Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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128 Zwölftes Kapitel.

Die Geschichte kommt dem Schlusse noch näher.

Nachdem Jones vollständig angekleidet war, begleitete er seinen Oheim zu Western. Er war wirklich einer der schönsten Männer, die man jemals gesehen und seine Persönlichkeit schon würde die meisten Frauenzimmer bestochen haben, wir hoffen indeß, wie es sich aus unserer Geschichte bereits ergeben hat, daß die Natur, als sie ihn schuf, sich nicht blos, wie es bisweilen geschieht, auf dieses Verdienst beschränkte.

Sophie hatte sich, so zornig sie auch war, ebenfalls auf das vortheilhafteste gekleidet, was ich meinen Leserinnen zu erklären überlasse, und war so schön, daß selbst Allworthy, als er sie erblickte, nicht umhin konnte, Western zuzuflüstern, er halte sie für das schönste Mädchen im Lande. Darauf antwortete Western in einem Flüstern, das alle Anwesende verstehen konnten: »um so besser für Tom, denn der Teufel soll mich reiten, wenn er sie nicht bekommt.« Sophie wurde über und über roth bei diesen Worten, während Jones leichenblaß dastand und sich kaum aufrecht erhalten konnte.

Kaum war der Thee getrunken, als Western Allworthy aus dem Zimmer hinauszog und ihm sagte, er habe über wichtige Angelegenheiten mit ihm zu reden und müsse dies sogleich thun, damit er nichts vergesse.

Die Liebenden waren nun allein und manche Leser werden es ohne Zweifel seltsam finden, daß die, welche einander so viel zu sagen hatten, als es ihnen so schwer gemacht wurde und als so große Gefahren damit verbunden waren, 129 und die einander in die Arme zu sinken strebten, als ihnen so viele Hindernisse entgegen standen, jetzt, da sie in aller Ruhe und Sicherheit sagen und thun konnten, was ihnen beliebte, eine ziemliche Zeit lang schweigend und bewegungslos dasaßen, so daß ein Fremder hätte glauben können, sie wären einander völlig gleichgültig. Aber es war so, wie seltsam es auch scheinen mag; beide saßen mit niedergeschlagenen Augen da und sagten einige Minuten lang gar nichts.

Jones versuchte zwar einigemale zu sprechen, aber es war ihm völlig unmöglich und er murmelte oder seufzte vielmehr nur einige unverständliche Worte, bis Sophie, theils aus Mitleiden mit ihm, theils um das Gespräch von dem Gegenstande abzubringen, den er, wie sie wohl wußte, berühren wollte, endlich begann:

»Sie sind gewiß der glücklichste Mensch in der Welt nach dieser Entdeckung.«

»Können Sie mich wirklich für so glücklich halten,« entgegnete Jones seufzend, »da ich mir Ihr Mißfallen zugezogen habe?«

»Sie wissen am besten, ob Sie dies verdient haben.«

»Sie kennen meine Schuld eben so wohl. Mad. Miller hat Ihnen die ganze Wahrheit gesagt. Ach, theuerste Sophie, darf ich nie auf Vergebung hoffen?«

»Ich glaube, Herr Jones, ich kann es auf Ihre eigene Gerechtigkeit ankommen lassen, das Urtel über Ihr Betragen zu sprechen.«

»Ich bitte Sie ja um Gnade, nicht um strenges Recht. Die Gerechtigkeit müßte mich verdammen, ich weiß es, aber nicht wegen des Briefes, den ich an Lady Bellaston schrieb. Ueber diesen haben Sie, wie ich feierlich betheuere, die richtige Erklärung erhalten.«

Er sprach sich dann darüber aus, wie ihn Nightingale sicher gestellt habe, mit ihr doch zu brechen, wenn die Dame 130 gegen ihre Erwartung seinen Antrag angenommen hätte, doch gestand er, daß er sich einer großen Indiscretion schuldig gemacht habe, ihr einen solchen Brief in die Hände zu geben, »für den ich durch den Eindruck, den er auf Sie gemacht hat, schwer genug büßen muß.«

