Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Das edelsinnige und dankbare Benehmen der Mad. Miller.

Herr Allworthy und Mad. Miller hatten sich eben zum Frühstücke niedergesetzt, als Blifil, der an diesem Morgen sehr zeitig ausgegangen war, zurückkehrte, um das Frühstück zu theilen.

Er hatte nicht lange Platz genommen, als er anfing: »lieber Gott, theurer Oheim, was, meinen Sie wohl, ist geschehen? Ich gestehe, ich fürchte mich, es Ihnen zu erzählen, weil es Sie unangenehm daran erinnern wird, jemals einem solchen Bösewichte Wohlthaten erzeigt zu haben.«

»Was giebt es, Kind?« fragte der Oheim, »ich fürchte, in meinem Leben mehr als einmal Unwürdigen Wohlthaten erzeigt zu haben. Aber die christliche Liebe wird dadurch nicht geschändet.«

»Ach,« entgegnete Blifil, »Ihr adoptirter Sohn, jener 4 Jones, jene Schlange, die Sie am Busen nährten, ist einer der größten Schurken und Bösewichte geworden, welche die Erde trägt.«

»Bei allem, was heilig ist, das ist nicht wahr,« fiel Mad. Miller ein. »Herr Jones ist kein Bösewicht, sondern einer der achtungswürdigsten Menschen, die leben, und wenn irgend ein anderer als Sie ihn einen Bösewicht genannt hätte, würde ich ihm das ganze heiße Wasser in dem Theekessel da in das Gesicht gegossen haben.«

Herr Allworthy erstaunte sehr über dieses Benehmen, aber Mad. Miller ließ ihn nicht zu Worte kommen, sondern wendete sich an ihn und fuhr fort: »ich hoffe, Sie werden mir nicht zürnen; ich möchte Sie um keinen Preis beleidigen, aber wahrhaftig, ich konnte den Herrn Jones nicht so nennen hören.«

»Ich muß gestehen, Madame,« entgegnete Allworthy sehr ernst, »ich wundere mich ein wenig, einen Menschen, den Sie nicht kennen, so warm vertheidigen zu hören.«

»O, ich kenne ihn, Herr Allworthy,« fiel sie ein, »ich kenne ihn; ich müßte das undankbarste Weib sein, wenn ich es läugnen wollte. Ach, er ist mein und meiner Familie Retter gewesen; wir haben alle Ursache, ihm zu danken und ihn zu segnen so lange wir leben. Ich bitte den Himmel, ihm zu vergelten und die Herzen seiner boshaften Feinde zu bekehren. Ich weiß es, ich sehe es, daß er solche Feinde hat.«

»Sie überraschen mich noch mehr, Madame,« sagte Allworthy, »Sie müssen sicherlich einen Andern meinen. Sie können unmöglich gegen den, welchen mein Neffe erwähnt, solche Verpflichtungen haben.«

»Gewiß habe ich,« erwiederte sie, »die größten Verpflichtungen gegen ihn. Er ist mein und der Meinigen Retter gewesen. Glauben Sie mir, Herr, er ist verläumdet, 5 schwer verläumdet worden; ich weiß es, sonst würden Sie, ein so rechtliebender, so guter Mann, nach allem dem, was Sie mir von dem armen hilflosen Kinde gesagt, ihn nicht so verächtlich »einen Menschen« genannt haben. Wahrhaftig, mein bester Freund, er verdient eine freundlichere Benennung von Ihnen; hätten Sie nur gehört, was er Gutes, Liebes und Dankbares von Ihnen gesprochen hat. Er erwähnt Ihren Namen nie ohne eine Art Verehrung. Hier in diesem Zimmer hat er auf den Knieen gelegen und den Himmel um allen Segen für Sie angefleht. Ich liebe das Kind hier nicht mehr als er Sie liebt.«

»Ich sehe,« fiel Blifil mit einem teuflisch höhnenden Lächeln ein, »daß Mad. Miller ihn wirklich kennt. Nach einigen Andeutungen in ihren Worten hat er über mich schlecht gesprochen; ich vergebe es ihm.«

»Und der Herr vergebe Ihnen,« sprach Mad. Miller, »wir haben alle so viele Sünden begangen, daß wir seiner Gnade bedürfen.«

»Mad. Miller,« entgegnete Allworthy, »dieses Ihr Benehmen gegen meinen Neffen gefällt mir nicht und ich muß Sie versichern, daß, da Andeutungen gegen ihn nur von jenem schlechten Menschen ausgehen können, Sie meinen Unwillen gegen denselben wo möglich noch höher steigern werden; denn ich muß Ihnen sagen, Mad. Miller, der junge Mann, der da vor Ihnen sitzt, hat den Undankbaren, dessen Sie sich annehmen, immer warm vertheidiget. Dies wird Sie, da Sie es aus meinem eigenen Munde hören, in Staunen versetzen über seine Niederträchtigkeit und Undankbarkeit.«

