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Schluß.

Nachdem wir die verschiedenen Abtheilungen, in welchen der Flagellantismus sich geltend gemacht, historisch beleuchtet und auch theilweise bereits viele psychologische Andeutungen darüber unseren Gemälden beigefügt haben, wäre wohl eine genauere Auseinandersetzung dieses seltsamen Gebrauches, der in allen Geschichtsperioden und fast bei allen Völkern gang und gäbe, an seinem Orte. Allein um diese Aufgabe gehörig zu lösen, thäte es noth, noch mehr als eine Materie zu berühren, welche für zarte Ohren von kitzlicher Natur sich darstellen würden, und medicinische Punkte, welche gelehrte Aerzte, besonders gründlich aber der berühmte Meibomius entwickelt hat, müßten ebenfalls genauer untersucht werden. Hiezu fühlen wir keinen Beruf, da wir Gefahr laufen möchten, in ein uns fremdes Fach hinüberzuschweifen; wir begnügen uns daher mit einigen allgemeinen Andeutungen.

Der Flagellantismus ist, tiefer und genauer untersucht, aus physisch-sinnlichen und mystischen Elementen zusammengesetzt, und beruht auf einer Stimmung der Phantasie, welche mehr als irgend etwas anderes die genaue Verwandtschaft von Schwärmerei und Andächtelei Friedrich Schlegel behauptet sogar irgendwo in seinen Schriften: Religion sei Wollust und Wollust Religion. Trotz dem Frivolen dieses Satzes, liegt doch einige innere Wahrheit darin, insofern bei den religiösen Gefühlen die Phantasie über das Gemüth und das Gemüth über den Verstand schrankenlos vorherrscht., Grausamkeit und Wollust darthut. Schubert in seiner genialen Symbolik des Traumes hat diese Verwandtschaft am scharfsinnigsten beschrieben.

