Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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V.

Auf der Bucht von Neapel loderten die roten Flammen des Sonnenuntergangs. Der schwarze Feuerberg rief sein düsteres Memento mori in die klare Luft; Fischerbarken belebten das Meer, wie riesige Schmetterlinge mit geflickten Flügeln saßen sie auf der weißen glitzernden Fläche; und nicht minder lebhaft ging es am Strande von Santa Lucia zu, wo Weiber und Kinder an ihren Netzen arbeiteten, an offenen Feuern die Abendmahlzeit bereiteten, vor den Haustüren und um die Brunnen herumhockten und unter lebhaften Gebärden und Geschnatter die große Neuigkeit besprachen: daß der Kaiser von Österreich als Gast des Hofes von Neapel in der Stadt angekommen sei und diese einige Wochen lang durch seine Anwesenheit auszeichnen werde.

Nun dröhnten die Kanonen von der Höhe des Kastells San Elmo, alle Kirchenglocken begannen gleichzeitig zu läuten, lautes Evvivageschrei mengte sich in das Krachen der Pöllerschüsse, denn die Wagen mit den Majestäten fuhren soeben über den großen Stadtplatz dem königlichen Schlosse zu. Der Kaiser und die Kaiserin saßen in einem vergoldeten Glaswagen, von vier weißen Pferden gezogen, und neigten sich grüßend nach allen Seiten. Hinter dem Wagen fuhren in schier endloser Reihe die Karossen der Würdenträger und Hofbeamten. Berittene Offiziere geleiteten den Zug; sie blickten scharf um sich, es war doch möglich, daß irgend ein gefährlicher jakobinischer Bösewicht die Gelegenheit zu einem Attentat benutzte – aber die Polizei war klug und wachsam und hatte einen recht breiten Gürtel von Soldaten mit scharf geladenem Gewehr den Weg entlang aufgestellt und 47 zwischen den Hofwagen und der gaffenden Menge genügend freien Raum geschaffen. Vor dem Eingang in den königlichen Palast bildeten Diener, in die goldstrotzende Livree des Hofes von Neapel gekleidet, mit brennenden Windlichtern Spalier, weiße Federbüsche nickten von den Pferdehäuptern, die Leibkutscher mit den feisten. glattrasierten Gesichtern saßen steif und stolz auf den Böcken und hielten die Zügel mit weißbehandschuhten Händen starr vor sich hin, die Luft erdröhnte von lautem »Evviva, Evviva!«

Grillparzer saß neben dem Grafen Wurmbrand in einer der Hofequipagen und beobachtete den Trubel.

»Merkwürdiges Volk, diese Italiener«, sagte er nachdenklich. »Jubeln und schreien wie unsere Bauern am Kirchtag . . . Worüber freuen sie sich so? Was für einen Nutzen haben diese armen Teufel von Fischern und Weinbauern oder kleinen Handelsleuten davon, daß a paar fremde Fürsten da sind?«

»Ich glaube, es ist weniger eine Huldigung vor der Majestät, als die Äußerung des Gefühles der Zusammengehörigkeit«, erwiderte der Graf. »Das Volk will zeigen, daß es in seiner Masse gerade so gut eine Macht darstellt wie irgend einer von den Großen dieser Erde. Übrigens rührt sichs gewaltig da unten, die Bourbonen sind hier so wenig beliebt wie Seine bequeme Majestät Louis XVIII. auf dem Thron von Frankreich, und wenn sie auch heute Evviva schreien, so können wir doch sehr bald schon fatale Überraschungen erleben, denn die österreichische Herrschaft ist in Italien gar nicht populär . . . Aber wie ich sehe, sind die Majestäten glücklich unter dem Dach des Palastes, der Zug löst sich auf – was gedenken Sie nun zu tun, Freund und Dichter?«

