Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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II.

Auf dem kleinen Handelstrabakel, das sich mühsam genug durch Wind und Wellen seinen Weg von Triest nach Venedig erkämpfen mußte, roch es nach Käse, Tran, Teer, schlechtem Pfeifentabak und faulen Fischen. Eine Schiffslampe schaukelte verdrießlich hin und her und warf trübseliges Licht auf eine buntgemischte Gesellschaft: kleine Handelsleute, Handwerker mit Äxten und Sägen, Bauernweiber mit Marktware und junge Männer, die breitkrämpige Hüte, lange Locken und Zeichenmappen trugen. Alles saß und hockte herum, stumpfsinnig und verdrossen; wer keinen der mit grauer Leinwand überzogenen Klappstühle mehr zu erobern gewußt hatte, richtete sich eine Sitzgelegenheit aus den Gepäckstücken her, die in einem großen Haufen am Fuß des Mastbaumes lagen. Mitternacht war vorüber, aber niemand dachte ans Schlafen, weil das Schiff, von heftigen Windstößen hin- und hergetrieben, beständig schlingerte und der Capitano, ein kleiner, schnauzbärtiger Venezianer, unaufhörlich Kommandoworte mit ganz überflüssigem Stimmaufwand über das Verdeck schrie.

»Wirst nöt bald still sein mit deinem vermaledeiten welschen Gebrüll«, brummte eine Stimme im unverfälschten Wiener Dialekt; es war gut, daß niemand von den Fahrgästen die Sprache verstand, sonst hätte der Unzufriedene zum mindesten ein paar gehörige Püffe von italienischen Bauernfäusten abgekriegt. Der Scheltende war ein untersetzter Mann mit derben, luftgebräunten Zügen und einem Stiernacken; er wendete sich zu seinem Begleiter, der so tief in den grauen Reisemantel gewickelt war, daß kaum sein blasses, übernächtiges Gesicht hervorguckte. 16

»Zu dumm, daß wir gestern das Passagierschiff versäumt haben. Das braucht zur Überfahrt sechs Stunden, und wir schwimmen schon seit gestern abends auf dem Wasser. Wenn nur die Nacht schon vorüber wär. Was is, wollen wir nöt a bissel Karten spielen?«

Aber der blasse Herr im grauen Mantel schüttelte den Kopf.

»Verzeihung, Herr Graf, aber mir is gar nöt wohl. Ich spür halt schon wieder die verdammte Seekrankheit.«

»Wartens«, bemerkte der Dicke, der viel eher einem Großbauer aus dem Marchfeld, als einem Aristokraten glich, »wir trinken mitsammen einen Schnaps, der wird Ihnen schon den Magen einrenken . . . He, Johann, laß amal deinen Seehund los.«

Aus dem wirren Knäuel am Fuße des Mastbaumes löste sich der Diener Johann. Umständlich kramte er in den Tiefen seines mächtigen Reisesacks und brachte eine Flasche mit zwei Gläschen zum Vorschein.

Die Flasche aber enthielt eine wunderliche Mischung aus allen möglichen Feuerwassern, die Johann unter Mithilfe seines gräflichen Herrn in Triest beim Apotheker Sebastiano auf der Piazza grande zusammengebraut und als unfehlbares Mittel gegen die Seekrankheit mit dem Titel »Seehund« bezeichnet hatte, zur großen Erheiterung des Grafen.

Er schenkte ein.

»Prost!«

»Prost – auf gute Reisekameradschaft!«

Der Graf setzte das Glas an seine dicken Lippen und goß den Inhalt in einem Zug in den Schlund.

»Stark – aber gut.«

Er schwatzte behaglich und wischte sich den Mund mit dem Taschentuch.

Grillparzer nippte kaum. Er mochte den Spender nicht kränken, aber er versprach sich von dieser Arznei keine Besserung seines Zustandes. Und da seine Hand infolge des leichten Fiebers zitterte, glitt das Gläschen zu Boden und der köstliche Seehund floß auf den schmutzigen Schiffsplanken umher.

