Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Zehntes Kapitel.

Die Geschichte nähert sich dem Ende.

Als Allworthy in seine Wohnung zurück kam, hörte er, Jones sei eben vor ihm angekommen. Er eilte deshalb sogleich in ein leeres Zimmer und befahl, Jones allein dahin zu senden.

Eine zärtlichere und rührendere Scene als die Zusammenkunft des Oheims und Neffen (denn Mad. Waters hatte ihm, wie sich der Leser wohl denken kann, bei ihrem letzten Besuche das Geheimniß seiner Geburt mitgetheilt) läßt sich nicht denken. Die ersten Ausbrüche der Freude, welche beide empfanden, vermag ich nicht zu beschreiben und werde es deshalb gar nicht versuchen. Nachdem Allworthy Jones, der vor ihm auf die Knie gesunken war, aufgehoben und in seine Arme geschlossen hatte, rief er aus: »ach, mein Sohn, wie Unrecht habe ich Dir gethan! Wie sehr bin ich zu tadeln! Wie vermag ich jemals den ungerechten Verdacht, den ich hegte, und alle die Leiden, die er Dir verursachte, wieder gut zu machen?«

»Ist nicht alles wieder gut gemacht?« entgegnete Jones, »bin ich nicht für meine Leiden, und wären sie zehnmal größer gewesen, jetzt reichlich entschädiget? Ach, theurer Oheim, diese Güte, diese Liebe überwältiget mich, drückt mich zu Boden. Ich kann das Entzücken nicht ertragen, das meine Brust erfüllt. Wieder von Ihnen und in Ihre Gunst aufgenommen, freundlich wieder aufgenommen zu sein von meinem edeln, meinem großen Wohlthäter!«

»Ich habe Dich wirklich grausam behandelt, Kind,« entgegnete Allworthy. Und er setzte ihm dann die Verrätherei Blifils auseinander und wiederholte die Ausdrücke 113 seines Bedauerns darüber, daß er sich habe durch solchen Verrath verleiten lassen, ihn so schlecht zu behandeln. »Sprechen Sie nicht so,« entgegnete Jones, »Sie haben sehr edel an mir gehandelt. Der weiseste Mensch hätte können hintergangen werden, wie Sie es wurden und bei solcher Täuschung müßte der Beste so gehandelt haben, wie Sie handelten. Ihre Güte zeigten Sie bei allem Ihrem Unwillen, so gerecht er damals auch zu sein schien. Ich verdanke alles dieser Güte, der ich mich völlig unwürdig gezeigt habe. Gehen Sie in Ihrem Edelmuthe nicht zu weit, Sie zwingen mich sonst, mich selbst anzuklagen. Ach, ich bin nicht härter gestraft worden als ich es verdiente, und mein ganzes Bestreben in der Zukunft soll dahin gerichtet sein, das Glück zu verdienen, das Sie mir jetzt gewähren, denn, glauben Sie mir, theurer Oheim, die Strafe, die mich getroffen hat, ist nicht nutzlos gewesen. Wenn ich auch ein großer Sünder gewesen bin, so war ich doch kein verstockter; Gott sei Dank, ich habe Zeit gehabt, über mein früheres Leben nachzudenken, in welchem ich mich zwar keines groben Verbrechens schuldig gemacht habe, wohl aber Thorheiten und Vergehen mehr als genug, die ich zu bereuen, deren ich mich zu schämen habe, Thorheiten, die schreckliche Folgen für mich selbst gehabt und mich an den Rand des Verderbens gebracht haben.«

