Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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VI.

Auf seinen Entdeckungsreisen in die archivalische Unterwelt der kaiserlichen Hofbibliothek, in die Katakomben, wie sie der Bürowitz nannte, wo in verstaubten schweinsledernen Folianten und ungeheuren Bildermappen die Kunst und Weisheit der vergangenen Barockzeit ein vergessenes Dasein führte, hatte Grillparzer einen Kupferstich von riesigem Format gefunden, der ihn seltsam erregte.

»Herkules, ein heidnischer Halbgott der alten Griechen, auf seynem Scheidewege,« war der Titel.

Eine Legende in verschnörkelter Druckschrift erklärte das Bild.

Der Held, im Kostüm der Barocke, mit Panzer und Beinschienen und einem Helm mit wallendem Federbusch; daß es wirklich Herkules war, bezeugten Keule und Löwenfell. Zwei Frauengestalten ihm zur Seite: links die leichtsinnige Lebensfreude, kurz geschürzt, zum frohen Genuß des Daseins lockend, Blumen im Haar, mit kokettem Lächeln, eine Flöte in der Hand, das zierliche Füßchen zum Tanz gehoben. Zur Rechten aber die strenge, rauhe Tugend mit ernstem Gesicht, in langen dunklen Gewändern, ohne jeden Schmuck. Die schmale 117 Hand deutet zum Himmel, wo am Ende eines mühseligen Lebens voll Arbeit und Entbehrung Ruhm und Unsterblichkeit winken.

Das Bild verfolgte ihn im Wachen und Traum, wie uns oft eine Melodie quält und uns beständig in den Ohren klingt.

Was er da sah in mythischer Symbolik, war sein eigenes Schicksal. An einer Wende seines Lebens stand er und mußte sich entscheiden, ob er den Weg des korrekten Staatsbeamten gehen sollte, mit kärglichem Avancement und dünkelhaften Vorgesetztenlaunen, mit Pensionsanspruch, Familiengründung und Kinderstube – oder den Dornenpfad des Schaffenden.

Daß es doch immer die Frauen sind, die des Mannes Schicksalsweg bestimmen!

Wie war das nur gekommen, daß er plötzlich vor aller Welt als Bräutigam dastand, daß man im Kreis seiner Bekannten eifrig über seine Zukunft sprach, daß die Schwestern Fröhlich um die Wette ganz Wien nach einer passenden Wohnung für das neue Paar durchstöberten – da schwärmte Betty von einem reizenden kleinen Quartier in der Mariahilfer Vorstadt, nahe an der Wallfahrtskirche, mit dem Blick auf herrlich duftende grüne Lindenbäume, wie geschaffen für eine stille Dichterwerkstatt; während Josefine der Meinung war, eine Vorstadtwohnung sei nicht standesgemäß für einen Staatsbeamten, es käme nur die innere Stadt in Betracht, wegen der Nähe des Burgtheaters, der Hofbibliothek und der Finanzbehörde.

Und Anna sprach von der Einrichtung der Zimmer, ging von einem Möbeltischler zum andern, beriet sich mit den Schwestern über Kattys Ausstattung an Wäsche und Kleidern.

Das ging nun schon viele Monate hindurch; merkwürdig war nur, daß man trotz all dieser Vorbereitungen nicht weiter kam, daß der Termin der Hochzeit immer wieder verschoben wurde und der Bräutigam so gleichgültig von der Sache sprach, als liege das noch in weiter Ferne.

Warum das alles? 118

Weil wieder der Dämon vor ihm stand, der ihm sein Dasein verdarb, der Inkubus, der Widerstreit zwischen Pflicht und Neigung, den der große Emanuel Kant zugunsten der Pflicht entscheiden wollte. Aber war ihm sein Künstlertum nicht höhere Pflicht?

Als die Verwirrung seiner Gefühle unerträglich wurde, ging er eines Abends zu Schreyvogel.

Da war die wohlbekannte kleine muffige Theaterkanzlei mit dem abgeschabten rotsamtenen Thronsessel des Direktors – da war der väterliche Freund, weit älter als er, der dem jungen Stürmer und Dränger die Tore der Bühne geöffnet, jahrelang seine Arbeit mit dem sicheren Urteil des erfahrenen Kenners begleitet und ihm oft, zu seinem heimlichen Verdruß, schonungslos manchen Fehler nachgewiesen hatte.

