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Fünftes Kapitel.

Müßiggang in Albaro: Villa Bagnerello.
1844.

Die Reisegesellschaft kam Sonntag Abend, den 14. Juli, in Marseille an. Da sie in Paris keine Vetturino-Pferde hatten bekommen können, waren sie mit Extrapost gereist, hatten für neun Pferde bezahlt, während sie nur vier bekamen, und dadurch einen Shilling per Meile an dem erspart, was die vier in England gekostet haben würden. Doch waren bis dahin die Reisekosten so groß gewesen, daß »bei der Entfernung, der Karavane, dem Sehen von Merkwürdigkeiten und Allem« fast zweihundert Pfund Sterling aufgebraucht waren, ehe sie an ihrem Bestimmungsorte ankamen. Im übrigen war der Erfolg vollständig gewesen. Die Kinder hatten in ihren schlimmsten Nöthen nicht geschrieen, der Wagen war über abscheuliche Straßen leicht hinweggerollt und der Courier hatte sich als ein wahrer Edelstein erwiesen. »Von fremdartigen und ganz neuen Verhältnissen umgeben«, schrieb mir Dickens aus Marseille, »ist mir zu Muthe als hätte ich einen neuen Kopf neben meinem alten.«

Zu welchen scharfen und heitern Beobachtungen der alte ihm auf jeder Station seiner Reise verholfen hatte, zeigt seine veröffentlichte Reisebeschreibung und von Allem diesen soll hier nichts gesagt werden; aber einige Erfahrungen im Beginn der Reise, wovon er mir später erzählte, sind charakteristisch genug, um hier eine Erwähnung zu verdienen.

Kurz vorher hatte der Capitän eines der Boulogner Dampfschiffe, den man auf den Verdacht, daß er Geld gestohlen, verhaftet, dann aber nach einer öffentlich gegebenen Genugthuung wieder in seinen Posten eingesetzt hatte, ein allgemeines Interesse erregt, und Dickens hatte kaum das Schiff, welches sie hinüberbringen sollte, betreten, als er durch die Erscheinung des Capitäns angezogen wurde und nach einer Unterhaltung von einigen Minuten entdeckte, daß er eben jener Mann sei. »Eine so ehrliche, einfache, gute Seele sah ich nie,« sagte Dickens, indem er die schmucklose Sprache für mich nachahmte, in der seine vertraulichen Mittheilungen vorgetragen wurden. Die Leute in Boulogne, sagte er, hätten ihm ein Stück Silbergeschirr geschenkt, »aber Gott sei mir gnädig! ganz was Andres als das war nöthig, um ihn in seinem eignen Innern wieder in Ordnung zu bringen und lange, lange Wochen war ihm höchst kläglich zu Muthe. Newgate, sehen Sie! Was für ein Ort für einen Seefahrer, der seinen Kopf vor den Besten hoch getragen, und mehr Freunde hatte, das ist meine Meinung und es ist die lautere Wahrheit, als irgend Einer auf dieser Station – ah! oder irgend Einer, es ist einerlei, wo!«

Seine erste Erfahrung mit einer fremden Sprache machte er gleich nach seiner Landung, als er wegen Geld auf die Bank ging, und, nachdem er mit mühsamer Deutlichkeit eine ziemlich lange französische Ansprache an den Commis hinter dem Ladentisch gerichtet hatte, in Verlegenheit gesetzt wurde durch die ganz nach der heimischen Lombardstreet-Weise gestellte kühle Frage dieses Funktionärs: ›Wie wollen Sie es nehmen, Sir?‹ Lombardstreet ist die große Banquierstraße in London. Die typische Frage des Commis bezieht sich auf die freistehende Wahl der Auszahlung eines Wechsels in Gold oder Banknoten. – D. Uebers. Er nahm es, wie Jedermann muß, in Fünffrankenstücken, und fand diese Münze höchst unbequem; denn er bedurfte so viel davon, daß er sein Geld in ein paar kleinen Säcken mitschleppen mußte, und es ihn ›fortwährend heiß überlief‹, wenn ihm der Gedanke kam, er könne diese verloren haben.

Dienstag Abend, am 16. Juli, langte er in einer Villa in Albaro, der Vorstadt Genua's an, in der er, dem Rathe unserer Freunde von Gore-House gemäß, beschlossen hatte, die Sommermonate zuzubringen, ehe er seinen Wohnort in der Stadt nahm. Es war sein Wunsch gewesen, Lord Byron's Haus dort zu miethen, doch man hatte dasselbe in Verfall gerathen lassen, und es war ein Weinhaus dritten Ranges daraus geworden. Die Sache war hierauf an Angus Fletcher Vgl. Bd. 1. S. 233. übertragen worden, der damals gerade in der Nähe von Genua wohnte, und für eine lächerlich hohe Summe Er bedauerte, daß sein excentrischer Freund sich eine Wohnung hatte entgehen lassen, die er mir schilderte, kurz ehe er Italien verließ. »Ich sah gestern Abend einen alten Palast der Doria, anderthalb Stunden von hier, am Meere, den De la Rue dringend Fletcher anempfahl, als dieser sein Auge auf jene gräuliche Villa Bagnerello geworfen hatte, eine Villa, welche die Genuesen seit undenklichen Zeiten für ein Viertel der Summe vermiethet hatten, die ich dafür bezahlte, wie man ihm auch wiederholt erklärte, ehe er den Vertrag abschloß. Dies ist einer der merkwürdigsten alten Paläste in Italien, umgeben von schönen Wäldern mit großen Bäumen (eine unendliche Seltenheit hier), eine halbe Meile im Umfang, und auf der Terrasse steht ein hoher Thurm, ehemals ein Gefängniß für Beleidiger der Familie und ein Schutz gegen die Seeräuber. Der gegenwärtige Doria vermiethet den Palast, wie er da ist, für £ 40 jährlich . . . Und die Anlagen verursachen keine Kosten, denn sie werden stolz in Stand gehalten von diesem Doria, der das Miethgeld, wenn er es bekommt, zur Ausbesserung des Daches und der Fenster verwendet. Es ist ein wunderbares Haus, voll von den außerordentlichsten Gemälden und den unglaublichsten Möbeln. Jedes seiner Zimmer wie das seltsamste und phantasievollste von Cattermole's Bildern, und wie viele Zimmer, fürchte ich mich zu sagen.« 2. Juni 1845. ein unmalerisches und uninteressantes Gebäude gemiethet hatte, dessen Aehnlichkeit mit einem Gefängniß seinem neuen Bewohner sofort auffiel. »Es ist,« sagte er mir, »das vollkommen einsamste, rostigste, stagnirendste, verblüffendste alte Besitzthum, das Du Dir denken kannst. Was würde ich geben, könntest Du Dich nur einmal auf dem Hofe umsehen! Ich blicke hinein, so oft ich an dieser Seite des Hauses bin; denn der Stall ist so voll von ›Ungeziefer und Schwärmer‹ (verzeihe dieses Citat von meinem unnachahmlichen Freunde), daß ich immer erwarte, den Wagen herauskommen zu sehen, bespannt mit Legionen emsiger Flöhe, die ihn auf eigne Faust herausziehen. Wir haben ein paar italienische Arbeiter in unserm Etablissement und einen oder den andern zu hören, wie er mit der äußersten Heftigkeit und Geläufigkeit Genuesisch mit unsern Dienstboten spricht, und wie unsere Dienstboten in äußerst fließendem Englisch darauf antworten (sehr laut: als wären die andern nur taub, nicht Italiener), ist eins der lächerlichsten Dinge, die man sich denken kann. Die Wirkung wird bedeutend vermehrt durch die genuesische Art und Weise, die höchst lebhaft und pantomimisch ist, so daß es, wenn zwei Freunde aus der niedern Volksklasse sich vergnügt in der Straße unterhalten, immer den Anschein hat, als wären sie drauf und dran, sich gegenseitig zu erdolchen. Und ein Fremder ist sehr überrascht, daß sie es nicht thun.«