»Ich freue mich, mein lieber Sohn, Dich so verständig reden zu hören, denn da ich überzeugt bin, daß Heuchelei (guter Gott, wie bin ich durch die Heuchelei Anderer getäuscht worden!) zu Deinen Fehlern nicht gehört, so kann ich alles, was Du sagst, bereitwillig glauben. Du siehst nun, Tom, in welche Gefahren Unklugheit allein die Tugend bringen kann (ich bin überzeugt, daß Du die Tugend in hohem Grade liebst). Klugheit ist eine Pflicht, die wir uns selbst schuldig sind, und wenn wir so sehr unsere eigenen 114 Feinde sind, daß wir sie vernachlässigen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Welt ihre Pflicht gegen uns nicht oder lässig erfüllt, denn wenn jemand den Grund zu seinem eigenen Unglücke legt, bauen leider Andere gar zu gern darauf fort. Du sagst indeß, Du hättest Deine Fehler eingesehen und willst sie ablegen. Ich glaube Dir, mein lieber Sohn, und deshalb sollst Du von diesem Augenblicke an durch mich nie wieder daran erinnert werden. Gedenke Du ihrer insoweit, daß Du in Zukunft sie vermeidest; vergiß aber auch nicht, daß ein großer Unterschied ist zwischen den Fehlern, welche man vielleicht Unklugheit nennen kann, und jenen, die nur aus schlechtem Herzen hervorgehen. Die ersteren stürzen den Menschen vielleicht häufiger und leichter in das Unglück, wenn er sie aber ablegt, so kann er mit der Zeit sie gänzlich vergessen machen; die Welt wird sich, wenn auch nicht augenblicklich, mit ihm wieder aussöhnen und er kann nicht ohne eine Beimischung von Vergnügen an die Gefahren zurückdenken, denen er entgangen ist; Schlechtigkeit aber und Bosheit ist, wenn einmal entdeckt, nicht wieder gut zu machen; die Flecken, welche sie zurückläßt, wischt die Zeit nicht rein. Der Tadel der Menschen verfolgt den Elenden, ihre Verachtung drückt ihn nieder, wo er öffentlich erscheint und wenn ihn die Schaam in die Einsamkeit treibt, findet er dort alle Schrecken, vor denen sich ein Kind scheut, das nicht allein zu Bett zu gehen wagt. Sein gemordetes Gewissen verfolgt ihn überall hin. Die Ruhe weicht von ihm wie ein falscher Freund. Wohin er seine Augen wendet, überall erblickt er Schrecken; schaut er rückwärts, so erblickt er nutzlose Reue hinter sich; schaut er vorwärts, so stiert ihm unheilbare Verzweiflung in das Gesicht, bis er gleich einem verurtheilten Gefangenen in dem Kerker seinen gegenwärtigen Zustand verabscheut und doch die Folgen jener Stunde fürchtet, 115 die ihn davon befreien soll. Tröste Dich, mein Sohn, damit, daß Du nicht in diesem Falle bist, und freue Dich mit dankerfülltem Herzen gegen den, welcher Dich Deine Verirrungen erkennen ließ, bevor sie jenes Verderben über Dich brachten, in das Dich ein Verharren selbst in jenen Verirrungen nothwendig zuletzt hätte stürzen müssen. Du hast sie abgelegt und die Aussicht vor Dir ist jetzt von der Art, daß das Glück in Deiner Hand zu ruhen scheint.«

Bei diesen Worten seufzte Jones tief und als Allworthy ihn über den Grund befragte, antwortete er:

»Ich will Ihnen nichts verheimlichen; ich fürchte, eine Folge meiner Vergehen ist nicht wieder gut zu machen. Ach, theurer Oheim, ich habe einen großen Schatz verloren.«

»Du brauchst nicht mehr zu sagen,« antwortete Allworthy, »und ich will offen gegen Dich sein; ich weiß, was Du beklagst; ich habe die junge Dame gesehen und mit ihr über Dich gesprochen, und ich muß darauf bestehen, daß Du, zum Beweise der Aufrichtigkeit alles dessen, was Du gesagt hast, und der Festigkeit Deines Entschlusses, mir in dem einen Falle gehorchst, – Dich nämlich ganz in den Entschluß der jungen Dame fügst, er mag zu Deinen Gunsten sein oder nicht. Sie hat bereits genug durch Bewerbungen gelitten, an die ich ungern denke; sie soll durch meine Familie nicht weiter belästiget werden, zumal da ihr Vater sie Deinetwegen gewiß eben so peiniget, als er sie früher wegen eines andern gepeiniget hat; aber ich bin entschlossen, sie keine weitere Einsperrung, keinen Zwang leiden zu lassen.«

