Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Fünftes Kapitel.

Mad. Miller und Herr Nightingale besuchen Jones im Gefängnisse.

Als Herr Allworthy mit seinem Neffen zu Herrn Western ging, machte sich Mad. Miller nach der Wohnung ihres Schwiegersohnes auf, um ihm das Unglück zu melden, das Jones betroffen hatte; er aber hatte es schon längst durch Partridge erfahren (denn Jones hatte bekanntlich, als er von Mad. Miller auszog, eine Wohnung in einem und demselben Hause mit Nightingale erhalten). Die gute Frau fand ihre Tochter sehr betrübt wegen Jones, und um diese zu trösten, ging sie in das Gefängniß, wohin Nightingale bereits vorausgeeilt war.

Die Beständigkeit und Ausdauer eines wahren Freundes ist für Personen in Noth ein so höchst erfreulicher Umstand, 25 daß die Noth selbst, wenn sie nur eine temporäre ist und Abhilfe zuläßt, durch diesen Trost mehr als ausgeglichen wird. Auch sind Beispiele dieser Art nicht so selten, als manche oberflächliche und ungenaue Beobachter berichtet haben. Mangel an Mitleiden kann man, wenn man aufrichtig sein will, nicht zu unsern allgemeinen Fehlern zählen. Unser Hauptlaster ist der Neid. Deshalb richtet sich, fürchte ich, unser Auge selten zu denen, die offenbar größer, besser, klüger oder glücklicher sind als wir, ohne einen gewissen Grad von Böswilligkeit empor, während wir gewöhnlich nach unten auf die Niedrigstehenden und Unglücklichen mit hinreichendem Wohlwollen und Mitleiden blicken. Ich habe wirklich bemerkt, daß die meisten Mängel und Gebrechen, die sich bei den Freundschaften zeigten, welche ich beobachten konnte, blos aus dem Neide hervorgingen, einem höllischen Laster, von dem jedoch nur wenige gänzlich frei sind. Doch genug von diesem Gegenstande, der mich sonst zu weit abführen würde.

Ob das Schicksal fürchtete, Jones möchte unter der Last seines Unglücks zusammensinken und es könnte dadurch künftig die Gelegenheit verlieren, ihn zu quälen, oder ob es wirklich in seiner Härte und Strenge gegen ihn in etwas nachließ, genug es schien seine Verfolgung ein wenig einzustellen, indem es ihm die Gesellschaft zweier so treuer Freunde und, was vielleicht noch mehr ist, einen treuen Diener sandte; denn es gebrach Partridge, wenn er auch manche Mängel hatte, nicht an Treue und wenn er sich auch aus Furcht für seinen Herrn nicht würde haben hängen lassen, so glaube ich doch, daß die Welt ihn auch nicht vermögen konnte, ihn zu verlassen.

Während Jones seine große Freude über die Anwesenheit seiner Freunde aussprach, brachte Partridge die Nachricht, daß Herr Fitzpatrick noch lebe, wenn auch der Arzt 26 nur wenig Hoffnung habe. Jones seufzte tief und Nightingale sprach: »lieber Tom, warum wollen Sie sich über einen Vorfall betrüben, der, welche Folgen er auch haben mag, für Sie keine Gefahr bringen kann und bei dem Sie selbst vor Ihrem Gewissen nicht im mindesten zu tadeln sind? Was ist, wenn auch der Mensch sterben sollte, weiter geschehen, als daß Sie einem Taugenichts bei Nothwehr das Leben genommen haben? Dafür wird es der Ausspruch des Coroners gewiß erklären; dann werden Sie auf Bürgschaft leicht entlassen werden und wenn Sie sich auch der Förmlichkeit eines Verhöres aussetzen müssen, so würden doch viele ein solches Verhör sich leicht gefallen lassen.«

»Beruhigen Sie sich, Herr Jones,« setzte Mad. Miller hinzu. »Ich wußte es, daß Sie nicht der Angreifende gewesen und sagte es Herrn Allworthy, der Sie bald für unschuldig soll anerkennen müssen.«

Jones antwortete darauf, was auch sein Schicksal sein möge, er werde es immer beklagen, das Blut eines Mitmenschen vergossen zu haben, und dies für das höchste Unglück ansehen, das ihn betroffen. »Aber noch ein anderes Unglück habe ich zu bejammern. Ach, Mad. Miller, ich habe verloren, was mir das Theuerste auf Erden war.«

»Das muß eine Geliebte sein,« entgegnete Mad. Miller, »ich weiß mehr, als Sie glauben (Partridge hatte geplaudert), und habe mehr gehört, als Sie wissen. Die Sache steht besser, als Sie denken und ich gebe Herrn Blifil nicht vier Groschen für seine Aussicht, die Dame zu bekommen.«