Die Hitze war ihm weniger lästig als er erwartet hatte, mit Ausnahme des Sirocco, der, nah an der See und grade im Striche des Windes, wie sie wohnten, Alles viel heißer machte als wenn gar kein Wind wehte. »Man fühlt ihn am meisten, wenn man aufsteht. Dann ist es wirklich so drückend, daß ein starker Entschluß nothwendig ist, um mit dem Ankleiden fortzufahren; man möchte am liebsten irgendwo hinfallen und dort liegen bleiben.« Es schien ihn, sagte er, hinter dem Knie zu treffen, und machte seine Beine so zittern, daß er weder gehen noch stehen konnte. Unglücklicherweise hatte er bald nach seiner Ankunft ohne Unterbrechung eine ganze solche Sirocco-Woche; dann aber kam ein Gewitter und Wind von den Bergen, und die gewöhnliche Hitze konnte er sehr gut aushalten. Was zuerst eine häusliche Unbequemlichkeit gewesen war: die nackten Wände, die hohen Decken, die eisigen Fußböden und die Gitterfenster, wurde bald angenehm. Nachmittags wehte regelmäßig ein erfrischender Seewind; im Hofe befand sich eine Quelle mit dem reinsten und kältesten Wasser. Frische Milch und Eier gab es eimerweise, und diese und andere Delikatessen gegen die Sommer-Insekten zu schützen, hatte man tausende frischer Weinblätter. Auch überzeugten ihn die Erlebnisse einiger Tage in der Stadt, daß er wohl gethan hatte, zuerst in die Vorstadt am Meere zu kommen. Was ihn am meisten überraschte und enttäuschte, waren die häufigen trüben Tage. »Wir haben bis heute einen Londoner Himmel gehabt,« schrieb er am 20. Juli, »so grau und trübe als möglich, aber am meisten haben mich wol die Abende enttäuscht, die so äußerst alltäglich sind, denn es gibt kein Zwielicht, und was man von den Sternen sagt, daß sie hier heller leuchten als anderswo, ist Schwindel.« Der Sommer von 1844 scheint jedoch ungewöhnlich stürmisch und feucht gewesen zu sein. Am 24. Oktober schrieb er mir, sie hätten bis dahin, seit ihrer Ankunft in Italien erst vier wirklich klare Tage gehabt. Er fing seinen dritten Brief (3. August) damit an, mir zu sagen, es sei ein dicker Novembernebel, der Regen ströme unaufhörlich herab und er erinnere sich nicht, in seinem ganzen Leben um diese Jahreszeit ein so trübes Wetter gesehen zu haben, als unter dem italienischen Himmel.

»Wie man sagt, ist es besonders im Herbst und Winter, wenn andere Länder dunkel und nebelig sind, daß die Schönheit und Klarheit dieses Landes hervortreten. Ich hoffe, daß es so ist; denn ich habe es aufgegeben, die Berge, welche die Stadt umschließen, zu besteigen, oder irgend welche Merkwürdigkeiten zu sehen, bis das Wetter günstiger wird. »Mein Glaube in Hinsicht auf diesen Punkt ist entschieden erschüttert und das erinnert mich daran, Dich zu fragen, ob Du je Simond's Tour in Italy gelesen hast. Es ist ein äußerst angenehmes Buch, und ganz besonders bemerkenswerth durch seinen gesunden Menschenverstand und den Entschluß, sich keinen conventionellen Lügen zu ergeben.« In einem späteren Briefe sagt er. »Keins von den vielen Büchern ist natürlich und wahr als das Simond's, das mir mehr und mehr gefällt, sowohl durch seine Kühnheit, als durch die offene Entfaltung jener so seltenen und trefflichen Eigenschaft, welche den Menschen befähigt, sich seine eigenen Ansichten zu bilden, ohne eine klägliche und sklavische Rücksicht auf die vorgeblichen Ansichten anderer Leute. Seine Bemerkungen über die Hauptgemälde entzücken mich. Sie sind so vollkommen gerecht und wahr, und so grillenhaft scharfsinnig.« Rom, 9. März 1845. Ich habe es noch nie längere Zeit an einem Tage so klar gesehen, wie an einem hellen, lerchensingenden, die französische Küste enthüllenden Tage in Broadstairs; auch habe ich noch nie einen so vollkommen schönen Sonnenuntergang gesehen, wie sie dort sehr häufig sind. Aber die Landschaft ist herrlich, und zu gewissen Zeiten, Abends und Morgens, übertrifft das Blau des Mittelländischen Meeres jede Vorstellung und Beschreibung. Ich glaube, es ist die tiefste und wunderbarste Farbe in der ganzen Natur.«

Sein zweiter Brief aus Albaro enthielt mehr über diesen Gegenstand, und einem besonders für Maclise bestimmten Ausbruch grillenhafter Begeisterung in demselben folgen einige vortreffliche Schilderungen. »Ich rede Dich, mein Freund,« schrieb er, »mit etwas von dem stolzen Geiste eines Exilirten, eines verbannten Bürgers, einer Art Anglo-Polen an. Ich weiß nicht genau, was ich für mein Vaterland gethan habe, indem ich es verließ; aber ich fühle, es ist Etwas, etwas Großes, etwas Tugendhaftes und Heroisches. Stolze Gedanken steigen in mir auf, wenn ich sehe, wie die Sonne in das blaue Mittelmeer versinkt. Ich bin die Tellermuschel auf dem Felsen. Meines Vaters Name ist Turner und meine Stiefel sind grün. Anspielung auf eins der wunderlichsten Farbenkunststücke des Malers Turner, das unter dem Titel. »Der Verbannte und die Tellermuschel« in der Akademie von 1842 ausgestellt wurde. – D. Uebers. . . . Apropos von Blau. In einem gewissen ›Serenade‹ genannten Bilde, zu dem Browning in Lincoln's Inn jenen Vers schrieb, I send my heart up to thee, all my heart,
        In this my singing!
For the stars help me and the sea bears part;
        The very night is clinging
Closer to Venice's streets, to leave one space
        Above me, whence thy face,
May light my joyous heart to thee its dwelling place.

Zur Erklärung des Maclise'schen Bildes in dem Katalog der Akademie geschrieben.

