzuge, mit einer großen goldenen Uhrkette, die ihm um den Hals hing, und seine Hand zitterte vor Aufregung, schlimmer als ein Espienblatt.

»›Es freut mich sehr, Madame,‹ sagt er – die höflichste Stimme, die ich je hörte – ›mit einer Dame zu reisen, die zu unserer Gesellschaft gehört!‹

»Unsere Gesellschaft, Sir! sagte ich.

»›Ja, Madame,‹ sagt er, ›ich bin Mr. Wilson. Ich fahre mit den Perrücken hin.‹

»Mrs. Harris, als er sagte, er führe mit den Perrücken hin, war mein Zustand von Verwirrung und Unruhe so groß, daß ich dachte, er müßte irgendwie mit der Regierung in Zusammenhang stehen, aber in demselben Augenblick erklärt er sich, denn er sagt:

»›Es gibt in London kein der Rede werthes Theater, bei dem ich nicht pünktlich aufwarte. Da sind fünfundzwanzig Perrücken in diesen Kästen, Madame,‹ sagt er und zeigt auf einen Haufen Gepäck, ›die bei dem Maskenball der Königin getragen wurden. Da ist eine schwarze Perrücke, Madame,‹ sagt er, ›die Garrick getragen hat; da ist eine rothe, Madame,‹ sagt er, ›die Kean getragen hat; da ist eine gelbe, Madame,‹ sagt er, ›die für Cook gemacht wurde; da ist eine graue, Madame,‹ sagt er, ›für die ich selbst bei Mr. Young Maß nahm und da ist eine weiße, Madame, worin Macready verrückt wurde. Da ist eine flächserne, die ganz besonders für Jenny Lind zurecht gemacht wurde, den Abend, als sie zuerst in der italienischen Oper auftrat. Sie wurde tüchtig applaudirt, diese Perrücke, Madame, den ganzen Abend. Sie hatte einen großen Empfang. Das Publikum brach aus, sowie es sie sah.‹

»Sind Sie in Mr. Sweedlepipe's Linie, Sir? sage ich.

»›Was ist das Madame?‹ sagt er – die sanfteste, gentilste Stimme, die ich je gehört habe, wahrhaftig Mrs. Harris!

»Friseur, sage ich.

»›Ja, Madame,‹ antwortet er. ›Ich habe die Ehre. Sehen Sie dies Madame?‹ sagt er, seine rechte Hand in die Höhe haltend.

»Ich habe nie solch ein Zittern gesehen, sage ich zu ihm. Und wirklich habe ich es nie.

»›Alles von dem Maskenball Ihrer Majestät, Madame,‹ sagt er. ›Die Aufregung hat es gethan. Zweihundertundsiebenundfünfzig Damen, vom ersten Rang und Mode, ließen sich bei dieser Gelegenheit ihre Köpfe von dieser Hand und von meiner andern zurecht machen. Ich hatte achtundvierzig Stunden daran zu thun, Madame, immer auf den Füßen, ohne Ruhe. Es war ein Puder-Ball, Madame. Wir haben ein Puder-Stück in Liverpool. Habe ich nicht das Vergnügen,‹ sagt er, indem er mich neugierig ansieht, ›mit Mrs. Gamp zu sprechen?‹

»Gamp bin ich, Sir, antwortete ich. Von Namen und von Natur.

»›Möchten Sie den Schnurrbart und den Backenbart Ihres Bieograffen sehen, Madame?‹ sagt er. ›Ich habe sie in diesem Kasten.‹

»Zum Henker mit meinem Bieograffen, Sir! sage ich; er hat mir keinen Grund gegeben, daß ich wünschen sollte, was von ihm zu wissen.

»›O, Missus Gamp, ich bitte um Verzeihung,‹ – nie hab' ich einen so höflichen Mann gesehen, Mrs. Harris! ›Vielleicht,‹ sagt er, ›wenn Sie nicht zu der Gesellschaft gehören, wissen Sie nicht, wer es war, der Ihnen in diesen Waggon half!‹

»Nein, Sir, sage ich, das weiß ich nicht.

»›Nun, Madame,‹ sagt er flüsternd, ›das war George, Madame.‹

»Welcher George, Sir? Ich kenne keinen George, sage ich.

»›Der große George, Madame,‹ sagt er. ›Der Cruickshank.‹

»Wenn Ihr mir glauben wollt, Mrs. Harris, ich wende den Kopf und sehe ganz denselben Mann Bilder von mir machen, auf seinem Daumnagel, am Fenster; während ein anderer – ein großer, schlanker, melancholischer Herr, mit dunkelm Haar und einer Baßstimme – über seine Schulter sieht, den Kopf auf eine Seite gelehnt, als verstände er die Sache und ganz ruhig sagt: ›Ich habe sie mehrere Mal gezeichnet – in Punch,‹ sagt er noch dazu! Der unverschämte Mensch! Die hier geschilderte Persönlichkeit ist John Leech, einer der ausgezeichnetsten Illustratoren des Witzblattes Punch. – D. Uebers.

»Den ich nie anrühre, Mr. Wilson, bemerke ich ganz laut – ich hätte es nicht lassen können, Mrs. Harris, hätte es mein Leben gekostet! – den ich nie anrühre, Mr. Wilson, von wegen der Citrone.