»Sie kennen, liebe Freundin, die Ursache meiner Trauer durchaus nicht,« entgegnete Jones. »Wäre Ihnen die Geschichte bekannt, so würden Sie zugeben, daß kein Trost mehr geblieben ist. Von Blifil fürchte ich nichts. Ich habe mich selbst in das Unglück gestürzt.«

»Verzweifeln Sie nicht,« fuhr Mad. Miller fort, »Sie 27 wissen nicht, was ein Weib zu thun vermag und wenn etwas in meiner Macht steht, so werde ich es thun, um Ihnen gefällig zu sein. Es ist meine Pflicht. Mein Sohn, mein lieber Nightingale, der so freundlich ist und sagt, er sei Ihnen aus demselben Grunde Dank schuldig, weiß, es ist meine Pflicht. Soll ich selbst zu der Dame gehen? Ich will ihr Alles sagen, was ich ihr sagen soll.«

»Beste der Frauen,« entgegnete Jones, indem er ihre Hand ergriff, »sprechen Sie nicht von Dank gegen mich; aber, da Sie es einmal erwähnt haben, eine Gefälligkeit können Sie mir vielleicht erzeigen. Ich sehe, Sie kennen die Dame (wie Sie es erfuhren, weiß ich freilich nicht), die mir sehr am Herzen liegt. Wenn Sie es möglich machen könnten, ihr dies zu übergeben (er zog ein Papier aus der Tasche), würde ich Ihnen ewig dankbar sein.«

»Geben Sie her,« sagte Mad. Miller. »Wenn ich es nicht in ihrer Hand sehe, ehe ich schlafe, so soll mein nächster Schlaf der letzte sein. Trösten Sie sich, guter, junger Mann; nehmen Sie sich frühere Thorheiten zur Warnung und ich stehe dafür, daß alles gut geht und ich Sie noch glücklich sehe mit dem reizendsten Mädchen in der Welt, denn das soll sie sein, wie Jedermann sagt.«

»Glauben Sie mir,« entgegnete er, »ich rede nicht die gewöhnliche Sprache derer, die sich in meiner unglücklichen Lage befinden. Ehe dieses schreckliche Ereigniß eintrat, hatte ich mir vorgenommen, ein Leben aufzugeben, dessen Schlechtigkeit und Thorheit ich erkannt hatte. Ich versichere Sie, ich bin trotz den Störungen, die ich unglücklicher Weise in Ihrem Hause verursacht habe und um derentwillen ich Sie von Herzen um Verzeihung bitte, kein sittenloser, ausschweifender Mensch. Ob ich gleich in Laster hineingezogen wurde, bin ich doch nicht lasterhaft und werde es nie werden.«

28 Mad. Miller freuete sich sehr über diese Erklärung, an deren Aufrichtigkeit sie, wie sie versicherte, durchaus nicht zweifelte. Das weitere Gespräch bestand in den vereinten Bemühungen der guten Frau und des Herrn Nightingale, den Muth des armen Jones wieder aufzurichten, was ihnen in so weit gelang, daß sie ihn ruhiger verließen, als sie ihn gefunden hatten. Zu dieser glücklichen Umwandlung hatte nichts so sehr beigetragen, als das freundliche Erbieten der Mad. Miller, den Brief an Sophien zu übergeben, was ihm auf keine andere Weise möglich gewesen sein würde, denn der schwarze Georg hatte, als er Partridge den letzten übergeben, hinzugesetzt, sie habe ihm, bei Strafe, die Sache ihrem Vater anzuzeigen, streng verboten, ihr eine Antwort zu bringen. Auch machte es einen wohlthätigen Eindruck auf ihn, daß er in der Frau, die wirklich eine sehr würdige und achtungswerthe Person war, eine so warme Vertheidigerin bei Allworthy gefunden.

Nachdem die Frau etwa eine Stunde bei ihm geblieben (Nightingale war weit länger da gewesen), nahmen sie beide Abschied und versprachen, bald zurück zu kommen. Mad. Miller setzte überdies hinzu, sie hoffe, ihm gute Nachricht von seiner Geliebten zu bringen und Nightingale erbot sich, wegen der Wunde Fitzpatricks Erkundigungen einzuziehen und wo möglich einige Personen ausfindig zu machen, die bei dem Vorfalle zugegen gewesen.

Mad. Miller machte sich sogleich auf den Weg zu Sophien, wohin wir sie begleiten wollen.


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