»Wenn man jetzt abergläubisch wär, könnte man das für ein schlechtes Vorzeichen nehmen«, lachte der Graf. 17

»Im Gegenteil. Das soll nur bedeuten, daß man kan Schnaps trinken soll, wo der Herrgott so gute Weine wachsen laßt.«

»Na ja,« meinte Graf Deym und goß sich ein zweites Gläschen ein, »die italienischen Weine sind ja nöt übel, aber der Gumpoldskirchner is mir lieber . . . Noch a Stamperl g'fällig?«

»Ich tu Ihnen Bescheid, Herr Graf, bis wir einmal Lacrimae Christi trinken. Und bis dahin hab ich hoffentlich meine Seekrankheit überstanden.«

Als der Graf das dritte Glas zu sich genommen hatte, wickelte er sich in seine Hallina und versuchte zu schlummern, da der Kapitän sich völlig heiser geschrieen hatte und für einige Zeit verstummt war. Johann machte sich beim Gepäck zu schaffen und knüpfte dann in sehr fragwürdigem Italienisch ein Gespräch mit einem jungen Mädel an.

Die Morgendämmerung kam. Ein kalter Schauer verkündete das Nahen des Tages; die Wellen rauschten stärker, pfeifend fuhr der Wind über die See und riß und zerrte an Segeln und Takelwerk. Und wie sich Meer und Himmel allmählich erhellten, wachte da und dort einer aus verträumten Sinnen auf, gähnte, spuckte aus und streckte die Glieder, und nach und nach begann jenes eifrige, von lebhaftem Mienen- und Gebärdenspiel begleitete Gespräch, wie es nur die Südländer kennen.

Grillparzer, der Einsamkeitssucher, hielt es in dem plaudernden, lachenden, gestikulierenden Schwarm nimmer aus. Er stand auf und ging nach dem Vorderteil des Schiffes, wo er sich an eine Taurolle lehnte und auf die öde, dampfende Fläche hinaussah. Die Segel knatterten, die grünen Wellen am Bug schäumten wilder und lauter. Ein Matrose kam, der ein italienisches Volkslied pfiff; breitbeinig stand er vor dem Fremden still, hob bedeutsam den Finger, deutete nach Westen:

»Venezia!«

Grillparzers Augen wurden tief und weit.

Was dort als lichter Streifen im Glanz der ersten Sonnenstrahlen lag, das also war Venedig . . .

Tausendmal schon hatte er sich in Gedanken in dieses steingewordene Märchen versetzt, das ihm, wie so vielen 18 seiner Landsleute, ein Ziel heimlicher Sehnsucht war. Der Canal grande, schimmernd wie ein blaues Seidenband, der unbeschreiblich feierliche Bau der Kirche Maria della Salute, die Zackenfenster des Dogenpalastes: das alles war bekannt aus Büchern und Bildern und wirkte nun in seiner greifbaren Wirklichkeit wie eine Offenbarung. Nun soll er ihm ganz nahe kommen, diesem seltsamen Wunderwerk, das auf dem starren, grauen Rücken der Lagune ruht; in den bunten Palästen aus einer glanzfrohen Vergangenheit wird er umherwandeln, schimmernde Kuppeln und glänzende Goldmosaiken anstaunen, Säulenhallen aus Marmor durchschreiten und zu den ehernen Standbildern vergessener Helden emporblicken. Er hätte niederknien und beten mögen, so demütig und froh zugleich war ihm zumute. War es nicht unverdiente Gunst des Glücks, daß er hier weilen durfte, hier, wo schon so viele gestanden hatten, die die Schwingen des Geistes aus den engen Schranken der Heimat in die Ferne trugen?

Er fühlte mit der Hand nach der Brusttasche. Die barg seinen Talisman, sein Evangelienbuch: Goethes »Italienische Reise«. Und zum erstenmal zog ein Gedanke durch seine Brust, seltsam und verlockend: lag nicht vielleicht hier die Heimat, in die er im dunklen Drang erst jetzt zurückgefunden: die Heimat seiner Seele?

Und die Erinnerung an den kalten, im Bann von tausend trüben Vorurteilen wie in schweren Ketten liegenden Norden verblaßte in dieser schwellenden Lichtfülle, in der hellen, lauten Gegenwart.