»›Still!‹ sagt Mr. Wilson, ›da ist er.‹

»Ich sehe nur einen fetten Herrn, mit lockigem schwarzen Haar und einem vergnügten Gesicht, der auf der Platform steht und seine beiden Hände übereinander reibt, als wüsche er sie, und Kopf und Schultern sehr schüttelt. Die charakteristische Verwechselung des Witzblattes und des Getränkes und die Hindeutung auf die beim ›Punch‹ gebrauchte Citrone, hat Bezug auf den vieljährigen Hauptredakteur des Punch, Mark Lemon (zu deutsch Citrone) den oben erwähnten ›fetten Herrn‹. – D. Uebers. Und ich war sehr neugierig, was Mr. Wilson meinte, als er sagte: ›Da ist Dougladge, ›Dougladge‹ ist Mrs. Gamp'sche Corrumpirung für ›Douglas‹ Jerrold. Die wiederholten Anspielungen auf ›Mrs. Caudle‹ beziehen sich auf eins der bekanntesten und vielgelesensten humoristischen Werke Jerrold's: › Mrs. Caudle's curtain Lectures‹. – D. Uebers. Mrs. Gamp!‹ sagte er. ›Das ist der, der Mrs. Caudle's Leben geschrieben hat!‹

»Mrs. Harris, als ich diesen kleinen Bösewicht körperlich vor mir sehe, versetzt es mich in solche Aufregung, daß ich über und über zitterte. Hätte ich meinen Regenschirm nicht in dem Cab verloren, ich hätte ihm ein Leid damit anthun müssen. O, der ausverschämte kleine Verräther, mitten unter den Damen, Mrs. Harris, mit seinem bösesten und betrügerischsten Ausdruck in den Augen, während er mit ihnen sprach, und über seine eigenen Witze so laut lachte, als es Euch beliebt; den Hut in der einen Hand, um sich zu kühlen und mit der andern seinen eisengrauen Scheuerlappen von Haupthaar zurückstreichend, als wären es ebenso viele Hobelspäne – da, Mrs. Harris, sehe ich ihn, wie die hübschen betrogenen Geschöpfe ihm schmeicheln, die nie jene sanfte Heilige, Mrs. Caudle, kannten wie ich sie kannte, und wie sie ihn mit so viel Vertrauen behandeln, als hätte er nie keine häuslichen Bande verletzt und nie Nichts dem Spotte preisgegeben. O! der Aerger über diesen Dougladge! Mrs. Harris, hätte ich nicht Mr. Wilson um Verzeihung gebeten und eine kleine Flasche an die Lippen gesetzt, die für die Reise in meiner Tasche war und die ich sonst sehr selten bei mir habe, ich hätte seinen Anblick nicht ertragen können – nein, Mrs. Harris, ich hätte nicht – ich hätte ihn zerreißen müssen, oder die Besinnung verloren haben und ohnmächtig geworden sein.

»Während die Glocke geschellt und das Gepäck der Hammerteurs in großer Verwirrung hereingebracht wurde, benimmt Mr. Wilson sich höflicher als je. ›Das,‹ sagt er, ›Mrs. Gamp,‹ indem er auf einen wie 'n Offizier aussehenden Herrn deutet, den eine Dame mit einem kleinen Korbe unter ihrer Obhut hatte, ›ist ein Anderer von unserer Gesellschaft. Er ist auch ein Autor, Dudley Costello. – geht beständig das Thal der Musen hinauf, Mrs. Gamp. Da,‹ sagt er, auf einen schön aussehenden stattlichen Herrn anspielend, mit einem Gesicht, wie ein liebenswürdiger Vollmond, Frank Stone. und auf einen kleinen milden Herrn mit einem angenehmen Lächeln, Augustus Egg. ›da sind noch zwei von unsern Künstlern, wohlbekannt in der Königlichen Akademie, so gewiß Steine Steine und Eier Eier sind. Dieser entschlossene Herr,‹ sagt er, ›der herankommt, als wollte er die Eisenbahnen mit Sturm nehmen – der mit den strammen Beinen und die Weste fest zugeknöpft und mit offen fliegendem Rock und der der Platform seine Hacken zu fühlen gibt, ist ein Kritiker und Bieograff und unser Haupttragiker.‹ John Forster. Aber wer, sage ich, als die Glocke aufgehört hat zu schellen und der Zug angefangen hat zu gehen, wer, Mr. Wilson, ist der wilde Herr in der Perspiration, der diese ganze Zeit mit einem großen Kasten voll Papiere unter dem Arm auf und ab gerannt ist und mit Jedermann sehr undeutlich gesprochen hat und sich so furchtbar aufregt? Charles Dickens. – ›Warum?‹ sagt Mr. Wilson, mit einem Lächeln. Weil, Sir, sage ich, weil er nicht mehr mitkommt. ›Guter Gott!‹ schreit Mr. Wilson und wird blaß und steckt den Kopf aus dem Fenster, ›das ist Ihr Bieograff – der Direktor – und er hat das Geld, Mrs. Gamp!‹ Aber irgendwie schob Jemand ihn doch in den Zug und wir fuhren ab. Beim ersten Schrei der Dampfpfeife, Mrs. Harris, wurde ich weiß, denn ich hatte mir einige der lieben Geschöpfe angesehen, was die Ursache war, daß ich bei der Gesellschaft war, und ich kannte die Gefahr, die – aber Mr. Wilson, was ein verheiratheter Mann ist, legt seine Hand in meine und sagt: ›Mrs. Gamp, beruhigen Sie sich, es ist bloß die Lokomotive.‹«

 

Von denjenigen Mitgliedern der Gesellschaft, mit welchen er sich diese humoristischen Freiheiten nahm, sind jetzt nur noch zwei am Leben, die sich über ihren freundschaftlichen Carrikaturisten beklagen könnten, und Cruickshank wird ihm wohl, ebenso wie ich selbst, eine freimüthige Verzeihung gewähren, eine Verzeihung, die nicht minder herzlich sein wird wegen der freundlichen Worte über ihn, welche mich, nicht viele Tage nach Mrs. Gamp, aus Broadstairs erreichten. »In Canterbury kaufte ich gestern George Cruickshank's › Flasche‹. Ich halte dies Werk für sehr bedeutend; die zwei letzten Radirungen sind bewunderungswürdig, ausgenommen, daß der Knabe und das Mädchen in dem allerletzten zu jung sind und das Mädchen mehr wie ein Circus-Phänomen aussieht, als wie das Nicht-Phänomen, welches sie darstellen soll. Ich bezweifle jedoch, ob irgend ein anderer lebender Künstler es so gut gemacht haben könnte. In dem vorletzten Bilde ist eine Frau, die, mit einem Kinde im Arme, über den Mord schwatzt, so gut als Hogarth. Auch der Mann, der sich bückt und die Leiche betrachtet. Die Philosophie des Werkes, als eine große Lehre, halte ich für ganz falsch, weil bei einer schlagenden und originellen Behandlung das Trinken im Schmerz, oder in Armuth, oder in Unwissenheit hätte anfangen müssen – den drei Dingen, mit denen es, sofern es etwas Furchtbares ist, thatsächlich beginnt. Der Plan würde dann ein zweischneidiges Schwert gewesen sein – aber vermuthlich zu ›radikal‹ für den guten alten George.«