»Außi möcht ich – bei der nächsten G'legenheit steig ich ab.«

»Was Ihnen nicht einfällt. Sie begleiten mich jetzt selbstverständlich in meine Wohnung im Albergo reale. Ich habe dem Kutscher schon die nötigen Weisungen gegeben. Interessiert es Sie denn nicht zu sehen, wie ich wohne? Oder haben Sie, der allem Prunkhaften und Feierlichen so scheu aus dem Wege geht, gar so oft in Ihrem Leben solch eine Hoffestlichkeit mitgemacht?« 48

»Das eben nicht,« gab Grillparzer zu, »und als Dichter interessiert mich jede Äußerung des Lebens – aber wissens, ich bin halt auch a Wiener, und so wie ichs nöt lang aushalt, Hochdeutsch zu reden, so freu ich mich nach solchen Feierlichkeiten immer wieder auf meine Ruh und Bequemlichkeit.«

»Worin ich Sie ganz gewiß nicht stören will«, erwiderte Graf Wurmbrand höflich. »Aber sehen Sie, der Wagen biegt schon in die Allee ein, hier ist das Schloß – und bald werden Sie aus den Fenstern meiner Wohnung die entzückendste Aussicht der Welt genießen. Vedi Napoli e poi muori . . .«

»Na, hoffentlich noch nicht«, meinte Grillparzer.

Der Graf hatte ihm nicht zuviel versprochen. Als er an den hohen Bogenfenstern stand und in die Tiefe blickte, glaubte er eine Märchenlandschaft vor sich zu haben. Drunten schimmerten die Lichter der großen Stadt; es war, als läge dort am Ufer des Meeres, von den Fluten als köstliches Strandgut ausgeworfen, ein funkelndes Goldgeschmeide; auf dem weiten, ruhigen Meer lag der letzte rote Farbenton des Abends, und die schwarze Spitze des geheimnisvollen Berges glomm in regelmäßigen Pausen in düsterroter Glut wie ein Leuchtturm auf, um wieder auf Augenblicke zu verlöschen.

Mit einem leisen Seufzer riß sich der Dichter endlich von dem Anblick los.

»Und was nun, Verehrtester?« fragte Wurmbrand.

»Wohnung suchen, natürlich.«

»Hm. Jetzt bei Beginn der Nacht dürften Sie wenig Glück dabei haben. Und glauben Sie nicht, daß die Fremden, die Ihnen in Rom die Wagen und die Pferde weggenommen haben, es hier in Neapel mit den Wohnungen nicht ebenso machen?«

Grillparzer konnte nichts dagegen einwenden.

»Lassen Sie sich raten, lieber Freund, und bleiben Sie wenigstens über Nacht bei mir. Morgen können Sie dann Quartier suchen, so lange Sie wollen.«

Es war unmöglich, die Einladung auszuschlagen. Grillparzer blieb, wurde vom Rauschlied der Meereswellen in den Schlaf gesungen, sah sich im Traum auf dem Gipfel des Vesuv, der ihn mit einem Kartätschenfeuer 49 von Lavastücken überschüttete, und saß am nächsten Morgen mit dem Grafen beim Frühstück, während die Sonne durch die weiten Fenster eine Flut von Licht und Wärme in den Raum goß und feierliches Glockengeläute von allen Türmen der Stadt verkündete, daß die hohen Herrschaften sich zur Frühmesse in die Kirche San Gesù begaben.

»Da hab ich nun sieben wahrhaftige Prunkzimmer zu meiner Verfügung,« sagte Wurmbrand verdrießlich, »eines immer schöner eingerichtet als das andere, und benützen kann ich kein einziges außer dem Schlafzimmer, weil mich der Dienst den ganzen Tag bei Hofe festhält. Ist das nicht schade?«

»Allerdings.«

»Wissen Sie was? Bewohnen Sie, solange Sie in Neapel bleiben wollen, wenigstens einen dieser Räume. Es wäre doch sinnlos, wollten Sie irgendwo in der Stadt für eine elende Unterkunft Schwindelpreise zahlen – und in Neapel blüht der Schwindel jeder Art – während Sie hier gesund, anständig und umsonst wohnen können. Habe ich recht?«

Grillparzer zog die Stirne kraus.

