Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte.

Da Mad. Waters einige Augenblicke schweigend da saß, konnte Herr Allworthy die Bemerkung nicht unterdrücken: »es thut mir leid, Madame, daß Sie nach dem, was ich gehört habe, einen so schlechten Gebrauch von . . .«

84 »Herr Allworthy,« unterbrach sie ihn, »ich habe Fehler, ich weiß es, aber die Undankbarkeit gegen Sie gehört nicht dazu. Niemals kann und werde ich Ihre Güte vergessen, die ich allerdings wenig verdient habe, doch unterlassen Sie gütigst vor der Hand mir Vorwürfe zu machen, da ich Ihnen über den jungen Mann, dem Sie meinen Mädchennamen Jones gegeben haben, eine sehr wichtige Mittheilung machen muß.«

»Habe ich wirklich,« fiel Allworthy ein, »unwissentlich einen Unschuldigen in dem Manne gestraft, der uns eben verließ? War er nicht der Vater des Kindes?«

»Er war es sicherlich nicht,« antwortete Mad. Waters. »Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen früher versprach, Sie sollten alles erfahren, und ich gestehe, daß ich mich großer Nachlässigkeit schuldig gemacht habe, weil ich Ihnen nicht früher alles entdeckte. Ich wußte freilich nicht, wie nöthig es sei.«

»Fahren Sie gefälligst fort, Madame,« unterbrach sie Allworthy.

»Sie werden sich,« sagte sie, »eines jungen Mannes erinnern, eines gewissen Summer.«

»Allerdings,« entgegnete Allworthy, »er war der Sohn eines sehr gelehrten und tugendhaften Geistlichen, mit dem mich die innigste Freundschaft verband.«

»So schien es,« fuhr sie fort, »denn Sie ließen, glaube ich, den jungen Mann erziehen und erhielten ihn auf der Universität. Als er dort seine Studien beendiget hatte, kam er in Ihr Haus. Einen schönern Mann, das muß ich gestehen, hat die Sonne nie beschienen; überdies war er so artig, so geistreich, so wohlgebildet . . .«

»Leider,« fiel Allworthy ein, »raffte ihn ein frühzeitiger Tod hinweg und ich hätte nie geglaubt, daß er Sünden solcher Art zu verantworten habe, denn ich merke wohl, 85 daß Sie mir sagen wollen, er sei der Vater Ihres Kindes.«

»Er war es nicht,« antwortete sie.

»Nicht? Wozu also diese Vorrede, Madame?«

»Um eine Geschichte einzuleiten, Herr Allworthy, die ich Ihnen leider eröffnen muß. Bereiten Sie sich vor, etwas zu vernehmen, was Sie überraschen und bekümmern wird.«

»Sprechen Sie,« sagte Allworthy, »ich bin mir keiner Schuld bewußt und kann mich also nicht fürchten, irgend etwas zu vernehmen.«

»Jener Herr Summer,« fuhr Mad. Waters fort, »der Sohn Ihres Freundes, der auf Ihre Kosten erzogen worden war, der ein Jahr in Ihrem Hause lebte wie Ihr eigener Sohn, da an den Blattern starb, von Ihnen beweint und begraben wurde wie Ihr eigener Sohn, dieser Summer war der Vater dieses Kindes.«

»Wie!« rief Allworthy, »Sie widersprechen sich.«

»Nein,« antwortete sie, »er war der Vater des Kindes, ich aber bin nicht die Mutter desselben.«

»Sehen Sie sich vor, Madame,« fiel Allworthy ein, » machen Sie sich keiner Unwahrheit schuldig, um der Bezüchtigung eines Verbrechens zu entgehen. Bedenken Sie, daß es Einen giebt, vor welchem Sie nichts verbergen können und vor dessen Gerichte eine Lüge Ihre Schuld nur erschweren wird.«

»Ich bin wahrhaftig nicht seine Mutter,« fuhr sie fort, »auch möchte ich mich jetzt um keinen Preis dafür gehalten wissen.«

»Ich kenne den Grund,« sagte Allworthy, »und werde mich eben so freuen wie Sie, wenn ich finde, daß es anders ist. Sie müssen sich aber erinnern, daß Sie es mir selbst gestanden haben.«

86 »So viel als ich gestand,« fuhr sie fort, »war allerdings wahr, daß nämlich diese Hände das Kind in Ihr Bett trugen. Ich trug es dahin auf Geheiß seiner Mutter; auf deren Geheiß gestand ich später und ich hielt mich durch ihre Güte reichlich belohnt sowohl für das Geheimniß als für die Schande, die mich traf.«

»Wer konnte dieses Frauenzimmer sein?« fragte Allworthy.