»Ich will und kann über den Brief nicht anders urtheilen, als wie Sie es wünschen. Mein Verhalten, denke ich, beweist Ihnen deutlich, daß ich nicht glaube, es liege viel daran. Und doch, Herr Jones, habe ich nicht Ursache genug zu zürnen? Nach dem, was in Upton geschehen, so schnell ein neues Liebesverhältniß mit einer andern Frau anzuknüpfen, während ich glaubte und Sie versicherten, Ihr Herz blute meinetwegen! Kann ich hiernach Ihre Liebe zu mir für aufrichtig halten? Oder, wenn ich es kann, welches Glück darf ich mir von einem Manne versprechen, der solcher Unbeständigkeit fähig ist?«

»Zweifeln Sie nicht, theure Sophie, an der Aufrichtigkeit der reinsten Liebe, die jemals in einer menschlichen Brust gewohnt hat. Bedenken Sie meine unglückliche Lage, meine Verzweiflung. Hätte ich mir nur mit den entferntesten Hoffnung schmeicheln können, jemals wieder Gelegenheit zu finden, so wie jetzt vor Ihren Füßen nieder zu sinken, kein anderes Weib würde im Stande gewesen sein, mir einen Gedanken einzuflößen, den die strengste Keuschheit hätte verwerfen können. Unbeständigkeit der Liebe gegen Sie! Sophie, wenn Sie so viele Güte besitzen, das Vergangene zu verzeihen, so lassen Sie Ihre Gnade durch grausame Besorgniß wegen der Zukunft nicht ausschließen. Keine Reue kann aufrichtiger sein als es die meinige ist. Lassen Sie mich meinem Himmel in Ihrem Herzen wieder gewinnen.«

»Aufrichtige Reue, Herr Jones, wird dem Sünder Verzeihung erwerben, aber nur bei dem, welcher diese Reue 131 vollkommen beurtheilen kann. Der Mensch kann getäuscht werden und diese Täuschung läßt sich nicht unmöglich machen. Sie müssen deshalb erwarten, daß, wenn Ihre Reue mich bewegen soll, Ihnen Verzeihung zu gewähren, ich wenigstens die stärksten Beweise von Ihrer Aufrichtigkeit verlangen werde.«

»Nennen Sie irgend einen Beweis, den ich Ihnen geben kann,« fiel Jones eifrig ein.

»Die Zeit,« erwiederte sie, »nur die Zeit, Herr Jones, kann mich überzeugen, daß Sie wirklich Reue fühlen und entschlossen sind, von dem Laster zu lassen, um dessentwillen ich Sie verachten müßte, wenn ich Sie für fähig hielte, dabei zu verharren.«

»Glauben Sie das nicht,« sprach Jones. »Auf meinen Knien bitte und beschwöre ich Sie um Ihr Vertrauen, das zu verdienen ich mich stets bestreben werde.«

»Bestreben Sie sich eine Zeit lang, mir zu beweisen, daß Sie es verdienen. Ich glaube, Ihnen deutlich genug gesagt zu haben, daß Sie dies Vertrauen erhalten werden, sobald ich sehe, daß Sie es verdienen. Können Sie nach dem, was geschehen ist, erwarten, daß ich Ihnen auf Ihr Wort glaube?«

»Glauben Sie mir nicht auf mein Wort; ich habe eine bessere Bürgschaft, ein Pfand für meine Beständigkeit.«

»Und welches wäre dies?« fragte Sophie etwas verwundert.

»Das will ich Ihnen zeigen,« entgegnete Jones, indem er ihre Hand ergriff und sie vor den Spiegel führte. »Da, sehen Sie es in dieser lieblichen Gestalt, in diesem Gesichte, in diesen Augen, in der Seele, die aus diesen Augen spricht! Kann der Mann, der diese besitzt, unbeständig und untreu sein? Unmöglich, theure Sophie, und Sie würden 132 nicht zweifeln, wenn Sie diese Reize mit andern als Ihren eigenen Augen sehen könnten.«

Sophie erröthete und lächelte halb, bald aber gab sie ihrem Gesichte wieder einen ernsten Ausdruck und sagte: »Wenn ich die Zukunft nach der Vergangenheit beurtheilen soll, so wird mein Bild in Ihrem Herzen nicht fester haften, sobald ich aus Ihren Augen bin, als in diesem Spiegel, wenn ich aus dem Zimmer gehe.«

»Beim Himmel, bei allem, was heilig ist, es ist nie aus meinem Herzen gewichen; das zarte Gefühl Ihres Geschlechtes kann das grobe des unserigen nicht begreifen und nicht einsehen, wie wenig eine Art Liebe mit unserm Herzen zu schaffen hat.«