maltest Du, o Mac, einen Himmel. Wenn Du je Gelegenheit hast, das Mittelmeer zu malen, so laß es von der Farbe sein. Es liegt jetzt ebenso tiefblau vor mir. Aber über mir ist keine solche Farbe. Weit davon entfernt. Im Süden von Frankreich, in Avignon, in Aix, in Marseille habe ich einen tiefblauen Himmel gesehen und auch in Amerika. Aber der Himmel über mir ist meinem Blicke vertraut. Ist es Ketzerei, zu sagen, daß ich seinen Zwillingsbruder durch das Fenster in Jack Straw's Castle habe scheinen sehen, – daß ich in Devonshire-Terrace einen besseren Himmel gesehen habe? Höchst wahrscheinlich; aber wie viele andere Ketzereien, ist es wahr. . . . Aber solches Grün, Grün, Grün, wie in dem Weinberg unterhalb meines Fensters flattert, das habe ich nie gesehen; noch auch solches Lilas und solchen Purpur, wie zwischen mir und den fernen Hügeln schwebt, noch auch irgendwo in Bild, Buch oder vestalischer Langenweile, ein solch furchtbares, feierliches, undurchdringliches Blau, wie in diesem Meere. Es übt eine so absorbirende, stille, tiefe Wirkung aus, daß ich nicht umhin kann, zu denken, daß die Vorstellung des Lethe von ihm hergenommen wurde. Es sieht aus, als ob ein Trunk davon, nur grade so viel als man auf dem Strande in der hohlen Hand schöpfen kann, alles Andere hinwegspülen, und den Geist in eine große blaue Leere verwandeln würde. . . . Wenn die Sonne klar untergeht, dann, beim Himmel, ist es majestätisch. Aus jedem unserer elf Fenster, oder von einer mit Weintrauben überwachsenen Terrasse, kann man das weite Meer, Villen, Häuser, Berge, Festungswerke mit Rosenblättern überstreut sehen. Damit überstreut? Darein getaucht! Gefärbt, durch und durch und durch. Auf einen Augenblick. Nicht länger. Die Sonne ist ungeduldig und feurig (wie alles Andere in diesen Ländern), und geht ungestüm unter. Lauf' hin, um Deinen Hut zu holen – und es ist Nacht geworden. Blinzle im rechten Moment finsterer Nacht mit den Augen – und es ist Morgen. Alles bewegt sich hier in Extremen. Es gibt hier ein Insekt, das den ganzen Tag zirpt. Das Zirpen ist sehr laut, mitunter wie das einer Brobdingnagischen Heuschrecke. Das Geschöpf ist dazu geboren, zu zirpen, im Zirpen Fortschritte zu machen, lauter, lauter, lauter zu zirpen, bis es ein gewaltiges Zirpen ertönen läßt und zerbirst. Das ist Leben und Tod. Mit allem Andern ist es auf ähnliche Weise beschaffen. Der Tag wird heller, heller, heller, bis es Nacht wird. Der Sommer wird heißer, heißer, heißer, bis er explodirt. Das Obst wird reifer, reifer, reifer, bis es abfällt und verrottet . . . Stelle einige Fragen über Freskos an mich – willst Du die Güte haben? Alle Häuser sind hierherum in Fresko gemalt (die Außenwände nämlich, vorn, hinten und an beiden Seiten), und alle Farben haben sich in feuchten, grauen Pflanzenschimmel verloren, und das Gemälde selbst hat sich in die Atome des Mörtels verflüchtigt. Hüte Dich vor Fresko! Zuweilen (aber nicht oft) kann ich eine Jungfrau mit einer schimmeligen Glorie um ihr Haupt erkennen, die mit unsichtbaren Armen Nichts in einem unerkennbaren Schooße hält; und gelegentlich Bein oder Arm eines Cherub. Aber es ist äußerst melancholisch und trübe. Außerhalb meines eigenen Thores stehen zwei alte in Fresko gemalte Vasen, eine auf jeder Seite, und sie sind so undeutlich, daß ich sie gestern Abend zum erstenmale sah und auch dann nur, weil ich über die Mauer hinüber nach einer Eidechse blickte, die auf mich zugekommen war, während ich oben eine Cigarre rauchte, und auf ihrem Rückzuge über eine dieser Verschönerungen hinkroch.«

Dieser Brief skizzirte für mich auch die Geschichte seiner Reise durch Frankreich, und ich will hier sofort sagen, daß ich auf ähnliche Art von Woche zu Woche den »ersten lebhaften Guß« aller in seinen Bildern aus Italien enthaltenen Beschreibungen von ihm empfing. Aber die in Bezug auf die Amerikanischen Briefe beobachtete Regel muß hier noch strenger eingehalten werden, und nichts, was auch nur im Entferntesten an sein gedrucktes Buch erinnert, kann hier aufgenommen werden. Selbst so wird die Schwierigkeit des Ausscheidens nicht geringer für mich; denn da er thatsächlich bis ganz zuletzt nicht entschieden war, ob er seine damaligen Erfahrungen überhaupt veröffentlichen wolle, machte er von einer größeren Anzahl von Briefen keinen Gebrauch. Er hatte, wie bei jener frühern Veranlassung, keinen festen Plan.

Skizze der Villa Bagnerello von Angus Fletcher

Skizze der Villa Bagnerello

von Angus Fletcher

Seine angenehmste Bekanntschaft in Albaro war die mit dem französischen Generalconsul, einem Manne, der mit der englischen Literatur bekannt war, Dickens' Bücher in einer der französischen Zeitschriften besprochen hatte, und mit seiner englischen Frau in der zunächst liegenden Villa wohnte, obgleich durch den Weinberg derselben so sonderbar abgeschlossen, daß es eine halbe Stunde nahm, um von dem einen Hause das andere zu erreichen. »Ihr Haus liegt dem unsern zunächst, mit einem Weinberg dazwischen, aber die Anlage ist so sonderbar gemacht, daß man eine volle halbe Stunde gebraucht, um an ihre Thür zu kommen.« Indem er in jenem Augustbriefe den ersten Besuch dieses auf so angenehme Weise selbstempfohlenen Freundes beschreibt, bedient er sich dieses Besuchs, um das Abbrechen einer scherzhaften Schilderung der französischen Wirthshäuser zu entschuldigen, und nach einem Bleistiftumriß von Fletcher eine Skizze dessen vorzuführen, was den imposanten Namen der Villa di Bella Vista trug, was er aber nach dem einfacheren Namen des Besitzers Villa Bagnerello nannte. »Diese Zeichnung, mein Freund, ist vollkommen naturgetreu. Erlaube mir, sie Dir zu erklären. Du stehst, Sir, in unserm Weinberge unter den Trauben und Feigen. Das Mittelländische Meer liegt hinter Dir, wenn Du das Haus betrachtest, von dessen vier Seiten zwei hier dargestellt sind. Das untere, durch die Weinranken beinah verdeckte Stockwerk, besteht aus der Halle, einem Weinkeller und einigen Vorrathskammern. Die drei Fenster zur Linken des ersten Stocks gehören zu dem Saal, einem hohen geweißten Raume, der noch außerdem zwei Fenster um die Ecke herum hat. Das vierte Fenster gehörte zu dem Eßzimmer, aber ich habe um der bessern Luft willen eine der Kinderstuben dorthin verlegt, und es gehört jetzt diesem Zweige unseres Etablissements an. Das fünfte und sechste, oder die zwei Fenster zur Rechten, Sir, lassen Licht in das Schlafzimmer des Unnachahmlichen (und seiner Gattin), dem, wie Du am Schatten merken wirst, auch das erste Fenster um die Ecke zur Rechten angehört. Das nächste im Schatten befindliche Fenster, junger Herr, ist das Gemach Miß Hogarth's. Das nächste ein Fenster der Kinderstube, welche wiederum noch zwei Fenster um die Ecke herum hat. Der laubenartige Raum, der sich zur Linken des Hauses hinzieht, ist die Terrasse, auf welche man aus einem Fenster des Gesellschaftszimmers hinaustritt, von dem man nichts sieht, und bildet eine Seite des Hofes. Die obern Fenster gehören zu einigen jener ungezählten Stuben oben; das vierte, länger als die andern, ist F's Schlafzimmer. Außerdem ist dort oben auch eine Küche und mein Ankleidezimmer, wovon Du von dieser Seite her nichts sehen kannst. Die von uns benutzten Küchen und Wirthschaftszimmer sind unten, unter demjenigen Theil des Hauses, wo das Dach am längsten ist. Zur Linken, jenseits des Golfs von Genua, etwa eine Stunde entfernt, erstrecken sich die Alpen bis fern an den Horizont; zur Rechten, etwa anderthalb Stunden entfernt, sind von Festungswerken gekrönte Berge. Der dazwischen liegende Raum ist auf beiden Seiten mit Villen bedeckt, einige grün, einige roth, einige gelb, einige blau, einige (und darunter die unsere) blaßroth. Dir im Rücken, Sir, wie ich bereits bemerkte, ist das Meer, vor dem der schlanke italienische Thurm der verfallenen Kirche St. Johann des Täufers hoch über wilden Felsenhaufen emporsteigt. Man geht durch den Hof und zum Thore hinaus und eine enge Gasse hinab zum Meere. Merke Dir, der Saal reicht gerade bis zum Giebel des Hauses hinauf; seine Decke ist von kegelförmiger Gestalt, und die kleinen Schlafzimmer sind um die Basis des Bogens herum gebaut. Du wirst sehen, daß wir keinen Anspruch auf prächtige Architektur machen, aber daß wir Ueberfluß an Raum haben. Und hier bin ich nun und sehe Tage lang nichts als Weinberge und das Meer . . . Beim Himmel, wie ich wünsche, Du wolltest ein paar Wochen hierher kommen und den weißen Wein zu fünf Farthings die halbe Kanne versuchen! Er ist vortrefflich . . .« Dann sieben Tage später: »Ich habe jetzt mein Papier und mein Dintenfaß und die Figuren (der Kasten aus Osnaburgh-Terrace kam erst vorigen Donnerstag an) und kann – ich habe jeden Morgen damit angefangen – mit Geschäftsmiene an das Weihnachtsbuch denken. Mein Papier ist geordnet und meine Federn sind ausgebreitet in der gewöhnlichen Weise. Ich glaube Du kennst diese Weise – nicht wahr? Meine Bücher haben das Zollhaus noch nicht passirt und ich zittere für einige Bände von Voltaire . . . Ich schreibe in dem besten Schlafzimmer. Die Sonne geht etwas nach zwölf Uhr um das Eckfenster an der Seite des Hauses herum, und ich kann dann die Jalousieen öffnen und von meinem Papier aufblicken nach dem Meere, den Bergen, den ausgewaschenen Villen, den Weinbergen, dem versengten weißglühenden Fort, auf dessen Zugbrücke eine Schildwache steht, in einem Stück Schatten, das nicht größer ist als ihre Muskete, – und nach dem Himmel, so oft es mir gefällt. Es ist eine sehr friedliche Aussicht und doch eine sehr heitere. So ruhig als irgend möglich.«

