Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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Besuch in Weimar

I.

Über dem kleinen Stadtplatz von Weimar mit den leise rauschenden Lindenbäumen lag ein milder Sommerabend.

Der Gast aus Wien, der gestern mit der Post angekommen war und im alten Gasthof »zum Elefanten« Quartier genommen hatte, blickte an den Fenstern eines großen Hauses hinauf, in den warmen Kerzenschein, der goldig leuchtend in die Dämmerung hinausfloß.

Schmal und bleich stand die Mondsichel hinter den heimeligen Hausgiebeln der kleinen Stadt.

So tief beruhigend war dieses Licht, daß er es körperlich zu fühlen meinte, als lege sich eine liebe Hand auf seine Stirn und seine Augen.

»Füllest wieder Busch und Tal
still mit Nebelglanz . . .«

Er sang die Verse vor sich hin, in einer selbst erfundenen zärtlichen Melodie, die er zu scheu war niederzuschreiben.

Ach – wie sehr war ihm der da droben als lyrischer Dichter überlegen!

Lyrik . . . für seine weiche, singende, wienerische Seele höchste und unmittelbarste Form dichterischer Kunst.

Er dachte an seinen Kampf um die Bühne, an den rauschenden Erfolg des »König Ottokar«, den der bunte Menschenkrater des Burgtheaters in wilder Begeisterung bejubelt hatte, an Lord Byron, den bleichen Engländer mit der verrückten schwarzen Stirnlocke, der den Ausspruch tat, »man werde sich wohl endlich gewöhnen müssen, den verteufelt unbequemen Namen Grillparzer auszusprechen.« 130

Tiefer und stärker leuchtete der Mond am Himmel. Die Mansardenfenster des alten Hauses schimmerten im silbernen Licht.

Eine Steinbank stand im Schatten eines alten Lindenbaumes. Er setzte sich. Noch war Zeit genug zum Sinnen und Grübeln.

»Der Herr Geheimrat erwartet Sie für den Abend zum Tee«, die schlichte Botschaft hatte ihm der Kellner in dem Gasthof »zum Elefanten« gebracht, wo alle Besucher des Hauses am Frauenplan einkehrten. Und die große dumpfige Wirtsstube mit den langen Holztischen, Biergläsern und Fidibusbechern, mit der rauch- und altersgeschwärzten Holzsäule in der Mitte, mit den kleinen Butzenscheibenfensterchen im Erker, diese ganze still behagliche Kleinbürgerwelt leuchtete auf wie ein Märchenschloß im Glanz der armen Alltagsworte: der Herr Geheimrat erwartet Sie zum Tee.

Ein Gefühl namenloser Ehrfurcht überströmte ihn. Das Kind in ihm erwachte wieder – das ewige Kind; er sah sich als kleinen Buben in der alten Schulkirche, Weihrauchduft lag in der Luft, das ewige Licht vorne am Altar glühte wie ein Blutstropfen durch die mystische Dämmerung. Schauer des Jenseits umwitterten ihn. Die Gottheit war nahe. Ziehe deine Schuhe aus, die Stelle, die dein Fuß betritt, ist heilig.

Was der da droben geschaffen, das würde das neue Jahrhundert überdauern und weit, weit hinausleuchten in eine künftige Zeit. Und er . . .

Da war es wieder, das elende, würgende Minderwertigkeitsgefühl, an dem er zu ersticken drohte.

Wie ein dunkler Schatten hatte es ihn auf dieser ganzen Reise begleitet. Und dennoch waren alle die Dichtergrößen, mit denen er Gruß und Zwiesprach getauscht, mehr als liebenswürdig gewesen zu dem erfolgreichen Wiener Kollegen. Man hatte eine heimliche Freude hier im Norden an allem, was aus Wien kam. Er dachte an Fouqué, der ihm zu Ehren beim Besuch in seinem Gasthof die glänzende Offiziersuniform trug, auf die er so stolz war. An Chamisso, den guten alten Herrn mit den langen weißen Haarlocken, den liebenswürdigsten 131 aller ihm bekannten Schriftsteller, mit dem er sich trotz seiner französischen Abkunft so gut verstanden.

Aber was waren sie alle gegen den Großen, den Einzigen da droben hinter jenen hellen Fenstern!

Dennoch: er wollte sich zusammennehmen, sich seiner Persönlichkeit, seiner Leistungen bewußt bleiben. Er hob sich von der Bank empor, straffte seine schlanke Gestalt; noch immer war er jung, noch lagen weite Regionen des Lebens und Schaffens vor ihm, während der da droben, den er mit bewundernder, sehnsüchtiger Feindschaft liebte, dem Grab entgegen ging . . .

Dem Grabe? Nein. Der Unsterblichkeit.

Menschen schritten über den kleinen Platz. Behäbiges kleinstädtisches Bürgervolk, Männer mit hohen Hüten und langschößigen Röcken, Frauen mit breiten Hauben, stutzerhaft gekleidete Jünglinge, Spazierstöckchen in der Hand schwingend. Anderes Menschenvolk als daheim. Gefaßter, kühler, selbstbewußter.

Und einige gingen hinein in das Haus mit den gastlich geöffneten Torflügeln, lächelnd und plaudernd wie zu einem Fest.

Wohl keinem von ihnen konnte dieser Abend solch ein Fest bedeuten wie ihm.

Ein Paar erregte seine Aufmerksamkeit. Der Mann, in reifen Jahren, hoch gewachsen, schläfengrau, von guter Haltung. Neben ihm ein schönes junges Mädchen. Seine Freundin? Nein. So unbefangen und zutraulich konnte nur eine Tochter plaudern. Er sah dem Mädchen nach, als sie durch das Tor in den matt beleuchteten Hausflur trat. Wohlgefällig – und doch im Innersten kühl. Was waren ihm jetzt die Frauen!

