Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Achtes Kapitel.

Weitere Fortsetzung.

Der Mann, welcher ankam, war kein anderer als Herr Western. So bald er Allworthy erblickte, polterte er, ohne im Geringsten auf die Anwesenheit der Mad. Waters zu achten, folgende Worte heraus: »Schöne Dinge in meinem Hause! Eine prächtige Geschichte habe ich heraus bekommen! Wen der Teufel plagen will, dem giebt er eine Tochter!«

»Was ist geschehen, Nachbar?« fragte Allworthy.

»Uebergenug,« antwortete Western, »und ich dachte, sie würde nun zu Verstande kommen – als sie gewissermaßen versprochen hatte, das zu thun, was ich haben wollte, als ich hoffte, ich würde nichts weiter zu thun haben, 91 als nach einem Notar zu schicken, was finde ich da? Daß die kleine Canaille die ganze Zeit über mit mir Comödie gespielt und mit Ihrem Bastard correspondirt hat. Meine Schwester, mit der ich mich wegen des Mädchens gezankt habe, ließ mir das sagen und ich ließ die Taschen Sophiens visitiren, als sie schlief. Da fand sich denn die Geschichte. Ich habe nicht die Geduld gehabt, den Brief von dem Kerl, dem Jones, halb zu lesen, denn er ist länger als eine Predigt von Supple; aber soviel hab' ich weg, es ist nichts als von Liebe die Rede; wovon könnte er auch sonst schreiben? Ich habe sie wieder in ihrem Zimmer eingeschlossen und morgen früh geht es fort auf's Land, wenn sie nicht auf der Stelle heirathen will; auf meinem Gute soll sie in einer Dachkammer hausen lebenslänglich, bei Wasser und Brot; je eher eine solche H. von der Erde wegkommt, desto besser. Aber ich glaube, sie wird lange genug zu meiner Qual leben.«

»Herr Western,« antwortete Allworthy, »Sie wissen, daß ich immer gegen Gewaltmaßregeln protestirt habe und Sie willigten selbst ein und versprachen, keine dergleichen in Anwendung zu bringen.«

»Ach,« rief Western, »das war nur unter der Bedingung, daß sie ohne Zwangsmaßregeln gehorche. Der Teufel und Dr. Faust! Soll ich mit meiner eigenen Tochter nicht vornehmen können, was ich will, besonders wenn ich nichts wünsche als ihr Glück?«

»Nun, Nachbar,« fiel Allworthy ein, »wenn Sie erlauben wollen, will ich einmal mit der jungen Dame sprechen.«

»Wollen Sie das?« entgegnete Western, »sehen Sie, das ist freundschaftlich und freundnachbarlich; vielleicht vermögen Sie mehr über sie als ich, denn sie hielt immer große Stücke auf Sie.«

»Wenn Sie nach Hause gehen und das Mädchen aus 92 ihrer Haft erlösen wollen, so werde ich nach einer halben Stunde bei Ihnen sein.«

»Wenn sie aber unterdeß davonläuft?« fiel Western ein. »Der Advokat Dowling sagte mir, es sei keine Hoffnung, den Kerl hängen zu sehen, denn der Mann lebt und befindet sich wohl und er meint, Jones würde nächstens aus dem Gefängnisse entlassen werden.«

»Sie also schickten Dowling nach Erkundigung aus und trugen ihm auf, in der Sache zu handeln?«

»Ich nicht,« antwortete Western, »er erzählte mir es von freien Stücken und zwar eben jetzt.«

»Eben jetzt?« fragte Allworthy, »wo sahen Sie ihn? Ich habe mit ihm zu sprechen.«

»Sie können ihn, wenn Sie wollen, in meiner Wohnung sehen, denn dort soll diesen Morgen eine Berathung von Advokaten wegen eines Pfandes stattfinden. Ich werde zwei- bis dreitausend Pfund durch den ehrlichen Nightingale verlieren.«

»In einer halben Stunde werde ich bei Ihnen sein,« sprach Allworthy.