»Ich fürchte mich, den Namen zu nennen,« antwortete Mad. Waters.

»Nach allen diesen Vorbereitungen muß ich annehmen, daß sie eine Verwandte von mir war,« fiel Allworthy ein.

»Sie war allerdings eine nahe Verwandte.«

Allworthy fuhr bei diesen Worten auf und sie setzte hinzu:

»Sie hatten eine Schwester, Herr.«

»Eine Schwester!« wiederholte er und sah die Frau verwundert an.

»So wahr ein Gott im Himmel ist,« fuhr sie fort, »Ihre Schwester war die Mutter des Kindes, das man in Ihrem Bette fand.«

»Kann das möglich sein?« rief er aus. »Gütiger Gott!«

»Geduldigen Sie sich,« entgegnete Mad. Waters, »und ich will Ihnen die ganze Geschichte mittheilen. Gerade nach Ihrer Abreise nach London kam Miß Brigitte eines Tages in das Haus meiner Mutter und hatte die Freundlichkeit zu sagen, sie habe von meiner außerordentlichen Gelehrsamkeit und von meinem Verstande gehört, durch den ich alle junge Mädchen überträfe. Dann ersuchte sie mich, zu ihr zu kommen in das große Haus, wo ich ihr, als ich mich einfand, vorlesen mußte. Sie sprach sich darüber sehr zufrieden aus, zeigte überhaupt große Freundlichkeit gegen 87 mich und machte mir viele Geschenke. Endlich fing sie an mich über das Kapitel der Verschwiegenheit auszufragen und ich gab ihr darüber so befriedigende Antworten, daß sie endlich die Thüre ihres Zimmers verschloß, mich in ihr Schlafzimmer führte, auch da die Thüre verschloß und sagte, sie wollte mir einen Beweis von dem großen Vertrauen geben, das sie auf mich setze, indem sie mir ein Geheimniß mittheile, bei welchem ihre Ehre und folglich ihr Leben betheiliget wäre. Sie hielt darauf inne und fragte nach einer Pause von mehreren Minuten, während welcher sie oft Thränen aus den Augen wischte, ob ich glaube, daß meiner Mutter sicher zu trauen sei. Ich antwortete, ich würde mit meinem Leben für die Treue derselben bürgen. Darauf endlich theilte sie mir das große Geheimniß mit, das ihr Herz beschwerte und dessen Enthüllung ihr wahrscheinlich mehr Schmerzen machte als später die Entbindung. Es wurde verabredet, daß nur meine Mutter und ich zu dieser Zeit bei ihr sein sollten, indeß sie Jungfer Wilkins nach dem fernsten Theile von Dorsetshire schicken wollte, um sich da nach einem Dienstmädchen zu erkundigen, denn ihr Mädchen hatte die Dame schon vor drei Monaten entlassen. Während dieser Zeit war ich auf Probe, wie sie sagte, bei ihr, ob sie gleich später erklärte, ich sei für die Stelle nicht gewandt genug. Dies und manches andere, was sie über mich sagte, sollte allen Verdacht entfernen, den Jungfer Wilkins später haben könnte, wenn ich das Kind für das meinige anerkennen würde. Sie können glauben, daß ich für diese übeln Nachreden und Schmähungen gut bezahlt wurde und dies stellte mich zufrieden. Vor der Jungfer Wilkins fürchtete sie sich mehr als vor irgend einer andern Person, nicht daß sie ihr abgeneigt war, sondern weil sie glaubte, dieselbe würde kein Geheimniß bewahren können, namentlich vor Ihnen. Oftmals äußerte Miß Brigitte, und wenn 88 die Jungfer Wilkins einen Mord begangen hätte, würde sie Ihnen ihr Verbrechen gestehen. Endlich kam der erwartete Tag und Jungfer Wilkins, die sich schon eine Woche bereit gehalten hatte, wurde zeitig fortgeschickt. Dann kam das Kind zur Welt in meiner und meiner Mutter Gegenwart und es wurde von meiner Mutter in unser Haus gebracht, wo wir es versteckt hielten, bis Sie zurückkehrten. Dann legte ich es auf Geheiß der Miß Brigitte in Ihr Bett, wo Sie es fanden. Aller Verdacht wurde später durch das kunstreiche Benehmen Ihrer Schwester entfernt, die Uebelwollen gegen den Knaben heuchelte und nur aus Rücksicht auf Sie Rücksicht auf ihn nahm.«