»Ich werde meine Hand nie einem Manne geben,« sprach Sophie sehr ernst, »der nicht eben so unfähig ist, wie ich, einen Unterschied zwischen Liebe und Liebe zu machen.«

»Ich bin bereits so weit gekommen,« entgegnete Jones. »In dem Augenblicke, da ich hoffen konnte, meine Sophie könnte meine Gattin werden, erkannte ich es und alle übrigen Frauen machten eben so wenig Eindruck auf meine Sinne als auf mein Herz.«

»Die Zeit muß dies beweisen. Ihre Lage hat sich jetzt geändert, Herr Jones, und ich versichere Sie, daß ich mich sehr darüber freue. Es wird Ihnen jetzt nicht an Gelegenheit fehlen, mich zu sehen und mich zu überzeugen, daß auch Ihr Sinn sich geändert hat.«

»Wie soll ich Ihnen, Engel, für Ihre Güte danken! Und Sie gestehen, daß Sie sich über mein Glück freuen? Glauben Sie mir, es hat Werth für mich, seit Sie mir diese Hoffnung gegeben haben. Lassen Sie diese Hoffnung nicht zu fern sein. Ich werde Ihren Befehlen Folge leisten und nicht weiter in Sie dringen, als Sie erlauben. Aber 133 setzen Sie eine kurze Prüfungszeit; wann werde ich hoffen dürfen, daß Sie von dem, was wirklich wahr ist, überzeugt sind?«

»Wenn ich freiwillig so weit gegangen bin, Herr Jones, so erwarte ich auch, nicht gedrängt zu werden.«

»Ach, blicken Sie mich nicht so unfreundlich an. Ich werde, ich darf Sie nicht drängen; aber bestimmen Sie wenigstens eine Zeit. Bedenken Sie die Ungeduld der Liebe!«

»Ein Jahr vielleicht,« sagte Sophie.

»Ach, theure Sophie, Sie haben eine Ewigkeit genannt.«

»Vielleicht wird es früher. Und wenn Ihre Liebe zu mir der Art ist, wie ich Sie wünsche, so werden Sie sich dabei beruhigen.«

»Beruhigen, Sophie! Nennen Sie mein Entzücken nicht mit einem so kalten Namen. O, wonnereicher Gedanke! Bin ich nicht versichert, daß jener gesegnete Tag kommen wird, an dem ich Sie mein nennen darf?«

»Dieser Tag liegt allerdings in Ihrer Hand.«

»Engel meines Lebens, diese Worte können mir durch die Freude den Verstand rauben und ich muß, ich werde diesen theuren Lippen danken, die mir so süßes Glück verheißen.«

Und er umschlang sie und küßte sie mit einer Wärme, wie er nie vorher gewagt hatte.

In diesem Augenblicke polterte Western, der eine Zeit lang draußen gehorcht hatte, herein und jubelte: »so ist's recht. Und die Sache ist abgemacht? Hat sie einen Tag genannt? Morgen oder heute noch? Eine Minute länger als bis morgen warte ich nicht.«

»Erlauben Sie mir, Herr Western . . .« fiel hier Jones ein.

134 »Erlauben hin, erlauben her,« rief Western, »ich glaubte, Du hättest mehr Feuer im Leibe, als daß Du Dich durch Mädchenziererei abhalten ließest. Ich sage Dir, Flausen. nichts als Flausen! Heute lieber als morgen feiert sie die Brautnacht. Nicht wahr, Sophie? Komm, gesteh' es und sei ein gutes Mädchen. Du hörst nicht? Warum sprichst Du nicht?«

»Warum soll ich gestehen, da mein Vater meine Gedanken so genau zu kennen scheint?«

»So bist Du ein gutes Mädchen, und Du willigst also ein?«

»Nein,« antwortete Sophie, »eine solche Einwilligung gebe ich nicht.«

»Du willst nicht morgen oder übermorgen?«

»Das ist mein Wille allerdings nicht.«

»Ich will Dir sagen, warum Du nicht willst; weil Du gern ungehorsam bist und nichts lieber thust, als Deinen Vater zu ärgern.«

»Herr Western, ich bitte . . .,« fiel Jones ein.