»Nehmen Sie noch einen Rath von mir an,« setzte der Squire hinzu, »bilden Sie sich nicht ein, durch gute Worte bei ihr etwas auszurichten; verlassen Sie sich darauf, daß es damit nicht geht; ich habe es lange genug versucht. Sie muß durch die Furcht dazu gebracht werden, einen andern Weg giebt es nicht. Sagen Sie ihr, daß ich ihr Vater bin, reden Sie von der schrecklichen Sünde des Ungehorsams und von der entsetzlichen Strafe dafür in der andern Welt; sagen Sie ihr, daß sie ihr Leben lang in einer Dachkammer eingesperrt werden und nichts als Wasser und Brot erhalten würde.«

»Ich werde thun, was ich kann,« sagte Allworthy, 93 »denn ich wünsche nichts mehr als eine Verbindung mit dem liebenswürdigen Mädchen.«

»Ja, das Mädchen ist dazu ganz gut,« sagte der Squire, »es kann Einer weit gehen, ehe er ein solches Mädchen findet; das kann ich von ihr sagen, wenn sie gleich meine Tochter ist. Und wenn Sie nur gehorsam sein will, so ist hundert Meilen in der Runde kein Vater, der eine Tochter mehr liebt als ich sie; – doch ich sehe, daß Sie Geschäfte mit der Dame da haben, ich will also wieder nach Hause gehen und Sie erwarten. Gehorsamer Diener!«

Sobald Western fort war, sagte Mad. Waters: »ich sehe, daß der Squire sich meines Gesichtes nicht erinnerte. Ich glaube, Herr Allworthy, Sie würden mich auch nicht erkannt haben. Ich habe mich sehr verändert, als Sie mir den Rath gaben, den ich leider nicht befolgt habe.«

»Es betrübte mich allerdings sehr, Madame,« entgegnete Allworthy, »als ich das Gegentheil hörte.«

»Ich wurde durch arge Bosheit in das Unglück gestürzt; wäre sie Ihnen bekannt, so würde ich in Ihren Augen zwar nicht gerechtfertiget dastehen, Sie würden aber meine Schuld nachsichtiger beurtheilen und mich bemitleiden. Jetzt haben Sie nicht Muße, meine ganze Geschichte anzuhören, aber das kann ich sagen, daß ich durch das feierlichste Eheversprechen betrogen wurde; vor Gott war ich mit dem Manne sogar verehelicht, denn ich habe viel über den Gegenstand gelesen und bin überzeugt, daß besondere Ceremonien nur erforderlich sind, um der Ehe eine gesetzliche Sanction zu geben und nur einen weltlichen Nutzen haben, indem sie einer Frau die Vorrechte einer Gattin geben, daß dagegen diejenige, welche einem Manne treu bleibt nach einer feierlichen Privatverlobung, von ihrem Gewissen nichts zu fürchten hat, was auch die Welt sagen mag.«

»Es thut mir leid, Madame, daß Sie einen so übeln Gebrauch von Ihrer Gelehrsamkeit gemacht haben,« entgegnete Allworthy. »Es wäre besser gewesen, wenn Sie noch größere Gelehrsamkeit erlangt hätten oder ganz unwissend geblieben wären. Ich fürchte, Sie haben mehr als eine Sünde zu verantworten.«