Noch aber war die Zeit zum Schreiben nicht gekommen. Seine jüngste kleine Tochter, Kate, hatte einen scharfen Krankheitsanfall, der ihn sehr beunruhigte. Dann mußte er, nachdem er die italienische Grammatik für sich angefangen hatte, einen Lehrer zu Hülfe nehmen, und dies Erlernen der Sprache nahm viel Zeit in Anspruch. Aber er hatte Talent dafür, und nach einmonatlichen Studien schrieb er mir (24. August), er könne in Läden und Kaffeehäusern nach Allem was er haben wolle auf Italienisch fragen, und es ganz gut lesen. »Ich wollte, Du könntest mich« (16. September), »ohne daß ich es wüßte, sehen, wenn ich hier allein umherwandere. Ich bin jetzt in den Straßen kühn wie ein Löwe. Der Muth, mit dem man zu sprechen anfängt, wenn es nicht anders geht, ist ganz erstaunlich.« Die vollständige Unmöglichkeit, Anfangs seinen englischen Domestiken die italienischen Ausdrücke verständlich zu machen, beschrieb er mir äußerst humoristisch und sagte, der Zauber sei zuerst gebrochen durch die Köchin, »die wirklich eine gescheute Frau ist, und sich nicht in jenen wundersamen Stolz der Unwissenheit verschanzt, welcher die Andern verleitet, sich dem Empfang jeder Unterweisung, woher sie auch kommen möge, zu widersetzen und der es A. nicht einmal der Mühe werth scheinen ließ, aus dem Fenster zu blicken, um den Niagarafall zu sehen.« So daß er bald über den Vortheil berichten konnte, der ihnen Allen aus der Thatsache erwachsen sei, daß diese unternehmende Frau sich so »mit den Namen aller möglichen Gemüse, Fleischarten, Suppen, Früchte und Küchenbedürfnisse« bekannt gemacht habe, daß sie im Stande war, alles Nöthige von den Bauern, die den ganzen Tag bekorbt und barfuß aus- und eintrabten, zu bestellen. Ihr Beispiel wurde sofort ansteckend; Glücklicherweise jedoch nicht in einer andern wichtigen Beziehung, denn am Vorabend ihrer Rückkehr nach England erklärte sie ihre Absicht, dort zu bleiben und einen Italiener zu heirathen. »Sie wird nach Florenz gehen (12. Mai 1845) und die Trauung in Lord Hollands Hause vornehmen lassen müssen, und selbst dann ist sie nur nach dem englischen Gesetz verheirathet, und erlangt dadurch weder in Frankreich noch in Italien legale Ansprüche. Der Mann ist vollständig mittellos. Wäre eine Aussicht auf die Anlage einer netten, reinlichen Restauration in Genua da – was, wie mir scheint, nicht der Fall ist, denn die Genuesen haben eine natürliche Freude an Schmutz, Knoblauch und Oel – so würde es doch noch ein gewagtes Unternehmen sein, da die Priester dem Manne jedenfalls Schaden zufügen werden wenn sie können, weil er eine Protestantin geheirathet hat. Allein das Aeußerste, was ich thun kann ist, dafür zu sorgen, falls eine solche Krise eintritt, daß es ihr nicht an Mitteln fehlt, nach England zurückzukehren. Wie mein Vater sagen würde: sie hat gesäet und muß ernten.« und vor dem Ende der zweiten Septemberwoche erreichte mich die Nachricht, »daß die Diener anfingen, italienische Brocken aufzulesen. Einige besuchen eine wöchentliche Conversazione der Domestiken des Gouverneurs jeden Sonnabend Abend, nachdem sie ihre Bestürzung über die häufige Einführung von Quadrillen bei diesen Zusammenkünften überwunden haben, und ich glaube, das ausländische Leben fängt an ihnen zu gefallen.«

Bei den Kaufleuten, mit denen sie in Albaro handelten, fand er belustigende Charakterzüge. So eifrig sie hinter dem Gelde her waren, so löschte ihr Müßiggang doch selbst diese Neigung aus. Man bestellte zwei oder drei Pfund Thee zu sofortiger Uebersendung, und der Theehändler war auf's Höchste niedergeschlagen. »Hat es nicht bis morgen damit Zeit?« »Ich brauche es jetzt,« war die Antwort, worauf er vielleicht erwiederte: »Nein, nein, es kann keine Eile haben.« Er remonstrirte gegen die Grausamkeit. Aber überall war man zuvorkommend, gefällig, mehr als höflich. »In einem Café kostet ein kleines Bierglas voll Eis etwas mehr als drei Pence, und wenn Du dem Kellner außerdem noch giebst, was Du einem englischen Bettler nicht anbieten würdest, sage den dritten Theil eines Halfpenny, so ist er äußerst dankbar dafür.« Die Aufmerksamkeiten, welche ihm von angesiedelten Engländern bewiesen wurden, nahmen kein Ende. Ich will hier erwähnen, daß Dickens Empfehlungsbriefe an Ansässige in allen Theilen Italiens mitgenommen hatte, aber, so viel ich weiß, kaum einen davon abgab. Einige Monate ehe er Italien verließ, drückte er in einem Briefe an mich seine Genugthuung darüber aus. »Wir leben sehr still und ich freue mich jetzt mehr als je, daß ich mich den ›empfangenden‹ Eingeborenen immer fern gehalten, und kaum einen meiner Empfehlungsbriefe abgegeben habe. Hätte ich es gethan, so würde ich nichts gesehen und noch weniger kennen gelernt haben. Ich habe bemerkt, daß die Engländerinnen, die mit Ausländern verheirathet sind, ohne Ausnahme die Licenz, die sie annehmen, am weitesten treiben. Denke Dir, daß eine an einen königlichen Kammerherrn (nicht hier) verheirathete Dame beim Essen zu dem Herrn des Hauses, wo ich dinirte, sagte: sie habe seinen Satirist wieder mitgebracht, finde aber, es sei nicht so viel ›Spaß‹ darin als sonst. Ich sah mir das Blatt nachher an, und fand es vollgestopft von so gemeinen Zoten, daß mir die Haare zu Berge standen.« Zu Anfang seines Aufenthalts, in Augenblicken der Noth, bemühten sie sich (»große Kaufleute und ernste Männer«), als wären sie die bezahlten Lieferanten der Familie. Ganz besonders that ein Herr Namens Curry sich dabei hervor, dessen unermüdlicher Freundlichkeit Dickens sich noch lange erinnerte.

