Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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III.

Und so saßen sie nun endlich einander gegenüber und blickten sich in die Augen – der Abgeklärte, der Sohn einer kühlen, fast schon nordischen Heimat, der Vollendete, Angekommene auf der glücklichen Höhe eines reichen Lebens, dessen Namen ein ganzer Weltteil mit Ehren nannte.

Und der Andere, Unfertige, in dem noch ein ungelöster Rest von Sturm und Drang der Jugend war; das Kind Österreichs mit seiner unendlich reichen Kultur, seinem Formenwillen und seiner Gemütstiefe.

Goethe war ihm beim Eintritt entgegengekommen, hatte ihn begrüßt wie einen willkommenen Freund und war so liebenswürdig und herzlich, als er an jenem Teeabend zurückhaltend und kühl gewesen war.

Man saß im Junozimmer. Sonnenlicht füllte den vornehmen Raum und die starren Augen der Göttin blickten beinahe freundlich.

Wie verschieden waren die beiden Männer – schon in ihrer äußeren Erscheinung!

Goethe, ein Schirmkäppchen auf dem weißen Haar, im langen dunkelblauen Rock und schneeweißem Halstuch, halb wie ein König und halb wie ein gütiger Hausvater – mit leicht vorgebeugtem Oberkörper, den er vor fremden Besuchern so ängstlich steif und gerade hielt.

Aber der da vor ihm saß, den Kopf ein wenig schief gehalten, als lausche er auf eine ferne Stimme aus einer anderen Welt, in dem klugen Beamtengesicht die Linien eines stillen, nachsichtigen Pessimismus – der war kein Fremder für ihn. Auch er stammte aus der Welt des geistigen Adels, der in Wahrheit von Gottes Gnaden war.

Und so reichten sie einander über manches Trennende hinüber die Hände, und bald war ihr Gespräch weit und 145 tief, wie wenn der Vorhang vor einer Bühne aufgeht und den Blick in seltsame geistige Landschaften freigibt.

Grillparzer klagte über seine einsame Stellung in Wien, über drückende Amtsgeschäfte, über die unwürdige Überwachung alles Kulturlebens durch eine kleinliche Polizei, über das geringe Interesse der Hofkreise an geistigen Dingen.

Und es tat dem sonst so Schweigsamen und Verschlossenen unendlich wohl, sich hier aussprechen zu dürfen wie vor einer höheren Instanz.

Goethe hörte voll Interesse zu, lächelte mitunter in sich hinein und meinte endlich:

»Ich gebe zu, daß unsere Weimarer Verhältnisse freier und fortschrittlicher sind. Aber Sie müssen eben versuchen, was ich in Weimar versuchte: den Hof geistig und den Geist hoffähig zu machen.«

»Das wird bei uns in Wien schwer möglich sein, Exzellenz,« erwiderte Grillparzer, »denn in Ermanglung eines Weimarschen Herzogs, der zu schützen und zu zahlen vermag, können wir nichts begehren als das Urteil geistig bedeutender Männer über unser Werk und unser Leben.«

»Was Sie vom Druck beruflicher Geschäfte sagen, kann ich nicht ganz verstehen,« bemerkte Goethe sinnend, »wer nichts sein will als Dichter, der hat das Wesen der Kunst nicht erfaßt. Wir müssen fest stehen – auch in der realen Welt. Sophokles, gewiß einer der größten Dichter, war Finanzminister von Athen, ohne daß dieses trockene Amt seinen Tragödien geschadet hätte. Und was mich betrifft, so sind im Dienste unseres kleinen Staates eine Menge höchst lästiger Geschäfte auf meine Schultern gefallen und ich habe mirs sauer genug werden lassen, meine Amtspflichten streng zu erfüllen.«

»Und dennoch sind Sie, zu Ihrem und unserem Glück, immer mehr Dichter als Minister gewesen.«

»Mag sein; aber vor allem wollte ich ein ganzer, voller Mensch sein. Und wenn Sie Ihre vereinzelte Stellung in Wien beklagen, so mögen Sie bedenken, daß der Mensch nur in Gemeinschaft mit Gleichen wirken kann. Wenn Schiller und ich das geworden sind, als was uns die 146 Welt anerkennt, so verdanken wir es zum größten Teil dieser fördernden und ergänzenden Wechselwirkung.«

Grillparzer schwieg. Goethe hatte, wohl ohne es zu wissen, an eine kranke Stelle in seinem Gemüt gerührt. Er, der sich immer ängstlich verschloß, der einsame Ichmensch, der Eigenbrötler, hatte keinen wirklichen Freund, keinen Mitstrebenden an seiner Seite.