»Herr Graf, Sie kennen mich noch nöt. Ich laß mir nöt gern was schenken, außer wenn ich irgend an Gegendienst . . .«

»Aber natürlich ja, Sie können und sollen mir einen Gegendienst leisten. Sie wissen, ich bin ein schlechter Rechenmeister. Nun soll ich alle die Trinkgelder und Almosen, welche die Kaiserin im Laufe der Woche ausgibt, an jedem Samstag zusammenzählen und die Rechnung an die Hofkasse schicken. Wollen Sie dieses Amt statt meiner übernehmen?«

Er zog ein Notizbuch heraus und erklärte Grillparzer seine Buchführung, der bald begriff, daß man wirklich ein sehr schlechter Rechenmeister sein mußte, um die paar Posten nicht mühelos in eine Summe zu bringen.

»Gewiß, Herr Graf, ich will Ihnen gern diese kleine Arbeit abnehmen. Und ich bleibe auch da noch Ihr Schuldner . . .«

»Reden wir nicht davon. Die Sache ist also abgemacht. In den nächsten Tagen habe ich bis spät abends 50 Hofdienst. Aber kommende Woche gehts zu Albertis, die Sie mit Ungeduld erwarten. Und nun addio, ich eile zu meinen Majestäten, während Sie, glücklicher als ich, die neuen Funde aus Pompeji bewundern dürfen, die man im Städtischen Museum aufgestellt hat. Auf Wiedersehen, morgen früh!«

Das neue, ungebundene Leben behagte Grillparzer sehr. Er suchte sich eines der besten Zimmer mit der Aussicht auf den Golf und die Halbinsel Sorrent aus und konnte nun tun und lassen, was er wollte.

Niemand kümmerte sich um ihn; er brauchte sich weder über spitzbübische Hauswirte vom Schlag des pfiffigen Advokaten Novelli, noch über Betrügereien von Kellnern und Dienstboten zu ärgern; er litt nicht unter dem Schmutz und Ungeziefer der gewöhnlichen Mietswohnungen; er hatte keinen Grafen Deym zu fürchten, der sich über seine Kunstschwärmerei lustig machte.

Gleich am ersten Tage nahm ihn das unendlich bunte Treiben des Volkes gefangen, das im Toledo und seinen Seitenstraßen herrschte. Die Fahrküchen auf ihren grellroten Rädern, unter dem Schutz der bunt gestreiften Zeltdächer, umdrängt von zerlumpten Weibern und Kindern, die mit Tellern und Schüsseln in den Händen sich mit den Garköchen um die Portionen zankten; das laute Geschrei der Händler, die ihre Waren anboten, vom Goldschmuck bis zu den ekelhaftesten Speiseresten und Zigarrenstummeln; die Straßensänger, schwelgend in den höchsten Tönen des Belcanto, vom Gezirpe der Mandolinen begleitet; der Wunderdoktor vom Schlage des Doktor Bucciolotto, unter einem grünroten Baldachin, eine Perücke auf dem Kopfe und einen Stock mit Goldknopf in der Hand, mit mächtiger Brille und einem Taburett voll Mixturen: wie zog das grellbunte Bild fremdartigen Lebens den nordischen Wanderer in seinen Bann! Weiber saßen vor den Haustüren im hellen Sonnenlicht, kämmten ihre schwarzen Haare und suchten halbnackten Kindern das Ungeziefer ab. Eine Ziegenherde wurde von einem braunen, lockigen Knaben mitten durch die Stadt getrieben; aus den obersten Stockwerken ließ man an Schnüren kleine Blecheimer hinab, 51 der Hirtenbub molk sie voll Milch und hielt das Gefäß gewissenhaft mit beiden Händen solange fest, bis die aus dem Fenster geworfene Münze auf das Straßenpflaster klirrte.