Mad. Waters betheuerte darauf vielfach die Wahrheit dieser Geschichte und schloß mit den Worten: »so habe Sie endlich Ihren Neffen entdeckt; als solchen werden Sie ihn sicherlich behandeln und er wird Ihnen gewiß Ehre und Freude machen.«

»Ich brauche mein Staunen über das, was Sie mir erzählt haben, nicht auszusprechen, und doch können Sie unmöglich so viele Umstände geschickt zusammengestellt haben, um einer Unwahrheit einen Anschein von Wahrheit zu geben. Ich gestehe, ich erinnere mich einiger Vorfälle in Bezug auf Summer, die mich auf den Gedanken brachten, meine Schwester habe ihn gern. Ich sagte ihr dies auch, denn ich achtete den jungen Mann so sehr sowohl um seiner selbst willen als wegen seines Vaters, daß ich eine Heirath gern gesehen haben würde, aber sie sprach sich sehr verächtlich über meine Muthmaßung aus und ich erwähnte deshalb nichts wieder davon. Guter Gott! der Herr lenkt alle Dinge. Aber unverzeihlich war es von meiner Schwester, das Geheimniß mit in das Grab zu nehmen.«

»Ich kann versichern,« entgegnete Mad. Waters, »daß sie immer eine andere Absicht gehabt und mir oft gesagt 89 hat, sie sei fest entschlossen, Ihnen dasselbe einmal mitzutheilen. Sie freuete sich sehr, daß ihr Plan so gut gelungen war, und daß Sie aus eigenem Antriebe so große Liebe zu dem Kinde gehabt, daß es unnöthig sei, noch eine Erklärung über dasselbe zu geben. Ach, Herr, wenn sie es hätte erleben sollen, daß er wie ein Vagabund aus Ihrem Hause getrieben würde, ja, hätte sie es nur erfahren, daß Sie einen Advokaten in Dienst genommen, um ihn eines Morses wegen zu verfolgen, den er nicht begangen hat . . .! Verzeihen Sie, Herr Allworthy, ich muß es aussprechen,. das war grausam . . . Sie sind getäuscht worden; er hat es nie um Sie verdient . . .«

»Allerdings, Madame,« entgegnete Allworthy, »hat die Person, die Ihnen dies gesagt, eine Unwahrheit berichtet.«

»Ich behaupte auch nicht, daß Sie sich eines Unrechtes schuldig gemacht haben. Der Mann, der zu mir kam, machte mir keinen derartigen Antrag; er sagte blos, da er mich für Herrn Fitzpatricks Frau hielt, wenn Herr Jones meinen Mann umgebracht hätte, so würde man mir alles Geld geben, das ich bedürfe, um die Klage durch einen Mann kräftig führen zu lassen, der wohl wisse, mit welchem Bösewicht ich zu thun hätte. Durch diesen Mann erfuhr ich, wer Herr Jones ist und dieser Mann, Dowling mit Namen, ist, wie mir Herr Jones sagte, Ihr Geschäftsführer. Ich entdeckte den Namen auf eine seltsame Weise, denn er selbst wollte mir ihn nicht nennen; Partridge aber, der ihn in meiner Wohnung traf, als er das zweite Mal da war, hatte ihn in Salisbury gekannt.«

»Und dieser Dowling sagte,« fragte Herr Allworthy, auf dessen Gesichte sich große Verwunderung aussprach, »ich würde die Klage und Verfolgung unterstützen?«

»Nein, Herr Allworthy,« antwortete sie, »ich will ihn 90 nicht falsch beschuldigen. Er sagte blos, ich würde unterstützt werden; einen Namen nannte er nicht. Sie müssen mir verzeihen, Herr, wenn ich aus den Umständen schloß, die Unterstützung könnte nur von Ihnen herrühren.«

»Aus den Umständen schließe ich, Madame, daß es ein anderer war. Guter Gott! Durch welche wunderbaren Mittel wird bisweilen die schwärzeste Niederträchtigkeit an den Tag gebracht! Darf ich Sie bitten, Madame, zu verweilen, bis der Mann, den Sie erwähnt haben, kömmt? Ich erwarte ihn jede Minute; vielleicht ist er sogar schon in dem Hause.«

Allworthy trat in die Thüre, um einen Diener zu rufen, als, nicht Herr Dowling, sondern der Mann hereintrat, den wir im nächsten Kapitel finden werden.


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