»Du bist eine Memme, sag' ich Dir. Als ich es ihr verbot, da seufzete und jammerte und ächzte und schrieb sie den ganzen Tag, und da ich nun will, mag sie nicht. Eigensinn ist es, nichts als Eigensinn. Sie will nicht, blos um mir zu widersprechen.«

»Was soll ich denn thun?« fragte Sophie.

»Was Du thun sollst? gleich den Augenblick sollst Du ihm die Hand geben.«

»Das thue ich gern,« antwortete Sophie. »Hier ist meine Hand, Herr Jones.«

»Und Du willst ihn morgen früh heirathen?«

»Ich werde Ihnen gehorchen.«

»Also morgen früh. Abgemacht!« rief Western.

135 »Ja, morgen früh, weil Sie es wünschen,« antwortete Sophie.

Jones sank auf seine Knie und küßte ihre Hand mit Entzücken, während der alte Western in dem Zimmer herumtanzte und sprang und endlich fragte: »wo zum Teufel ist denn Allworthy? Draußen steht er und schwatzt mir dem verfluchten Advokaten Dowling, während er sich um andere Dinge bekümmern sollte.« Darauf eilte er hinaus, um ihn zu holen und ließ zu recht gelegener Zeit die Liebenden für einige Minuten allein. Bald aber kam er mit Allworthy zurück und sagte: »wenn Sie mir nicht glauben wollen, so fragen Sie selbst. Hast Du nicht Deine Einwilligung gegeben, Sophie, morgen Dich mit ihm trauen zu lassen?«

»Sie haben so befohlen,« antwortete Sophie, »und ich wage nicht ungehorsam zu sein.«

»Ich hoffe,« sprach Allworthy, »mein Neffe wird so große Güte verdienen und gleich mir nie vergessen, welche große Ehre Sie unserer Familie erzeigt haben. Eine Verbindung mit einer so reizenden und vortrefflichen jungen Dame würde eine Ehre für die größte Familie in England sein.«

»Ja,« fiel Western ein, »wenn ich ihr aber ihren Willen gelassen hätte, würden Sie die Ehre doch noch nicht gehabt haben. Ich mußte meine väterliche Gewalt brauchen, um sie dazu zu bringen.«

»Das hoffe ich nicht,« entgegnete Allworthy, »ich hoffe vielmehr, sie hat ihre Einwilligung ohne allen Zwang gegeben.«

»Sie wird gleich widerrufen, wenn Sie es verlangen,« sagte Western. »Du bereust Dein Versprechen, nicht wahr, Sophie?«

136 »Ich bereue es nicht und glaube es nie bereuen zu müssen.«

»So wünsche ich Dir von Herzen Glück, lieber Neffe,« sagte Allworthy, »denn ich halte Dich nun für den glücklichsten Menschen. Und erlauben auch Sie mir, mein Fräulein, Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen? Ich bin überzeugt, Sie haben einen Mann gewählt, der Ihren Werth erkennen und wenigstens alles aufbieten wird, um dankbar dafür zu sein.«

»Alles aufbieten!« fiel Western ein, »das wird er gewiß. Allworthy, ich wette 50 gegen 1, daß wir morgen über neun Monate einen Jungen haben; aber nun sag' mir, Alter, was willst Du trinken? Burgunder? Champagner oder was sonst? Denn heute kaufe ich mir einen Haarbeutel.«

»Sie werden mich entschuldigen,« antwortete Allworthy, »ich war aber nebst meinem Neffen versprochen, ehe ich ahnte, daß sein Glück so nahe sei.«

»Versprochen! Nichts davon. Heute wirst Du mich nicht los. Du mußt bei uns essen.«

»Verzeihen Sie mir, werther Nachbar,« antwortete Allworthy, »ich habe mein Wort gegeben und das breche ich, wie Sie wissen, niemals.«

»Wem hast Du es gegeben?« fragte Western, und Allworthy nannte den Wirth wie die Gäste.

»Ich gehe mit,« fiel Western sogleich ein, »und Sophie geht auch mit, denn ich weiche heute nicht von Dir und ich bin auch nicht so grausam, Tom und das Mädchen jetzt zu trennen.«

Der Vorschlag wurde von Allworthy sogleich angenommen und Sophie willigte ein, nachdem ihr vorher ihr Vater versprochen hatte, von ihrer bevorstehenden Heirath nichts zu erwähnen.


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