Mit Schauen, Beobachten, Studieren vergingen die Tage im Flug. Grillparzer war noch ganz voll von all den neuen Eindrücken, als er mit dem Grafen Wurmbrand in einem der leichten ortsüblichen Wagen zum Hause des Professors Alberti fuhr.

»Nein, er ist kein eigentlicher Hochschuldozent,« erwiderte der Graf auf eine Frage Grillparzers, »sondern bloß Privatgelehrter; aber seine Kenntnisse, sein Fleiß und seine Erfolge als Forscher machen ihn jedem Universitätsprofessor ebenbürtig. Das alte Pompeji zum Beispiel kennt er wie unsereiner den Stephansplatz, und die Funde, die er auf dem dortigen Forum gemacht hat, setzen die gelehrte Welt in Staunen. Er ist einer von den wenigen aus meiner Familie, die ihre Sehnsucht ausleben durften,« fuhr der Graf sinnend fort, während seine Augen im fernen Blau des Himmels irgend eine verlorene Illusion zu suchen schienen, »denn in uns allen lebte seit Generationen ein heimlicher Drang zum tiefgründigen Forscher und Gelehrten – auch ich hab ihn gespürt und bin trotzdem aus ererbten Standesvorurteilen zum Diplomatenberuf gegangen.«

»Ach Gott, ich glaub halt immer, wir alle sind nur Bruchstückeln von dem, was wir werden könnten und werden sollten, wenn . . . ja, wenn das ›wenn‹ nöt wär!« erwiderte Grillparzer. »Aber erzählen Sie mir doch auch was von der Demoiselle Annita.«

»Über die will ich lieber nichts sagen«, erwiderte der Graf lächelnd. »Da mögen Sie sich als Poet und Menschenkenner Ihr Urteil selbst bilden. Aber da sind wir schon.«

Ein niedriges Haus leuchtete weiß und hell aus der grünen Dämmerung eines Palmen- und Zypressengartens. Über gelben knirschenden Kies schritten sie einer kleinen Pforte zu, mit antiken Reliefs geschmückt und rechts und links von zwei kurzen dorischen Säulen begrenzt. Die Türe stand offen; ein kleiner halbdunkler Vorraum nahm sie auf. Das Mosaik des Bodens stellte 52 in schwarzweißen Steinen das Bild eines Hundes dar mit der Unterschrift »cave canem«, nimm dich vor dem Hund in acht.

»Sie werden bemerken, daß auch der Empfangsraum des Hauses ganz nach dem Vorbild eines antiken Atriums . . .«

Da ging die Tür. Ein Lichtstrom floß in den dunklen Raum und blendete Grillparzers Augen. Und mitten in dem Lichte stand blond und hochgewachsen eine blühende Mädchengestalt und streckte den beiden herzlich und unbefangen die Hände entgegen:

»Willkommen, Herr Grillparzer – und auch Sie, Onkel Wurmbrand!«

Es schwang ein wunderbar warmer, freudiger Ton in den wenigen Worten und mutete ihn an wie ein Gruß der Heimat. Sie sprach das reinste Hochdeutsch und doch klangen die österreichischen Töne durch wie eine heimliche Grundmelodie.

»Ja, so hab ich mir Sie vorgestellt nach den Bildern in den Zeitschriften,« sagte sie, indem sie ihn forschend betrachtete, »so und doch wieder anders . . . Und Onkel Wurmbrand hat mir alles schicken müssen, was über Sie und Ihre Werke gedruckt worden ist, so daß ich bald werde über Sie ein Buch schreiben können.«

»Um Himmels willen!« rief Grillparzer lachend, »das lassens doch noch a Zeitlang bleiben! Dazu bin ich denn doch nöt alt und würdig genug.«

Die Herren traten in den Empfangsraum. Wirklich – man glaubte sich in ein altrömisches Atrium versetzt; Bronzebüsten an den Wänden, Freskomalerei in Schwarz, Rot und Gelb, ein Wasserbassin in der Mitte; nur daß jenes viereckige Loch in der Decke, das die Alten Impluvium nannten, durch ein richtiges Glasfenster geschlossen war.

