Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Letztes Kapitel.

Die Geschichte wird beschlossen.

Der junge Nightingale war diesen Nachmittag zu seinem Vater beschieden worden, der ihn freundlicher aufnahm, als er erwartet hatte. Auch seinen Oheim traf er dort, der in die Stadt zurückgekommen war, um seine verheirathete Tochter zu suchen.

Diese Heirath war das glücklichste Ereigniß, das dem jungen Manne begegnen konnte, denn die beiden Brüder lebten in fortwährendem Streite über die Erziehung und Behandlung ihrer Kinder und jeder verachtete die Methode des andern aufs tiefste. Jeder versuchte also jetzt so viel als er vermochte das Vergehen zu bemänteln, das sein Kind begangen hatte und die Heirath des andern um so schlimmer darzustellen. Dieser Wunsch über den Bruder zu triumphiren neben den vielen Gründen, welche Allworthy gebraucht hatte, wirkte so stark auf den alten Herrn, daß er seinen Sohn lächelnd empfing und wirklich versprach, den Abend mit ihm bei Mad. Miller zu speisen.

Der andere Bruder, der seine Tochter wirklich fast übermäßig liebte, konnte ohne Mühe zu einer Versöhnung gebracht werden. Kaum hatte er durch seinen Neffen erfahren, wo seine Tochter mit ihrem Gatten sei, als er erklärte, er würde sogleich zu ihr gehen. Als er dort erschien, ließ er sie kaum auf die Knie sinken, sondern hob sie sogleich auf und küßte sie so zärtlich, daß alle, die es sahen, gerührt wurden.. In weniger als einer Viertelstunde war er mit ihr und ihrem Gatten so vollkommen ausgesöhnt, als hätte er selbst ihre Hände in einander gelegt.

So standen die Sachen als Allworthy und seine Gesellschaft erschien, um das Glück der Mad. Miller vollständig 138 zu machen, die, als sie Sophien erblickte, alles errieth, was geschehen war, und ihre Liebe zu Jones war so groß, daß ihre Freude über das Glück ihrer Tochter nicht wenig erhöht wurde.

Es dürfte wenige Beispiele gegeben haben, daß unter einer Anzahl Menschen jeder so glücklich gewesen, als in dieser Gesellschaft. Der Vater des jungen Nightingale war noch am wenigsten zufrieden, denn trotz seiner Liebe zu seinem Sohne, trotz dem Ansehen und den Gründen Allworthys nebst den bereits erwähnten Umständen, befriedigte ihn die Wahl seines Sohnes doch nicht ganz und vielleicht erhöhete gerade die Anwesenheit Sophiens seine Verstimmung, weil er bisweilen dachte, sein Sohn hätte dieses Mädchen auch oder ein anderes erhalten können. Nicht die Reize, welche Sophiens Körper und Geist schmückten, erregten seine Unbehaglichkeit, sondern das Geld ihres Vaters; diesen Reiz hatte sein Sohn der Tochter der Mad. Miller geopfert und dies kränkte ihn.

Die Bräute waren beide hübsch, wurden aber durch die Schönheit Sophiens so verdunkelt, daß sie Neid empfunden haben würden, wenn sie nicht die gutherzigsten Mädchen von der Welt gewesen wären, denn beider Männer konnten die Blicke von Sophien kaum abwenden, die an der Tafel saß wie eine Königin, die Huldigungen empfängt, oder wie ein höheres Wesen, das von allen Geschöpfen umher angebetet wird. Es war indeß eine Verehrung, die man ihr darbrachte, nicht die sie verlangte, denn sie zeichnete sich eben so wie durch andere Eigenschaften durch ihre Bescheidenheit und Huld aus.