Da legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter:

»Nöt übel is er, der bunte Steinerhaufen da vor uns – aber wissens, lieber Grillparzer, ich spür schon einen Wolfshunger und da nutzt mir die größte Schönheit nix. Gott sei Dank, daß wir bald aus dem miserablen Schinakel herauskommen. Und wenn wir am Land sind, dann lassens mir nur ruhig die Führung, ich war schon dreimal in Venedig und kenn mich dort so gut aus wie am Stephansplatz; Sie, ich sag Ihnen, da gibts bei der Rialtobrücken a urgemütliches Beisel, der Wirt is a ehemaliger Kellner vom Paradeisgartl und im letzten Krieg als Soldat hergekommen, dann hat er ins G'schäft 19 hineing'heirat – und Kalbsschnitzeln hat er, so gut wie beim Sperl; wenigstens vor drei Jahren hat ers g'habt, wie ich das letztemal da war. Wie Ihnen das schmecken wird nach der Seekrankheit!«

Dagegen war nichts einzuwenden, und heimlich seufzend überließ sich Grillparzer seinem praktischen Reisegefährten, obgleich seine Gedanken in diesem Augenblick wirklich nach anderen Dingen gerichtet waren als nach Kalbsschnitzeln; aber als sie zwei Stunden später in weichgepolsterten Lehnstühlen lagen und ihre Blicke durch gotische Fenster nach dem von Gondeln und Frachtkähnen belebten Canal grande gingen, während in dem kleinen, würfelförmigen Ofen ein lustiges Feuer brannte; als der dicke Wirt sich eifrig um den Herrn Grafen und seinen Freund bemühte und beständig beteuerte, wie hoch er die Ehre dieses Besuches schätze, da mußte er sich doch gestehen, daß ihm nach den Strapazen der Überfahrt die warme, braungoldene Suppe, die duftenden Brötchen, die dick mit Käse bestreuten Makkaroni und die anderen Realitäten des Alltagslebens wenigstens in diesem Augenblick wertvoller waren als die glänzenden Gebilde seiner Phantasie.

»Essens, Grillparzer, damit Sie wieder zu Kräften kommen; alles, was da auf dem Tisch steht, is so gemacht, wie unser wienerischer Magen es gern hat.«

Es kamen herrliche, leuchtende Tage für den Dichter.

Sie wiegten ihn in einen Traum von beständigem Genießen der Kunst und des Lebens; sie zeigten ihm Land und Menschen in unwirklicher Verklärung und hoben die ganze Umwelt hoch über das Gewöhnliche empor; sie lösten ihn sanft von den düsteren Erinnerungen seiner einsamen und trüben Jugend. Nur selten noch gedachte er der großen, finsteren Gemächer des uralten väterlichen Hauses am Bauernmarkt, das seine kindliche Einbildungskraft mit Gespenstern und Spukgestalten bevölkert hatte, an die große Vereinsamung, in der er herangewachsen war. Bloß an den längsten Sommertagen fielen um die Mittagszeit einzelne Sonnenstrahlen in des Vaters Arbeitszimmer; da stand der kleine Franzl mit seinen Brüdern und staunte die goldenen Lichtstreifen am Fußboden an. 20

Dann kamen die öden Zeiten des Hofmeisterns und Unterrichtens in adeligen Häusern, als die Familie durch den Tod des Vaters in Not geraten war und auf seinen schmalen Schultern die Sorge um Mutter und Brüder lag. Da hatten ihn die gräflichen und freiherrlichen Damen und Herren oft über die Achsel angesehen und ihn nicht anders behandelt als einen anderen bezahlten Dienstboten. Freilich zwang er ihnen bald ein wenig Achtung ab, als seine Stücke sich im Sturm die Bühnen eroberten; aber was half ihm das? Arm war er und arm blieb er, trotz seines Dichterruhmes. Und nach dem Tode der Mutter senkte sich gleichsam ein dunkler Vorhang auch über die bunte Welt seines lieben Wien, seiner oft gescholtenen und doch so innig geliebten Heimat. Ja, Vetter Paumgarten hatte recht: es war hoch an der Zeit für ihn, die Luft eines anderen Landes zu atmen.

