Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Viertes Kapitel.

Eine außerordentliche Scene zwischen Sophie und ihrer Tante.

Die brüllende junge Kuh und das blökende Schaaf können in Heerden sicher und unbeachtet über die Weide schweifen. Zwar fallen sie endlich dem Menschen zur Beute, aber einige Jahre dürfen sie ihre Freiheit ungestört genießen. Sobald aber ein feistes Reh aus dem Walde entwichen ist und sich in einem Felde oder Haine gelagert hat, so kommt 18 alsbald das ganze Dorf in Aufruhr, Jedermann hetzt mit den Hunden hinterdrein und wenn es durch den Squire gerettet wird, so geschieht es blos, weil er sich das Wild für seine eigene Tafel sichern will.

Meiner Ansicht nach ist ein schönes junges Mädchen aus guter Familie und mit Vermögen, wenn es sich zum erstenmale hinauswagt in die Welt, so ziemlich in derselben Lage wie das Reh. Die Stadt kommt sofort in Aufruhr; sie wird verfolgt vom Park zum Theater, vom Hofe in die Gesellschaft, von der Gesellschaft in ihr eigenes Zimmer und entgeht selten eine Saison lang den Klauen des einen oder des andern von denen, die Jagd auf sie machen; denn wenn ihre Freunde sie auch vor Einigen schützen, so geschieht es doch blos, um sie einem andern ihrer eigenen Wahl zu überliefern, der ihr oft unangenehmer ist als alle übrigen; während ganze Heerden anderer Mädchen sicher, kaum beachtet, sich im Park, im Theater und in Gesellschaften bewegen, und, wenn sie auch, zum größten Theile wenigstens, endlich auch die Beute eines Mannes werden, doch eine lange Zeit ungestört und ungehemmt ihre Freiheit genießen.

Keine litt jemals eine ärgere Verfolgung als die arme Sophie. Ihr böser Stern begnügte sich nicht mit dem, was sie wegen Blifil gelitten hatte; man trieb jetzt noch einen andern Verfolger gegen sie, der sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weniger quälen sollte, als es der erste gethan hatte, denn obgleich ihre Tante minder heftig und gewaltthätig war, so peinigte sie das Mädchen doch nicht minder als es vorher der Vater gethan hatte.

Die Diener waren nach Tische kaum entlassen, als Fräulein Western, welche die Sache Sophien vorgelegt hatte, ihr mittheilte, sie erwarte den Lord noch diesen 19 Nachmittag und habe die Absicht, sie bei der ersten Gelegenheit mit ihm allein zu lassen.

»Wenn Sie dies thun,« antwortete Sophie mit großer Bestimmtheit, »so werde ich die erste Gelegenheit benutzen und ihn allein lassen.«

»Wie?« rief die Tante, »vergiltst Du so meine Güte, Dich aus der Haft bei Deinem Vater befreit zu haben?«

»Sie wissen,« entgegnete Sophie, »die Ursache dieser Haft war meine Weigerung, dem Wunsche meines Vaters mich zu fügen und einen Mann anzunehmen, den ich verabscheue; will mich meine gute Tante, die mich aus der einen Noth befreite, in eine andere gleich schlimme bringen?«

»Meinst Du denn,« antwortete Fräulein Western, »daß kein Unterschied ist zwischen Lord Fellamor und Herrn Blifil?«

»Meiner Meinung nach ein sehr geringer,« sagte Sophie, »und wenn ich verurtheilt wäre, einen von beiden zu nehmen, so würde ich mir wenigstens das Verdienst sichern, mich dem Wunsche meines Vaters aufzuopfern.«

»Mein Wunsch gilt Dir demnach sehr wenig,« bemerkte die Tante, »doch das soll mich nicht abhalten. Ich handele aus edleren Beweggründen; ich gehe von der Absicht aus, meine Familie, Dich selbst zu erhöhen. Besitzest Du keinen Ehrgeiz? Reizt Dich der Gedanke nicht, eine Krone am Wagen zu führen?«

»Bei meiner Ehre nicht,« entgegnete Sophie. »Ein Nadelkissen an meiner Kutsche wird mir eben so angenehm sein.«

