Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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45 Neuntes Kapitel.

Was Jones in dem Gefängnisse widerfuhr.

Jones verbrachte vierundzwanzig traurige Stunden allein, höchstens durch die Gesellschaft des treuen Partridge zerstreut, bevor Nightingale zurückkehrte; nicht daß dieser würdige junge Mann seinen Freund verlassen oder vergessen hatte, denn er war den größten Theil dieser Zeit über für denselben thätig gewesen.

Nach den Erkundigungen, die er eingezogen, waren die Leute, welche den Anfang des unglücklichen Zusammentreffens gesehen hatten, Matrosen von einem Kriegsschiffe gewesen, das in Deptford lag. Er begab sich also nach Deptford, um diese Matrosen ausfindig zu machen und erfuhr, daß dieselben sämmtlich an das Land gegangen wären. Er suchte sie hier und da und fand endlich zwei derselben, die mit einer dritten Person in einer Winkelschenke tranken.

Nightingale wünschte mit Jones allein zu sprechen. (Partridge war in dem Gefängnisse als er ankam.) Sobald sie allein waren, nahm Nightingale Jones bei der Hand und sagte: »lassen Sie sich durch das, was ich zu sagen habe, nicht zu sehr niederbeugen, lieber Freund; es thut mir leid, daß ich schlimme Nachrichten bringe; aber ich halte es für meine Pflicht, Alles zu sagen.«

»Ich errathe bereits, welche schlimme Nachricht es ist,« entgegnete Jones, »der Arme ist gestorben?«

»Das hoffe ich nicht,« antwortete Nightingale. »Diesen Morgen lebte er noch, aber ich will Ihnen nicht mit trüglicher Hoffnung schmeicheln, denn nach dem, was ich gehört habe, ist seine Wunde wirklich tödtlich. Wenn aber alles genau so gewesen ist, wie Sie es angeben, so haben Sie sicherlich nichts als Ihr eigenes Gewissen zu fürchten, es 46 mag geschehen was da will; aber ich bitte Sie, theilen Sie selbst das Schlimmste Ihren Freunden mit. Wenn Sie uns etwas verheimlichen, schaden Sie sich am meisten.«

»Welche Veranlassung habe ich Ihnen jemals gegeben, mir den Dolch eines solchen Argwohns in das Herz zu stoßen?« entgegnete Jones.

»Nur Geduld,« erwiederte Nightingale, »und ich will Ihnen Alles sagen. Nach den sorgfältigsten Nachforschungen traf ich endlich zwei der Männer, welche Zeugen des unglücklichen Vorfalles waren und leider erzählen sie die Sache keinesweges in einer für Sie so günstigen Weise wie Sie selbst dieselbe darstellen.«

»Was sagen Sie?« fragte Jones.

»Es thut mir leid, daß ich es wiederholen muß, weil ich die Folgen davon für Sie fürchte. Sie behaupten, sie wären in zu großer Entfernung gewesen, als daß sie hätten hören können, was Sie und der Verwundete gesprochen, aber sie behaupten, Sie hätten den ersten Stoß geführt.«

»Dann thun Sie mir wahrhaftig Unrecht,« fiel Jones ein. »Er griff mich nicht blos zuerst an, sondern sogar ohne alle Veranlassung. Was kann die Schurken veranlassen, mich fälschlich zu beschuldigen?«

»Das kann ich freilich nicht errathen,« sprach Nightingale, »und wenn Sie selbst keinen Beweggrund ausfindig zu machen wissen, warum sie lügen, welchen soll ein unparteiischer Gerichtshof ihnen unterlegen? Ich wiederholte ihnen die Frage mehrmals und auch ein anderer Herr, der zugegen war, ein Seemann zu sein schien und wirklich sich Ihrer Sache sehr annahm, denn er bat die Leute oft, ja zu bedenken, daß das Leben eines Menschen auf dem Spiele stehe, fragte sie wiederholt, ob sie ihrer Sache gewiß wären. Um des Himmels willen, lieber Freund, besinnen Sie sich genau. Ich möchte Sie nicht betrüben, aber Sie 47 kennen wahrscheinlich die Strenge des Gesetzes, wie schwer Sie auch durch Worte gereizt worden sein mögen.«

»Glauben Sie, Freund, daß ich mit dem Rufe eines Mörders leben möchte? Würde ich, wenn ich Freunde hätte (wie ich leider keine habe), das Selbstvertrauen besitzen und sie auffordern, für einen Mann zu sprechen, der wegen des schlimmsten Verbrechens verurtheilt wurde? Glauben Sie mir, ich hoffe nichts der Art, setze mein Vertrauen aber auf ein noch höheres Gericht, das mir sicherlich den Schutz gewähren wird, den ich verdiene.«

Er schloß damit, daß er aufs feierlichste nochmals betheuerte, alles sei so gewesen, wie er es im Anfange angegeben habe.