»Sie sind getäuscht,« sprach Mad. Miller, »und wenn es meine letzten Worte wären, die von meinen Lippen gehen sollten, ich würde sagen, Sie sind getäuscht. Ich wiederhole es noch einmal, der Herr vergebe denen, von welchen Sie 6 hintergangen worden sind. Ich will nicht sagen, daß der junge Mann ohne Fehler wäre; aber es sind Fehler des Jugendübermuthes; Fehler, die er sicherlich ablegen wird und die, sollte es auch nicht geschehen, reichlich durch das menschenfreundlichste, liebevollste, theilnehmendste Herz aufgewogen werden.«

»Wäre mir es erzählt worden, daß Sie so etwas gesagt, ich würde es nicht geglaubt haben,« fiel Allworthy ein.

»Sie werden alles glauben, was ich gesagt habe, gewiß, und wenn Sie die Geschichte gehört haben werden, die ich Ihnen erzählen will (denn ich will Ihnen alles erzählen), so werden Sie zugestehen (ich kenne Ihre Gerechtigkeitsliebe), daß ich das verächtlichste und undankbarste Weib sein müßte, wenn ich anders gehandelt hätte als ich gehandelt habe.«

»Nun wohl,« entgegnete Allworthy, »ich werde mich freuen, eine gute Entschuldigung für das Benehmen zu hören, das allerdings einer Entschuldigung bedarf. Jetzt aber lassen Sie meinen Neffen erst weiter erzählen. Er würde etwas Geringfügiges nicht mit einer solchen Vorrede eingeleitet haben. Vielleicht heilt Sie sogar das, was er erzählt, von Ihrem Irrthume.«

Mad. Miller deutete an, daß sie sich füge und Herr Blifil begann wie folgt: »wenn Sie es nicht für passend halten, das Benehmen der Mad. Miller zu rügen, ich meines Theils vergebe ihr gern, was mich angeht. Doch glaube ich, daß Ihre Güte eine so unwürdige Behandlung nicht verdient habe.«

»Aber Kind,« fiel Allworthy ein, »was hat er neuerdings gethan?«

»Was er gethan hat?« entgegnete Blifil, »trotz allem, was Mad. Miller gesagt hat, thut mir es leid, es erzählen 7 zu müssen. Sie würden es von mir nicht erfahren haben, wäre es überhaupt vor der Welt zu verbergen. Um es kurz zu sagen, er hat einen Menschen getödtet, ich will nicht sagen gemordet, denn vielleicht wird es vor Gericht anders ausgelegt und ich hoffe um seinetwillen das Beste.«

Allworthy war sehr erschrocken und bekreuzigte sich; dann wendete er sich an Mad. Miller und fragte: »nun, was sagen Sie jetzt?«

»Ich sage,« antwortete sie, »daß mich nichts im Leben mehr betrübt hat, aber wenn auch die Sache wahr ist, so bin ich doch überzeugt, der Getödtete trug allein die Schuld. Der Himmel weiß, daß es viele böse Menschen in der Stadt giebt, die ein Geschäft daraus machen, junge Herren herauszufordern. Nichts als die größte Beleidigung kann ihn veranlaßt haben, denn keiner von allen den Herren, die ich in meinem Hause gehabt habe, ist so sanftmüthig und gutherzig gewesen. Er wird von allen im Hause und von allen, die ihn kennen lernten, geliebt.«

Während sie so sprach, wurde sie durch ein heftiges Klopfen an der Thüre unterbrochen und verhindert, weiter zu reden oder eine Antwort zu erhalten. Da sie meinte, es komme Jemand, um Herrn Allworthy zu besuchen, so entfernte sie sich schnell und nahm ihre kleine Tochter mit sich, deren Augen von Thränen überströmten bei der traurigen Nachricht von Jones, der sie nicht nur sein Frauchen nannte, sondern ihr auch manches Spielzeug gab und Stunden lang selbst mit ihr spielte.

Einigen Lesern gefallen vielleicht diese kleinlichen Umstände, bei deren Erwähnung wir dem Beispiele Plutarchs folgen, Eines der besten unserer Mitgeschichtschreiber; Andere, denen sie trivial vorkommen mögen, verzeihen sie wenigstens, da wir bei solchen Gelegenheiten nie weitläufig sind.


 << zurück weiter >>