»Mir scheint, Sie brauchen wieder einmal jemanden, der Ihnen Mut in die Seele bläst, Grillparzer?« fragte Schreyvogel mit gutmütigem Spott.

»Ich glaub, heute brauch ich mehr den Menschen als den Kritiker Schreyvogel«, erwiderte der andere.

»Ich weiß. Ich bin beides für Sie, Mensch und Kritiker. Und ich weiß auch, warum Sie heute zu mir gekommen sind. Sie haben sich verlobt, Sie wollen heiraten, es ist unglaublich, was sich die Leute ihre Mäuler zerreißen, unser liebes Wien ist ein großes Klatschnest. Alles fragt mich, wann endlich Hochzeit sein wird. Aber Sie zögern und können sich nicht entschließen. Das ist der trockene Tatbestand. Herkules am Scheidewege. Ist es so?«

»Es ist so, alter Freund und Beichtvater.«

»Aber bei Ihnen liegt das Problem anders als bei dem alten griechischen Heros. Künstler oder Bürger: das ist hier die Frage. Ich rate Ihnen: hüten Sie sich vor Bindung und Gewohnheit. An Gewöhnung und Alltäglichkeit kann der Künstler ersticken.«

»Unsere Alltäglichkeiten – sind sie nicht unsere Welt?«

»Aber Ihr Reich ist nicht von dieser Welt. Ein Dichter soll sich nicht an Herd und Ehe ketten. Die fanatische Besessenheit, die an einem Werk schuftet und schwitzt, duldet kein wärmeres Gefühl. Das ist tragisch, 119 aber nicht zu ändern. Und die Frauen – sie sind das große Erlebnis für jeden Schaffenden. Aber sie können sein gefährlichstes werden. Besonders für uns Wiener. Unsere Luft ist zu weich, unsere Frauen sind zu schön und der Straußwalzer geht uns zu sehr ins Blut.«

»Und dennoch brauchen wir das Weib und seine Liebe. Und der tiefste Sinn der Liebe ist die Treue.«

»Der tiefste Sinn der Liebe ist die Sehnsucht. Sehnsucht ist dem Künstler besser als Erfüllung. Treue? Fragen Sie doch die da droben, die golden thronende Aphrodite, die Ihre Sappho besingt, die lächelnde Göttin im Olymp mit den beseelten Gliedern und dem Kranz von ewig blühenden Blumen im Haar, die aus dem Schaum geboren ist, dem flüchtigsten Gebilde des Meeres, ob sie von Treue weiß?«

»Es ist traurig,« seufzte Grillparzer, »daß Liebe und Treue so selten beieinander wohnen. Was uns Dichtern die Welt immer vorwirft, daß wir nicht treu sein können, das empfinden wir selbst am schmerzlichsten. Was wir lieben, ist nicht das Einzelwesen, sondern die Liebe selbst, das ewig unerfüllbare Ideal.«

Schreyvogel nickte: »Darum sage ich ja: der Dichter muß kühl sein, wenn er am Werk ist. Keine menschliche Leidenschaft darf ihn beherrschen. Es ist geheime Feindschaft gesetzt zwischen Erlebnis und Gestaltung. Wieviele schöne Talente habe ich an diesem Konflikt zugrundegehen gesehen! Beides zu scheiden, mit weiser und glücklicher Hand: das ist wahre Kunst. Und ich weiß nur Einen, der sie wirklich versteht.«

»Goethe,« sagte Grillparzer leise. »Der Glückliche von Weimar.«

»Jawohl. Goethe.«

Und wieder lag das Schweigen zwischen ihnen, trennend und verbindend zugleich.

