Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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IV.

In das stille Heim der Schwestern Fröhlich war heute ein unruhiger Geist eingedrungen.

Dieser Geist erschien verkörpert in der Gestalt eines Mannes mit krausem Backenbart, gelocktem Haar und fröhlichem Lebemannsgesicht und steckte in einem verschnürten Rock mit breitem Pelzkragen.

Er fuhr in den Zimmern herum, fand die Mozartsilhouette beim Klavier vorzüglich und. ein paar Porzellantassen in der Vitrine einfach abscheulich, ordnete eine Anzahl Rosen in einer großen chinesischen Vase zu 98 einem wirkungsvollen Strauß und kommandierte mit scharfer Stimme die Damen des Hauses, die ihm willenlos gehorchten.

»Die Blumen stellts dort auf den runden Tisch zu den Geburtstagsgeschenken. Die sind vom Schober, müssen a schönes Geld gekostet haben, jetzt mitten im Winter – na ja, der Schober, der is a reicher Mann, kann sich was leisten für an guten Freund.«

Folgsam wie ein braves Kind stellte Betty den riesigen Blumenstrauß auf den Gabentisch.

»Das wird unseren Franzl am meisten freuen, gelt Daffinger? Er hat Blumen so gern. Und wenn er kommt, führ ich ihn gleich her zu dem Tischerl . . .«

»Stad sein, Wettl. Wann ich der Impresario und Arrangeur sein soll für den heutigen Festabend, müßts ihr mir folgen. Und so ist das Programm: wenn er hereinkommt, singen wir alle seinen Kanon: willkommen, lieber, schöner Mai – Klavierbegleitung Anna. Dann halt ich die Festred – keine Angst, sie wird sehr kurz sein – nachher strudelt ihn der Hüttenbrenner an mit seinen lateinischen Versen, dann zünden wir feierlich die vierundzwanzig Lebenslichter an, die Anna und die Josefin nehmen ihn bei den Händen und führen ihn zum Gabentisch. Und damit ist die offizielle Feier basta und es kommt die Fidulität. Einverstanden?«

Vierfache Zustimmung. Zufrieden strich der Maler seinen Bart:

»So, und jetzt richten wir den Tisch mit den Geschenken, damit alles parat ist, wenn die Gäste kommen.«

In der Mitte des blühweißen Tischtuchs prangte das Meisterstück der Kochkunst Annas, die Geburtstagstorte, groß wie ein Wagenrad und süß wie die Opernmelodien Rossinis, in den damals ganz Wien vernarrt war. Da waren in weißem Zuckerguß die fünf Notenlinien gezogen, mit dem Thema: g‑d‑g‑fis‑g‑a – darüber hatte der Franzl einmal in verträumter Abendstunde phantasiert, seither ging es der Anna nicht mehr aus dem Kopf. Rund herum lief ein Kranz von Rosen, Margueriten und grünen Blättern, gebildet aus gefärbtem Zucker, Mandeln und eingemachten Früchten. Rings um die Tortenplatte aber standen vierundzwanzig schlanke 99 gelbe Wachskerzen, als Lebenslichter des Geburtstagskindes.

Mit behutsamen Händen ordneten die Frauen die Liebesgaben treuer Freundschaft: sechs rotgesiegelte Flaschen Nußberger Traubenblut, gekocht von der Sonne von Nußdorf, die kamen von den Brüdern Hüttenbrenner; Freund Spaun hatte ein entzückendes Meerschaumpfeifchen gespendet, dazu ein Pfund türkischen Tabak, Sonnleithner drei Flaschen französischen Kognak, Schwind eine Gitarre, Schober eine kostbare Krawattennadel, Mayrhofer eine Prachtausgabe von Goethes Gedichten, die sich Schubert oft gewünscht hatte; sie war aus Deutschland hinter dem Rücken der Wiener Zensurbonzen eingeschmuggelt, man hatte hier wenig für den Alten von Weimar übrig, und es war ein Wagestück für Mayrhofer, das Buch über die Grenze zu bringen.