94 »So lange er lebte, über zwölf Jahre lang, habe ich nicht gesündiget. Und bedenken Sie, was ein Weib vermag, das ihren guten Ruf verloren hat und arm ist, und ob die gutmüthige Welt ein solches verirrtes Schaf auf den Pfad der Tugend zurückkehren läßt. Ich würde ihn sicherlich wieder betreten haben, wenn es in meiner Macht gestanden hätte; aber die Noth trieb mich in die Arme des Capitain Waters, bei dem ich als seine Frau, wenn auch nicht getraut, viele Jahre lebte und dessen Namen ich führte. Ich schied von ihm in Worcester, als er gegen die Rebellen marschiren mußte, und traf da zufällig mit Herrn Jones zusammen, der mich aus den Händen eines Bösewichtes befreite. Er ist der achtungswertheste Mann, den ich kenne. Kein junger Mann in seinem Alter ist, glaube ich, freier von Lastern und wenige besitzen den zwanzigsten Theil seiner Tugenden. Welche Fehler er aber auch gehabt haben mag, ich bin fest überzeugt, daß er sich jetzt entschlossen hat sie abzulegen.«

»Das hoffe ich,« entgegnete Herr Allworthy, »und daß er bei diesem Vorsatze beharre. Dieselbe Hoffnung hege ich auch von Ihnen. Die Welt ist, ich gebe das zu, in solchen Fällen zu hart und unbarmherzig; aber Zeit und Ausdauer überwinden die Abneigung und erzeugen Mitleiden; denn wenn die Menschen auch nicht bereit sind, wie der Himmel einen reuigen Sünder aufzunehmen, so findet doch ausdauernde Reue auch zuletzt Gnade bei der Welt. Das verspreche ich Ihnen, Mad. Waters, daß, verharren Sie bei 95 Ihren guten Vorsätzen, an Unterstützung es Ihnen nicht fehlen soll.«

Mad. Waters sank vor ihm auf ihre Knie nieder und sprach unter einer Flut von Thränen ihren Dank gegen seine Güte aus, die, wie sie bemerkte, mehr göttlicher als menschlicher Art war.

Allworthy hob sie auf, sprach sehr freundlich mit ihr und wendete alles an, was er erdenken konnte, um sie zu trösten und zu beruhigen, bis er durch die Ankunft des Herrn Dowling unterbrochen wurde, der, als er Mad. Waters erblickte, zurück prallte und verlegen wurde. Er sammelte sich indeß bald so viel als möglich und sagte, seine Zeit sei sehr beschränkt, da er sich zu einer Berathung in die Wohnung des Herrn Western begeben müßte, er habe es jedoch für seine Pflicht gehalten, vorzusprechen und ihm die Meinung eines Rechtsfreundes wegen des ihm vorgelegten Falles mitzutheilen.

Allworthy antwortete nicht darauf, sondern verriegelte die Thüre, trat mit einem ernsten Blicke auf Dowling zu und sagte: »wie große Eile Sie auch haben mögen, erst muß ich eine Antwort auf einige Fragen erhalten. Kennen Sie diese Dame?«

»Diese Dame?« antwortete Dowling mit großem Zögern.

Allworthy sprach darauf in höchst feierlichem Tone: »Herr Dowling, wenn Ihnen an meiner Gunst und an einer Geschäftsverbindung mit mir gelegen ist, so zögern Sie nicht, sondern antworten Sie mir treu und wahr auf jede Frage, die ich Ihnen vorlege. – Kennen Sie diese Dame?«

»Ja, Herr Allworthy,« antwortete Dowling, »ich habe die Dame gesehen.«

»Wo?«

96 »In ihrer Wohnung.«

»In welchem Geschäfte gingen Sie dahin und wer sandte Sie?«

»Ich ging, um mich wegen des Herrn Jones zu erkundigen.«

»Und wer gab Ihnen den Auftrag, Erkundigungen einzuziehen?«

»Wer? Herr Blifil.«

»Und was sagten Sie über die Sache zu der Dame?«

»Ich kann mich unmöglich jedes Wortes erinnern.«

»Wollen Sie dem Gedächtnisse des Herrn gefälligst zu Hilfe kommen, Madame?«

»Er sagte zu mir,« entgegnete Mad. Waters, »wenn Herr Jones meinen Mann getödtet habe, würde ich mit dem nöthigen Gelde unterstützt werden, um die Klage gegen den Mörder durch einen sehr würdigen Mann betreiben zu lassen, der wohl wisse, mit welchem Bösewichte ich zu thun habe. Das waren, wie ich beschwören kann, genau die Worte, welche er zu mir sagte.«

»Waren dies Ihre Worte, Herr Dowling?« fragte Allworthy.