Der Abend verging in ächter Fröhlichkeit. Alle waren glücklich, am meisten die, die vorher am unglücklichsten gewesen waren. Ihre frühern Leiden und Besorgnisse gaben ihrem Glücke einen solchen Reiz, wie ihn Liebe und Vermögen 139 allein ohne jenen Umstand nicht würden haben geben können. Wie aber große Freude, namentlich nach plötzlich wechselnden Umständen, keine Worte hat und mehr im Herzen wohnt als auf der Zunge sitzt, so schienen auch Jones und Sophie die am wenigsten Fröhlichen zu sein, was Western mit großem Unwillen bemerkte, der ihnen häufig zurief: »warum sprichst Du nicht, Tom? Warum siehst Du so ernsthaft aus? Hast Du die Zunge verloren, Mädchen? Trink noch ein Glas Wein, trink noch ein Glas Wein!« Um sie aufzuheitern, sang er bisweilen ein lustiges Lied, das eine Anspielung auf die Heirath enthielt. Ja, er würde in seinen Reden so weit gegangen sein, daß Sophie das Zimmer würde haben verlassen müssen, wenn ihn nicht Allworthy durch Blicke und auch einigemal durch: »Pfui, Western!« im Zaume gehalten hätte. Einmal fing er sogar an darüber zu streiten und behauptete, er habe ein Recht, gegen seine Tochter zu reden, wie er wolle, aber Niemand unterstützte ihn und so schwieg er bald wieder.

Trotz diesem geringen Zwange freuete er sich über die Heiterkeit und gute Laune der Gesellschaft so sehr, daß er darauf bestand, am nächsten Tage wieder alle in seiner Wohnung zu sehen. Alle versprachen es und kamen, und die liebenswürdige Sophie, die im geheimen auch junge Frau war, machte freundlich die Honneurs. Sie hatte am Morgen ihre Hand Jones gegeben nur im Beisein Allworthys, Westerns und der Mad. Miller. Außer diesen wußte Niemand etwas davon und es blieb auch verschwiegen bis Western, der bei der zweiten Flasche saß, seine Freude nicht länger zügeln konnte, sondern sein Glas füllte und die Gesundheit der jungen Frau trank. Ueberrascht wurde nur Sophie, denn Mad. Miller hatte die Sache ihrer Tochter vertraut, die Tochter ihrem Manne, dieser seiner Cousine und so fort.

140 Sophie benutzte die erste Gelegenheit, mit den Damen sich zu entfernen, der Squire aber blieb bei der Flasche sitzen, obgleich ihn allmälig alle verließen, bis auf den Oheim des jungen Nightingale, der die Flasche eben so liebte wie der alte Western. Beide hielten also tapfer aus den ganzen Abend und bis lange nach der glücklichen Stunde, welche die reizende Sophie in die Arme des entzückten Jones geführt hatte.

So, lieber Leser, haben wir denn endlich unsere Geschichte zu Ende gebracht, bei welcher zu unserer großen Freude, vielleicht aber gegen Deine Erwartung, Jones der glücklichste aller Menschen zu sein scheint, denn ich weiß wirklich nicht, welches Glück die Welt bieten kann, das sich mit dem Besitze eines Weibes gleich Sophien vergleichen läßt.

Was die andern Personen betrifft, die eine bedeutende Rolle in dieser Geschichte gespielt haben, so wollen wir noch einige Worte über dieselben hinzufügen, um so viel als möglich die Neugierde derer zu befriedigen, die wohl etwas von ihnen zu wissen wünschen.

Allworthy hatte nicht vermocht werden können, Blifil wieder zu sehen, aber den Bitten Jones' nachgegeben und ihm 200 Pf. St. des Jahres ausgesetzt, denen Jones im Geheimen ein drittes Hundert hinzufügte. Von diesem Einkommen lebt er in einer der nördlichen Grafschaften, ungefähr 200 M. von London und legt jährlich 200 Pf. St. davon zurück, um sich einen Sitz im nächsten Parlemente von einem benachbarten Flecken zu kaufen. In der letzten Zeit ist er auch Methodist geworden, weil er Hoffnung hat, eine reiche Witwe dieser Secte zu heirathen, deren Güter in diesem Theile des Königreiches liegen.

Square starb bald nachdem er den oben erwähnten Brief geschrieben hatte und Thwackum ist noch Landprediger. 141 Er hat viele vergebliche Versuche gemacht, das Vertrauen Allworthys wieder zu gewinnen oder sich selbst in die Gunst des Herrn Jones zu schleichen, denen er beiden in das Gesicht schmeichelt, während er sie hinter dem Rücken schmäht.