Derselbe Brief erwähnte andere Gegenstände von Interesse. Dickens' Einnahme für das erste halbe Jahr von Dombey übertraf seine Erwartungen von den mit seinen Verlegern getroffenen neuen Anordnungen so weit, daß von dieser Zeit an alle seine Geldverlegenheiten aufhörten. Sein künftiges Einkommen war natürlich verschieden, je nach der Verschiedenheit des Verkaufs seiner Bücher; aber es reichte immer aus und Ersparnisse sollten jetzt beginnen. »Der Reinertrag des halben Jahres ist glänzend. Nach Abzug der monatlich sechsmal gezahlten hundert Pfund, habe ich noch zweitausend zweihundert und zwanzig Pfund einzukassiren, was mir ganz nett scheint. Dir nicht auch? . . . Stone ist noch hier und ich habe ihn vorgestern lahm gemacht, indem ich einen Spaziergang von sieben Stunden mit ihm machte; übrigens aber florirt er . . . Warum bringst Du nicht einen Reisesack voll Bücher hierher und nimmst den ganzen Morgen vom Drawing-Room Besitz? Meine Meinung ist, daß Goldsmith am Meeresufer leichter sterben würde. Charley und Walley sind heute Morgen in bester Stimmung in die Schule geschickt, und werden bei London Bridge die Umarmung Blimber's empfangen. Die Regierung steht im Begriff, eine Gesundheitskommission zu ernennen und es freut mich sehr, Dir sagen zu können, daß Lord John Russell Henry Austin zum Sekretär derselben ernannt hat.« Austin, der auch später nach der Einführung der Gesundheitsakte dasselbe Amt bekleidete, hatte Dickens' jüngste Schwester Lätitia geheirathet; und ich will hier hinzufügen, daß einer von seinen beiden jüngsten Brüdern, Alfred, Gesundheits-Inspektor wurde, während der andere, Augustus, damals durch Thomas Chapman in ein Geschäft in der City kam, das er bald darauf aufgab, um dann seinen Weg nach Amerika zu finden.

Der nächste Brief aus Broadstairs (vom 5. September) beschäftigte sich wieder mit Goldsmith, dessen Lebensbeschreibung ich damals zum Abschluß brachte. »Gesetzt, daß Dein Goldsmith einen allgemeinen Eindruck hervorbrächte, was denkst Du über die Veranstaltung einer billigen Ausgabe seiner Werke? Meiner Meinung nach könnten wir einige derartige Unternehmungen mit beträchtlichem Effekt ausführen. Es gibt in Wahrheit keine Ausgabe der großen britischen Novellisten in bequemer netter Form; und würde es nicht zweckmäßig sein, eine solche zu veranstalten, mit gewissen anziehenden Eigenthümlichkeiten, die ihr von den gewöhnlichen Buchhändlern nicht verliehen werden können? Angenommen, Einer schriebe zum Beispiel einen Essay über Fielding und ein Anderer einen Essay über Smollet und noch ein Anderer einen über Sterne, wobei man sich erinnerte, wie man sie als Kind gelesen (Niemand hat sie, glaube ich, jünger gelesen als ich) und wie man sich allmälig zu einer verschiedenen Bekanntschaft mit ihnen entwickelt habe, und so fort – würde das nicht für viele Leute von Interesse sein? Ich möchte wissen, was Du hierüber denkst. Es ist einer der dunkeln Pläne, die in mir auf und ab wogen . . . Der wahrhaftig wackere Reinertrag (von Dombey) beläuft sich auf vierhundert Pfd. St. mehr als das höchste, was ich erwartete . . . Ich habe ganz dieselben Empfindungen gehabt in Bezug aus die Praslin'sche Geschichte. Es ist mir unzweifelhaft klar, daß die Herzogin eine der unbequemsten Frauen in der Welt war, und daß es für Jeden schwer gewesen sein würde, sich mit ihr zu vertragen. Es macht einen seltsamen Eindruck, in dem ganzen Melodrama einen blutigen Reflex unserer Freunde Eugène Sue und Dumas zu erkennen. Findest Du das nicht auch – wenn Du Dich an das erinnerst, was wir oft von dem Krebsschaden sagten, woran dies ganze Pariser Leben bis an die Wurzel leidet? Ich hatte die ganze letzte Nacht wilde Träume von Dir . . . Es ist hier ein Seenebel, der mich verhindert, den niedrigen Wasserstand zu sehen. Auf der Klippe zur Rechten ist ein Circus und natürlich habe ich für heute Abend eine Loge! Tiefe Langsamkeit in dem Gehirn des Unnachahmlichen. Vorigen Sonntag ein Schiffbruch an der Goodwin's-Sandbank, den Wally mit seinem Habichtsauge klar erkannte, eine Behauptung, welche später bestätigt und bewiesen, für die er aber zur Zeit schrecklich mißhandelt wurde.«