Seine leichte, lebhafte, bewegliche Gestalt wurde bald in den Straßen von Genua bekannt und er durchwanderte sie nie, ohne eine Seltsamkeit mit fortzunehmen. Ich hörte bald von der Strada Nuova und Strada Balbi, von denen die breiteste enger sei als Albany-Street, und die andere nicht so breit als Drury-Lane oder Wich-Street, aber beide voll von Palästen von edelm Styl und solchem Umfang, daß man in einem derselben eben so viele Fenster zählen könne als Tage im Jahre, und auch dieser nehme noch keineswegs den größten Raum ein. Ich hörte auch von den andern Straßen, sämmtlich ohne Trottoirs und sämmtlich von verschiedenen Graden der Enge, aber meist wie Field-Lane in Holborn, mit wenig Raum zum Athmen wie St. Martins Court, und die breiteste nur stellenweise breit genug zum Umwenden eines mit zwei Pferden bespannten Wagens. »Stelle Dir vor, Du sähest eine Straße von Reform Clubs Einer der großen Londoner Clubs in der bekannten Clubstraße Pall-Mall. – D. Uebers. hinunter, in dieser wunderlichen Weise zusammengepfercht, so daß die hohen Dächer sich in der Perspektive fast zu berühren scheinen.« In den Kirchen fiel ihm nichts so sehr auf, als der Contrast der darin angehäuften Masse von Plunder und Flittergold, mit dem wirklichen Glanz ihrer Ausschmückung. Nur eine, die der Kapuziner, strahlte von oben bis unten von Gold, Edelsteinen und unschätzbaren Gemälden; und hier bestand der Hauptgegensatz gegen ihren Glanz in dem Schmutz ihrer Herren, deren bloße Beine, strickumgürtete Lenden und grobe braune Kutte, unverändert bei Tag und bei Nacht, inmitten des Reichthums ihrer Genossenschaft ihr persönliches Gelübde der Armuth verkündeten. Er fand ihren Anblick und die Begegnung mit ihnen weniger angenehm als die mit dem Landvolke der Vorstadt, an Festtagen, wenn sie die Indulgenzen, die ihnen das Recht gaben, lustig zu sein, wie Schlagbaumbillette an ihren Hüten trugen. Die Bauernmädchen schienen im Allgemeinen nicht hübsch, obgleich sie sich anmuthig hielten und außerordentlich gut gingen; aber die durch schwere Arbeit und eine brennende Sonne erzeugte Häßlichkeit der alten Weiber, mit hohen Wulsten von grobem, grauem Haar über ihren runzeligen, leichenhaften Gesichtern, schien ihm geradezu schreckenerregend. Er war nie in einer auch nur dreihundert Schritte langen Straße, ohne daß die Hexengestalten aus Macbeth ihm aufs Lebhafteste in's Gedächtniß gerufen wurden.

Mit den Theatern wurde er natürlich bald bekannt, und über das Puppentheater schrieb er mir immer wieder mit humoristischem Entzücken. »Es gibt noch andere Dinge,« fügte er hinzu, nachdem er mir den Bericht gegeben hatte, der in seinem Buche abgedruckt ist, »zu feierlich überraschend, um dabei zu verweilen. Man muß sie sehen. Man muß sie sehen. Der Zauberer, der die Braut entführt, ist nicht größer als seine Diener, die feurige Fackeln schwingen und ihren brennenden Spiritus bei jeder Bewegung fallen lassen. Auch der Zauberer selbst, wenn er, abgehetzt und überwunden, in die wogende See springt und ein feuchtes Grab findet. Auch der zweite Komiker von etwa 55 Jahren und im Gesicht Georg III. ähnlich, wenn er die Vorstellung des nächsten Abends ankündet. Man muß es Alles sehen – erzählen läßt es sich nicht. Völlig unmöglich.« Die lebendigen Schauspieler hielt er nicht für so gut; in der That war ein Mangel an Vertrauen zu den italienischen Schauspielern immer eine Ketzerei bei ihm gewesen, und die beklagenswerthe Länge des Dialogs, im Vergleich zu der unbedeutenden Handlung ihrer Stücke, machte sie für ihn äußerst ermüdend. Das erste was er in dem Haupttheater sah, war eine Bearbeitung von Balzac's Père Goriot. »Ich dachte zuerst der häusliche Lear würde vortrefflich werden. Aber er war zu kläglich – vielleicht würde die italienische Wirklichkeit grade so sein. Nichtsdestoweniger wurde er ungeheuer applaudirt.« Später sah er eine Bearbeitung von Dumas' tollem Schauspiel › Kean‹, in dem die meisten Vertreter der englischen Bühne rothe spitze Hüte und sehr weite Blousen mit breiten Gürteln und Schnallen trugen. »Es war eine mysteriöse Person da, Prinz von Var-lees (Wales) geheißen, der jüngste und schlankste Mann der Truppe, dessen scherzhafte Reden in Kean's Ankleidezimmer unwiderstehlich waren; und der Ankleider trug Reitstiefeln, eine phrygische Mütze, eine schwarze Sammetjacke und Lederhosen. Mehrere der Schauspieler sahen mich sehr scharf an, um zu entdecken, was diese englischen Eigenthümlichkeiten für einen Eindruck auf mich hervorbrachten – besonders als Kean seine männlichen Freunde auf beide Backen küßte.« Die innere Einrichtung des Theaters, das er für größer hielt als Drury-Lane, schien ihm vortrefflich. Statt eines Billets für die Privatloge, die er im ersten Rang genommen hatte, gab man ihm den gewöhnlichen Einlaßschlüssel, mit welchem er die Loge selbst öffnen konnte, als wohne er dort, und für das Ganze, »eine ebenso bequeme und private Loge wie in dem Londoner Opernhause,« bezahlte er nach englischem Gelde nur acht Shillinge und vier Pence. Die Oper selbst bekam ihre regelmäßigen Spieler erst nach Weihnachten, aber im Sommer war eine gute komische Truppe da, und Dickens sah die Scaramuccia und den Barbier von Sevilla heiter und angenehm aufführen. Außerdem war ein Tagtheater da, das um halb fünf Uhr Nachmittag anfing; aber abgesehen von der Neuheit des Betrachtens der überdachten Bühne, während er selbst in der frischen heitern Luft saß, fand er an der ihm vorgeführten Komödie Goldoni's nicht viel Gefallen. Später kam ein russischer Circus, den die ungewöhnlichen Regengüsse jenes Sommers rasch auslöschten.