Und er wanderte unermüdlich zwischen dem Dogenpalast, der Markuskirche, der Akademie hin und her, sog die mystische Dämmerung der Kirchen in sich, besuchte die Paläste, die von ihren Besitzern den Fremden geöffnet waren, fuhr auf den Kanälen umher und ließ sich durch den eintönigen Gesang der Gondoliere zu phantastischen Träumen anregen. Er plauderte mit den dunkeläugigen Kindern des Volkes und freute sich, daß er ihre Sprache verstand, diese wunderbare, singende, klingende Sprache, in der ein stolzer, herrischer Grundton aus jenen Tagen, da das römische Volk die Welt beherrschte, mit den milderen Klangfarben späterer Zeiten zu einem unvergleichlichen Akkord gemischt war. Das Meer sang sein ewiges Lied, der Himmel sang und die Kirchenglocken; Töne und Farben verschmolzen zu mystischer Einheit, zu einem gesättigten Schönheitsempfinden, das der Norden nicht kennt. Er ließ sich abends mit dem Marktschiff nach dem Lido hinüberführen und genoß den wunderbaren Stimmungszauber, der über die Lagunen ausgegossen ist, wenn Tag und Nacht sich die Hände reichen, wenn der Mond mattsilbern am perlmutterfarbenen Himmel hängt und die schwarze Gondel in die brennenden Sonnenuntergangswolken hineinfährt, als wollte sie vergehen in all dem Licht. 21

Inzwischen saß der dicke, gutmütige Deym mit ein paar Bekannten aus jüngeren Tagen, Verwaltungsbeamten des österreichischen Guberniums, in einem Kaffeehaus oder einer Trattoria und vertrieb sich die Zeit mit Kartenspiel, Pfeifenrauchen und ein wenig Politik.

Es waren lauter gesetzte, rundliche und konservativ gesinnte Männer, die von dem segensreichen Einfluß der österreichischen Verwaltung auf die verlotterte welsche Wirtschaft tief überzeugt waren und alles, was die Italienschwärmer Kunst nannten, für einen ungeheuren Schwindel hielten. Man pries den Frieden, der nach so vielen kriegdurchbrausten Jahren endlich dauernd zu werden schien, und besprach mit höchster Befriedigung die von englischen Blättern gebrachte Nachricht, daß der General Bonaparte auf Sankt Helena an einem Magenleiden erkrankt sei und es voraussichtlich nimmer lang treiben werde.

Und wenn dann Grillparzer spät abends, ganz voll von der Erinnerung an die geschauten Herrlichkeiten der Natur und Kunst, in den kleinen Kreis kam und zu erzählen begann, traf ihn mancher spöttische Blick aus mißtrauischen Beamtenaugen; und Graf Deym lächelte mitleidig und überlegen, trank sein Glas leer und sprach in ein tiefes Schweigen hinein:

»Wissens, lieber Freund, wir san halt nix für solche Sachen. Wie ich noch jung war, a halber Bub, da hat uns der Vater alle Jahr am Stefanitag ein ›Taschenbuch zu frohen Erheiterungen für edle Gönner und schöne Leserinnen‹ gekauft, in grünem Samt gebunden, das einzige Buch, das er ang'schafft hat . . . Drin waren Kupferstich und Modenbilder und Gedichteln und allerhand belehrende Sachen über die Gartenwirtschaft. Na, und da haben immer meine Schwestern die Gedichte gelesen und auswendig g'lernt, und ich hab mir das Wirtschaftliche ausg'sucht: wie man große Birnen zieht und Hühner mästet und Schweine, was die Stallfütterung abwirft und die Mistbeetkultur. Und so bin ich halt a Krautjunker worden und hab mich immer nur um meine Landwirtschaft gekümmert, und heut schon freu ich mich, daß mein Dienst als Kammerherr bald zu End is und ich wieder auf mein Gut hinauskomm. Die 22 Landwirtschaft is doch der Nährboden des Staates, was, meine Herren?«

Allgemeines Räuspern der Zustimmung. Grillparzer rückte unruhig mit seinem Stuhl.

»Und sehns, das mit der Kunst: es gibt so viele Leut, die verdrehen vor den Bildern die Augen und tun schrecklich begeistert, und wenn man näher zuschaut, so verstehns davon grad so viel wie ich. Und ich sags Ihnen offen, mir is ganz egal, ob so a Bild von Tizian oder von Raffael oder vom Leonardo da Minci is – wie, oder heißt er anders?«

»Leonardo da Vinci heißt er«, bemerkte Grillparzer.

»Na also. Mir is das, wie gesagt, egal, denn ich verwechsel ihn ohnehin immer mit an andern.«

Großes Gelächter . . .