Daffinger hatte sich mit einem Miniaturbildnis Schuberts auf Elfenbein eingestellt, ferner mit einem Teller aus der Zeit seiner Tätigkeit in der Porzellanfabrik im Augarten, auf dem man die ganze olympische Göttergesellschaft beisammen sah.

Man mußte ihm das hoch anrechnen, denn Daffi war ein Geizkragen, tat keinen Pinselstrich umsonst und hatte erst kürzlich vom Prinzen Schwarzenberg für eine Miniatür zwanzig Dukaten bekommen.

Immerhin empfand auch er bei der letzten zufriedenen Musterung des Gabentisches die Wahrheit des Bibelworts, daß Geben seliger als Nehmen sei. Anna stand neben ihm, betrachtete gerührt das Portrait und lächelte mit ihren guten mütterlichen Augen.

Draußen ging die Türglocke, und nach und nach rückten sie alle an, die Schubertianer, lauter Jugend, stürmische, brausende Jugend, heiße Köpfe und heiße Herzen, zumeist arme Teufel ohne Macht und Geld und Einfluß, von tausend Hoffnungen für die Zukunft erfüllt.

Von seinem wurmstichigen Schreibtisch in der Zensurhofstelle kam der arme Mayrhofer – ach, er hatte sich seine Flucht aus klösterlicher Enge in die weite Welt anders vorgestellt; wie eine arme verwunschene Seele kam er sich vor, vom grausamen Schicksal in die Gestalt eines k. k. österreichischen Zensurbeamten 100 verzaubert und nur durch Schuberts Musik zu erlösen. Von seiner Staffelei kam Schwind, ein blonder schwärmerischer Jüngling, Märchenprinz von seines Pinsels Gnaden, im Kreis der Freunde Cherubim genannt; auch er konnte in Wien nicht recht Fuß fassen und strebte nach München, dort hatten es die Maler besser als hier.

Auch die Brüder Hüttenbrenner waren gekommen; Anselm, der ältere, kokettierte mit dem steirischen Musikverein in Graz, der ihm einen Dirigentenposten versprochen hatte; der jüngere, Josef, begeisterter Philologe, führte Schuberts Korrespondenz und unterhandelte mit den Verlegern Haslinger und Diabelli. Vogel, der Sänger, hatte sich entschuldigt, er war in der Oper beschäftigt, aber Spaun war da und Sonnleithner, der zuerst die Schubertschen Lieder in das Haus Fröhlich gebracht hatte. Er brachte auch diesmal ein neues Lied mit, dem widerstrebenden Freunde aus der Hand gerissen: »Lied eines Schiffers an die Dioskuren« war der Titel, die Dichtung von Mayrhofer.

Man setzte sich zusammen, in einem gelinden Erwartungsfieber – wenn der Schubert Franzl beim Komponieren war, von seinem Dämon gejagt, vergaß er Geburtstag, Nachtmahl und Freunde.

»Er wird sich noch zu Tode komponieren.« klagte Schober mit düsterer Miene. »Es gibt Tage, da schreibt er drei, vier Lieder, eines wunderbarer als das andere, es ist geradezu unheimlich. Neulich sagte er zu mir: ›mich muß der Staat erhalten, ich bin für nix als fürs Komponieren auf der Welt.‹«

»Ja, so ist er,« nickte Mayrhofer. Er sah im Geist das lächerlich kleine, runde Zimmer, das er gemeinsam mit Schubert in der Wipplingerstraße bewohnte, eigentlich nur einen Alkoven mit einem schmalen, einschichtigen Junggesellenbett mit grünem Vorhang; er sah den Freund am Klavier sitzen, hörte seine begeisterte Rezitation Goethescher Gedichte.