Ueber die religiösen Anstalten zog er frühe und zahlreiche Erkundigungen ein, und eine derselben hatte seine Neugier lange erregt und enttäuscht, ehe er entdeckte was sie eigentlich war. Alles was von der Straße aus gesehen werden konnte, war eine große Mauer, anscheinend ganz allein stehend, nicht dicker als eine Scheidewand, mit vergitterten Fenstern, denen eiserne Läden ferneren Schutz verliehen. Zuerst dachte er, es sei ein Feuer dort gewesen; aber allmälig erfuhr er, daß auf der anderen Seite Galerieen seien, eine über der andern, und daß Nonnen fortwährend darin auf- und abschritten. Nach Außen wie die Wand eines Ballspielplatzes, war es im Innern ein großes Nonnenkloster, und so lange die armen Schwestern auch auf- und abschritten, weder sie noch die Vorübergehenden konnten etwas voneinander sehen. Es war nahe bei der Aqua Sola, einem kleinen Park, mit noch jungen, aber sehr hübschen Bäumen und frischen, frohen Springbrunnen, wo die Genuesen Sonntags spazieren gehen, und unter welchem ein Bogengewölbe mit großen öffentlichen Wasserbehältern sich befand, wo, zu allen gewöhnlichen Zeiten, die Waschfrauen, dreißig oder vierzig an der Zahl, mit Waschen beschäftigt waren. In Albaro waren sie in Bezug hierauf schlechter versorgt: denn das Zeug wurde dort in einem Teich gewaschen, mit Kürbissen geschlagen und mit einem Kalkpräparat gebleicht, »so daß es,« schrieb er mir am 24. August, »zwischen dem Schlagen und dem Brennen unversehens Löcher bekommt und meine weißen Hosen nach sechswöchentlichem Waschen sich sehr gut zu Fischernetzen eignen würden. Es ist solch ein ernstlicher Schaden, daß wir beabsichtigen, zu Hause zu waschen, wenn wir den Palazzo Peschiere beziehen.«

Grade vierzehn Tage vor diesem Datum hatte er vom ersten Oktober an Zimmer in dem Palazzo Peschiere gemiethet, und damit endete die Häuserjagd nach einer Winterwohnung, die ihn so oft in die Stadt geführt hatte. Der Palazzo Peschiere war der größte Palast in Genua, der vermiethet wurde und hatte den Vorzug, auf einer Höhe abseit von der Stadt zu stehen, umgeben von seinen eigenen Gärten. Dickens' Zimmer darin waren vorher von einem englischen Oberst bewohnt gewesen, dessen noch nicht abgelaufener Miethtermin ihm für 500 Franken monatlich überlassen wurde, und einige Tage später (20. August) beschrieb er mir einen künftigen Hausgenossen. »Ein spanischer Herzog hat die Zimmer unter mir in dem Palazzo Peschiere genommen. Die Herzogin war viele Jahre lang seine Maitresse und gebar ihm, glaube ich, sechs Töchter. Er versprach ihr immer, er wolle sie heirathen, wenn sie einen Sohn zur Welt bringe, und als endlich der Junge ankam, trat er in ihr Schlafzimmer mit den Worten: ›Herzogin, ich freue mich, Sie zu begrüßen.‹ Und er heirathete sie in allem Ernst und legitimirte alle die andern Kinder, wie er nach spanischem Gesetz thun konnte.« Die Schönheit der neuen Wohnung wird eine kleine Schilderung rechtfertigen, wenn er sein Quartier dort aufschlägt. Inzwischen mögen einige Zwischenfälle der Schlußwochen seines Aufenthalts in Albaro erzählt werden.

In der Mitte des August speiste er bei dem französischen General-Consul, und es wird jetzt keine Unschicklichkeit mehr darin liegen, wenn seine angenehme Beschreibung des Dîners hier abgedruckt wird. »Außer anderen Genuesen war der Marquis di Nigra anwesend, ein sehr fetter und älterer Jerdan, Ein zeitgenössischer englischer Schriftsteller und Bekannter von Dickens. – D. Uebers. mit derselben Dicke der Sprache und Größe der Zunge. Er war ein Freund Byron's, hält hier offenes Haus, schreibt Verse, improvisirt und ist ein sehr guter alter Schafskopf, ganz die Sorte von Werkzeug, womit man einen artesischen Brunnen machen könnte, an jedem beliebigen Orte. Nun, Sir, brachte nach dem Essen der Consul meine Gesundheit aus, mit einer kleinen französischen Idee, des Inhalts, daß ich nach Italien gekommen sei, um dessen liebliches Klima aus eigener Erfahrung kennen zu lernen, und daß diese Aehnlichkeit zwischen der italienischen Sonne und ihrem Besucher sei, daß die Sonne in die dunkelsten Orte hineinscheine und sie durch ihren segensreichen Einfluß erhelle und beglücke, und daß meine Bücher dasselbe gethan hätten mit den Herzen der Menschen, – und so fort. Worauf der Schafskopf seinem blauen Rock mit blanken Knöpfen einen großen Schlag auf die Brust giebt, sein Fischauge aufschlägt, seinen Arm ausstreckt wie die lebendige Statue, die in Astley's Amphitheater dem Blitze trotzt, und mir zu Ehre vier Impromptu-Verse hersagt, worüber Jedermann entzückt ist, und ich mehr als Jedermann – vielleicht mit dem besten Grunde, denn ich verstand kein Wort davon. Dann nimmt der Consul aus seiner Brust eine Papierrolle und sagt: ›Ich will sie lesen.‹ Der Schafskopf sagt darauf: ›Thun Sie es nicht!‹ Aber der Consul thut es, und der Schafskopf schlägt auf dem Tische mit den Fingern Takt zu der Musik der Verse und lehnt sich beständig vorwärts, um um die Mütze einer Dame herum zu sehen, die zwischen ihm und mir sitzt, und zu beobachten, was ich davon denke. Ich zeige lebhafte Rührung. Die Verse sind in französischer Sprache – kurze Zeilen, über die Einnahme von Tanger durch den Prinzen von Joinville und werden mit großem Beifall empfangen, besonders von einem anwesenden Edelmann, der, wie es heißt, nicht schreiben und nicht lesen kann. Sie schließen, so weit ich mich entsinne (ich übersetze sie rasch in Prosa), wie folgt:

Die Kanonen von Frankreich
Erschüttern den Grund
Des staunenden Meeres,
Die Artillerie am Ufer
Wird zum Schweigen gebracht.
Ehre Joinville
Und den Tapfern!
Die große Kunde
Wird getragen
Auf den Schwingen des Ruhms
Nach Paris.
Seine Bürger
Tauschen Liebkosungen aus
In den Straßen!
Die Tempel sind gedrängt voll
Von religiösen Patrioten,
Die dem Himmel
Dank darbringen.
Der König
Und die ganze königliche Familie
Sind gebadet
In Thränen.
Sie rufen den Namen
Joinville!
Auch Frankreich
Weint und hallt davon wieder.
Joinville ist gekrönt
Mit Unsterblichkeit;
Und Friede und Joinville,
Und der Ruhm Frankreichs
Verbreiten sich
Gemeinsam.