»Ach, lieber Oheim,« antwortete Jones, »geben Sie mir einen Befehl, durch dessen Befolgung ich mir ein Verdienst erwerbe. Glauben Sie mir, der einzige Fall, in welchem ich Ihnen ungehorsam sein würde, wäre der, daß 116 ich meiner Sophie einen Augenblick Unruhe und Angst bereiten sollte. Wenn ich so beklagenswerth bin, mir ihr Mißfallen in dem Maße zugezogen zu haben, daß ich auf Verzeihung nicht mehr hoffen kann, so überwältiget mich schon dies und der Gedanke, ihr weh zu thun. Sophien mein zu nennen, ist das größte Glück, was mir der Himmel noch gewähren kann, aber ein Glück, das ich ihr allein verdanken muß.«

»Ich will Dir keine Hoffnungen machen, mein Sohn,« sagte Allworthy, »ich fürchte, Deine Sache steht schlecht; ich sah niemals stärkere Zeichen eines unabänderlichen Entschlusses an einer Person als die, welche sich in ihrer heftigen Erklärung gegen eine Bewerbung von Deiner Seite aussprach, was Du Dir wahrscheinlich leichter erklären kannst als ich.«

»Ich kann mir es nur zu wohl erklären,« antwortete Jones, »und so schuldig ich bin, so kommt ihr meine Schuld leider noch zehnmal größer vor als sie wirklich ist. Ach, theurer Oheim, die Folgen meiner Thorheit sind nicht wieder gut zu machen und Ihre Güte, so groß sie auch ist, kann mich vom Verderben nicht retten.«

Ein Diener zeigte ihnen jetzt an, daß Herr Western unten sei; seine Sehnsucht, Jones zu sehen, ließ sich nicht bis zum Nachmittage beschwichtigen. Jones, in dessen Augen Thränen standen, ersuchte seinen Oheim, Western einige Minuten hinzuhalten, bis er sich wieder ein wenig gesammelt haben würde, was der gute Mann gern versprach. Nachdem er befohlen hatte, Herrn Western in das Gesellschaftszimmer zu führen, ging er selbst hinunter zu ihm.

Kaum hatte Mad. Miller gehört, daß Jones allein sei (sie hatte ihn seit seiner Freilassung aus dem Gefängnisse nicht gesehen), so kam sie in das Zimmer, trat auf Jones zu, gratulirte ihm herzlich zu dem neugefundenen Oheime 117 und der glücklichen Aussöhnung und setzte hinzu: »ich wünschte, ich könnte Ihnen auch noch wegen eines andern Umstandes gratuliren; aber ich habe nie eine unerbittlichere Person gesehen.«

Jones fragte mit anscheinender Verwunderung, was sie meine. »Nun,« antwortete sie, »ich bin bei Ihrer Dame gewesen und habe ihr alles erklärt, wie mein Sohn Nightingale mir die Sache erzählte. Ueber den Brief kann sie nicht länger in Zweifel sein, denn ich sagte ihr, mein Sohn Nightingale sei bereit, zu schwören, wenn sie es wünsche, daß alles seine Erfindung gewesen sei und er den Brief angegeben habe. Ich sagte, gerade das Uebersenden des Briefes müsse Sie ihr noch lieber machen, da es ihretwegen geschehen und ein deutlicher Beweis sei, daß Sie in Zukunft Ihre Ausschweifungen meiden wollten und Sie hätten sich, seit sie in der Stadt sei, keiner einzigen Untreue gegen sie schuldig gemacht. Dabei bin ich nun wohl, wie ich fürchte, zu weit gegangen; der Himmel verzeihe mir; Ihr künftiges Benehmen aber wird mich rechtfertigen. So habe ich ihr alles gesagt, was ich sagen konnte; aber es half nichts. Sie bleibt unerbittlich. Sie sagte, sie habe viele Fehler der Jugend wegen vergeben, äußerte aber solchen Abscheu vor dem Charakter eines Wollüstlings, daß ich durchaus nichts gegen sie sagen konnte. Ich versuchte oftmals Sie zu entschuldigen, aber gegen ihre Anklage vermochte ich nichts. Sie ist wahrhaftig ein höchst liebenswürdiges Mädchen. Für einen Ausdruck, den sie brauchte, hätte ich sie küssen mögen. »Ich glaubte einmal,« sagte sie, »große Herzensgüte an Herrn Jones entdeckt zu haben und deshalb achtete ich ihn hoch, ich gestehe es: aber Sittenlosigkeit verdirbt auch das beste Herz und ein gutmüthiger Wüstling kann weiter nichts erwarten, als daß wir einiges Mitleiden 118 in unsere Verachtung und unsern Abscheu mischen. Sie ist ein wahrer Engel.«