Inzwischen hatte der Miether das Haus in Devonshire-Terrace verlassen und als Dickens froh in die Stadt kam, um wieder davon Besitz zu nehmen, brachte er zur Vollendung in seiner alten Heimath ein wichtiges Kapitel von Dombey mit. Unterwegs verlor er seinen Reisesack, aber »Gott sei Dank! war das Manuscript des Kapitels nicht darin. So oft ich reise und etwas von dieser werthvollen Waare bei mir führe, trage ich es immer in der Tasche.« Er hatte um diese Zeit angefangen bei dem Schreiben in Broadstairs Schwierigkeiten zu spüren, von denen er mir bei seiner Rückkehr erzählte. »Straßenmusik steigt hier zu einer solchen Höhe und es ist so unmöglich, ihr zu entrinnen, daß ich fürchte, Broadstairs und ich müssen uns für die Zukunft von einander trennen. Wenn der Regen nicht hinuntergießt, kann ich nicht eine halbe Stunde schreiben, ohne die quälendsten Orgeln, Violinen, Glocken oder Bänkelsänger. Eben jetzt ist eine Violine von der folterndsten Sorte unter dem Fenster (Zeit: zehn Uhr Morgens) und ein italienischer Musikkasten auf der Treppe – beide in vollem Schwunge.« Er schloß mit einer Erwähnung der Verbesserungen, welche seit seinem letzten denkwürdigen Besuch in dem Theater in Margate stattgefunden hatten. Während der letzten zwei Jahre hatte es unter der Direktion eines Sohnes des großen Komikers Dowton gestanden, mit dessen Namen ich diese Bemerkungen gern verknüpfe. »Wir gingen am Mittwoch (10. September) in die Benefizvorstellung des Direktors – Shakespeare's › Wie Ihr wollt‹, wirklich vortrefflich gespielt und in einem vortrefflichen Hause. Dowton hielt bei dieser Gelegenheit eine verständige und bescheidene Rede, worin er seine Ueberzeugung aussprach, daß ein Mittel der Belehrung und der Unterhaltung, welches eine solche Literatur besitze wie die englische Bühne, nicht verschwinden könne; und daß Dasjenige, was vor zweitausend Jahren und dann wieder zu Shakespeare's Zeit große Geister begeistert und große Menschen erfreut habe, ein Lebensprinzip in sich tragen müsse, das über die Laune und die Mode des Augenblicks hinausliege. Und damit und unter Cheers trat er ab. Er scheint wirklich ein sehr anständiger Mensch und hat dies Kehrichtfaß von einem Theater zu einem einigermaßen respektabeln Aussehen gebracht.«

Dickens wollte am Ende des Monats nach London kommen; aber inzwischen erhielt ich von ihm seine Vorrede zu seinem ersten vollständigen Werke in der Volksausgabe (› Pickwick‹ wurde damals, mit einer Illustration von Leslie, in dieser Gestalt veröffentlicht); und als er mir kurz darauf (12. September) die ersten Blätter der Erzählung › Der Besessene‹ ( The Haunted Man) schickte, welche sein nächstes Weihnachtsbuch bilden sollte, bemerkte er, er müsse es in weniger als einem Monat beenden, wenn er es überhaupt schreiben wolle, weil die Arbeit an Dombey jetzt sehr dringend geworden sei. Dies bereitete mich auf einen Brief vor, den ich eine Woche später erhielt. »Bin den ganzen Tag an der Arbeit gewesen und daher abgespannt. Dombey erfordert so viele Zeit und Sorgfalt, daß ich wirklich zu zweifeln anfange, ob es weise sein wird, mit dem Weihnachtsbuch weiter fortzufahren. Dein freundlicher Beistand wird hiermit angerufen. Was denkst Du darüber? Würde es irgend eine entschieden schlechte Folge haben, wenn ich diesen Gedanken für zwölf Monate ruhen ließe? bis zum November gar nichts sagte und dann in Dombey ankündigte, daß die Arbeit daran meine ganze Zeit in Anspruch nehme, und so die Fortsetzung der Weihnachtsbücher bis zum nächsten Jahre verhindere, wo ich die Absicht habe, dieselbe wieder aufzunehmen? Darin kann wohl kaum etwas anderes liegen, als die Möglichkeit eines Extra-Interesses für das kleine Buch, wenn es erschiene – meinst Du nicht auch? Auf der andern Seite ist es mir sehr unangenehm, das Geld zu verlieren. Und mehr noch, eine Lücke an Weihnachtsherden zu lassen, die ich ausfüllen sollte. Kurz, ich bin in der größten Verlegenheit, was zu thun. Hätte ich keinen Dombey, so könnte ich die Geschichte mit dem Blüthenstaube darauf fertig schreiben – aber ›da liegt der Knoten‹ . . . Welches unbekannte Shakespeare'sche Citat mich an eine Shakespeare'sche Speculation von mir erinnert. Glaubst Du nicht auch, daß das » Waffen ergreifen gegen eine See von Leiden« ursprünglich geschrieben war » Arme machen«, was die Aktion des Schwimmens ausdrückt? Die englischen Worte des Verses aus Hamlet's berühmtem Monologe sind: to take up arms against a sea of troubles; die von Dickens vorgeschlagene Emendation to make arms. – D. Uebers. Man würde dadurch eine entsetzliche Unangemessenheit in dem Bilde los, das auf diese Weise klar und passend wird. Ich denke daran, auf Grund dieser Hypothese einen Anspruch auf zinsfreie Wohnung in dem Hause in Stratford zu erheben. Du mußt nicht glauben, daß ich heute irgend etwas anderes bin als verwirrt, in der Aufregung meiner Seele in Bezug auf Weihnachten. Aber ich habe während dieser beiden Tage, gerade wie Dombey, selbst so lange über Dombey gebrütet, daß ich wirklich nicht mehr in der Lage bin, niedergeschlagen sein zu dürfen.« Auf seine Shakespeare'sche Hypothese erwiderte ich, daß dieselbe ihn schwerlich zu dem Anspruch berechtigen werde, den er zu erheben dachte; denn durch die Leiden hindurch schwimmen, würde kein ›Widerstand‹ Anspielung auf den in dem folgenden Verse gebrauchten Ausdruck: and by opposing, end them. – D. Uebers. gegen dieselben sein. Und in Bezug auf den andern Punkt hatte ich keinen Zweifel über die Weisheit des Aufschubs. Die Folge davon war, daß die Weihnachtsgeschichte bis zum nächsten Jahre bei Seite gelegt wurde.