Mad. Fitzpatrick ist von ihrem Manne geschieden und besitzt die geringen Ueberreste ihres Vermögens. Sie lebt geachtet in dem modischen Theile der Stadt und ist eine so gute Wirthin, daß sie dreimal so viel ausgiebt, als ihr Vermögen ihr einbringt, ohne Schulden zu machen. Sie steht auf vertrautem Fuße mit der Gattin des irischen Peers und gleicht durch Freundschaft gegen sie aus, was sie ihrem Gatten verdankt.

Fräulein Western hat sich mit Sophien bald ausgesöhnt und blieb zwei Monate bei ihr auf dem Lande.

Lady Bellaston machte der letzteren einen Besuch, als sie in die Stadt kam, benahm sich gegen Jones wie gegen einen ganz Fremden und wünschte ihm sehr artig Glück zu seiner Heirath.

Herr Nightingale hat ein Gut für seinen Sohn in der Nähe von Jones gekauft, wo der junge Mann und seine Frau, Mad. Miller und deren jüngste Tochter wohnen und in inniger Freundschaft mit Jones und Sophien leben.

Mad. Waters kehrte auf das Land zurück. Allworthy setzte ihr einen Jahrgehalt von 50 Pf. St. aus und sie verheirathete sich mit dem Pfarrer Supple, dem Western, auf Sophiens Bitten, eine ansehnliche Stelle gegeben hat.

Der schwarze Georg entfloh, als er hörte, daß sein Diebstahl entdeckt sei, und man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Jones gab das Geld der Familie, doch nicht in gleichen Theilen, denn Molly erhielt das meiste.

Dem Partridge setzte Jones 50 Pf. St. jährlich aus und er hat wieder eine Schule eröffnet. Eben jetzt wirbt 142 er um die Hand der Molly Seagrim und die Heirath kommt durch Sophiens Vermittelung wahrscheinlich zu Stande.

Nun wenden wir uns wieder zu Jones und Sophien, die zwei Tage nach ihrer Heirath Western und Allworthy auf das Land begleiteten. Western übertrug sein Gut und den größeren Theil seines Vermögens seinem Schwiegersohne und bezog ein kleineres Haus in einer andern Gegend der Grafschaft, das für die Jagd besser liegt. Oft aber besucht er Jones, der wie Sophie alles aufbietet, um dem Alten Freude zu machen. Dies gelingt ihnen auch dermaßen, daß der alte Herr erklärt, er sei in seinem Leben nie so glücklich gewesen. Er hat auf dem Gute ein Zimmer für sich, wo er sich betrinkt, wann es ihm beliebt, und seine Tochter ist so bereitwillig wie sonst, ihm vorzuspielen, wenn er es wünscht, denn Jones hat sie versichert, sein größtes Glück neben dem, ihr zu gefallen, sei, den alten Mann glücklich zu machen.

Sophie hat ihm bereits zwei hübsche Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, geschenkt, in die der alte Herr so vernarrt ist, daß er den größten Theil seiner Zeit in der Kinderstube zubringt, denn er versichert, das Schwatzen seiner Enkelin, die jetzt anderthalb Jahr alt ist, klinge ihm angenehmer als der schönste Anschlag aller Hunde in England.

Auch Allworthy hat sich sehr freigebig gegen Jones gezeigt und keine Gelegenheit versäumt, seine Liebe gegen denselben und Sophien zu beweisen, die ihn beide lieben wie einen Vater. Jede Neigung zum Laster, die in Jones lag, ist durch den Umgang mit diesem guten Manne und seine Verbindung mit der liebenswürdigen und tugendhaften Sophie unterdrückt worden.

143 Es kann kein glücklicheres Paar auf Erden geben als Jones und Sophie. Sie haben noch immer die zärtlichste und reinste Liebe zu einander, eine Liebe, die täglich wächst durch gegenseitige Achtung. Auch ihr Benehmen gegen ihre Verwandten und Freunde ist nicht minder liebenswürdig. Ihre Freundlichkeit, ihre Herablassung und ihre Wohlthätigkeit gegen die unter ihnen Stehenden ist so groß, daß jeder Nachbar, jeder Pächter, jeder Diener dankbar den Tag segnet, an welchem Jones mit Sophien vermählt wurde.

 

Ende.


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