»Ach, Mad. Miller,« antwortete Jones, »und kann ich den Gedanken ertragen, einen solchen Engel verloren zu haben?«

»Verloren! Nein,« entgegnete Mad. Miller, »ich hoffe noch immer, daß Sie das Mädchen nicht verloren haben. Lassen Sie ab von Ihrer lasterhaften Lebensweise und Sie dürfen noch hoffen, und wenn sie unerbittlich bleiben sollte, so kenne ich eine andere junge Dame, eine sehr hübsche junge Dame mit einem großen Vermögen, die zum Sterben in Sie verliebt ist. Ich hörte es diesen Morgen und sagte es dem Fräulein Western; ja, ich ging auch etwas über die Wahrheit hinaus, denn ich setzte hinzu, Sie hätten die Hand derselben ausgeschlagen; aber ich weiß, daß Sie dieselbe ausschlagen würden. Und hier kann ich Ihnen etwas Tröstliches melden; als ich den Namen der jungen Dame erwähnte, die hübsche Wittwe Hunt nämlich, wurde sie blaß, und als ich sagte, Sie hätten die Hand derselben ausgeschlagen, erröthete sie über und über und sagte sodann: »ich will nicht läugnen, daß ich glaube, er liebt mich.««

Hier wurde das Gespräch durch Western unterbrochen, der selbst nicht durch Allworthy länger zurückgehalten werden konnte, obgleich dieser, wie wir oft gesehen haben, einen bewundernswürdigen Einfluß auf ihn hatte.

Western ging sogleich auf Jones zu und sagte: »alter Freund Tom, ich freue mich, Gott straf' mich, daß ich Dich wieder sehe. Was geschehen, ist vergessen. Beleidigen wollte ich Dich nicht, weil ich, wie Allworthy da weiß und wie Du es selbst weißt, Dich für eine ganz andere Person hielt; und wenn man's nicht so böse meint, sieht man auf ein Paar unbedachte Worte nicht so genau. Ein Christ muß vergeben und vergessen.«

119 »Ich werde,« entgegnete Jones, »niemals die vielen Verbindlichkeiten vergessen, die ich Ihnen schuldig bin; daß Sie mich aber beleidiget haben, weiß ich nicht.«

»So gieb mir die Hand; Du bist ein lieber und ehrlicher Kerl. Komm mit mir, ich führe Dich gleich zu Deinem Schatze.«

Allworthy trat hier dazwischen und der Squire mußte, da er weder den Oheim noch den Neffen überreden konnte, nach einigem Streite nachgeben und einwilligen, daß Jones Sophien erst am Nachmittage vorgestellt würde, zu welcher Zeit Allworthy sowohl aus Mitleiden mit Jones als um den eifrigen Wunsch Westerns zu erfüllen, zum Thee zu kommen versprach.

Das Gespräch, das darauf folgte, war allen recht angenehm und wir würden es unsern Lesern mitgetheilt haben, wenn es früher in unserer Geschichte vorgekommen wäre; da wir jetzt aber nur Zeit haben, auf das zu achten, was wesentlich ist, so wird es genug sein zu erwähnen, daß Western wieder nach Hause ging, nachdem man über den Nachmittagsbesuch völlig ins Reine war.


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