Goethe erhob sich:

»Nun kommen Sie – es ist noch Zeit bis zum Mittagsmahl, ich will Ihnen etwas von meinen Schätzen zeigen.«

Es ging durch mehrere Zimmer in einen großen, einfach gehaltenen Raum mit hohen schmalen Kästen und Glasschränken.

Die Mineraliensammlung.

»Sehen Sie hier, dieses Stück Sohlenhofener Schiefer enthält die Versteinerung eines Urvogels. Hier sind Probestücke vulkanischer Gesteine aus Eger, hier Erzstufen vom Ural, dort ein Profil des Bergwerks von Ilmenau. Und hier meine Herbarien – Sie wissen ja, daß ich den Spuren der Urpflanze nachgehe, die schon in Italien der Gegenstand meiner Studien war. Dort hängen meteorologische Tabellen, hier stehen meine Apparate zur Farbenlehre, mit deren Hilfe ich den Beweis führen werde, daß Herrn Newtons Theorie von der Zusammensetzung des weißen Lichts unrichtig ist.«

Grillparzer staunte. Da lag das ganze Forscherleben dieses universalen Geistes vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch. Und neue Schränke taten sich auf, gefüllt mit Stichen, Handzeichnungen, geschnittenen Steinen, Bronzen, Münzen.

»Hier in meinem Arbeitszimmer ist auch einiges, das Sie interessieren wird«, bemerkte Goethe, eine Tür öffnend.

Überrascht blieb Grillparzer auf der Schwelle stehen. Das also war das Arbeitszimmer – so schlicht und einfach – so ganz anders, als es sich seine Phantasie ausgemalt hatte. Er war beinahe enttäuscht.

Keine Bilder an den Wänden, keine Kunstgegenstände wie in allen anderen Zimmern; keine Teppiche, nichts, was den nach innen gerichteten Blick eines großen 147 Geistes ablenken konnte, der hier in der Stille an seinen besten Werken schuf.

Nur ein hohes Regal mit vielen Büchern bis hoch an die Wand hinauf, ein einfacher Tisch, ein Stehpult.

»Ich arbeite am liebsten am Stehpult,« antwortete Goethe auf eine Frage des Gastes, »da fliegen mir die guten Gedanken ganz ungezwungen zu; wenn ich niedersitze, ist die Idee oft schon halb verflüchtigt, man muß sie im Fluge schießen wie der Jäger den Vogel . . .«

Eine Silhouette, die in schmalem Rahmen neben dem Stehpult hing, zog Grillparzers Aufmerksamkeit an. Als er nähertrat, erkannte er den Wuschelkopf – – – Marianne Willemer, die Linzerin, vielleicht die einzige von Goethes Liebesbeziehungen, die nicht vom Hauch der Tragik gestreift war.

Die Suleika des west-östlichen Divans – Sängerin, Tänzerin, Dichterin – ein schwarzgelockter Sprühteufel voll Temperament und tollen Launen, der es verstanden hatte, die ermüdenden Lebensflammen des Alternden noch einmal anzufachen zum frohen Brand der Dichtung und Daseinsfreude.

»Du beschämst wie Morgenröte
jener Gipfel ernste Wand . . .«

sprach Grillparzer vor sich hin.

Und Goethe, fernen Erinnerungen nachträumend, vollendete leise:

»und noch einmal fühlet Hatem
Frühlingshauch und Sommerbrand . . .«

Dann setzte er sich in den breiten Stuhl beim Schreibtisch, und Grillparzer mußte erzählen.