»Wenn sich nur irgend ein adeliger Gönner für ihn einsetzen wollte, wie beim Beethoven. Der Fürst Lichnovsky hat seine ersten Werke auf eigene Kosten drucken lassen, und das Hausorchester vom Fürsten 101 Lobkowitz hat die Eroica aufgeführt, der Beethoven selbst hat dirigiert!«

»Kannst du dir den linkischen Franzl, mit seinem verwurstelten Frack vorstellen als Gast an einer feierlichen Tafel, mitten unter den geschniegelten Aristokraten und vornehmen Kavalieren mit Galadegen und Ordensstern?« rief Sonnleithner. »Wozu brauchen wir für ihn einen adeligen Gönner? Sind wir Bürgerlichen nichts? Einen Verleger müssen wir ihm verschaffen, einen tüchtigen, großzügigen, noblen Verleger!«

»Wo gibts heute einen noblen Verleger?« fragte Hüttenbrenner boshaft. »Da war ich letzte Woche beim Diabelli, mit den schönsten Schubertliedern in der Aktentaschen, hat mich eine Stund lang antichambrieren lassen, der gnädige Herr; endlich darf ich ins Heiligtum, er blättert gelangweilt in den Noten, dann zuckt er die Achsel: ›wer ist dieser Herr Schubert, hat er irgend eine Protektion? Sind zu schwer, die Sachen, viel zu schwer zum Begleiten . . . na ja, ich will auch was tun für einen jungen und hoffnungsvollen Komponisten; laden Sie doch seine Freunde und Verehrer ein, die Lieder auf ihre Kosten drucken zu lassen, ich nehme sie ganz gerne in Kommission . . .‹«

». . . und stecke den Profit ein, natürlich!« rief Mayrhofer wütend, »aber warten Sie, Herr Diabelli, wir tun uns zusammen und lassen den Erlkönig und noch ein paar Sachen wirklich drucken und der Diabelli soll sie verkaufen, damit der Franzl endlich zu Geld kommt.«

Alles nickte Beifall. Dann nahm Spaun das Wort:

»Wenn er nicht gar so bescheiden wäre, der Arme! Wie ich seinen Erlkönig nach Weimar zum Goethe geschickt hab, hat er einen Brief beigelegt, ersterbend von Demut und Devotion, Exzellenz hin und Herr Geheimrat her, und ganz unten, in kleinwinziger Schrift, seinen Namen, der hat sich förmlich verkrochen wie ein Hund, der was angestellt hat. So darf man nicht auftreten in Deutschland, wenn man was anderes ernten will als Geringschätzung. Die Exzellenz hat auch bis heute mit keiner Silbe geantwortet.« 102

»Ja, so sinds, diese Dichter, gelt, Demoiselle Katty,« neckte Daffinger, »schaun immer bissl herunter auf uns miserables Musiker- und Pinselvolk . . .«

Katty wurde rot, aber sie kam nicht mehr dazu, auf die kleine Bosheit zu antworten, denn inzwischen war Grillparzer erschienen – sie hatte ihm ein Plauderplätzchen beim Kamin hergerichtet, dort sollte er sitzen und vom Burgtheater erzählen; aber daraus wurde vorläufig nichts, denn der Impresario Daffinger schleppte ihn sofort zum Tisch mit den Geschenken und heischte bewundernde Anerkennung.

»Glückliche Menschen,« seufzte Grillparzer, »wie versteht ihr den armen Alltag zu verklären mit den schönen Gaben der Künste und mit der schönsten von allen, mit der heiteren Lebenskunst. Wie muß ich euch beneiden. In mir wird immer was Schweres und Dunkles sein.«

»Das Schwere und Dunkle ist auch in unserem Schubert,« bemerkte Mayrhofer nachdenklich. »Wer ihn nur in unserem heiteren Kreis gesehen hat, kennt ihn nicht. Und das dumme Volk hält ihn für einen trinkseligen Weinmusikanten und hängt ihm den albernen Spitznamen Schwammerl an.«

Da ging die Tür auf, und herein trat das bebrillte Geburtstagskind mit seinem Strubelkopf und den von der Winterkälte geröteten Wangen.