Der Glaube Nightingales wankte nun von neuem und wendete sich wieder seinem Freunde zu, als Mad. Miller. kam und einen traurigen Bericht von dem Erfolge ihrer Sendung abstattete. Sobald Jones denselben vernommen hatte, rief er aus: »nun ist mir gleichgiltig, was geschehen mag, wenigstens was mein Leben betrifft; ist es der Wille des Himmels, daß ich mit meinem Leben für das Blut büßen soll, das ich vergossen habe, so hoffe ich, die göttliche Güte werde einst meine Ehre rein erscheinen lassen und zugeben, daß man den Worten eines Sterbenden glaube.«

Es folgte nun eine sehr traurige Scene zwischen dem Gefangenen und seinen Freunden, der gewiß wenige Leser gern beigewohnt haben würden, wie auch wenige wünschen dürften, daß ihnen dieselbe genau beschrieben werde. Wir wollen also darüber hingehen bis zum Eintritte des Kerkermeisters, der Jones anzeigte, es sei eine Dame draußen, welche mit ihm zu sprechen wünsche.

Jones war über diese Anzeige nicht wenig überrascht und sagte, er kenne keine Dame in der Welt, die er hier erwarten könnte. Da er indeß keinen Grund haben konnte, 48 den Besuch irgend einer Person abzulehnen, so verabschiedeten sich Mad. Miller und Herr Nightingale und Jones sagte dem Kerkermeister, er möge die Dame eintreten lassen.

Wenn Jones sich schon über die Anmeldung des Besuches einer Dame wunderte, um wie viel mehr mußte er erstaunen, als er sah, daß diese Dame keine andere war als Mad. Waters! Bei seinem Staunen müssen wir ihn denn vor der Hand auch lassen, um die Verwunderung des Lesers zu beseitigen, der wahrscheinlich ebenfalls nicht wenig durch die Ankunft dieser Dame überrascht worden sein wird.

Wer diese Mad. Waters war, weiß der Leser, was sie war, darf ihm eben so wenig unbekannt sein. Er wird sich also erinnern, daß die Dame Upton in demselben Wagen wie Herr Fitzpatrick und der andere irische Herr verließ und in deren Gesellschaft nach Bath reisete.

Nun hatte Herr Fitzpatrick ein damals erledigtes Amt zu vergeben, nämlich das einer Gattin, denn die Dame, welche dasselbe bis dahin bekleidet, hatte es niedergelegt oder war wenigstens von ihrem Posten entwichen. Herr Fitzpatrick, der Mad. Waters unterwegs genau prüfte, fand sie für diese Stelle vollkommen geeignet, weshalb er ihr dieselbe nach der Ankunft in Bath sofort antrug. Auch nahm die Dame das Amt unbedenklich an. Als Mann und Frau lebten denn beide zusammen so lange sie in Bath blieben und als Mann und Frau kamen sie nach London.

Ob Herr Fitzpatrick so klug war, um etwas Gutes nicht aus der Hand zu lassen, bevor er sich etwas Anderes gesichert oder ob Mad. Waters ihre Stelle so gut ausgefüllt hatte, daß er sie als Hauptfrau beizubehalten und seine Gattin (wie das oft der Fall ist) nur zur Stellvertreterin machen wollte, will ich nicht untersuchen, gewiß 49 ist, daß er seine Frau gegen sie nie erwähnte, auch ihr den Brief nicht mittheilte, den er von Fräulein Western erhalten hatte, ja niemals seine Absicht andeutete, seine Frau sich wieder zu erwerben. Viel weniger noch erwähnte er jemals den Namen Jones. Ob er gleich die Absicht hatte sich mit demselben zu schlagen, wo er ihn auch treffen würde, so ahmte er doch die klugen Leute nicht nach, welche eine Frau, eine Mutter, eine Schwester, wohl gar eine ganze Familie für die sichersten Secundanten in solchen Fällen halten. Das erste also, was sie von allem dem hörte, vernahm sie von ihm, als man ihn aus dem Wirthshause, in welchem seine Wunde verbunden worden war, nach Hause gebracht hatte.

Da jedoch Herr Fitzpatrick durchaus kein Meister in der Kunst war, eine Sache deutlich darzustellen und in seinem jetzigen Zustande noch verworrener war als gewöhnlich, so dauerte es ziemlich lange, ehe sie entdeckte, daß der Mann, der ihn verwundet hatte, derselbe sei, welcher ihrem Herzen eine Wunde versetzt, die, wenn auch nicht tödtlich, doch so tief war, daß sie eine ansehnliche Narbe zurückgelassen hatte. Sobald sie erfahren hatte, daß Jones es sei, der wegen des angeblichen Mordes in das Gefängniß gebracht worden, benutzte sie die erste Gelegenheit, Fitzpatrick der Pflege der Krankenwärterin zu überlassen und beeilte sich, dem Besieger ihres Herzens einen Besuch zu machen.