»Ich kann mich nicht genau erinnern,« entgegnete Dowling, »aber ich glaube, daß ich in dieser Art gesprochen habe.«

»Und Herr Blifil gab Ihnen Auftrag, so zu sagen?«

»Ich würde schwerlich aus eigenem Antriebe gegangen sein oder meinen Auftrag in einer solchen Angelegenheit überschritten haben. Wenn ich so gesagt habe, muß ich Instructionen dieser Art von Herrn Blifil erhalten haben.«

»Herr Dowling,« fiel Allworthy ein, »ich verspreche Ihnen in Gegenwart dieser Dame, alles, was Sie in dieser Sache auf Blifils Befehl gethan haben, zu verzeihen, wenn Sie mir genau die Wahrheit sagen, denn ich glaube, 97 wie Sie sagen, daß Sie weder aus eigenem Antriebe gehandelt, noch Ihren Auftrag in einer solchen Sache überschritten haben würden. Herr Blifil sandte Sie also aus, um die beiden Männer in Aldersgate auszuhorchen?«

»Er that es.«

»Und welche Weisung gab er Ihnen? Erinnern Sie sich derselben so genau als möglich und wiederholen Sie mir die Worte, deren er sich bediente.«

»Herr Blifil gab mir den Auftrag, die Personen ausfindig zu machen, die Zeugen des Duells gewesen. Er sagte, er fürchte, sie möchten durch Jones oder durch Freunde desselben gewonnen werden. Blut, sagte er, fordert Blut und nicht blos die wären Mitschuldige, welche einen Mörder versteckt hielten, sondern auch die, welche etwas unterließen, ihn vor Gericht zu bringen. Er sagte, er habe erkannt, daß Sie sehr wünschten, den schlechten Menschen vor Gericht gebracht zu sehen, ob es sich gleich nicht zieme, daß Sie offen dabei mitwirkten.«

»Das sagte er?« fragte Allworthy.

»Ja, Herr,« antwortete Dowling, »ich würde keines andern Menschen wegen so weit gegangen sein. Was ich that, that ich um Ihnen gefällig zu sein.«

»Wie weit gegangen, Herr?« fragte Allworthy.

»Ich hoffe, Sie werden mich nicht für fähig halten, einen falschen Eid zu erkaufen, aber Zeugnisse lassen sich auf zweierlei Art geben. Ich sagte den Männern also, wenn man ihnen von der andern Seite her Anerbietungen machen sollte, so möchten sie dieselben ausschlagen, sie könnten überzeugt sein, daß sie nichts verlieren würden, wenn sie ehrlich blieben und die Wahrheit sagten. Ich sagte, wir hätten erfahren, daß Herr Jones den andern Herrn zuerst angegriffen habe und sie möchten das aussagen, wenn 98 es die Wahrheit sei. Auch deutete ich ihnen an, daß sie dabei nicht zu kurz kommen würden.«

»Ich glaube nun allerdings, daß Sie weit gingen,« fiel Allworthy ein.

»Ich habe die Leute keineswegs aufgefordert, eine Unwahrheit zu sagen,« fuhr Dowling fort, »aber auch das, was ich sagte, würde ich nicht gesagt haben, hätte ich nicht geglaubt, Ihnen damit einen Dienst zu erzeigen.«

»Ich glaube, Sie würden nicht der Meinung gewesen sein, mir einen Dienst zu erzeigen,« erwiederte Allworthy, »wenn Sie gewußt hätten, daß dieser Herr Jones mein eigener Neffe ist.«

»Es ziemt mir nicht,« antwortete Dowling, »Notiz von dem zu nehmen, was Sie verbergen zu wollen schienen.«

»Wie?« fiel Allworthy ein, »und Sie wußten es?«

»Ja,« antwortete Dowling, »wenn Sie mich auffordern die Wahrheit zu sagen, so werde ich es thun. Ich wußte es allerdings, denn es waren fast die letzten Worte, welche Mad. Blifil sprach, als ich allein an ihrem Bette stand und sie mir den Brief gab, den ich Ihnen von ihr überbrachte.«

»Welchen Brief?« fragte Allworthy.