Wenn Du Dir die ausgewählte Abgeschmacktheit vorstellen kannst, so etwas in den Geist aufzunehmen, so wirst Du einen Begriff haben von der Mühe, die es mir kostete, den untern Theil meines Gesichtes grade zu halten und ein Auge wie mit bewundernder Aufmerksamkeit sanft emporzuschlagen. Ich muß jedoch hinzufügen, daß die Uebersetzung ziemlich wörtlich ist, denn ich las die Verse nachher.«

Es war dies auch das Jahr anderer unbequemer Ruhmesthaten Frankreichs, gegen das Ende der Orleans'schen Dynastie, (darunter, wie Politiker sich erinnern mögen, die Affaire von Tahiti); und zu Anfang September wurden die Gerüchte über einen Krieg mit England so heiß, daß Dickens ernstlich daran dachte, sein Zelt abzubrechen. Einer seiner Briefe war voll von den kämpfenden Zweifeln, in denen sie fast vierzehn Tage lang lebten, während die Nachrichten jedes neuen Tages denen des vorhergehenden widersprachen, so daß man, wie er mir erzählte, heute einem Menschen in der Straße begegnete, der erklärte, es werde ganz gewiß in einer Woche Krieg geben, und begegnete man demselben Menschen morgen, so schwur er, er habe es immer gewußt, der Friede werde erhalten bleiben; und begegnete man ihm wieder den Tag darauf, so sagte er, Alles hänge jetzt von etwas ganz Neuem und bisher Unerhörtem ab, was, wie irgend sonst Jemand sagte, gerade zu der Kenntniß irgend eines Consuls gekommen sei, in einer Depesche, die etwas über einen Telegraphen berichtete, der irgendwo beschäftigt gewesen sei, irgend welche staunenswerthen Nachrichten zu signalisiren. Doch Alles ging harmlos vorüber und er konnte ungestört ein Vergnügen genießen, welches ihm aus dem Dîner des General-Consuls erwuchs, indem er bei einem großen Empfang zugegen war, der kurz darauf im Hause des guten »alten Schafskopfs« auf Veranlassung des Geburtstags seiner Tochter stattfand.

Der Marquis hatte ein prächtiges Haus, aber Dickens fand die Gartenanlagen so in Grotten und phantastische Wege ausgeschnitzt, daß sie ihn an nichts mehr erinnerten als an das alte Whiteconduit-House, Eine öffentliche Restauration in London. – D. Uebers. ausgenommen, daß es ihm bei der gegenwärtigen Veranlassung sehr willkommen gewesen sein würde, einen Kellner zu entdecken der ausrief: ›Machen Sie Ihre Bestellungen, meine Herren!‹ Denn es wurde ihm nie leicht, sich die ganze Nacht bloß mit Eis und bunten Lampen wachzuhalten. Aber eine Zeit lang war die Scene belustigend genug, und nicht am wenigsten durch das Entzücken des Marquis selbst, »der beständig aus dunkeln Ecken, zwischen dem Gitterwerk und den Blumentöpfen auftauchte, sich die Hände rieb und immer wieder mit lautem Lachen die Runde machte, in seiner gewaltigen Befriedigung über das Fest.« Der Gedanke aber daß noch vier Stunden mehr von einem solchen Feste zu viel seien, daß die Thore von Genua um Zwölf geschlossen würden und daß er, da sein Wagen erst für die Zeit bestellt war, wenn das Tanzen vorüber und die Thore wieder geöffnet sein würden, rasch die Flucht ergreifen müsse, wenn er Albaro noch erreichen wolle, erfüllte Dickens mit Schrecken. »Ich hatte kaum Zeit,« schrieb er mir, »das Thor vor Mitternacht zu erreichen und lief so rasch als ich laufen konnte, bergab, über unebenes Terrain, einer neuen, Strada Serra genannten Straße entlang, als ich an eine Stange kam, die fast brusthoch, ohne Licht oder Wächter, gerade über die Straße hingespannt war – ganz nach italienischer Weise. Ich stürzte kopfüber mit solcher Gewalt darüber hin, daß ich mich in dem Staube ganz weiß rollte; aber obgleich ich meine Kleidung in Stücken riß, kam ich sonst fast ohne Schramme davon, mit Ausnahme einer Stelle am Knie. Ich hatte für den Augenblick keine Zeit, darüber nachzudenken, denn ich stand sofort auf und lief weiter, um noch durch das Thor zu kommen; als ich aber außerhalb der Stadtmauer war und sah, in welchem Zustande ich mich befand, staunte ich selbst, daß ich mir nicht den Hals gebrochen hatte. Hierauf machte ich's mir bequem und ging, auf höchst einsamen Wegen und ohne einer einzigen Seele zu begegnen, nach Hause. Aber man hat, wie ich glaube, von mitternächtlichen Spaziergängen in diesem Theile Italiens nichts zu fürchten. An andern Orten setzt man sich der Gefahr aus, aus Versehen todtgestochen zu werden, während die Leute hier ruhig und gutmüthig sind und sehr selten Gewaltthätigkeiten begehen.«

Solche Abenteuer bleiben jedoch selten ohne Folgen, und in diesem Falle folgte ein kurzer, aber scharfer Krankheitsanfall. Derselbe begann mit dem alten »unaussprechlichen und qualvollen Schmerz in der Seite,« wogegen Bob Fagin in der alten Schuhwichselagerzeit die heißen Flaschen angewendet hatte, und wich schnell kräftigen Heilmitteln. Aber einige Tage lang mußte er sich mit den kleineren Sehenswürdigkeiten von Albaro begnügen. Er saß täglich im Schatten der verfallenen Kapelle am Meeresufer. Er sah grade hinein nach dem in der kleinen Landkirche stattfindenden Feste, das wesentlich aus einem Tenorsänger, einer Seraphine und vier Priestern bestand, die in einer Reihe an einer Seite des Altars gaffend dasaßen, »in geblümten Atlaskleidern und kleinen Tuchmützen, und grade wie die Musikbande bei einer Menagerie von wilden Thieren aussahen.« Es interessirte ihn zu sehen, wie der Wein bereitet wurde, und wie die Landpächter ihre jährlichen Geschenke von Körben mit Trauben und andern hübsch mit Blumen gezierten Früchten für ihre Grundherren fertig machten. Die Jahreszeit der Trauben führte auch nach dem Dunkelwerden große Schaaren von Ratten herbei, die kamen, um die Trauben zu essen, und so viele Jagdgesellschaften von Bauern, die sich dieser Räuber zu entledigen suchten, daß Dickens, als er zuerst den Lärm des Feuerns und des Echos hörte, halb und halb meinte, Albaro befinde sich im Belagerungszustand. Auch die Fliegen kamen in Haufen und die Mosquitos, Was sein armer kleiner Hund litt, sollte nicht unerwähnt bleiben bei den Leiden des Herrn, der ihn so liebte. »Wir haben Timber vollständig glatt geschoren wegen der Flöhe, und er sieht aus wie das Gespenst eines ertränkten Hundes, der nach einer Woche oder so wieder aus dem Teiche hervorkommt. Es ist schreckenerregend, ihn in ein Zimmer hineingleiten zu sehen. Er weiß es, wie verwandelt er ist, und dreht sich fortwährend um, um sich nach sich selbst umzusehen. Ich glaube, er wird vor Kummer sterben.« Drei Wochen später: »Timber's Haar wächst wieder, so daß man dunkel erkennt, daß er ein Hund ist. Die Flöhe halten jetzt nur noch drei seiner Beine vom Boden fern und zuweilen geht er aus eigenem Antrieb nach einem Orte, wohin sie nicht gehen wollen.« Seine Besserung nach dieser Zeit war langsam, aber beständig. so daß er Nachts unter einer Gazeumhüllung liegen mußte, wie kaltes Fleisch in einem Speiseschrank.