Endlich sagte Schreyvogel, und seine Stimme klang trüb:

»Ich habe auch einmal den Dichtertraum geträumt, die schönste aller Illusionen, die es für uns arme Geistesmenschen gibt; aber ich erkannte, zu meinem Glück, bald die engen Grenzen meiner Kraft. Und seither will ich Jüngeren dienen mit meiner Erfahrung, mit Rat und 120 Hilfe. Und ich sage Ihnen heute, Grillparzer: gehen Sie zu Goethe. Es wird die große Pilgerfahrt Ihres Lebens sein, nach einem Mekka, wo Sie Ruhe und Klarheit gewinnen werden. So viel mir bekannt, schätzt Goethe Ihre Dichtungen, besonders die Sappho. Und Sie sind einer von denen, die immer eine Bestätigung ihrer Sendung haben müssen.«

Grillparzer erhob sich:

»Ich will Ihre Ratschläge bedenken. Haben Sie Dank dafür. Auf Wiedersehen – morgen im Theater.«

Schreyvogel war allein, und seine Gedanken begleiteten den wunderlichen Menschen, dem die Götter so vieles geschenkt hatten, nur eines nicht: den Mut zu sich selbst.

Zur selben Stunde aber lag die liebenswürdige Demoiselle Katty in der dunklen Stefanskirche vor einem wundertätigen Bild der Gottesmutter auf den Knien und betete mit dem frommen Glauben ihrer Kinderjahre um ein Zeichen, eine Weisung für den Weg ihres Lebens, der sie in die ungewisse Zukunft einer Dichtersfrau führen sollte.

Die vergoldeten Holzsäulen des kleinen Altars, der das Gnadenbild trug, waren geschwärzt vom Rauch der vielen Kerzen, die auf zwei eisernen Lichtständern schwelten und flackerten. Die dicken Wachstropfen erschienen wie Tränen bußfertiger Sünder, und die Steinfließen vor dem Altar waren glänzend poliert von den Knien der Andächtigen, die um die Statue herumrutschten, zehnmal, zwanzigmal, wie die selbstgewählte Buße es ihnen zur Gewissenspflicht machte.

Aber im mattgoldenen Schimmer der Opferkerzen flog es wie ein heimliches Lächeln über das Gesicht der Himmlischen, und so ging Katty halb getröstet fort und besprengte ihr unruhiges Herz an der Ausgangspforte nochmals mit geweihtem Wasser.

Über die engen Gassen der inneren Stadt kam die Nacht gekrochen. Die Laternenanzünder liefen mit ihren langen Luntenstangen hin und her und setzten die wenigen Lichter in Brand, die der Stadtrat bewilligte.

Katty beschleunigte ihren Schritt; ihr war als ginge jemand hinter ihr her. Als sie sich umwandte, blickte 121 sie in ein kleines blasses Gesicht mit großen feuchten Augen.

Das Mädchen blieb stehen:

»Sie kennen mich nicht mehr, gelt?«

In Katty dämmerte eine ferne Erinnerung. Das war jenes Mädchen, das damals vor Jahr und Tag hinter ihr hergehuscht war, als sie am Arm Grillparzers aus der Abendgesellschaft bei Geymüllers kam, wo sie zum erstenmal das Forellenquintett hörte.

»Ich heiße Marie Piquot. Hat er Ihnen nicht von mir erzählt?«

»Wer denn?«

»Ihr Verlobter. Gott, es ist ja nicht viel zu erzählen; wir sind oft am Klavier beisammen gesessen und haben vierhändig gespielt, Gluck und Haydn und seinen geliebten Mozart.«

»Ich erinnere mich, er hat davon gesprochen,« sagte Katty mit leichter Verlegenheit, weil die Augen des Mädchens wie geistesabwesend ins Leere blickten. »Waren Sie auch in der Kirche?«

»Nein. Ich komme von einem Begräbnis.«

Katty staunte: »Aber hier ist doch kein Friedhof mehr seit fünfzig Jahren.«

»Sie verstehen mich nicht. Auch unser Herz kann zum Friedhof werden, wo man seine liebsten Wünsche und Hoffnungen begräbt. Sie müssen verzeihen, wenn ich davon rede – jetzt darf ich es ja, weil alles vorüber ist. Aber Sie sollen es wissen, der einzige Mensch auf der Welt; nicht einmal meine Mutter weiß es, obwohl sie es ahnt, denn einer Mutter kann man nichts verbergen. Wenn wir so beisammen waren, mußte er doch fühlen, wie es mir ums Herz war, aber er blickte über mich hinweg in weite Fernen. Gott weiß, wen er dort gesehen hat. Mich hat er nicht gesehen.«

Ein Schauer lief durch den schlanken Körper. Sie zog das seidene Tuch über der Brust zusammen:

»Ich muß heim, die Mutter wartet. Leben Sie wohl. Gott schütze Sie – und ihn – und euer Glück.«

Die letzten Worte kamen schon aus der Entfernung. In der Abenddämmerung verschwand die zarte Gestalt. 122

Katty war seltsam bewegt. Diese sonderbare Begegnung – war es das Zeichen, um das sie zur Muttergottes gebetet hatte?