Die Schlußbegebenheiten dieses Jahres waren sein Vorsitz bei der Versammlung des Arbeiterbildungsvereins am 1. Dezember und seine Eröffnung des ›Athenäums‹ in Glasgow am 28.; wo er vor sehr zahlreichen Zuhörerschaften die Hartnäckigkeit und Grausamkeit der Macht der Unwissenheit mit der Gelehrigkeit und Milde der Macht der Erkenntniß verglich, auf den Nutzen volksthümlicher Institute hinwies, welche das, was man zuerst im Leben lernt, durch die spätere Erziehung für seine Arbeit und die Ausrüstung für seine häuslichen Pflichten und Tugenden ergänzen, deren die Erwachsenen von Tage zu Tage eben so sehr bedürfen, als die Kinder ihres Lesens und Schreibens; und er schloß in Glasgow mit einer Anspielung auf einen durch die Damen der Stadt unter dem Patronat der Königin eröffneten Bazar, dessen Ertrag für die Erweiterung der Bibliothek des ›Athenäums‹ bestimmt war. »Wir werden der Freundschaften, die wir mit Büchern schließen, nie müde,« sagte er, »und hier wird ihr Reiz erhöht durch die Ideenverbindung mit ihren Geberinnen. Eine benachbarte Glasgower Wittwe wird für jene entferntere Wittwe gehalten werden, welche Sir Roger de Coverley nicht vergessen konnte; ein anderer als Tom Jones wird Sophien's Muff sehen und lieben, wenn er an einem Wintertage die Hochstraße hinabwandert; und die dankbaren Leser einer auf solche Weise angefüllten Bibliothek werden in Bezug auf die Schönen, welche geholfen haben sie zu füllen, geneigt sein, sie in ihren Gedanken in Verbindung zu setzen mit den ›Grundsätzen der Bevölkerung‹ und ›Zusätzen zu der Geschichte Europa's‹, von einem Autor von älterem Datum als Scheriff Alison.« Sir Archibald Alison, der bekannte Verfasser der History of Europe from the commencement of the French Revolution, war Scheriff von Lanarkshire. – D. Uebers. Worüber Niemand herzlicher lachte als der Scheriff selbst, der Dickens auf's freundlichste als Gast aufgenommen hatte und mit ihm auf der Platform stand.

An dem vorletzten Tage des alten Jahres schrieb er mir aus Edinburgh. »Wir kamen heute Nachmittag hier an, nachdem wir Glasgow um ein Uhr verlassen hatten. Alison lebt stattlich in einem schönen Landhause außerhalb Glasgow's und ist ein vortrefflicher Mensch, mit einer angenehmen Frau, einer hübschen kleinen Tochter, einer heitern Nichte – Alles in seinem Haushalt angenehm. Ich besuchte gestern mit ihm das Gefängniß und das Irrenhaus; nahm bei dem Lord Provost mit dem Stadtrathe ein prächtiges Gabelfrühstück ein und war Abends bei einem großen Dîner der gefeierte Gast. Unbegrenzte Gastfreiheit und Begeisterung ist die Tagesordnung und man hat mich nie irgendwo herzlicher aufgenommen, noch hat es mir je irgendwo von Grund aus besser gefallen als hier. Der große Chemiker Gregory, der bei dem Meeting eine Rede hielt, kehrte heute mit uns nach Edinburgh zurück und gab mir unterwegs viele neue Aufschlüsse über die außerordentliche Mühe, welche Macaulay sich Jahre lang gegeben zu haben scheint, sich hier unangenehm und unbeliebt zu machen. Keiner der liberalen Candidaten würde hier sonst im entferntesten Gefahr gelaufen sein, bei den letzten Parlamentswahlen seinen Sitz zu verlieren; und obgleich Gregory für Macaulay gestimmt hatte, kam es mir doch vor, als ob es ihm ebenso angenehm sei, daß er nicht wieder gewählt ist . . . Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß das Scott-Denkmal mißlungen ist. Es sieht aus, als hätte man den Thurm von einer gothischen Kirche abgenommen und ihn in die Erde gesteckt.« Am ersten Tage des Jahres 1848 schrieb er wieder aus Edinburgh: »Jeffrey, der gezwungen ist während der Gerichtsferien eine Art Morgensitzung in seinem Studirzimmer zu halten, kam gestern in großer Bestürzung zu mir, um mir zu sagen, es sei eben Jemand bei ihm gewesen, um eine Bankerottserklärung zu machen und zu unterzeichnen; und als er nach der Unterschrift gesehen, habe er gefunden, daß es James Sheridan Knowles sei. Er ließ ihn sogleich zurückrufen und sprach mit ihm, und von dem, was zwischen Beiden vorging, verlangt mich sehr mit Dir zu reden.« Diese Unterredung wird uns zu dem Hauptgegenstand dieses Kapitels zurückbringen, von dem eine andere Art von ›Umherschweifen‹ mich abgelenkt hat; denn ihr Resultat waren neue Amateur-Aufführungen, deren Zweck es war, Knowles zu helfen.

Es war dies das Jahr, in welchem ein Comité sich gebildet hatte für den Ankauf und die Erhaltung von Shakespeare's Haus in Stratford, und die in Rede stehenden Aufführungen nahmen die Form von Beiträgen zu der Stiftung einer Curatorstelle an, welche dem Verfasser des ›Virginius‹ und des ›Hunchback‹ Sheridan Knowles. – D. Uebers. übertragen werden sollte. Der Gedanke an diese Stiftung wurde aufgegeben, als die Stadt und der Stadtrath von Stratford schließlich (und ganz angemessener Weise) das Haus unter ihre Obhut nahmen; aber die erzielte Geldsumme wurde ihrem ursprünglichen Zweck nicht entfremdet, und einem der ausgezeichnetsten Dramatiker wurde dadurch ein noch größerer Nutzen gewährleistet, als Leigh Hunt durch jenes frühere Unternehmen. Ich muß hier auch daran erinnern, daß Knowles bald nachher durch Lord John Russell dieselbe liberale Pension erhielt wie Leigh Hunt vor ihm, und daß auch die geringeren Ansprüche Mr. Poole's nicht vergessen wurden, der durch denselben Minister und Freund der Literatur eine Pension von 100 Pfund Sterl. aus der Civilliste erhielt.