Aber Grillparzer war leicht erregbar wie jeder Künstlermensch, und wenn ihn manche bittere Erfahrung aus der Zeit seiner Hofmeisterei auch gelehrt hatte, zur rechten Zeit zu schweigen, so trat doch oft ein spöttischer Zug in sein Gesicht und seine Lippen kräuselten sich verächtlich, wenn er Deym so sprechen hörte; er vergaß, daß er dem Manne Dank schuldig war – er, der arme, elend bezahlte Beamte, hätte sich den Aufwand dieser Reise aus eigenen Mitteln niemals gestatten können.

Seine Verstimmung wurde noch dadurch vermehrt, daß der Graf in seinem Reiseplan für den Aufenthalt in Venedig vier Tage in Aussicht genommen hatte – nach seiner Meinung eine reichlich bemessene Frist, die aber für Grillparzers Kunsthunger viel zu kurz war.

Es geschah bei einem Bummel über den Markusplatz, als die goldigbunten Mosaiken von der Markuskirche im Abendsonnenschein besonders prächtig herniederleuchteten und das Flügelrauschen unzähliger Tauben die Luft erfüllte, daß Grillparzer von Deym dem Grafen Goeß vorgestellt wurde, der damals österreichischer Gouverneur in Venedig war.

»Oh, wir kennen uns schon«, lächelte der schlanke, feine Aristokrat, »damals, am einundzwanzigsten April vorigen Jahres – erinnern Sie sich nicht?« 23

»Das war ja der Tag, wo meine ›Sappho‹ . . .«

». . . zum erstenmal über die Bretter des Burgtheaters gegangen ist, gewiß; und Sie standen auf der Bühne und hatten so überirdisch leuchtende Augen, wie sie nur Kinder haben können und junge Dichter. Und ich war einer der ersten, die Ihnen Glück wünschten, und habe den Grafen Stadion gehörig auf seine Pflichten gegen Sie aufmerksam gemacht.«

Grillparzer freute sich dieser warmen Anerkennung. Graf Goeß faßte ihn vertraulich unter dem Arm und plauderte über allerhand literarische Dinge, während Deym einsilbig und gelangweilt zuhörte und endlich im Café Quadri bei einer Kartenpartie kleben blieb.

»Wie kommen Sie denn zu dieser Reisekameradschaft?« fragte der Gouverneur kopfschüttelnd. »Der gute Deym und Sie – da denkt man an das Gedicht vom Pegasus im Joche von Ihrem verehrten Kollegen Schiller.«

»Mein Gott, er zahlt die halben Reisekosten . . . Und ich hör immer nur mit halbem Ohr auf das, was er redet.«

»Ich will Ihnen zur Entschädigung eine interessante Bekanntschaft vermitteln«, bemerkte der Graf. »Wissen Sie, daß Lord Byron in Venedig ist?«

Grillparzer horchte auf.

Der Ruhm des großen Engländers, der seit dem Erscheinen seines »Childe Harold« der Glanzpunkt der ersten Gesellschaft von London und Gegenstand allgemeiner Bewunderung war, hatte damals seinen Höhepunkt erreicht. Und fast ebenso mächtig wie seine melodischen Verse voll düsterer Romantik und Naturempfindung wirkte seine Persönlichkeit; die Damen schwärmten von der Schönheit seines marmorblassen Gesichts, von den schmalen Händen und von der berühmten schwarzen Haarlocke, die auf seine weiße Stirn fiel; Geschichten von seltsamen und geheimnisvollen Abenteuern, die er bestanden haben sollte, liefen in der Gesellschaft um, wurden flüsternd erzählt, heimlich belächelt und schließlich doch geglaubt. Und hatte nicht sogar der große Goethe in Weimar erst kürzlich wieder mit hoher Anerkennung von den Versen des 24 Dichterlords gesprochen und ihn in seinem »Faust« als Euphorion verewigt?

»Er wird morgen mit mir zu Mittag speisen,« fuhr der Gouverneur fort, »und obgleich er sehr zurückhaltend ist und kaum ein paar Worte in die Unterhaltung wirft – ich weiß nicht, ob er wirklich von Natur aus so schweigsam ist oder sich nur interessant machen will – so glaube ich doch, daß Sie ihn zum Reden bringen werden. Ein Dichter versteht den andern, und wir gewöhnliche Sterbliche, die zuhören dürfen, haben noch einen Extragenuß dabei.«

Grillparzer lehnte bescheiden ab.