An eine dorische Säule gelehnt, die einen dicken Faun mit einem Wasserschlauch trug, stand Alberti und grüßte Grillparzer wie einen alten Bekannten. Bald war ein Gespräch über Pompeji im Gang, das in den nächsten Tagen gemeinsam besucht werden sollte. Aber dazwischen flogen Grillparzers Blicke oft genug nach der hellen Gestalt, die frei und schlank wie eine weiße Tempelsäule 53 neben dem Fenster stand, das die Aussicht auf das Meer freigab.

Wie eigenartig ihr Gesicht war. Sie hatte die feingeschnittenen Lippen, die klare Stirne der Frauen, die man auf den Madonnenbildern der großen alten Meister sieht. Aber die Augen waren so gar nicht italienisch. Groß und fragend blickten sie ins Weite und erzählten von sehnsüchtigen Träumen, die nicht passen wollten in die sonnige, daseinsfrohe Welt, die sich zwischen dem tiefblauen Golf und dem lachenden Rebenhügelgelände ausbreitet und Neapel heißt.

Ein faltiges Kleid von antikem Schnitt floß an ihr nieder; das Haar hielt ein einfacher, schmaler Goldreif zusammen. So – ja, so hatte er sich die Gestalten aus der Welt seiner Dichtungen gedacht; blickte Sappho so in die Ferne, wenn sie Phaon erwartete – hob Medea, noch jung und unberührt von Leidenschaft und Verbrechen, die Arme zum Gebet empor? Oder war Kreusa aus dem Reich der Phantasie herabgestiegen und neigte sich mitleidig und tröstend zu dem unglücklichen Freund ihrer Jugend?

Und dazwischen mußte man dem Gelehrten Rede stehen, der von den neuen Ausgrabungen auf dem Forum der Totenstadt sprach . . .

»Wenn ich mich Ihnen als Führer durch die Ruinen anbieten darf, machen Sie mir eine große Freude«, rief der lebhafte alte Mann, dessen Augen noch jugendlich blitzten, das graue Schläfenhaar Lügen strafend.

»Sie Armer,« lächelte Annita, »wenn mein Padre einmal jemanden nach seinem geliebten Pompeji geschleppt hat, dann läßt er ihn nimmer los. Aber kommen Sie, in jenem Zimmer sollen Sie einen Vorgeschmack der Herrlichkeiten bekommen, die Ihrer warten.«

In dem Raum, dessen Türe sie geöffnet hatte, standen keine Möbel. Den Fußboden nahm ein großes Relief ein, die Stadt Pompeji und ihre Umgebung darstellend. Mit einer Genauigkeit, die damals unerhört war, erschienen die Ruinen der Häuser und Tempel aus Kork nachgebildet; die Straßen mit ihrem Pflaster aus eckigen Lavaplatten, die Auslaufbrunnen mit den Löwenköpfen, das Amphitheater, die Verkaufsbuden der Weinschenker 54 samt den spitz zulaufenden Vorratsurnen – entzückendes gelehrtes Kinderspielzeug.

Grillparzer staunte.

