Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Allworthy besucht den alten Nightingale und macht bei dieser Gelegenheit eine seltsame Entdeckung.

Am Morgen, nachdem dies alles geschehen war, ging Herr Allworthy seinem Versprechen gemäß aus, um dem alten Nightingale einen Besuch zu machen, auf den er so großen Einfluß hatte, daß er ihn nach drei Stunden zu der Einwilligung vermochte, seinen Sohn zu sehen.

Hierbei ereignete sich ein höchst außerordentlicher Zufall, Einer von denen, wonach gute und ernste Männer geschlossen haben, daß die Vorsehung selbst zur Entdeckung der geheimsten Bubenstücke mitwirke, damit die Menschen nicht von dem Pfade der Tugend weichen möchten.

Herr Allworthy sah bei seinem Eintritte in das Zimmer Nightingales den schwarzen Georg. Er achtete indeß nicht auf ihn und Georg glaubte, nicht gesehen worden zu sein.

Nachdem das Hauptgespräch zu Ende war, fragte Allworthy doch den alten Nightingale, ob er den Georg Seagrim kenne und was derselbe bei ihm gesucht habe.

»Ja,« antwortete Nightingale, »ich kenne ihn sehr wohl und er ist ein ganz außerordentlicher Mann, dem es 62 in dieser Zeit möglich geworden ist, 500 Pfd. St. durch den Pacht eines kleinen Gutes zu ersparen.«

»Diese Geschichte hat er Ihnen erzählt?« fragte Allworthy.

»Sie ist gewiß wahr,« entgegnete Nightingale, »denn ich habe das Geld hier in Händen, in fünf Bankbillets, die ich entweder gut ausleihen oder zu einem Ankaufe in dem Norden von England verwenden soll.«

Allworthy wünschte die Bankbillets zu sehen, und als er sie erblickte, bekreuzigte er sich vor Verwunderung. Er sagte Nightingale, diese Bankbillets wären früher sein Eigenthum gewesen, und theilte ihm die ganze Geschichte mit. Wenn Niemand mehr über Betrug in Geschäften klagt, als Räuber, Spieler und andere Diebe der Art, so declamirt Niemand bitterer gegen die Betrügereien der Spieler &c., als Wucherer, Pfandleiher und andere Diebe dieser Art, und Nightingale hatte von der Geschichte kaum gehört, als er sich gegen den Mann in härtern Ausdrücken aussprach als der gerechte und redliche Allworthy es gethan hatte.

Allworthy ersuchte Nightingale, das Geld und das Geheimniß zu behalten, bis er weiter von ihm hören würde, bat ihn auch, dem Manne, falls er ihn wieder sähe, nichts von der Entdeckung merken zu lassen. Dann kehrte er in seine Wohnung zurück, wo er Mad. Miller sehr niedergeschlagen antraf wegen der Nachricht, die sie von ihrem Schwiegersohne erhalten hatte. Herr Allworthy sagte ihr mit großer Freundlichkeit, er habe ihr gute Neuigkeiten mitzutheilen und erzählte ihr nach einer kleinen weiteren Vorrede, daß es ihm gelungen sei, Herrn Nightingale zu bewegen, seinen Sohn zu sehen und daß er nicht im mindesten an einer völligen Aussöhnung zweifele, ob er gleich den Vater erbitterter gefunden habe, weil schon ein ähnlicher Vorfall in seiner Familie vorgekommen, nämlich 63 die Tochter seines Bruders durchgegangen sei, was Mad. Miller und ihr Schwiegersohn noch nicht wußten.

Der Leser kann sich denken, daß Mad. Miller diese Mittheilung mit großem Danke und nicht minderm Vergnügen empfing, aber ihre Freundschaft gegen Jones war so ungewöhnlich, daß ich nicht gewiß weiß, ob die Sorge, die sie seinetwegen fühlte, ihre Freude über die günstige Nachricht nicht überwog, oder ob diese Nachricht, da sie durch dieselbe an die Verpflichtung erinnert wurde, die sie gegen Jones hatte, sie nicht eben so sehr schmerzte als freute, ob nicht ihr dankbares Herz sprach: »wie bedauernswerth ist bei dem Glücke meiner Familie der Arme, dessen Edelmuth wir den Beginn dieses ganzen Glückes verdanken!«

Allworthy, der sie auf eine kurze Zeit verlassen hatte, damit sie, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, die Nachricht verdaue, begann darauf von neuem, er habe ihr noch etwas mitzutheilen, was ihr wahrscheinlich ebenfalls Freude machen würde. »Ich habe, denk' ich, einen ziemlich ansehnlichen Schatz gefunden, welcher dem jungen Herrn, Ihrem Freunde, gehört; freilich dürfte die Lage desselben jetzt von der Art sein, daß er keinen Gebrauch davon machen kann.« Der letztere Theil der Rede deutete der Mad. Miller an, was gemeint sei und sie antwortete mit einem Seufzer: »das hoffe ich nicht, Herr.«

»Ich hoffe es auch nicht,« sprach Allworthy, »aber mein Neffe sagte mir diesen Vormittag, er habe gehört, daß die Sache sehr schlecht stehe.«

»Guter Gott!« fiel sie ein, ». . . nun . . . aber ich darf nichts sagen. Es ist freilich recht hart, schweigen zu müssen, wenn man hört . . .«