»Was Sie da sagen, Herr Graf, ist ja sehr schmeichelhaft für mich – aber Sie können mich nöt so ohneweiters mit so an berühmten Mann vergleichen wie der Byron is.«

»Das war wieder echt österreichisch geredet,« schalt der Gouverneur, »und so seid Ihr alle: immer sich ins Winkerl stellen und nichts aus sich machen – ob aus Bescheidenheit oder Ungeschick, wollen wir nicht untersuchen – aber zum Schluß schmollen und räsonieren, daß man verkannt wird. Hätte der gute Lord Byron es auch so gemacht, kein Mensch wüßte was von ihm . . . Und Ihnen als Dichter täte es gar not, daß Sie aus den engen Wiener Verhältnissen herauskämen. Weltbürgertum, großer Gesichtskreis, freier Blick – das fehlt den Besten in unserem Heimatland. Haben Sie nicht so gut wie ich im »Tasso« gelesen, daß ein edler Mensch nicht einem engen Kreis seine Bildung danken kann, daß die große weite Welt auf ihn wirken muß? Also abgemacht, Sie sind morgen mein Mittagsgast.«

Grillparzer, der sich von einer persönlichen Aussprache mit dem großen Romantiker umsomehr Anregung versprach, als er selbst die englische Sprache vollkommen beherrschte, sagte freudig zu.

Umso peinlicher war seine Überraschung, als Graf Deym, den er eine Stunde später im Café Quadri abholte, ihn mit den Worten empfing:

»Alsdann, Herr Grillparzer, morgen heißts früh aufstehn – wir fahren mit Extrapost nach Bologna und dann gleich weiter gegen Rom.« 25

»Wie? Morgen schon?« fragte Grillparzer enttäuscht.

»Natürlich. Wir wollen doch die großen Osterzeremonien mitmachen – oder glaubens, daß der Papst wegen uns damit warten wird?«

»Schade . . . . . . schade«, murmelte Grillparzer. »Morgen soll ich beim Grafen Goeß die Bekanntschaft des Lord Byron machen.«

Es stellte sich bald heraus, daß der gute Deym keine Ahnung hatte, wer Lord Byron war. Und als Grillparzer vom »Childe Harold« erzählen wollte und ein paar Verse daraus rezitierte, erwachte in Deym der Haß gegen alles Ausländische und er schnitt ungeduldig das Gespräch ab:

»Lassens mich aus mit dem »Childe Harold« oder wie das verruckte Zeug heißt. Sollen wir wegen dem faden Engländer am End unsern Reiseplan ändern? Morgen fahren wir und damit Punktum basta fidelum. Sie werden in Rom noch genug Engländer kennen lernen.«

Da war nichts zu machen . . .

Graf Goeß, von dem er in der Frühe des nächsten Morgens Abschied nahm, suchte ihn zu trösten:

»Lassen Sie sich doch durch das kleine Ungemach nicht verstimmen. Denken Sie an Goethe – wie oft hat sich der auf seiner Italienfahrt mit allerlei unangenehmen Patronen herumschlagen müssen und dennoch seine Reise- und Lebensfreude nicht verloren!«

Die weitere Reise zauberte in der Tat so herrliche Bilder vor Grillparzers Augen, daß er seinen Verdruß bald vergaß. Man näherte sich den Apenninen; die freundlichen Gelände mit ihren Rebenhügeln, Gärten und Feldern, zwischen denen kleine Dörfer voll ärmlicher, fleißiger Menschen verstreut lagen, prangten im vollen Schmuck des Frühlings. Rosen fluteten in purpurnen Kaskaden über verwitterte Mauern herab, tiefblau und glasklar wölbte sich der Himmel, die nächtlichen Sterne schimmerten heller als im Norden, laue Luft umschmeichelte die Reisenden, die sich auf dem Wege durch Kärnten mit Eis und Schnee herumgeschlagen und in Venedig noch unter der Kälte gelitten hatten. Näher und näher rückte die dunkelblaue Kette des Gebirges; auf dem Gipfel des Soracte, den der alte Horaz 26 besungen, lag ein weißer Mantel von Schnee. Uralte, ehrwürdige Namen, geheiligt durch die großen Geschehnisse der Vergangenheit, Namen von Flüssen, Städten und Bergen, klangen auf und gewannen Klarheit, Sinn und Bedeutung.