»Weiß Gott, ich hätt nöt die Geduld zu so was!«

»An diesem Relief hat Vater fünfzehn Jahre lang gearbeitet,« erklärte Annita, »ich war noch ein ganz kleines Ding, da mußte ich ihm schon den Ton kneten, die Korkplatten zuschneiden, die Hölzer herbeischaffen und die Messer zurechtlegen, mit denen er schnitzte.«

Alberti erklärte das Relief voll Sachkenntnis und Eifer in allen seinen Teilen, und auch das Mädchen beteiligte sich bescheiden und klug an dem gelehrten Gespräch, bis Wurmbrand zum Aufbruch mahnte. Grillparzer hatte an den beiden liebenswürdigen Menschen so viel Gefallen gefunden, daß er die Einladung Albertis, gleich am nächsten Tage gemeinsam den Ausflug nach Pompeji zu unternehmen, gerne annahm. Es ward beschlossen, daß er frühmorgens mit dem Wagen Wurmbrands in die Villa Alberti kommen und seine neuen Freunde abholen sollte; der Graf bedauerte, nicht mitfahren zu können, da ihn sein Dienst bei der Hofgesellschaft festhielt.

»Morgen, bevor wir abfahren,« rief Annita mit schalkhaftem Lächeln, »muß ich Ihnen noch etwas zeigen, das Sie vielleicht ebenso sehr interessieren wird wie das Relief des alten Pompeji.«

»Und was wird denn das sein?« fragte Grillparzer eifrig das schöne Mädchen.

»Ei, ei, also so neugierig ist der Herr poeta? Tut mir leid, aber heute kann ichs noch nicht sagen. Geduldet Euch nur brav bis morgen. Nur soviel will ich verraten: Es ist eine Sammlung.«

»Altertümer, wie? Münzen, Kameen, Lampen . . .?«

»Altertümer sinds just nicht, aber Kunstwerke, größere und kleinere . . . Sie werden ja sehen, ob sie was wert sind.«

Sie lächelte geheimnisvoll und es war weiter nichts aus ihr herauszubringen.

Am nächsten Morgen aber, als Grillparzer in erwartungsfroher Stimmung das gastliche Haus betrat, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Zimmerchen, 55 das in duftigstem Weiß gehalten, mit Blumen geschmückt und von der Morgensonne goldig durchleuchtet war.

»Das ist eine besondere Auszeichnung, daß Sie diesen Raum betreten dürfen,« sagte sie ernsthaft, indem sie noch immer seine Hand hielt, »nur die Menschen, die ich sehr schätze, dürfen hier herein. Und nun sehen Sie.«

Da standen hinter der Glaswand eines Bücherschrankes die Dramen, die er bisher veröffentlicht, in dem grauen, packpapierenen Einband der Firma Wallishauser, »mit k. Würtembergischen und Großherzoglich Badenschen allergnädigsten Privilegien«; da lagen alle Almanache, die Dichtungen von ihm gebracht, alle Zeitschriften, die einen Beitrag seiner Feder veröffentlicht hatten.

Und sein Herz schwoll vor Stolz und Freude über diese Huldigung.

Mit leiser Stimme fuhr sie fort:

»Später, wenn wir noch besser miteinander bekannt sein werden, müssen Sie mir in jedes Ihrer Bücher ein paar Verse schreiben – mit dieser Hand, die das alles geschaffen hat – nicht wahr?«

»Annita!« rief der Vater von draußen.

»Ich komme!«

Und er ging ihr nach mit gesenktem Kopf wie ein Traumwandler.

Dann fuhren sie zu dritt auf der staubigen Landstraße, die erfüllt war von einer lärmenden Menge grell gekleideter Männer und Frauen, über Portici und Torre del Greco der Ruinenstadt entgegen.

Es war an jenem Tage just Markt in Portici und das Treiben des lebhaften Völkchens noch lauter als gewöhnlich. Reizende Landschaftsbilder lösten sich im bunten Wechsel ab: da tauchten kleine, baufällige Häuschen auf, vor denen an langen Stangen die Makkaroni zum Trocknen hingen, hier wieder Gruppen von Pinien, Agaven und Zypressen, dann die Trümmer einer römischen Wasserleitung; Eselgespanne mit schreienden Fuhrleuten rasten vorüber, Frauen saßen rittlings auf ihren Maultieren, einen großen Tragkorb an jeder Seite; und immer gleich blieb der Anblick des tiefblauen Meeres zur Rechten und links die drohende Masse des Vesuv. 56

Sie traten durch das hohe dunkle Tor in die Stadt Pompeji . . .