Und aus vier sangesgeübten Kehlen stieg der freudige Jubelgruß:

»Willkommen, lieber, schöner Mai,
dir tönt der Vögel Lustgeschrei!«

Dann schwang Daffinger seine Festrede, sie war kurz, aber gut, Hüttenbrenner deklamierte selbstgezimmerte lateinische Verse, auch hier war die Kürze der Hauptvorzug.

Der Maler zündete die Kerzen an, und in schweigender Andacht führten Anna und Josefine den Freund zum Gabentisch.

Da stand er und starrte in die zuckenden Flämmchen, atemlos und ergriffen, wie ein Kind beim Weihnachtsbaum, bis ihm die Augen übergingen. 103

»Ich dank euch, ihr Lieben, Guten . . . was wär ich – für ein armer Hund, wenn ich euch nicht hätt – euch alle, Männer und Frauen – aber so bin ich ja reich – oh, wie reich!«

Die Stimme versagte ihm.

»Mir scheint, ich hab schon wieder meinen dummen Schnupfen . . .«

Er streckte die Arme aus, und wie auf ein gegebenes Zeichen faßten sich alle bei den Händen, im Nu war ein Kreis um das bunte Gabentischchen mit den duftenden Blumen und flackernden Kerzen geschlossen, ein Kreis von Liebe und Freundschaft.

Grillparzer trat zu ihm, es kam zur gegenseitigen Vorstellung und artigem Gespräch der beiden berühmten Zeitgenossen; aber Schubert war linkisch und scheu und guckte aus gutmütigen Hundeaugen gar zu ehrfürchtig zu dem Burgtheaterdichter und Hofbeamten auf, und Grillparzer konnte auch keine gesellschaftlichen Höflichkeitsphrasen von sich geben.

Die Freunde halfen aus beiderseitiger Verlegenheit.

»Eine Rede mußt du halten, Franzl, eine Geburtstagsrede!« rief Schober. Schubert schüttelte den Kopf. Aber Anna ergriff seine Hand und führte ihn zum Klavier. Er setzte sich, schlug einen Akkord an, löste ihn auf, die Töne reihten sich zu einer Melodie voll Süße und Schwermut – Schäfers Klagelied. Und reicher, immer reicher schwollen die Klänge, wurden zu einer Phantasie über den Wanderer, den Frühlingstraum, das Gretchen am Spinnrad, das Dioskurenlied. Tränen und Trost, unendliches Verzagen und unendliches Hoffen strömte aus den sieben Oktaven, die alles Glück und alles Leid der Welt singen konnten.

Das war seine Geburtstagsrede.

Eine Hand berührte seine Schulter. Anna stand hinter ihm.

»Aber Schubert, was für traurige Musik! Und gerade heute?«

»Kennen Sie eine lustige Musik? Ich nicht!«

Dann sprang er auf, rief die Freunde zusammen, verteilte Notenblätter.

»Das Ständchen!« 104

Alles kam in frohe Bewegung, das Kindlein aus der Taufe zu heben, das neue Werk, bei dem sich Dichter und Musiker zu gemeinsamer Tat vereinigt hatten.

Josefine sang die Sopranpartie. Zart und harmonisch klangen die Stimmen zusammen. Wie es anhub, leise und zaghaft, die schöne Schläferin recht sanft zu wecken:

»Zögernd stille,
in des Dunkels nächtiger Hülle
sind wir hier,
und den Finger sanft gekrümmt,
leise, leise pochen wir
an des Liebchens Kammertür.«

Grillparzer saß beim Kamin auf einem Schemmel, zu Füßen Kattys. So hatte er immer als Kind bei seiner Mutter gesessen. Kleine rote Flämmchen zuckten auf und nieder hinter dem eisernen Gitter, während er seinen eigenen Versen lauschte.