Sie reisten Tag und Nacht trotz der Warnungen ängstlicher Wirte, die allerhand Schauergeschichten von verwegenen Banditen zu berichten wußten, und der Widersetzlichkeit der Vetturini, die freilich am Ende stets durch ein anständiges Trinkgeld zu beschwichtigen war; dem Grafen Deym kam es nicht darauf an, seine wohlgefüllte Börse zu erleichtern.

In mächtigen Windungen führte nun der Weg die Apenninen empor, immer kälter wurde die Luft, bis sie endlich eines Abends ganz durchfroren in dem Städtchen Radicofani anlangten, wo der Postillon unter beständiger Anrufung der Madonna und des San Antonio erklärte, heute um keinen Preis die Reise fortzusetzen. Man wisse ganz genau und der hochwürdige Abbate habe es ihm soeben bestätigt, daß sich seit Wochen in den Schluchten des Gebirges eine Räuberbande herumtreibe, und er habe Weib und Kind und gar keine Lust, sein Leben aufs Spiel zu setzen; wollten die Signori durchaus weiter, so sollten sie in Gottes Namen zu Fuß gehen, er werde inzwischen in der Kapelle für sie beten.

Obwohl nun weder Grillparzer noch sein Gefährte vor den Räubern Angst hatte und der getreue Johann ein paar treffliche Kuchenreuter Pistolen mit sich führte. blieb ihnen doch nichts übrig, als in dem Städtchen zu übernachten.

»Glauben Sie wirklich, daß an der G'schicht mit den Räubern was dran is?« fragte Grillparzer.

»Schwindel, elender Schwindel,« knurrte Deym, »die Postillone stecken alle mit den Wirtsleuten unter einer Decken und halten die Reisenden fest, damits a Geld in dem Nest lassen. Ich kenn das alles. Na, gehn wir halt in den ›Capello nero‹, da schauts noch am wenigsten verdächtig aus.«

Es war der erste Gasthof des Ortes, und sie saßen bald an einem flackernden Kaminfeuer und fragten den Wirt, was es zu trinken gebe. 27

»Monte fiascone und Lacrimae Christi . . . serr guter Vino, meine Erren . . . si, si, Signori«, sagte der würdige Herbergsvater.

»Was, Lacrimae Christi? Her damit!« rief der Graf. »Wissens noch, Herr Grillparzer, daß Sie mir auf dem Schiff versprochen haben, Sie wollen mir in Lacrimae Christi Bescheid tun, weil Ihnen mein Schnaps zu scharf war? Alsdann, jetzt gilts!«

»Meinetwegen«, lachte Grillparzer, der heute in aufgeräumter Stimmung war. Der Padrone brachte zwei der mächtigen landesüblichen Korbflaschen nebst Gläsern; auch der Johann, der im Nebenraum in einem Kreis von schwarzhaarigen, unaufhörlich schnatternden Burschen saß und ihnen von der Stadt Vienna erzählte, erhielt eine Flasche vorgesetzt und sprach ihr ebenso eifrig zu wie sein Herr.

Längst hatte sich die blaue Apenninennacht auf die Erde gesenkt, und noch immer saßen die beiden Männer und tranken den köstlich süßen Wein, der an den Hängen des geheimnisvollen Feuerberges Vesuvius gedeiht, an jenen Stellen, wo einst die vulkanischen Massen sich glühend und zischend ihren Weg durch die Spalten zum Meere gebahnt haben; noch leuchtet und funkelt es gar seltsam in dem weingefüllten Glase, wenn die Lichtstrahlen darauffallen, und wer den edlen Tropfen genießt, mit Maß und Verstand, wie man die Güter dieser Welt genießen muß, der mag von ihm berauscht und doch nie betrunken werden, gleichwie von der Schönheit des glückseligen Landes, das seine Heimat ist.

Und Grillparzer, den noch kein einziger seiner Freunde jemals in dem Zustande gesehen, wo der Wein mit unseren Sorgen auch unseren Verstand davonschwemmt, nippte oft und öfter an seinem Glase. Das Kaminfeuer, in das der Wirt von Zeit zu Zeit ein Holzscheit warf, bot zwar einen hübschen Anblick, konnte ihn aber nicht genugsam erwärmen, zumal von den Apenninengipfeln ein empfindlich kalter Wind in die Tiefe fuhr; die schmalen Kerzenflammen aber, die den kahlen Raum zu einer müden Dämmerung erhellten, flackerten gleich einer 28 unruhigen, armen Dichterseele, die sich losreißen und in die nachtblaue Unendlichkeit fliegen möchte und doch an das kümmerliche Dasein gebunden ist.