Von Linz, von der Donau, von Oberösterreich, der Heimat seiner Mutter, von fröhlichen Kirchtagsfesten der Bauern.

»Ich will Ihnen einige Dinge zeigen, die mich an Ihre Heimat erinnern«, sagte Goethe und zog eine Schublade auf.

Der Briefwechsel mit der Kaiserin von Österreich kam zum Vorschein, das kaiserliche Privileg gegen den Nachdruck für seine gesammelten Werke; es war in ein seidenes Tuch eingeschlagen und Goethe schien besonders viel darauf zu halten. 148

Friedrich, der Diener, war eingetreten und meldete, daß die Mittagsgäste sich im Empfangszimmer versammelten.

»Gehen wir«, sagte Goethe und griff nach der Hand des Gastes, um ihn zu Tisch zu führen.

Er zuckte zusammen bei der leichten Berührung. War es Traum oder Erlebnis, daß er die Hand Goethes in der seinen hielt – die Hand des Großen, den er verehrte wie einen Gott, weil er ihm in der Entfernung und dem unermeßlichen Abstand beinahe zu einer mythischen Gestalt geworden war.

Aber diese Hand war nicht die eines Greises. Warmes Blut durchströmte ihre Adern und ihr Griff war fest und sicher. Und doch war sie weich und gütig in ihrem sanften Druck; er dachte daran, daß es die Hand war, die einen Faust und Tasso geschrieben, das Steuer eines kleinen Staates gelenkt und noch vor wenigen Jahren zärtlich den Scheitel eines blühenden jungen Mädchens, der neunzehnjährigen Ulrike von Levetzow, gestreichelt hatte, mit jener letzten Liebe, die am köstlichsten und schmerzlichsten ist, weil sie den letzten Gruß des Lebens bedeutet.

Eine geheimnisvolle Macht ging von dieser Hand aus, eine Kraft, die mehr als sieben Jahrzehnte überdauert hatte, sieben Jahrzehnte eines Daseins, das köstlich und in Mühe und Arbeit hingebracht war. Und nun hielt er sich nicht länger. Fester drückte er die warme Hand, und wieder kam der Knabe in ihm zum Vorschein. Ein Strom von Tränen brach aus seinen Augen. Er weinte, hemmungslos und leise, wie ein Kind.

Fühlte er, der große Menschenkenner, was da neben ihm geschah?

Mit unendlicher Güte senkte sich der Blick der großen dunklen Augen auf den Gast.

»Nicht so – nicht so«, sagte er, ganz leise, wie ein Hauch.

Sie standen im Empfangszimmer. Grillparzer erwachte aus einem Traum.

Die Gesellschaft bestand nur aus Herren; Frau Ottilie war noch nicht heimgekehrt. 149

Grillparzer mußte an Goethes Seite sitzen, der so heiter und gesprächig war, wie man ihn, nach Versicherung der Gäste, seit langem nicht gesehen hatte.

Das Gespräch, von ihm durch eine kluge Bemerkung, einen Scherz, oft nur durch ein verständnisvolles Lächeln belebt, wurde allgemein. Goethe wendete sich aber öfters einzeln zu Grillparzer mit einer teilnehmenden Frage nach den Wiener Zuständen, wobei ihn besonders das Theater zu interessieren schien.

»Ich möchte noch etwas von Ihnen,« sagte Goethe nach aufgehobener Tafel, indem er ohne Umstände seinen Arm unter den des Gastes schob, »Sie müssen sich porträtieren lassen, ganz einfach nur, in schwarzer Kreide. Der Maler ist bestellt und wird bald erscheinen. Lassen Sie uns einstweilen in mein Hausgärtchen gehen.«

Langsam schritten sie den schmalen Kiesweg zwischen hohen Obstbäumen auf und nieder, während Goethe in angeregter Stimmung weiter plauderte:

»Es ist eine Gewohnheit von mir aus früheren Zeiten, wo ich mich noch mit Zeichnen und Malen beschäftigte. Alle Bilder von Personen, die mich interessieren, werden im Besuchszimmer in einen Rahmen eingefügt und jede Woche der Reihe nach gewechselt. Dann mahnt mich ihre Betrachtung an manches gute Wort, das der Gast gesprochen hat, an manche Anregung, die ich ihm geben konnte, und so bleibt mir der Besuch in dauernder Erinnerung. Sie werden in guter Gesellschaft sein. Ich habe Bilder von Tieck, von Schlegel, von Humboldt. Neulich war ein junger Philosoph bei mir zu Gast, Arthur Schopenhauer, ein Mann von großen Gaben, der vielleicht die geistige Welt noch in Erstaunen setzen wird.«

Sie ließen sich auf einer kleinen Bank im Schatten eines Apfelbaumes nieder.

Grillparzer freute sich an dem gut gepflegten Garten und dachte mit leisem Neid an seine melancholische Junggesellenwohnung in der Großstadt.

»Diese Bäume sind alle von mir selber gepflanzt. Was kann ein Mann in meinem Alter Besseres tun, als sich in die Arme der Natur zu werfen? Da gibt es ein persisches Sprichwort – Sie kennen es gewiß auch – das 150 sagt: Wer sich zum Diener des guten Gottes Ormuzd bekennt, zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkel in das Helle strebt, der muß drei Dinge tun im Leben: ein gutes Buch schreiben, einen Baum pflanzen und einem Kind das Leben geben. Nun, ich denke, das alles habe ich getan. Und so sitze ich oft hier zur blauen Stunde, wie der Bauer nach der heißen Feldarbeit auf seiner Hausbank sitzt und das Werk des Tages überdenkt.«

Dann sprachen sie von Grillparzers Sappho. Goethe billigte Form und Idee und verbreitete sich eingehend über Künstlerdramen.

»Da sehen Sie wieder einmal, wie das Wesen der Dichtung im Klassischen liegt. Ich weiß, daß die gegenwärtige Mode dem Romantischen zuneigt, und ich will nichts dagegen sagen, es ist die weitere Entwicklungsform. Aber die Romantik ist nach meiner Meinung nur ein Übergang. Höchstes Ziel des Dichters wird doch immer das Klassische sein.«

»Und Byron?« fragte Grillparzer zweifelnd, dem die Hochachtung Goethes vor dem englischen Dichter wohl bekannt war.

»Byron ist zu früh gestorben,« erwiderte Goethe eifrig. »Wäre er älter geworden, er hätte sich zweifellos der klassischen Dichtung zugewendet.«

Grillparzer hatte einigen Widerspruch auf den Lippen, aber da kam der Maler, ein junger Mann mit mächtigem schwarzen Kalabreser, und begann sein Werk.

Goethe war ins Haus gegangen, kam von Zeit zu Zeit wieder und überzeugte sich von den Fortschritten des Bildes. Endlich war er zufrieden und Grillparzer wurde aufs liebevollste entlassen.

Da stand er auf dem kleinen Stadtplatz.

Es war unmöglich, jetzt in den Gasthof zu gehen, zum Elefantenwirt mit seinen devoten Komplimenten. Auch in der Stadt litt es ihn nicht. Er mußte hinaus ins Freie, die gewaltige Erregung abklingen lassen, die ihn erfüllte. Was er jetzt erlebt hatte, war mehr als der Höflichkeitsbesuch eines jüngeren Dichters bei einem der größten Geister seiner Nation – eine Schicksalsstunde war es für ihn, ein Markstein auf dem Wege künstlerischen Werdens. 151

Ihm war, als müsse er Gericht halten über sein Leben und Dichten, streng und schonungslos gegen alles Weiche und Schwache seiner Natur. Aber wie hatte sein Vater, der strenge und doch gütige Kenner des Rechtes, immer gesagt: nie kann ein Richter in eigener Sache urteilen!

Der Vater. Nachdenklich, gründlich, korrekt – so korrekt, daß er in Armut sterben mußte; wohl hatte auch er von ihm die Statur und die ernste Lebensführung geerbt. Aber da war noch die Mutter – schön und lebensfroh, naiv, fahrlässig und leidenschaftlich, eine romantische Natur trotz ihrer bäuerlichen Abstammung.