Ach, die Himmlischen geben uns vielleicht öfters als wir glauben ein Zeichen, aber der törichte Mensch deutet es falsch.

Sie trat in das Wohnzimmer. Anna saß am Klavier und spielte.

»Horch, Katty – wieder was Neues von unserem Schubert. Es soll das erste sein von einem Liederkranz, an dem er arbeitet. Er hat mirs gegeben, zur Zensur, ob kein Fehler drin ist. Traurig ist das Lied, aber schön, so wunderschön, daß ich mich den Kuckuck drum gekümmert hab, ob Kunstfehler drin stecken . . . hör zu!«

Und mit halber Stimme sang sie:

»Fremd bin ich eingezogen,
fremd zieh ich wieder aus . . .«

Katty lauschte in schweigender Ergriffenheit.

»Ja, das ist dein Franzl. Wollt Gott, mein Franzl wär vom gleichen Holz. Aber da fehlts.«

»Er ist nicht mein Franzl, Katty,« sagte Anna ernst, »er ist der Franz Schubert, der der ganzen Welt gehört. Und daß es so ist und so sein muß, das ist mein Glück und mein Leid zugleich.«

»Aber der, den ich gern haben soll, der muß für mich da sein, für mich ganz allein und nöt für die andern,« erwiderte Katty eigensinnig. »Wenn du wüßtest, wie ich mich oft quäle mit solchen traurigen Gedanken!«

»Ach ja, die Menschen quälen sich niemals so sehr als wenn sie sich gern haben.«

»Und hat er mich denn auch wirklich gern? Wie oft, wenn wir am gemütlichsten beisammen sitzen, zieht er sich in sich selber zurück wie ein Schneck und mir kommts vor, als ob zehn Meilen zwischen uns wären oder ein fremder höflicher Herr mich unterhalten möcht. Neulich sagt er zu mir, er hat ein steinernes Herz, und nur seine Mutter hätt daraus Funken schlagen können. Sag, ist das Liebe?«

Sie hatte sich heiß geredet, und ihr gutes Gesichtel wurde ganz finster und trotzig: 123

»Ich bin auch ein Mensch mit Willen und meinetwegen auch Ehrgeiz. Da hab ich neulich die Schröder getroffen, die hat mich gefragt, ob ich zur Bühne möcht, ich hätt Talent dazu und sie will mich gern ausbilden. Und wie ich das dem Franzl erzähl und mich freu, da zieht er ein bitterböses Gesicht und sagt, das wird er niemals zugeben. Wie kann er mir so was verbieten? Hat er schon ein Recht auf mich? Und wie soll das in Zukunft werden?«

»Ja, das ist halt sein Egoismus, der Egoismus, der in jedem Künstler lebt. Schau dich um in der Welt, und du wirst sehen, daß alle Idealisten und Künstlermenschen Egoisten sind. Und in der Seel von so einem Künstler sind Geheimnisse, die wir nöt verstehen und die er vielleicht selber nöt versteht.«

»Aber warum müssen wir so darunter leiden?«

»Kind, überall in der Welt ist Leiden, warum solls in der Lieb anders sein? Vielleicht hats unser Herrgott so eingerichtet, daß wir von der Liebe mehr leiden müssen als der Mann. Laß doch die dunklen Gedanken, freu dich lieber, daß du einen solchen Dichter zum Freund hast. Es kann sein, daß er dich in die Zukunft mitnimmt, daß die Leut nach hundert Jahren noch deinen Namen nennen, wenn die Menschen von heut und gestern längst vergessen sind.«

»Der Mayrhofer hat einmal von ihm gesagt, er is ein ganzer Dichter, aber kein ganzer Mensch,« sagte Katty.

»Kein ganzer Mensch,« wiederholte Anna sinnend, »das ist ein großes Wort. Wer kann von sich sagen, daß er wirklich ein ganzer Mensch ist?«


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