»Sprich nicht von Ehre,« fiel die Tante ein. »Das Wort ziemt sich nicht für ein elendes Geschöpf. Es thut mir leid, Nichte, daß Du mich zwingst, solche Worte zu gebrauchen; in Dir fließt das Blut der Western nicht. 20 Wie gemein und niedrig aber auch Deine Gedanken sein mögen, ich werde nie zugeben, daß die Welt von mir sage, ich habe Dich ermuthiget, eine der besten Partieen in England auszuschlagen; eine Partie, die, abgesehen von dem Reichthume, fast jeder Familie zur Ehre gereichen würde.«

»Ich bin gewiß von der Natur vernachlässiget,« sprach Sophie, »da ich die Sinne nicht besitze, welche andere Leute haben; es muß offenbar einen Sinn geben, durch den man Wohlgefallen an Glanz und dergleichen empfindet und der mir nicht gegeben ist; sonst wüßte ich nicht, warum die Menschen sich so sehr anstrengen und so viel opfern, um das zu erhalten, was ich für die unbedeutendste aller Kleinigkeiten ansehe, oder sich so stolz blähen über den Besitz derselben.«

»Nein, nein,« fiel die Tante ein, »Du hast von der Natur so viele Sinne erhalten als andere Leute, aber das kann ich Dich versichern, daß Du nicht so viel Verstand von der Natur empfangen hast, um mich zum Narren zu haben, und so erkläre ich Dir denn bei meinem Worte, und Du weißt hoffentlich, wie fest meine Vorsätze stehen, daß ich, wenn Du diesen Nachmittag den Lord nicht siehst, Dich morgen eigenhändig meinem Bruder zuführe, mich nie weiter um Deine Angelegenheiten kümmere, noch Dich jemals wieder ansehe.«

Sophie stand einige Minuten nach dieser Rede, die in einem gebieterischen, zornigen Tone gesprochen wurde, still da, dann brach sie in Thränen aus und sprach: »thun Sie mit mir, was Ihnen gefällt; ich bin doch einmal das unglücklichste Wesen auf Erden. Wenn meine theure Tante mich verläßt, wo soll ich Schutz finden?«

»Meine liebe Nichte,« sprach die Tante, »der Lord wird Dein Beschützer sein, ein Beschützer, den Du nur aus 21 Anhänglichkeit an den gemeinen Menschen, den Jones, von Dir weisen kannst.«

»Sie thun mir wahrhaftig Unrecht, liebe Tante,« entgegnete Sophie. »Können Sie nach dem, was Sie mir gezeigt haben, glauben, daß ich, wenn ich jemals solche Gedanken gehegt, sie nicht für immer aus meinem Herzen bannen würde? Wenn Sie es verlangen, will ich das Sacrament darauf nehmen, niemals sein Gesicht wieder zu sehen.«

»Aber Kind, liebes Kind,« fiel die Tante ein, »so sei doch nur vernünftig; kannst Du einen einzigen Grund gegen ihn haben?«

»Ich habe Ihnen schon einen, wie ich glaube, triftigen Grund genannt,« antwortete Sophie.

»Welchen?« fragte die Tante, »ich erinnere mich keines.«

»Gewiß, Tante,« entgegnete Sophie, »ich sagte Ihnen, daß er mich auf die roheste und gemeinste Weise behandelt hat.«

»Wahrhaftig, Kind,« erwiederte die Tante, »ich hörte niemals etwas davon oder verstand Dich nicht; was verstehst Du unter roher und gemeiner Behandlung?«

»Ich schäme mich fast, es Ihnen zu erzählen,« antwortete Sophie. »Er umfaßte mich, zog mich auf das Canape nieder, griff mir in den Busen hinein und küßte ihn so heftig, daß man die Spur davon noch heute sieht.«

»Wirklich?« fragte die Tante.

»Wahrhaftig,« antwortete Sophie, » zum Glücke kam in diesem Augenblicke mein Vater an, wer weiß, wie weit er sonst seine Rohheit noch getrieben hätte.«

»Ich bin ganz erstaunt,« sprach die Tante. »Kein Weib mit dem Namen Western ist jemals so behandelt worden, seit wir eine Familie sind. Ich würde einem Prinzen 22 die Augen ausgekratzt haben, wenn er sich solche Freiheiten gegen mich erlaubt hätte. Es ist unmöglich! Gewiß, Sophie, Du hast mir ein Mährchen erzählt, um meinen Unwillen gegen ihn zu erregen.«

»Sie haben hoffentlich,« sprach Sophie, »eine zu gute Meinung von mir, als daß Sie mich für fähig halten könnten, eine Unwahrheit zu sagen. Wahrhaftig, was ich gesagt habe, ist Wahrheit.«