»Doch nun steigend, hebend, schwellend
mit vereinter Stimmen Laut
rufen aus wir hoch vertraut:
Schlaf du nicht,
wenn der Neigung Stimme spricht!«

Wie lange schon hatte er sich nicht so wohl gefühlt. Hier war häusliches Behagen, Jugend, Schönheit, unberührtes frisches Mädchentum. Er lehnte seinen Kopf an ihre Knie und schloß die Augen. War es nicht, als hätte sie leise wie ein Hauch mit ihren Fingern seinen Scheitel berührt?

»Aber was in allen Reichen
wär dem Schlummer zu vergleichen?
Drum statt Worten und statt Gaben
sollst du nun auch Ruhe haben.
Noch ein Grüßchen, noch ein Wort,
es verstummt die frohe Weise,
leise, leise
schleichen wir uns wieder fort.«

Im zarten Pianissimo verklang die Melodie. Schubert legte den Taktstock hin: 105

»Zufrieden mit uns, verehrte Gesangsmeisterin?«

»Das will ich meinen,« erwiderte Anna gerührt, »Peppi, was sagst du dazu?«

»Ich sag, daß wir jetzt ausruhen und die Torte anschneiden sollen.«

Feierlich empfing Schubert aus ihren Händen das lange Messer und verteilte die mächtigen Tortenstücke, die in schweigender Andacht verzehrt und mit dem köstlichen Nußberger begossen wurden, den das freigebige Geburtstagskind den Freunden preisgegeben hatte.

Dann setzte er sich in den breiten Großvaterlehnstuhl, stopfte und zündete behaglich das schöne neue Meerschaumpfeifchen an, obwohl im Reich der Geschwister Fröhlich ansonsten strenges Rauchverbot herrschte; aber dem Schubert Franzl war heute alles erlaubt.

Noch immer lagen auf seiner schmalen Schulmeisterstirn die Wolken der Melancholie. Aber seine Schwermut hatte tiefere Gründe als die Rührung über die vielen Beweise treuer Freundschaft.

Da war vor allem diese unerfüllte, quälende Sehnsucht nach einem persönlichen Verkehr mit dem Großen, Einsamen, Unnahbaren, den er verehrte wie einen Gott – mit Beethoven!

»Am Nikolotag wars, da bin ich ihm heimlich nachgegangen,« erzählte er mit leiser Stimme den atemlos lauschenden Freunden, »von Döbling bis nach Heiligenstadt is er gewandert, ganz allein, und ich immer ein paar hundert Schritt hinter ihm, und hab ihn immer wieder anreden wollen und hab mich nicht getraut. Manchmal hat er die Arme gehoben, dann is er wieder stehen geblieben, es war als ob er mit jemand Unsichtbarem reden tät. An der Donau entlang wandert er, zum Schreiberbach, wo der weiße Johannes steht, dann is die Abenddämmerung gekommen, er is mir verschwunden und ich bin in die Stadt zurück und war recht traurig.«

Hüttenbrenner schüttelte mißbilligend den Kopf. Aber das galt nicht dem verschwundenen Beethoven, sondern dem gegenwärtigen Schubert.

»Und acht Tag später pack ich meine besten Sachen zusammen, die Klaviervariationen und ein paar Lieder, 106 faß mir ein Herz und geh nach Heiligenstadt und will ihm alles persönlich überreichen. Aber wie ich zu seiner Wohnung komm, sagt mir die Hausfrau, daß er nicht daheim is. Da denk ich mir, es is Schicksal und ich gebs auf, mit ihm zusammen zu kommen. Es is mir halt nicht bestimmt – damals, vor sieben Jahren, wars dasselbe mit der Reserl.«

Grillparzer, noch immer zu Füßen Kattys, betrachtete ihn mit verhaltener Rührung.