Der Graf wurde gesprächig. Er erzählte von seiner Wirtschaft, von unredlichen Verwaltern, von seinen Jagdhunden und von einem neuen Pferdestall, den er bauen lassen wollte.

Und Grillparzer nickte und gab sich redlich Mühe zuzuhören; es gelang nicht, und so blieb ihm denn nichts übrig als zu trinken, in der stillen Hoffnung, die freundlichen Geister des Weines möchten wieder einmal jene hohe, feine Brücke schlagen, die aus der harten Wirklichkeit in sein leuchtend buntes Gedankenland führte. Denn seine Phantasie, mächtig angeregt durch die Steine von Venedig und die wechselvollen Bilder der fremdartigen Landschaft, arbeitete schon wieder an einem neuen Luftgespinst. Die Argonautensage . . . Glich denn nicht seine ganze Reise hieher einer Argonautenfahrt? Das goldene Vließ, schimmernd im Glanz des dreimal verfluchten Goldes, heißbegehrt von Tausenden und dennoch Quelle allen Unheils für den, der es besaß: was war es denn anderes als das selig-unselige Geschenk, das die Götter in die Wiege des Dichters gelegt hatten, die Phantasie? Ach, sie hatte ihm zeitlebens ebensoviel Glück als Unheil gebracht . . .

»Ja, was is denn schon wieder mit Ihnen, Grillparzer? Sie hören mir ja gar nöt zu?«

»Oh, doch, Herr Graf, doch. Aber ich versteh halt nöt gar viel von dem, was . . .«

»Und trinken tun Sie gar so langsam!« rief Deym und schenkte die Gläser voll. Er war bei der dritten Flasche und konnte sehr viel vertragen. »Prosit! Daß wir in Rom a schönes Wetter haben!«

Grillparzer stieg der ungewohnte Wein endlich doch zu Kopf. Als die Uhr die zwölfte Stunde zeigte, äußerte er den Wunsch, zu Bett zu gehen.

»Wie Sie wollen. Ich bleib noch a bissel, bis ich die richtige Bettschwere krieg. He, Johann!«

Es dauerte einige Zeit, bis der Gerufene seinen roten Kopf durch die Türe steckte. 29

»Bring mir an Fidibus für meine Pfeifen. Und dann nimmst das Licht und begleitst den Herrn Grillparzer in sein Zimmer.«

Solange dieser in der warmen Ecke am Kamin gesessen hatte, war alles gut gewesen; als er aber dem Diener über den kalten Gang nach dem Schlafzimmer folgte, drehte sich die ganze Welt im Kreis um ihn herum und er war froh, daß er noch mit leidlich sicherem Schritt eintreten konnte. Wie betäubt sank er auf das Bett hin und griff sich an die Stirn.

Es war ja auch wirklich nicht auszudenken: Herr Franz Grillparzer, Hof- und Staatsbeamter, der nüchternste Mensch von ganz Wien, in einem solchen fragwürdigen Zustand!

»Jetzt weiß ich wirklich nöt, is das a Rausch oder is kaner – und kommt er von dem Lacrimae Christi oder von der Sinniererei über das goldene Vließ? Wenns aber wirklich a Rausch is, dann is es der erste in meinem Leben. Und jetzt heißts aufpassen, daß er auch der letzte bleibt. Wenn nur der Johann nix bemerkt hat!«

Ach nein, der Johann hatte nichts bemerkt; der zog erst am nächsten Morgen erstaunte Augenbrauen auf, als er nach längerem, vergeblichem Klopfen in Grillparzers Zimmer trat und ihn völlig angekleidet in tiefem Schlaf auf seinem Bette liegend fand. Die Kerze im Leuchter war bis zum Ende hinabgebrannt.

»Also doch!« murmelte er mit verständnisvollem Augenzwinkern. Und laut sagte er:

»Zeit is zum Aufstehn, Herr Grillparzer. Der Herr Graf sitzt schon unten beim Frühstück.«


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