Grillparzer hätte sich keinen besseren Führer wünschen können. Unermüdlich im Zeigen und Erklären, lebte Alberti so stark und tief in der Vergangenheit, daß man glauben mochte, einen Zeitgenossen des Plinius und Tacitus neben sich zu haben. Und wie hoben sich von dem dunklen Grund der Mauern in hellem Gelb und Rot die flott gemalten Wandbilder! Da klimperte der weißgeflügelte Liebesgott auf der Harfe, dort schleppten Amore, Satyrn und Faune Körbe und Butten voll Weintrauben daher; Mädchen in flatternden Gewändern schwebten durch die Luft; die ganze Welt der alten Sagen stand da an den Wänden, Medea brütete über dem Mord ihrer Kinder, Herkules verfolgte den Kentauren, Iphigenie stand am Opferaltar. Und dazwischen schimmerten in Farben und Mosaik Fruchtschalen, Masken, Jagdtiere, Häuser, Blumen, Landschaften. Ein wunderbar behagliches Leben tat sich auf, ein verklärter und verschönerter Alltag, wie ihn der trübe Norden nicht kennt.

Als die Sonne hoch am Himmel stand, ließ sich die kleine Gesellschaft im Schatten des Jupitertempels auf dem Forum nieder. Annita hatte ein Körbchen Eßwaren mitgenommen, ein paar Flaschen Wein und etwas Obst dazu getan, und bald herrschte die heiterste Stimmung.

Alberti deutete auf den Platz zu ihren Füßen. Links führten Stufen zum zerfallenen Heiligtum des Apollo, rechts dehnte sich das Mauerwerk der alten Markthalle. Eifrig sprach er davon, irgend einen der antiken Tempel in seiner früheren Gestalt wieder aufzubauen als Denkmal der Vergangenheit.

»Wenn ich doch einen Helfer bei meiner unendlichen Arbeit hätte! Es gäbe so viel zu tun: Verhandlungen mit der Regierung führen, damit ich die Erlaubnis zu neuen Ausgrabungen erhalte – ein Museum der pompejanischen Altertümer ist anzulegen, außerdem plane ich noch ein großes wissenschaftliches Werk über die Stadt und einen Führer für gebildete Reisende. Das alles ist zu viel für die Kraft eines Einzelnen.«

»Ja gibts denn da in Neapel nicht Fachmänner genug?« 57

»Nein. Die Italiener haben nicht den Sinn für die wissenschaftliche Vertiefung, auf die es ankommt. Es müßte ein Mann von großer, umfassender Bildung sein. zugleich begabt mit starker Phantasie; ein Kenner der Antike, der sich und andere in die Vergangenheit zurückversetzen kann.«

Grillparzer fühlte den Blick des alten Mannes bedeutsam auf seinem Antlitz ruhen. Er schlug die Augen nieder und schwieg.

»Seit Schiller seine begeisterten Verse über Pompeji und Herkulanum geschrieben, nimmt das Interesse für die Tote Stadt immer mehr zu. Wer das Glück hat, hier neue Entdeckungen zu machen, kann sicher sein, daß sein Name bald von der ganzen gebildeten Welt Europas mit Ehren genannt wird. Bedenken Sie, was das bedeutet: ein Stück Vergangenheit ans Licht des Tages heben, tote Dinge beleben durch die Macht des Geistes – ist das nicht des Schweißes der Edlen wert?«

Grillparzer schwieg noch immer und suchte den Blick Annitas; die aber hielt den Kopf gesenkt und zeichnete mit der Spitze ihres Sonnenschirmes seltsame Figuren in den Sand.