Das war die seltsame Mischung seines Wesens. Sie bot Entwicklungsmöglichkeiten und Gefahren zugleich; man konnte ein Pflicht- und Aktenmensch werden, ein trockener und getreuer Beamter des Staates, oder aber ein untüchtiger Phantast, zu schwach und haltlos für das Leben im Alltag, oder gar Selbstmörder wie seine arme Mutter, deren trauriger Tod sein ganzes Gemütsleben überschattete.

Wohin ging sein Weg?

Hinauf zur kalten Höhe des Klassischen? Aber die war ja längst erklommen von den beiden Großen, dem Toten von Jena und dem Lebenden in Weimar. Oder in die mondbeglänzte Zaubernacht der Romantik, in das Reich dunkler dämonischer Empfindungen, das er betreten hatte in der Ahnfrau?

Er mußte wohl dem großen Zug der Entwicklung folgen, dem Zeitgeist, der auch vor einem Schiller und Goethe nicht halt machte, weil er jenseits der Einzelpersönlichkeit lag.

Denn nicht der Einzelne war es, der schaffen konnte, schaffen mußte. »Was sterblich war, ich hab es ausgezogen und bin der Kaiser nur, der niemals stirbt« – das Wort hatte er seinem Rudolf von Habsburg in den Mund gelegt. Aber vom Dichter galt dasselbe. Seine Kunst war etwas Unpersönliches. Zu dieser Zeit, an diesem Ort war sie in Goethe verkörpert; mit seinem Tode konnte sie nicht erlöschen.

Versunken in seine Gedanken, hatte er nicht auf den Weg geachtet. Nun fand er sich auf der Straße nach 152 Tiefurt. Da lag der Park, der kleine Pavillon, mit dem Blick nach der mit schönen alten Bäumen bewachsenen Anhöhe; Goethe hatte ihm den kleinen Spaziergang empfohlen, den Platz genau beschrieben, von der Schwärmerei der Fürstin für den Park erzählt, wo sein Singspiel »Die Fischerin« zum erstenmal aufgeführt worden war.

Die Sonne war im Untergehen, in der nahen Stadt klangen Abendglocken, der Doppelgipfel des Ettersberges hob sich in weicher Rundung von einem opalfarbigen Himmel ab.

Kein Menschenlärm störte die trauliche Stille; es war ein Plätzchen, so recht geschaffen, um hier an jemanden zu denken, der dem Herzen nahe stand. Grillparzer dachte an Katty, die ewige Braut. Und wieder fiel es ihm schmerzlich auf die Seele, daß er sich niemals ganz hingeben konnte, nicht an den Tagesberuf, der immer wieder mahnend und fordernd vor seine Seele trat, nicht an das Weib, das ihn liebte mit der Hingebung eines treuen Frauenherzens.

Langsam ging er den Weg nach Weimar zurück. Dort begann das Abendleben der Kleinstadt. Mägde in der hübschen Thüringer Tracht huschten mit Krügen und Körben über die Straße. Vom Brunnen her, wo sie ihre Eimer füllten, erscholl frohes Lachen, die Alten saßen vor den Haustüren und freuten sich an dem bunten. Treiben und an der Kühle des Abends.

Aus dem Schatten der Häuser trat eine bekannte Gestalt. Der Kanzler Müller.

»Gut, daß ich Sie treffe, Herr Grillparzer,« flüsterte er geheimnisvoll, »ich wollte Sie auffordern, morgen wieder zu unserem Geheimrat zu kommen. Ich glaube, er erwartet Sie.«

»Gern, oh gern,« antwortete Grillparzer, »und wann darf ich kommen?«

»In der Dämmerung – zur blauen Stunde. Da plaudert sichs am besten mit ihm.«

»Zur blauen Stunde,« wiederholte Grillparzer verträumt.

Und ihm war, als sei ein Lichtstrahl in das dunkle Gewirr seiner schwankenden und. unentschlossenen Gedanken gefallen. 153


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