Dickens warf sich mit seiner ganzen alten Energie in das neue Unternehmen, und es mag hier die Schwierigkeit erwähnt werden, welche die Auswahl eines passenden Stücks uns verursachte, das mit unserm alten Ben Jonson abwechseln sollte. Wir versuchten den › Beggar's Bush‹ von Beaumont und Fletcher, den › Goodnatured Man‹ von Goldsmith, Jerrold's charakteristisches Drama › The Rent Day‹ und Bulwer's meisterhaftes Lustspiel › Money‹. Die Wahl fiel endlich auf Shakespeare's ›Lustige Weiber von Windsor‹, in denen Lemon den Falstaff spielte, ich wieder, wie in Jonson's Stück, den eifersüchtigen Ehemann machte und Dickens den Richter Shallow darstellte. Hinzugefügt wurde die Farce Love, Law and Physick, worin Dickens die Rolle übernahm, die er schon einmal, lange vorher, vor seinen Schriftstellertagen, gespielt hatte. Ueberdies hatten wir außer den Schauspielerinnen von Profession, welche zu diesem Zweck herangezogen wurden, als Dame Quickly die Dame, welcher die Welt das bei Weitem beste Concordanzbuch zu Shakespeare verdankt, das je veröffentlicht worden ist: Mrs. Cowden Clarke. Der Erfolg war ohne Frage sehr groß. In Manchester, Liverpool und Edinburgh wurden einzelne Aufführungen veranstaltet; aber Birmingham und Glasgow hatten je zwei Abende, und zwei Vorstellungen wurden in dem Haymarket-Theater in London gegeben; bei deren einer die Königin und Prinz Albert zugegen waren. Der Brutto-Ertrag der neun Vorstellungen, ehe die nothwendigen beträchtlichen Abzüge für London und andere lokale Ausgaben gemacht waren, belief sich auf 2551 Pfd. St. und acht Pence. Die erste Darstellung fand in London am 15. April statt, die letzte in Glasgow am 20. Juli und überall war Dickens die Hauptfigur. In dem Genuß wie in der Arbeit war er der erste. Seine unermüdliche und Alles beherrschende Lebensfrische bildeten die Anziehungskraft, Morgens bei den Proben und Abends auf der Bühne. Bei dem ruhigen frühen Dîner und bei dem lustigeren zwangloseren Souper, wo die ganze Gesellschaft sich täglich versammelte, war sein Gesicht das hellste, sein Schritt der leichteste, sein Wort das heiterste. Seine wunderbare Lebenskraft schien keiner Ruhe zu bedürfen.

Meine Anspielung auf das letzte Unternehmen dieses glänzenden wandernden Schauspielerlebens zum Besten dessen, was wir für die Interessen des Schriftstellerstandes hielten, soll so kurz als möglich sein. Zwei Winter nach dem eben erwähnten, zu Ende November 1850, fanden in der großen Halle von Lord Lytton's altem Familiensitz, Knebworth-Park, drei Privataufführungen der ursprünglichen Darsteller von Ben Jonson's Every Man in His Humour statt. Alle Umstände und die ganze Umgebung waren äußerst glänzend; einige Herren der Grafschaft spielten sowohl in dem Lustspiel als in den Possen mit; unser hochherziger Wirth war verschwenderisch mit jeder edeln Aufmunterung, und in der allgemeinen Heiterkeit und Aufregung schwangen die Hoffnungen sich hoch empor. Die jüngste Erfahrung hatte gezeigt, welche Preise das öffentliche Interesse an dieser Art von Vergnügungen Denjenigen bieten konnte, die sie veranstalteten, und man kam darauf, die Möglichkeit zu erörtern, der Hülfe, welche schriftstellerischen Genossen geleistet worden war, eine dauernde Grundlage zu geben durch eine Stiftung, welche nicht bloß Wohlthätigkeit sein, sondern ein Mittelding bilden sollte zwischen der Pensionsliste und einem Professorat, ohne die Nachtheile beider. Man bedachte dabei nicht hinreichend, daß Pläne zur Selbsthülfe, um erfolgreich zu sein, von Denen, welchen sie nützen sollen, nicht bloß eine allgemeine Anerkennung ihrer Wünschenswürdigkeit, sondern auch eine eifrige und thätige Mitwirkung erfordern. Ohne jedoch hier weiter zu untersuchen, was später angeführt werden muß, genügt es zu sagen, daß das Unternehmen in's Werk gesetzt und die » Gilde der Literatur und Kunst« in Knebworth begründet wurde. Es sollte von Bulwer Lytton ein Lustspiel in fünf Akten geschrieben, und, nachdem durch öffentliche Aufführungen desselben eine bestimmte Geldsumme erlangt wäre, die Details eines Planes aufgesetzt und ein Aufruf an Diejenigen gerichtet werden, die es ganz besonders anging. In wenigen Monaten war Alles fertig, mit Ausnahme einer Posse, welche Dickens geschrieben haben sollte, von der aber unerwartete Beschwerden bei der allgemeinen Direktion und Vorbereitung ihn absolviren mußten. Es waren auch noch andere Gründe da. »Ich habe,« schrieb er mir am 23. März 1851, »die erste Scene geschrieben und es sind drollige Sachen darin, possenhaftere Dinge, als man gewöhnlich in Possen findet, in der That bessere. Dennoch bemühe ich mich, um meines Rufes willen, beständig, einen Sinn hineinzubringen, der in einer Posse unmöglich ist, denke daher fortwährend gegen den Strich und bin fortwährend von der Ueberzeugung durchdrungen, daß ich selbst nie mit jener wilden Ungebundenheit spielen könnte, die allein den Erfolg einer Posse sichert. Weshalben ich bei Bulwer Lytton gebeichtet und um Absolution gebeten habe.« Eine neue Posse Lemon's wurde substituirt; aber Dickens trug bald so viele eigene Scherze und Gamp'sche und andere Späße dazu bei, daß sie in Wahrheit ein gemeinsames Produkt beider Schriftsteller wurde; und die Rolle Gabblewig's, die Dickens selbst übernahm, war eine jener, fünf oder sechs Veränderungen des Gesichts, der Stimme und des Ganges erfordernden, Charakterfiguren, aus denen er, wie wir sahen, jenen ganzen frühen theatralischen Ehrgeiz herleitete, den der ältere Mathews in ihm erweckt hatte. »Du hast keine Vorstellung,« fuhr er fort, »von der kolossalen, sich immer mehrenden Arbeit; denn der Herzog bürdet uns sogar die ganze Sorge für die Zuhörerschaft auf, da er sonst (wie er sagt) in alle möglichen Verlegenheiten gerathen würde.« Der Herzog von Devonshire hatte sein Haus in Piccadilly für die ersten Vorstellungen angeboten und bezahlte auf seine fürstliche Weise alle damit verknüpften Ausgaben. Ein tragbares Theater wurde erbaut und in dem großen Drawing-Room aufgestellt, während die Bibliothek in ein Ankleidezimmer für die Schauspieler verwandelt wurde.