»Madame,« entgegnete Allworthy, »Sie dürfen sagen, was Ihnen beliebt; Sie kennen mich zu gut, als daß Sie glauben könnten, ich hätte ein Vorurtheil gegen Jemanden, 64 und was den jungen Mann betrifft, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß mich es sehr erfreuen würde, wenn er sich bei allem, besonders aber in der letzten traurigen Sache schuldlos erweisen könnte. Sie können bezeugen, wie sehr ich ihn früher geliebt habe. Die Welt hat mich, ich weiß es, dieser Liebe wegen sehr getadelt. Ich entzog sie ihm nicht ohne die triftigsten Gründe meiner Ansicht nach. Glauben Sie mir, Mad. Miller, ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich geirrt hätte.«

Mad. Miller wollte eben antworten, als man ihr anzeigte, es sei ein Herr draußen, der sogleich mit ihr zu sprechen wünsche. Allworthy fragte darauf nach seinem Neffen und man sagte ihm, derselbe befände sich seit einiger Zeit in seinem Zimmer mit einem Herrn, der öfters zu ihm käme, und in dem Herr Allworthy mit Recht Dowling errieth. Er ließ diesen sogleich zu sich bescheiden.

Dowling kam, Allworthy trug ihm den Fall mit den Banknoten vor, ohne aber einen Namen dabei zu nennen und fragte, auf welche Weise ein solcher Mensch gestraft werden könnte. Dowling antwortete, er könne nach der »schwarzen Acte« verklagt werden, setzte jedoch hinzu, eine solche Sache sei schwierig und es dürfte zweckmäßig sein, sich noch Raths zu erholen; er habe in einer Sache des Herrn Western einen Gang zu thun und würde sich der Sache wegen zugleich mit erkundigen. Allworthy gab seine Einwilligung dazu, worauf Mad. Miller die Thüre öffnete, den Kopf hereinsteckte und sagte: »ich bitte um Verzeihung, ich wußte nicht, daß Sie Gesellschaft haben.« Allworthy forderte sie indeß auf herein zu treten, da sein Geschäft bereits beendiget sei. Dowling ging und Mad. Miller führte ihren Schwiegersohn, Herrn Nightingale den jüngern, ein, damit derselbe selbst für die freundliche Verwendung Allworthys danke. Sie hatte aber kaum so viel Geduld, den 65 jungen Mann ausreden zu lassen, als sie ihn mit den Worten unterbrach: »ach, Herr Nightingale bringt wichtige Nachrichten über den armen Jones mit. Er hat den verwundeten Herrn gesehen, der außer Gefahr ist und, was noch mehr ist, erklärt, er habe angefangen und Herrn Jones geschlagen. Gewiß möchten Sie nicht, daß Herr Jones eine feige Memme sei. Ich würde gewiß auch, wenn ich ein Mann wäre und es schlüge mich jemand, meinen Degen ziehen. Erzähle dem Herrn Allworthy alles selbst, mein Sohn.«

Nightingale bestätigte, was Mad. Miller gesagt hatte und schloß mit vielen Lobeserhebungen des Herrn Jones, der, sagte er, einer der besten Menschen in der Welt und durchaus nicht streitsüchtig sei. »Uebrigens bin ich überzeugt,« setzte er hinzu, »Ihr Mißfallen ist die größte Last, die ihn drückt. Oft hat er gegen mich darüber geklagt und oft auf das feierlichste betheuert, er habe sich niemals absichtlich einer Beleidigung gegen Sie schuldig gemacht; ja er hat geschworen, lieber tausendmal zu sterben, als sich den Vorwurf machen zu müssen, unehrerbietig, undankbar oder pflichtwidrig gegen Sie gehandelt zu haben. Doch, ich bitte um Verzeihung, ich fürchte, in diesem zarten Punkte zu weit zu gehen.«

»Du hast nicht mehr gesagt, als ein Christ sagen muß,« fiel Mad. Miller ein.

»Allerdings, Herr Nightingale,« antwortete Allworthy, »ich freue mich über Ihre edele Freundschaft und wünsche, daß er sie verdiene. Ich gestehe, daß ich mich über die Nachricht freue, die Sie von dem unglücklichen Verwundeten bringen und wenn sich die Sache so ausweisen sollte, wie Sie dieselbe darstellen (und ich zweifle an keinem Ihrer Worte), so gelingt es mir vielleicht einst wieder eine bessere Meinung von dem jungen Manne zu fassen als jetzt, denn 66 die gute Frau da, so wie alle die, welche mich kennen, wissen, daß ich ihn geliebt habe wie meinen Sohn. Ich habe ihn immer für ein Kind angesehen, das mir das Schicksal zugesandt. Noch erinnere ich mich der hilflosen Lage, in welcher ich das unschuldige fand. Ich fühle noch den zärtlichen Druck seiner Händchen. Er war mein Liebling, wirklich er war es.« Und als er aufhörte zu sprechen, standen ihm die Thränen in den Augen.

Da die Antwort, welche Mad. Miller gab, uns zu neuem Stoffe führen könnte, so wollen wir hier inne halten und die sichtbare Veränderung in der Stimmung Herrn Allworthys und die Abnahme seines Verdrusses über Jones erklären. Umwandlungen dieser Art kommen freilich oft bei Romanschreibern und Bühnendichtern vor aus keinem andern Grunde, als weil die Geschichte oder das Bühnenstück zu Ende geht und blos in Folge der Machtvollkommenheit der Dichter; aber wenn wir auch auf diese Machtvollkommenheit so viel halten als irgend ein anderer, so mögen wir sie doch nur sparsam benutzen und nur, wenn uns die Noth dazu treibt, was, soviel wir voraussehen können, in diesem Werke der Fall nicht sein wird.

Die Veränderung in der Stimmung des Herrn Allworthy war durch einen Brief veranlaßt worden, den er eben von Herrn Square erhalten hatte und den wir den Lesern mit Vergnügen im Anfange des nächsten Kapitels mittheilen.


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