»Den Brief,« entgegnete Dowling, »den ich von Salisbury brachte und Herrn Blifil übergab.«

»Himmel!« rief Allworthy. »Nun, und was sagte sie? Was sagte meine Schwester zu Ihnen?«

»Sie faßte meine Hand,« antwortete er, »übergab mir den Brief und sagte: »ich weiß kaum, was ich geschrieben habe. Sagen Sie meinem Bruder, daß Jones sein Neffe ist, – mein Sohn. Gott segne ihn!« fügte sie hinzu und dann sank sie zurück. Ich rief sogleich die Leute herein; sie sprach nichts mehr und wenige Minuten darauf verschied sie.«

99 Allworthy stand eine Minute schweigend da und blickte gen Himmel, dann wendete er sich an Herrn Dowling und sagte: »warum übergaben Sie mir den Brief nicht selbst?«

»Sie werden sich erinnern,« antwortete er, »daß Sie damals krank im Bette lagen und da ich von Geschäften sehr gedrängt war, wie ich es immer bin, so übergab ich den Brief Herrn Blifil, sagte ihm auch die Worte seiner sterbenden Mutter und er versprach, diese Ihnen nebst dem Briefe mitzutheilen. Seitdem hat er mir gesagt, daß er dies gethan, Sie aber theils aus Liebe zu Jones, theils aus Achtung für Ihre Schwester, nicht wünschten, daß jemals etwas davon erwähnt werde. Da Sie nun niemals etwas von der Sache gegen mich erwähnten, so hielt ich es für unziemlich, davon zu sprechen.«

Wir haben irgendwo bemerkt, daß Jemand eine Lüge in den Worten der Wahrheit sagen könnte; dies war hier der Fall, denn Blifil hatte Dowling wirklich gesagt, was dieser jetzt erzählte, aber ihn damit nicht hintergangen, auch nie sich eingebildet, daß er dies im Stande sein könnte. Das Versprechen, welches Blifil Dowling gegeben, war der Beweggrund, der ihn zur Geheimhaltung veranlaßte, und da er jetzt deutlich sah, Blifil würde nicht im Stande sein, das Versprechen zu halten, hielt er es gerathen, das Geständniß zu machen, zumal er ganz unversehens darum angegangen wurde und keine Zeit hatte Ausreden zu ersinnen.

Allworthy schien durch den Bericht befriediget zu sein, empfahl Dowling das strengste Stillschweigen über das Geschehene und begleitete ihn selbst bis an die Thüre, damit er Blifil nicht sehen könnte, der in sein Zimmer zurückgekehrt war, wo er sich über die letzte Täuschung seines Oheims freute und nicht im mindesten ahnte, was seitdem geschehen war.

100 Als Allworthy in sein Zimmer zurück ging, begegnete er Mad. Miller, die mit Entsetzen in dem bleichen Gesichte zu ihm sagte: »ach, Herr, die schlechte Frau ist bei Ihnen gewesen und Sie wissen Alles? Verlassen Sie aber darum den armen jungen Mann nicht. Bedenken Sie nur, er wußte nicht, daß sie seine Mutter sei und die Entdeckung wird ihm wahrscheinlich das Herz brechen, ohne daß Sie unfreundlich gegen ihn verfahren.«