Not so bad as we seem Die von Bulwer für diese Aufführungen geschriebene Komödie. – D. Uebers. wurde zum ersten Male gespielt am 27. Mai 1851, in Devonshire-House, vor der Königin und dem Prinzen Albert und einer so großen Zuhörerschaft, als Raum finden konnte; der Titel der Posse war Mrs. Nightingale's Diary. Der Erfolg erfüllte reichlich die gehegten Erwartungen und nach vielen Darstellungen in den Hanover-Square Rooms in London, begann das Umherziehen im Lande und wurde in Zwischenräumen während beträchtlicher Perioden dieses und des folgenden Jahres fortgesetzt. Theils Krankheit, theils Beschäftigung anderer Art verhinderten mich oft, dabei mitzuwirken und es mußten dann Substitute gefunden werden; aber diesem Umstande verdanke ich es, daß ich jetzt mit einem charakteristischen Bilde von dem Verlauf des Spiels und von Dickens, inmitten der Vorfälle und Unfälle, denen seine theatralische Laufbahn ihn aussetzte, schließen kann. Ich muß bemerken, daß die Gesellschaft das für Devonshire-House gebaute Theater, sowie die vortrefflichen Dekorationen, welche Stanfield, David Roberts, Thomas Grieve, Absolon und Louis Haghe, als ihre hochherzige freie Gabe für die Komödie gemalt hatten, mit sich umherführte, so daß die Vorstellungen von Theatern und Theaterdirektoren unabhängig gemacht wurden und in den großen Hallen oder Concertsälen der verschiedenen Städte stattfinden konnten.