»Ich würde ihn erstochen haben, wenn ich zugegen gewesen wäre,« entgegnete die Tante. »Und doch kann er keine ehrlose Absicht gehabt haben, daß ist unmöglich; er durfte es nicht. Sein Antrag beweist es, daß er keine solche hatte, denn dieser Antrag ist nicht blos ehrenvoll, sondern auch edelsinnig. Ich weiß nicht, unsere Zeit gestattet zu große Freiheiten. Ich würde vor der Ceremonie höchstens einen Gruß aus der Ferne gestattet haben. Ich habe auch sonst Liebhaber gehabt und es ist noch nicht so lange her, mehrere Liebhaber, ob ich gleich nie heirathen mochte und ich begünstigte und duldete nicht die geringste Freiheit. Es ist das eine thörichte Sitte, zu der ich meine Zustimmung nie geben würde. Kein Mann hat an mir je mehr geküßt als meine Wange. Das Aeußerste, was man thun kann, ist, daß man seinem Gatten die Lippen reicht, und ich für meine Person glaube, ich würde, hätte ich je vermocht werden können zu heirathen, meinem Manne auch soviel nicht gewährt haben.«

»Sie werden mir verzeihen, wenn ich hier eine Bemerkung mache,« fiel Sophie ein; »Sie gestehen, daß Sie viele Liebhaber gehabt haben und die Welt weiß es, wenn Sie es auch läugnen wollten. Sie schlugen sie alle aus und, davon bin ich überzeugt, darunter wenigstens einen Lord.«

23 »Du sagst die Wahrheit, liebe Sophie,« antwortete sie, »es trug mir einmal ein Lord seine Hand an.«

»Und warum wollen Sie mir nicht gestatten, einen abzuweisen?«

»Ich habe allerdings einen Lord ausgeschlagen, aber der Antrag war nicht vortheilhaft, d. h. kein besonders vortheilhafter.«

»Aber Männer von sehr großem Vermögen haben Ihnen Anträge gemacht.«

»Allerdings.«

»Und warum sollte ich nicht hoffen, daß ich auch noch einen andern vortheilhaftern Antrag erhielte? Ich bin noch ein junges Mädchen und brauche gewiß nicht zu verzweifeln.«

»Was aber soll ich sagen, liebe Sophie?«

»Ich bitte blos, daß Sie mich wenigstens diesen Abend nicht allein lassen; bewilligen Sie mir dies und ich will nachgeben, wenn Sie nach dem, was geschehen ist, glauben, daß ich ihn in Ihrer Gegenwart sehen kann.«

»Nun, ich will das zugestehen,« antwortete die Tante. »Du weißt es, Sophie, daß ich Dich liebe und daß ich Dir nichts abschlagen kann. Du kennst meine Ruhe und Sanftmuth; ich war nicht immer so. Ich bin sonst für grausam gehalten worden, natürlich von Männern. Man nannte mich die grausame Parthenissa. Ich habe manche Fensterscheibe zerbrochen, auf welcher Verse an die grausame Parthenissa standen. Zwar war ich niemals so schön wie Du, Sophie, ich hatte aber sonst etwas von Dir. Ich habe mich ein wenig verändert. Königreiche und Staaten, wie Cicero sagt, erleiden Veränderungen, um wie viel mehr der menschliche Körper.« So sprach sie noch eine halbe Stunde über sich selbst, über ihre Eroberungen und ihre Grausamkeit, bis Lord Fellamor erschien, der nach einem 24 sehr langweiligen Besuche, bei dem Fräulein Western nicht einmal das Zimmer verließ, sich entfernte, mit der Tante eben so wenig zufrieden als mit der Nichte; denn Sophie hatte ihre Tante in so vortreffliche Laune versetzt, daß sie fast alles gut hieß und billigte, was ihre Nichte sagte, und der Meinung wurde, ein etwas fern haltendes Benehmen sei für einen so voreiligen Liebhaber eine ganz gerechte Strafe.

So erlangte Sophie durch einige gut gerichtete Schmeicheleien, um derentwillen sie Niemand tadeln wird, einige Ruhe. Da wir so unsere Heldin in einer etwas besseren Lage gesehen haben, als lange vorher, so wollen wir uns nach Jones umsehen, den wir in der allertraurigsten verlassen haben.


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