»Madame,« sagte Allworthy, »ich bin so erstaunt über das, was ich gehört habe, daß ich Ihnen jetzt nicht antworten kann; kommen Sie mit in mein Zimmer herein. Ja, Mad. Miller, ich habe seltsame Entdeckungen gemacht und Sie sollen Kenntniß davon erhalten.«

Die arme Frau folgte ihm zitternd. Allworthy trat zu Mad. Waters, nahm sie bei der Hand, wendete sich dann an Mad. Miller und sagte: »welchen Lohn soll ich nun der Dame geben für die Dienste, die sie mir erwiesen hat? Ach, Mad. Miller, Sie haben mich tausendmal den jungen Mann, dem Sie so treue Freundin geblieben sind, meinen Sohn nennen hören. Sie ahnten damals nicht, daß er wirklich mit mir verwandt sei. Ihr Freund, Madame, ist mein Neffe, der Bruder jener Schlange, die ich so lange an meinem Busen genährt habe. Die Dame da wird Ihnen die ganze Geschichte selbst erzählen und wie es zuging, daß er für ihren Sohn galt. Ich bin jetzt überzeugt, Mad. Miller, daß ihm Unrecht geschehen ist und daß man mich hintergangen hat. Ja, ich wurde von Einem hintergangen, den Sie mit Recht in Verdacht hatten. Er ist wirklich einer der größten Schurken.«

Mad. Miller konnte vor übergroßer Freude nicht sprechen und würde vielleicht auch in Ohnmacht gefallen sein, wenn nicht ein Strom von Thränen ihr Erleichterung verschafft hätte. Endlich als sie sich von ihrem Entzücken so weit 101 erholt hatte, daß sie wieder zu sprechen vermochte, rief sie aus:

»Mein lieber Herr Jones ist also Ihr Neffe und nicht der Sohn dieser Dame? Es sind Ihnen endlich die Augen geöffnet worden? Und ich werde ihn doch noch so glücklich sehen als er es verdient?«

»Er ist allerdings mein Neffe,« entgegnete Allworthy, »das Uebrige hoffe ich.«

»Und der lieben Dame da verdankt man die ganze Entdeckung?«

»Ja,« antwortete Allworthy.

»Nun,« rief Mad. Miller aus, indem sie auf ihre Knie sank, »so möge der Himmel seine Segnungen über sie ausschütten und ihr dieser einzigen guten That wegen alle ihre Sünden vergeben, wären ihrer auch noch so viele.«

Mad. Waters zeigte ihnen darauf an, daß Jones, wie sie glaube, bald seine Freiheit wieder erhalten würde, denn der Arzt sei mit einem Edelmanne zu dem Richter gegangen, um zu bescheinigen, daß Herr Fitzpatrick vollkommen aus aller Gefahr sei, und dem Gefangenen seine Freiheit zu verschaffen.

Allworthy äußerte darauf, er würde sich freuen seinen Neffen nach seiner Zurückkunft hier zu finden, jetzt müßte er aber wegen wichtiger Geschäfte ausgehen. Dann rief er einen Diener, daß ihm derselbe eine Portechaise hole und verließ die beiden Frauenzimmer.

Als Blifil hörte, daß eine Portechaise bestellt wurde, kam er herunter zu seinem Oheim, um ihm bei dem Einsteigen behilflich zu sein, denn eine solche Pflicht der Artigkeit versäumte er nie. Er fragte seinen Oheim, ob er ausgehe, was mit artigern Worten desselben heißt wie: wohin gehst Du? Da Allworthy nicht antwortete, so fragte Blifil, wann er zurückkommen würde. Der Oheim antwortete 102 auch darauf nicht, bis er in der Portechaise saß; da drehete er sich um und sagte: »vor allem rathe ich Dir, ehe ich zurückkomme, den Brief zu finden, den mir Deine Mutter auf ihrem Sterbebette sandte.« Darauf entfernte sich Allworthy und Blifil stand da in einem Zustande, der höchstens von einem Menschen beneidet werden kann, welcher eben zum Galgen abgeführt wird.


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