Alle Nachrichten aus England, und besonders Besuche englischer in Italien reisender Freunde, machten ihm natürlich große Freude. Dies war das Jahr, in welchem O'Connell durch den Spruch des Appellationsgerichts des Oberhauses aus dem Gefängniß befreit wurde. »Ich glaube nicht, daß O'Connell die große Stellung einnehmen wird, die er jetzt einnehmen könnte, weil er immer von Eitelkeit umlagert ist. Ueber Denman freue ich mich sehr. Es freut mich, daß ich ihn immer so gern mochte. Ich bin überzeugt, wenn er einmal einen Irrthum begeht, so ist es ein Irrthum, und Niemand ist von einem großartigeren und edleren Zorn gegen jede gemeine und feige Handlung erfüllt. Ich möchte, man könnte ihm ein öffentliches Zeugniß der Achtung darbringen . . . O'Connell's Reden sind gerade wie immer: gereizt, prahlerisch, aufbrausend, bissig gegen die Stimmen in der Menge und so fort, aber ohne wahre Größe . . . Was für eine Erlösung, sich dem edeln Briefe Carlyle's zuzuwenden« (der ein zeitgemäßes Zeugniß geliefert hatte für die Wahrhaftigkeit und Ehrenhaftigkeit Mazzini's), »welcher mir über alles Lob erhaben scheint. Grüße ihn herzlich von mir.« Unter seinen englischen Besuchern befand sich Mr. Tagart's Familie, auf ihrer Rückkehr von einem wissenschaftlichen Congreß in Mailand, und Peter (jetzt Lord) Robertson, auf der Rückreise von Rom, über dessen Mittheilungen Dickens sehr angenehm erzählte. Während des Sommers hatte man den Söhnen von Burns in Edinburgh eine Feier bereitet, die man Burnsfest nannte, worüber ich ihm durch Jerrold, der zugegen war, keinen sehr günstigen Bericht geschickt hatte; und dieser Bericht wurde nun bestätigt durch Robertson, dessen Briefe ihm eine »schreckhafte« Erzählung von Wilson's Rede und der ganzen Sache gegeben hatten. »Es war ein Mann da, der ungefähr eine Viertelstunde an dem Trinkspruch auf die Flotte sprach und nichts weiter herausbringen konnte als ›die – Britische – Flotte – würdigt immer‹ –, welchen bemerkenswerthen Gefühlsausdruck er während der angegebenen Zeit fortwährend wiederholte und sich dann setzte. Robertson erzählte mir auch, daß Wilson's Anspielung, oder ich sollte vielmehr sagen Auslassung, über die ›Laster‹ von Burns, ein Gefühl des Unwillens und des Ekels erregte und fügte sehr vernünftig hinzu: Bei Gott! ich möchte wissen, was Burns gethan hat! Ich habe nie gehört, daß er etwas gethan hat, was dem Professor seltsam oder unerklärlich zu scheinen brauchte. Ich glaube er muß es mit dem Namen versehen und sich eingebildet haben, es sei ein Festmahl für die Söhne Burkes' – womit er natürlich den Mörder meinte. Kurz, er bestätigte Jerrold in jeder Beziehung.« Ueber Robertson und Wilson vergl. Bd. 1. S. 224. – D. Uebers. Derselbe Brief erzählte mir auch etwas von seiner Lektüre. Jerrold's Story of a Feather hatte ihm ausnehmend gefallen. »Gauntwolf's Krankheit und die Geschichte der Schnupftabacksdose sind meisterhaft. Ich bin in Reisebeschreibungen und in Defoe vertieft gewesen. Auch Tennyson habe ich immer wieder gelesen. Was für ein großer Mensch er ist! . . Wie steht es mit Deinem ›Goldsmith?‹ Apropos, ich bin voller Begier, eine Erzählung von ungefähr derselben Länge zu schreiben wie jene entzückendste aller Erzählungen, der Landprediger von Wakefield

In der zweiten Septemberwoche holte er seinen Bruder Frederick von Marseille ab, und reiste mit ihm über die Riviera nach Genua zurück, wo Jener vierzehn Ferientage zu verleben gedachte. Seine Beschreibung des ersten Wirthshauses in den Alpen, wo sie schliefen, ist zu gut, um verloren zu gehen. »Wir lagen gestern Abend,« schrieb er am 9. September, »an dem ersten Halteplatz auf dieser Reise, in einem Gasthause, das nicht, wie es sollte, die Inschrift trägt: ›Absteigequartier für Flöhe und Ungeziefer im Allgemeinen,‹ sondern: ›Großes Hotel zur Post.‹ Ich weiß kaum, womit ich es vergleichen soll. Es kam mir ungefähr vor wie ein Haus in Somers-Town, Eine abgelegene Londoner Vorstadt. – D. Uebers. das ursprünglich für Weingewölbe gebaut und niemals fertig gemacht, aber sehr alt geworden war. Es war nichts zu essen und nichts zu trinken darin. Man hatte den Theetopf verloren und als man ihn fand, wußte man nicht, was aus dem Deckel geworden war, der, als er endlich entdeckt und auf dem Theetopf befestigt wurde, nicht wieder losging, als noch mehr heißes Wasser hineingegossen werden sollte. Flöhe von elephantinischem Umfang sprangen kühn in den schmutzigen Betten herum; – und die Mosquitos! Doch hier laß mich die Gardinen vorziehen (wie ich gethan haben würde, wären welche da gewesen). Wir kamen kaum zum Schlafen, und standen mit kaum menschlichen Händen und Armen auf.«

In vier Tagen kamen sie nach Albaro, und am Morgen nach ihrer Ankunft erlebte Dickens die furchtbare Erschütterung, seinen Bruder beinahe in dem Golf ertrinken zu sehen. Ueber die Gefahren des Golfs hatte er mir schon früher geschrieben (10. August). »Ein Mönch ertrank hier am Sonnabend Abend. Er badete mit zwei andern Mönchen, die sich eiligst davon machten als er ausrief, er versinke – vermuthlich weil es so gewiß war, daß er in den Himmel kam.« Er schwamm in eine zu starke Strömung hinaus und wurde nur mit Mühe durch den Umstand gerettet, daß ein Fischerboot gerade im Begriff war den Hafen zu verlassen. »Es war eine Welt von Schrecken und Angst,« schrieb mir Dickens, »hineingedrängt in vier oder fünf Minuten schrecklicher Aufregung, und um den Schrecken zu vervollständigen, waren Georgina, Charlotte« (das Kindermädchen) »und die Kinder auf einem Felsen, wo sie Alles sehen konnten und schrieen, wie Du Dir denken kannst, als ob sie toll wären.« Er selbst badete von dem Felsen aus und zwar, wie er mir schon erzählt hatte, auf die primitivste Art. Er ging hinein, wo es ihm gefiel, schlug, wenn er mit dem Kopf voran hineinsprang, mit dem Kopf gegen scharfe Steine, platschte herum bis er über und über braun und blau war, und klomm und taumelte dann wieder hinaus. »Jedermann trägt ein Badekleid. Meines ist äußerst theatralisch: Masaniello wie er leibt und lebt; soll für Deine Beschauung in Devonshire-Terrace aufgehoben werden.« Ich will noch einen andern, ebenfalls Masanielloartigen persönlichen Zug hinzufügen, der den Beginn einer Veränderung bezeichnet, welche, obgleich vorläufig auf seinen Aufenthalt im Auslande beschränkt, und als er nach England kam beseitigt, doch etwas später wieder erneuert wurde, und innerhalb weniger Jahre das Aussehen seines Gesichtes vollkommen veränderte. »Der Schnurrbart ist glorreich, glorreich. Ich habe ihn kürzer geschnitten und an den Enden etwas zugestutzt, um seine Form zu verbessern. Er ist reizend, reizend. Ohne ihn würde das Leben öde und leer sein.«

 

*

 


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