»Und es wäre am Ende auch keine schlechte Lebensstellung«, fuhr Alberti fort. »Die Regierung hat mir für meine Arbeiten ziemlich hohe Summen ausgeworfen, die ich gerne mit einem Mitarbeiter teilen will.«

»Ich glaub fast, Sie haben da schon jemand Bestimmten im Aug«, bemerkte Grillparzer.

»So ist es.«

»Na und wo ist der Auserwählte?«

»Er sitzt in diesem Augenblick neben mir«, war die ruhige Antwort.

Grillparzer hatte wohl geahnt, daß das Gespräch diese Wendung nehmen würde, war aber doch etwas verblüfft von der Sicherheit, mit der Alberti sprach.

»Ich will Sie natürlich nicht drängen; aber mein Anerbieten ist wohl überlegt und sehr ernst gemeint. Wir wissen von Wurmbrand schon seit langer Zeit genug über Ihre Lebensverhältnisse, um zu ermessen, was dieser Antrag für Sie bedeutet. Bedenken Sie die Zustände 58 in Österreich, die Unmöglichkeit, dort als Schriftsteller zu leben, das ganze Elend des Beamtentums . . .«

Grillparzer seufzte.

»Hier werden Sie ein freier Mann sein. Ihre Arbeit können Sie sich zurechtlegen und einteilen, wie Sie wollen. Und zu dichterischer Tätigkeit bleibt Ihnen Muße genug. Überlegen Sie sich die Sache und sagen Sie mir in einigen Tagen Bescheid. Wenn Ihre Antwort günstig für mich ausfällt, so will ich diesen Tag nach schöner alter Römersitte in meinem Kalender mit einem weißen Stein bezeichnen . . .«

Ein langes Schweigen folgte.

Alberti richtete die Blicke starr und gradeaus auf den Gipfel des Vesuv und vermied es, Grillparzer anzusehen. Annita hatte den Blondkopf noch tiefer gesenkt; der Dichter aber sann verloren vor sich hin. Da hatte er immer wieder mit dem Gedanken gespielt, sich mit allen Wurzeln vom Heimatboden loszureißen, frei zu werden von alledem, was ihn, den schweren, grüblerischen Menschen, an die Scholle fesselte – und siehe, nun nahm der Traum plötzlich Gestalt an und trat gleichsam leibhaftig vor ihn hin. Warum griff er nicht gleich zu?

Aber da meldete sich plötzlich wieder die alte, ererbte Zweifelsucht, das Mißtrauen, die heimliche Furcht vor der Freiheit, vor dem Leben . . . dasselbe Gefühl, das ihn acht Jahre später fluchtartig aus dem Hause Goethes treiben wird, den er zugleich liebt und fürchtet . . .

Und mit zögernden Worten sagte er:

»Ja . . . ich tät wirklich um Bedenkzeit bitten . . . es ist doch a schwerer Entschluß . . . für mich . . .«

Alberti nickte stumm.

Bis zum Untergang der Sonne wanderten sie zwischen den Ruinen umher.

Annita war schweigsamer als vorhin und gab zerstreute Antworten. Als sie im Abendlicht aus dem finstern Stadttor ins Freie hinaustraten, wo sie die prangende südliche Landschaft empfing, fragte Grillparzer leise:

»Was würden Sie dazu sagen, Demoiselle, wenn ich hier bleiben und nimmer nach Wien zurückkehren tät?« 59

»Ich wäre recht froh«, sagte sie einfach und sah ihn an.

War es die Abendröte, die ihre Wangen tiefer färbte, oder eine verräterische Wallung des Blutes?

Er wußte es nicht. Nur eines empfand er in dieser Stunde: daß ihn ein warmer Strom heimlichen Glücks überlief, wie er ihn noch nie in seinem Leben empfunden, auch in den seligen Augenblicken höchster Schaffenslust nicht.


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