Diese ganze Reise – war sie nicht zuletzt eine Flucht aus allerlei schlimmer Herzensbedrängnis?

Wie er sich sehnte nach Ruhe, Stille, Abgeklärtheit, nach jener Sammlung, die er die Mutter alles Großen genannt hatte. Sollte er hier Erfüllung finden, hier im Schatten des großen Titanen?

Aber wer zum Altar eines Gottes geht, muß ein ruhiges Herz haben.

Der Mond hob sich über die Wipfel der rauschenden Lindenbäume. Die kleinen Mansardenfenster droben 132 badeten sich im bläulichen Licht. Dort lag die Wohnung Ottiliens, von der der Weimarer Stadtklatsch allerlei Zweideutiges zu erzählen wußte und die doch so viel Leben in das stille Dichterheim trug.

Turmglockenschläge hallten in der Ferne. Nun mußte er wohl endlich hinauf. Mit langsamen, genießerisch zögernden Schritten betrat er den Hausflur. Eine Treppe stieg vor ihm empor, breit und majestätisch; auf seiner italienischen Reise hatte er eine ähnliche gesehen, im Palazzo eines Adeligen in Piacenza.

»Salve«, sei gegrüßt, stand auf der Schwelle in großen lateinischen Buchstaben. Er nahm es als gutes Vorzeichen.

Ein Diener geleitete ihn durch die Zimmer. Da stand ein Adorant mit flehend emporgestreckten Armen, dort hing ein Bild, Gericht über Seeräuber darstellend, dort wieder Gipsabgüsse antiker Statuen. Alles hatte Sinn und Bedeutung. Seltsamer Duft lag über den Räumen und entrückte ihn in eine Traumwelt.

Nun war man im Junozimmer, dem Empfangsraum des Hauses. Der Riesenkopf der Hera Ludovisi beherrschte das Gemach. Große, wunderbar klare Augen blickten in die Leere einer entgötterten Welt. »Keine Worte geben eine Ahnung davon, es ist wie ein Gesang des Homerus«, so hatte Goethe das Kunstwerk geschildert.

Langsam füllte sich der Raum mit den Gästen des Abends. Manche schienen einander zu kennen, tauschten in halblautem freundlichem Gespräch Bemerkungen, warfen hie und da einen Seitenblick auf den Fremden, der erwartungsvoll und still beobachtend neben dem großen Ebenholzflügel stand.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Der großherzogliche Kanzler Müller, der ihn gestern im Namen der Weimaraner begrüßt hatte, mit dem vor Aufregung geröteten Gesicht und dem dichten schwarzen Kraushaar, der Impresario, der bei den Abendgesellschaften immer die Honneurs machen und die Gäste vorstellen mußte.

Heute hatte er doppelt zu tun, denn Frau Ottilie, die Dame des Hauses, war auf Stippvisite in Jena bei Verwandten. 133

»Na also – da ist ja unser berühmter Wiener Gast. Herr Hofrat Jakob und Demoiselle Tochter, deren Übersetzungen serbischer Volkslieder unsere Exzellenz mit großem Interesse verfolgt.«

Händeschütteln, Verbeugungen. Er erkannte das liebenswürdige Menschenpaar, das ihm vorhin so angenehm aufgefallen war. Und im Nu war er in eifrigem Gespräch mit dem klugen, schönen und lebhaften Mädchen, das von dem Brüderpaar Grimm und seinen literarischen Forschungen erzählte. Der Vater erkundigte sich nach den handschriftlichen Schätzen der Wiener Hofbibliothek.

Der gutmütige Müller stand daneben und freute sich der durch ihn vermittelten Bekanntschaft.

»Und für morgen hab ich noch eine kleine Überraschung für Sie in der Tasche,« lächelte er gut gelaunt. »Nicht fragen – Sie werden selbst sehen – und auch hören, denn es ist etwas von Musik dabei. Da seid Ihr Wiener ja sachverständig. Aber für jetzt muß ich um Urlaub bitten – Hofdienst im Allerheiligsten, Sie verstehen . . .«

Das leise Gespräch der Gesellschaft hatte sich zu einem fröhlichen Summen gesteigert. Kleine Gruppen entstanden, Scherzworte flatterten auf.

Irgendwo im Hintergrund des Zimmers öffnete sich leise eine Tür. Und plötzlich verstummte das Gespräch, Worte und Gebärden stockten, es war wie wenn eine Windstille in ein rauschendes Ährenfeld eintritt.

Er war da.

Die Augen – das war das Erste, was an seiner Erscheinung ins Bewußtsein trat.

Diese großen, schwarzbraun leuchtenden Augen, die den ganzen Raum beherrschten und ein eigenes seltsames Leben zu führen schienen. Solche Augen mußten die olympischen Götter gehabt haben, der Zeus des Phidias, die Juno Ludovisi.

Schwarz gekleidet, den Ordensstern auf der breiten Brust, in steifer Haltung ging er mit kleinen Schritten von einem zum andern. Überall sprach er ein paar Worte, nicht laut, mit einer Stimme, die dennoch bis in die Winkel des Zimmers drang wie eine klare Glocke. 134

Nun stand er vor dem Gast aus Wien.

Neben ihm der Kanzler Müller, wie der Flügeladjutant oder Hofmarschall einer regierenden Majestät.

Und die tiefe Glockenstimme, mit einem Unterton von herzlicher Teilnahme, sprach:

»Seien Sie uns allen willkommen in Weimar, Herr Grillparzer!«


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