»Ein Kind in Männergestalt,« sagte er halb zu sich selbst, halb zu Katty, »ein großes, verträumtes Kind. Wieviel Schönes hat er uns heut wieder geschenkt, eine ganze Welt von wunderbaren Tönen. Wie sagt Goethe: es ist vorteilhaft, den Genius zu bewirten; gibst du ihm ein Gastgeschenk, er läßt ein größeres dir zurück.«

»Ja,« sagte Katty, »sein Leben ist Traum und Sehnsucht. Und darum ist er so fremd in der Welt.«

»Hat er nicht recht? Nur im Traum kann man das Leben überwinden, das harte, erbarmungslose Leben. Wer mag wissen, ob nicht das Dasein von uns allen nur ein Traum ist? Einmal, vor Jahren, da wollt ich ein phantastisches Traumstück schreiben, aus der orientalischen Märchenwelt, und ein leidenschaftlicher Jüngling sollte der Held sein, in einem wüsten Traum die furchtbarsten Verbrechen begehen und endlich als geläuterter Mensch erwachen zu einem besseren Dasein. Aber ich bin nicht über den ersten Akt hinausgekommen, denn der Intrigant und Verführer des armen Rustan war ein Negersklave, und der Schauspieler, dem ich die Rolle zudachte, wollte partout keinen Neger spielen, aus Aberglauben oder weiß Gott aus welchen dunklen Gründen. Vielleicht nehm ich den Stoff später noch einmal vor – vielleicht . . .«

Er versank in ein schweigendes Brüten und blickte ins Leere.

In ihr aber regte sich der ewige Realismus der weiblichen Seele:

»Leben ist Traum, sagen Sie? Aber nein, mein Leben darf kein Traum sein. Ich will die Wirklichkeit, ob froh oder traurig, will ein richtiges Frauenschicksal.« 107

Und sie plauderte nach Mädchenart um das schwere Thema herum, während er, zerstreut zuhörend, seinen grüblerischen Dichtergedanken Audienz gab, die Schuberts wunderbares Klavierspiel in ihm geweckt hatte.

Auch drüben in der Schubertecke wob die Phantasie ihre silbernen Schleier.

Mayrhofer und Schubert begeisterten sich wieder einmal für ihre Lieblingsidee: ein weltliches Kloster, eine heimliche Gralsburg in der tiefen Einsamkeit des Wienerwaldes, dort sollten erlesene Künstler als Priester, Laienbrüder und Novizen in Reinheit und Hingebung ihren Idealen dienen und an der Veredlung der Menschheit arbeiten.

Endlich schlug die Uhr eine späte Stunde, die Freunde mahnten zum Aufbruch, beluden sich mit den Geschenken, die heute noch in Schuberts Junggesellenheim geschafft werden mußten, und nahmen geräuschvollen Abschied.

Betty ging mit Daffinger und benutzte die Gelegenheit zu einer gut gemeinten Lektion über die Behandlung von Frauen, die der leichtsinnige Mann des Pinsels mit ironischem Lächeln über sich ergehen ließ.

Dann zogen sich Katty und Josefine ins Schlafzimmer zurück, die treue Hausmutter Anna blieb allein in dem freundlichen Raum, wo die Geister des kleinen häuslichen Festes noch in der Luft schwebten; schwermütig süßer Duft der Vergänglichkeit lag über dem großen leeren Tortenteller mit den letzten Zuckerkrümmeln, den verlöschten Kerzenstümpchen, den Weinflecken auf dem schönen weißen Tischtuch.

Sie trat an das offene Klavier und strich zärtlich über die Tasten. Da hatte er gesessen, der scheue weltfremde Freund ihres gütigen Herzens, das große Kind in Männergestalt. Oh, wie gern hätte sie ihm noch viel mehr gegeben als süße Torten! Aber es war so viel Entsagung in ihrer Liebe, es war so schwer, Freundin eines schaffenden Künstlers zu sein, der in rastloser Arbeit alle Kräfte seines Lebens verzehrte; sie senkte traurig den Kopf, und wie dunkler Schicksalsspruch klangen ihr Schobers Worte in den Ohren: »er wird sich noch zu Tode komponieren . . .« 108


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