Sie trat in dem Gefängnisse mit heiterer Miene ein, die indeß durch das traurige Aussehen des armen Jones, der bei ihrem Anblicke aufsprang und sich bekreuzigte, einen Stoß erlitt. Sie sprach: »ich wundere mich nicht über Ihr Staunen; ich glaube es, daß Sie mich nicht erwarteten, denn wenige werden hier von Frauen besucht. Sie erkennen daraus, welche Macht Sie über mich haben, Herr Jones. Ich glaubte freilich nicht, als wie in Upton schieden, 50 daß wir uns an einem solchen Orte zuerst wieder sehen würden.«

»Ich muß allerdings diesen Besuch, Madame, für einen freundschaftlichen halten; Wenige suchen den Unglücklichen, namentlich an einem solchen Aufenthalte.«

»Ich kann mich kaum selbst überreden, daß Sie noch derselbe liebenswürdige junge Mann sind, den ich in Upton sah. Ihr Gesicht sieht finsterer und trübseliger aus als irgend ein Kerker in der Welt. Was fehlt Ihnen?«

»Da Sie wußten, daß ich hier bin, so werden Sie auch die unglückliche Veranlassung kennen.«

»Sie haben Jemanden im Duell gespießt, weiter nichts,« sprach sie.

Jones sprach seine Verwunderung über diese Leichtfertigkeit aus und äußerte die tiefste Reue über das Geschehene. Sie antwortete darauf: »wenn Sie es sich so sehr zu Herzen nehmen, so will ich Sie beruhigen; der Mann ist nicht todt und auch, wie ich fest glaube, gar nicht der Gefahr zu sterben ausgesetzt. Der Chirurg, der ihn zuerst verband, war ein junger Mann und schien zu wünschen, den Fall so gefährlich als möglich darzustellen, damit ihm die Heilung um so größere Ehre bringe; seitdem hat aber der königl. Leibchirurg den Verwundeten besucht und er sagt, er fürchte nichts für das Leben, wenn nicht ein Fieber eintrete, von dem sich aber noch keine Symptome zeigten.« In dem Gesichte Jones' malte sich die Freude über diese Nachricht, die Dame betheuerte die Wahrheit dessen, was sie gesagt und setzte hinzu: »in Folge des außerordentlichsten Zufalles wohne ich in demselben Hause und ich habe den Verwundeten gesehen. Er läßt Ihnen völlig Gerechtigkeit widerfahren und sagt, was auch die Folgen sein möchten, er sei der Angreifende gewesen und auf Sie falle durchaus kein Tadel.«

51 Nachdem Jones nochmals seine Freude ausgesprochen hatte, theilte er ihr Vieles mit, was sie freilich schon wußte, nämlich wer Fitzpatrick sei, die Ursache des Hasses desselben &c. Auch erzählte er ihr Einiges, was sie nicht kannte, z. B. das Abenteuer mit dem Muffe und Anderes und verschwieg nur den Namen Sophiens. Darauf beklagte er die Thorheiten und Vergehen, deren er sich schuldig gemacht und deren jede so schlimme Folgen nach sich gezogen hätte, daß es unverzeihlich sein würde, wenn er sich nicht warnen ließe und künftig ein anderes Leben beginne. Endlich schloß er mit der Versicherung, daß er nicht mehr sündigen würde, damit ihn nicht noch Schlimmres treffe.

Mad. Waters machte dies alles lächerlich und wollte darin nichts als die Wirkung der Niedergeschlagenheit und der Haft sehen. Sie zweifele nicht, sagte sie, ihn bald frei und so lebhaft wie früher zu sehen, »und dann,« setzte sie hinzu, »wird Ihr Gewissen bald auch von den Qualen frei sein, die es jetzt peinigen.«

Sie sprach noch mehr der Art und manches davon würde ihr in der Meinung mancher Leser nicht eben zur Ehre gereichen, wie wahrscheinlich auch die Antworten, die Jones gab, von andern lächerlich gefunden werden dürften. Wir werden deshalb den Rest dieses Gesprächs unterdrücken und nur bemerken, daß es in vollkommner Unschuld endigte und mehr zur Zufriedenheit Jones' als der Dame, denn der erste war sehr erfreut über die Nachrichten, die sie ihm brachte, während ihr das bußfertige Benehmen eines Mannes nicht eben behagte, von dem sie bei dem ersten Zusammentreffen eine ganz andere Meinung gefaßt hatte als die war, welche sie jetzt mit sich nahm.

So wurde die Traurigkeit, welche der Bericht Nightingales hervorgerufen hatte, so ziemlich verwischt; nur die Niedergeschlagenheit, in welche ihn Mad. Miller versetzt, 52 dauerte noch fort. Ihre Erzählung stimmte so gut mit den Worten Sophiens in ihrem Briefe überein, daß er nicht im mindesten zweifelte, sie habe seinen Brief ihrer Tante mitgetheilt und sei fest entschlossen, ihn aufzugeben. Der Schmerz, den in ihm dieser Gedanke erregte, konnte sich nur mit der Neuigkeit messen, welche das Schicksal für ihn noch bereit hatte und die wir in dem zweiten Kapitel des nächstfolgenden Buches mittheilen werden.


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