»Die in meinem letzten Brief vergessene Beilage« (Dickens schreibt von Sunderland, am 29. August 1852) »war eine kleine gedruckte Ankündigung, welche ich überall, wohin wir kommen, an den Thüren vertheilen lasse und wodurch das Stück Two O'Clock in the Morning auf den Theaterzetteln ausgemerzt wird. So komisch es gewöhnlich war, so ließ sich doch nichts mehr damit anfangen nach dem Schrei von Mrs. Nightingale's Diary. Das Lustspiel ist durch Abkürzungen, zu welchen Deine Abwesenheit und andere Ursachen uns gezwungen haben, insofern verbessert, als es jetzt Alles in Allem, Zwischenakte eingeschlossen, nur zwei Stunden und fünfundzwanzig Minuten dauert und wie ein Lauffeuer geht. Wir haben erstaunliche Zuhörerschaften gehabt, obgleich kleinere Räume, als ich gehofft hatte. Der Herzog war in Derby und außer ihm zahllose kleinere Lichter. In den Saal in Newcastle (wo, beiläufig bemerkt, Lord Carlisle anwesend war), drängte man in einen Raum, der eigentlich nur dreihundert Leute fassen konnte, sechshundert hinein, das Billet zwölf Shilling und sechs Pence. Gestern Abend hatten wir in einer wie ein Theater gebauten Halle, mit Parterre, Logen und Galerie, etwa zwölfhundert Zuhörer – vielleicht mehr. Sie fingen an mit lautem Beifall, als die weiße Weste unseres Kapellmeisters im Orchester erschien und schlossen am Ende der Posse mit drei betäubenden Cheers. Mir sind nie so gute Leute vorgekommen. Stanny ist ihr Mitbürger, wurde hier geboren und sie beklatschten seine Scenerie, als wäre er es selbst. Aber was ich durch eine furchtbare Angst ausgestanden habe, welche während der ganzen Zeit über mir schwebte, kann ich nicht beschreiben. Als wir Mittags hier ankamen, fand sich, daß die Halle vollständig neu war, und daß man das Dach erst während der vorhergehenden Nacht bei Fackellicht mit Ziegeln gedeckt hatte. Ferner, daß die Eigenthümer eines andern öffentlichen Lokals das Gebäude für unsicher erklärt hatten, und daß in der Stadt ein panischer Schrecken darüber herrschte, so daß Leute kamen, um ihr Geld zurück zu fordern und andere unschlüssig waren, ob sie kommen sollten oder nicht; und alle möglichen sonstigen Schrecken. Ich wußte nicht, was thun. Die furchtbare Verantwortlichkeit, einen Unfall so schrecklicher Art zu riskiren, schien ganz auf mir zu ruhen; denn ich brauchte nur zu sagen, daß wir nicht spielen wollten und es konnte von Gefahr keine Rede sein. Ich fürchtete, Sloman zu Rathe zu ziehen, damit der panische Schrecken nicht vielleicht auch unsere Leute ergriffe. Ich fragte W., was er darüber denke und er machte die tröstliche Bemerkung: seine Verdauung sei so schlecht, daß der Tod keine Schrecken für ihn habe! Ich ging und sah mir das Lokal an, prüfte die Balken, die Wände, die Säulen und so fort und quälte mich in den Glauben hinein, daß sie wirklich unzuverlässig wären. Um Allem die Krone aufzusetzen, war ein bogenförmiges eisernes Dach da, ohne Klammern und Säulen, nach einem neuen Princip! Mein einziger Trost war, daß ich endlich den Baumeister traf und in ihm einen einfachen, praktischen Nordländer fand, mit dem Winkelmaß in der Tasche. Ich nahm ihn bei Seite und fragte ihn, ob wir oder ob er irgend einen schwachen Theil des Gebäudes stützen sollten, besonders die Ankleidezimmer, die sich unter unserer Bühne befanden, deren Gewicht auf einem neuen Fußboden und triefend nassen Mauern schwer lasten mußte. Er versicherte mir, es gebe kein stärkeres Gebäude in der Welt und daß sie, um die Besorgnisse zu beschwichtigen, es am Donnerstag Abend für Tausende von Arbeitern geöffnet und dieselben veranlaßt hätten, zu singen und mit den Füßen zu trampeln und jeden möglichen Versuch zu machen in Bezug auf Vibration. Es blieb demnach weiter nichts übrig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nichtsdestoweniger war meine Furcht, es möge ein falscher Alarm unter der Zuhörerschaft entstehen und ein Gedränge nach den Thüren hervorrufen, so groß, daß ich Kate und Georgina von den Vordersitzen fern hielt. Als der Vorhang aufging und ich das weite Meer von Gesichtern nach dem Dache emporwogen sah, blickte ich hierhin und dorthin und meinte, ich sähe die Galerie aus ihrer senkrechten Richtung gebracht und bildete mir ein, die Lichter an der Decke seien nicht gerade. Lauter Beifall verursachte mir die größte Qual, da ich dessen Wirkung auf das Gebäude fürchtete. Ich war den ganzen Abend bereit, im Falle eines Alarms – ein falscher Alarm war meine Hauptfurcht – hervorzustürzen und die Leute um Gottes Willen anzuflehen, daß sie still sitzen möchten. Ich ließ unsere große Possen-Glocke schellen, um Sir Geoffrey zu erschrecken, statt ein Stück Holz hinzuwerfen, was eine plötzliche Befürchtung hätte erwecken können. Mein Herz klopfte laut, wenn einer unserer Leute eine Treppe hinauf- oder hinabstolperte. Ich bin gewiß, daß ich nie besser gespielt habe, aber die Angst war so intensiv und die Herzenserleichterung endlich so groß, daß ich heute halb todt bin und noch nicht im Stande gewesen bin, etwas zu essen oder zu trinken, oder mein Zimmer zu verlassen. Ich werde es nie vergessen. Ueber die kurze Zeit, in der wir das Theater aufstellen mußten; über das Umstürzen eines der Wagen, der an der Eisenbahnstation in Newcastle mit allen unsern Dekorationen von einem Paar scheu gewordener Pferde umgeworfen wurde; über die Anstrengungen unserer Zimmerleute, die jetzt vier Nächte auf gewesen sind und die gestern Abend im tiefsten Schlaf an den Eingängen lagen, sage ich nach dem andern riesigen Alpdrücken nichts; außer daß Sloman's glänzende Kenntniß seines Geschäfts und die gute Laune und Heiterkeit aller Arbeiter ausgezeichnet sind. Ich beabsichtige, ihnen in Liverpool ein Abendessen zu geben und ihnen dabei eine nette und angemessene Rede zu halten. Wir diniren heute um zwei (es ist jetzt eins) und gehen um vier nach Sheffield, wo wir etwa um zehn ankommen. Ich war frisch gewesen wie eine Maßliebe, ging zu Fuße von Nottingham nach Derby und von Newcastle hierher, scheine mir aber gestern Abend meine Nerven verdorben zu haben und habe ein qualvolles Kopfweh. Das ist für heute Alles. Ich werde den Geruch von frischem Tannenholz und frischem Mörtel nie wieder ertragen können, so lange ich lebe.«

Manchester und Liverpool beschlossen den Ausflug, mit ungeheuerm Erfolg an beiden Orten, und Sir Edward Lytton war bei einem in der ersteren Stadt gegebenen öffentlichen Festessen, das Dickens kurz beschrieb, gerade ehe er in den Zug stieg, welcher ihn nach London bringen sollte. »Bulwer hielt eine glänzende Rede bei dem Banquet in Manchester und sein Ernst und seine Entschiedenheit, in Bezug auf die Gilde, brachten einen tiefen Eindruck hervor. Alle wurden dadurch hingerissen. Man ist jetzt mit der Sammlung von Jahresbeiträgen beschäftigt und wir werden mit einem beträchtlichen Einkommen anfangen können. Bei Gott, dies Volk ist das größte in der Welt. In Liverpool ließ ich, nachdem das Spiel vorüber war, ein Rundschreiben auf der Bühne herumgehen; für Deine Unterschrift ist ein Platz darauf freigeblieben und da ich es einrahmen lassen will, soll es Dir nach Lincoln's Inn geschickt werden. Du kannst Dir nicht vorstellen wie gut Tenniel, Topham und Collins ihre Sache gemacht haben.«

Diese in Kunst und Literatur ausgezeichneten Namen bezeichnen eine Erweiterung der Gesellschaft, die sich ursprünglich zu dem Unternehmen verbunden hatte und der letzte, Wilkie Collins, wurde für den ganzen Rest von Dickens' Leben einer seiner liebsten und geschätztesten Freunde.

 

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