Die ersten Eindrücke, welche zum Flagellantismus hinführen, kommen gewöhnlich von der verkehrten Strafmethode aus der Jugendzeit her; diese unterhalten lebhaft Erinnerungen, welche von jener Periode eine eigenthümliche Farbe empfangen. Eine gewisse allgemeine Neugierde, nach der Beschaffenheit derjenigen körperlichen Formen, welche die Sitte zu verhüllen gebietet, ein anatomisch-plastischer Reiz, um mich so auszudrücken, ein Gefühl des Wohlbehagens am Schmerze des Andern hervorgegangen aus dem bösartigen Prinzipe, welches geheimnisvoll mit dem Guten in das Herz des Menschen sich theilt, und in bald feinerem, bald gröberem Egoismus sich ausspricht; eine Art Ironie der Wollust und Grausamkeit zugleich, welche mit den für das physische Auge nicht selten lächerlichen Konvulsionen und den Gebehrden des Mißhandelten einen, oft sich selbst unbewußten, Scherz treibt; dann wiederum, je nach der Beschaffenheit der auferlegten Züchtigung, eine durch den Anblick enthüllter, reizender Formen geweckte künstlerische Beschaulichkeit (bei beiden Geschlechtern), eine mit dem Schönheitssinn in Verbindung stehende Schwelgerei des Gesichts- und Gefühls-Organes, so wie eine Art von Humorismus des Geschechtstriebes Ein berühmter und in der Meinung hochgestellter deutscher Fürst des 18. Jahrhunderts, welcher in seine junge und schöne Gemahlin ausserordentlich verliebt war, fand sie niemals liebenswürdiger, als wenn er sie nach Noten mit der Ruthe durchgestäupt hatte. Sie erhielt – denn sie selbst empfand geringen Spaß an der Sache – unter dieser Bedingung alles, was sie von ihm verlangte. Was ihn am meisten dabei gereitzt haben soll, war die Verwandlung des Incarnates der Haut. Stundenlang betrachtete er die also colorirten Reize und konnte sich nicht satt daran sehen. Aehnliche Dinge erzählt Brantôme in seinem Dames galantes. zeigen sich bei dem aktiven Theile; bei dem passiven, nämlich da wo die Flagellation aus Mysticismus oder Manie durch sich selbst oder andere vorgenommen wird, und namentlich in der Mönchsdisciplin in so seltsamen und mannigfachen Variationen vorkömmt, dagegen gewahrt man bei sorgfältigem Studium der menschlichen Natur ebenfalls einen wollüstigen Reiz, bewirkt durch den rascheren Kreislauf des Blutes, welcher, in Folge der Streiche (wenigstens der mit feineren Werkzeugen ausgetheilten), sich einstellt, ein Rückdrängen der Lebensgeister nach dem Gehirn; wo sie ihren Ursprung genommen, und ein künstlicher Zuwachs oder eine sanfte und angenehme Verflüchtigung derselben Vgl. Boileau in dem letzten Kapitel.), ferner eine, namentlich bei den schon durch das Nennen des Werkzeuges zum Erröthen gebrachten Frauenzimmern, lüsterne Zweideutigkeit in dem Worte virga; ein mystisches, aus Sinnlichkeit und Phantasie zusammengesetztes Gefühl von Verdemüthigung unter die Gewalt eines Stärkeren, von Zurückversetzung seiner Persönlichkeit in das kindische Alter; sodann eine tiefe Schaam und Freude zugleich über die zugefügte Mißhandlung und ein religiöses Vorurtheil über das gottgefällige Tilgen irdischer Vergehen durch freiwillige oder von andern verursachte Schmerzen, oft auch eine gemischte Empfindung über die vermeintliche Bändigung der irdischen Natur; sodann kömmt noch das Geheimniß des thierischen Magnetismus hinzu, welcher die durch Zerquälung des Körpers und Aufreizung der Lebensgeister gesteigert und völlig metamorphosirte Phantasie zu Bildern und Vorstellungen hintreibt, welche in dem gewöhnlichen sich nicht zeigen. Es ist dieß eine merkwürdige Erscheinung, welche namentlich in dem Leben und in dem Ideengang der großen Mystiker Damiani, Franz von Assisi, der heiligen Brigitta, Hildegard, Theresia u. s. w., Taulers, Thomas a Kempis, Heinrich Suso u. A. überrascht. Sie ist gleichsam eine grausam-feine Persiflage und Rache, die der Verstand sich dafür nimmt, daß er für die vorwiegenden Gemüthskräfte seiner Herrschaft beraubt worden. Sie theilt sich jedoch in zwei verschiedene Richtungen; die eine geht, was den Zweck betrifft, nach dem Geistigen, Himmlischen und Göttlichen und ist ein frommer Selbstbetrug, welcher jedoch für die Verheerungen, die er anrichtet, die moralische Kraft stärkt und festiget; die andere neigt sich nach dem Thierischen, nach dem Sinnengenuß, veredelt durch eine gewisse Poesie, welche für eine Zeit lang Sinne und Phantasie steigert, jedoch Körper und Geist zugleich durch eine Art geistiger Selbstbefleckung zu Grunde richtet; die erste gehört dem Mysticismus im eigentlichen Sinne, die andere dem an, was man Manie zu nennen pflegt. Diese letztere wird meistens entweder zu einer unheilbaren Krankheit oder sie löst sich in grobe Libertinage, in Cynismus und in eine Grausamkeit auf, die, wo sie keine fremde Subjekte findet oder begehrt, gegen sich selber wüthet. Die Annalen der Medizin sind voll der frappantesten Beispiele hievon und viele der geistreichsten Männer und Frauen sind dem Uebel unterworfen gewesen; man vergleiche nur, was Cölius Rhodiginus, Meugbus von Faenza, Picus Mirandula, Otto von Brunsfeld, Meibomius und Boileau, Gretzer Höchst merkwürdig sind die sorgfältigen Untersuchungen von Gretzer, Boileau, Thiers u.A. über den größeren oder geringeren Schaden des Geisselns auf den obern oder untern Theil des menschlichen Körpers bei Männern und Frauen; die einen Aerzte, welche sie deßhalb konsultirten, sprachen sich für diese, die andern für jene Methode aus. u.A. darüber mittheilen. Am meisten findet man es bei den Italienern. Häufiger geschah jedoch die Sache aus medicinischen Gründen zur Abtreibung von Hindernissen der Fruchtbarkeit bei Leuten beiderlei Geschlechts, und es waren namentlich arabische Aerzte und die zu Salerno, welche sie als Rezept verschrieben. Unter den berühmten Personen, welche man als in solche Kategorie verfallen, aufgezählt hat, befindet sich auch der Herzog Alfonso II., Tasso's Protektor und Peiniger. Von seinen drei schönen Frauen Virginia von Medicis, Margherita von Gonzaga und Barbara d'Austria, konnte er kein Kind gewinnen, auch behauptet man, daß er selbst den Beischlaf nicht früher vollziehen gekonnt, als nach vorgenommener heftiger Geisselung. Das Gleiche erzählt man von der Herzogin Leonore von Mantua, welche völlig starr und unempfindlich in den Umarmungen ihres Mannes erst dann die Bestimmung ihres Geschlechtes erfüllen gekonnt, nachdem sie auf den Rath eines arabischen Arztes von der Hand ihrer Mutter mit Ruthen gepeitscht worden war. Jetzt erst durchströmten sie die erwärmenden Lebensgeister; eine Fülle von nie gekannten Empfindungen ergriffen sie und die Natur trat in ihre volle Rechte. Was hier rein medizinisch und für einen anständigen Zweck angewendet wurde, griff die Libertinage später als Erregungsmittel zu Steigerung thierischer Begierden auf, oder vielmehr, was die Chronique scandaleuse schon aus den Zeiten des Alterthums berichtet hatte, ward, besonders nachdem Giulio Romano und Pietro Aretino ein so abscheuliches Beispiel gegeben, von gewissenlosen italienischen und französischen Belletristen und Künstlern zum Verderben der Sittlichkeit in neuer Form ausgeprägt und unter das Publikum verbreitet. Die italienischen Damen, durch die Klostererziehung dazu vorbereitet, durch die Jesuiten geleitet und durch schlüpfrige Lektüre zu allerlei schlüpfrigen Phantasieen verführt, spielen eine bedeutende Rolle hiebei. Doch wir wenden uns mit Abscheu von diesem Schmutz der Sittengeschichte, bei welchem der päpstliche Hof und jener der Medizäer vor allen andern prangte, und die Höfe der Regenten von Orleans und Ludwig XV. würdig nachfolgten. Man begreift die Gräuel der Revolution, wenn man die Kloaken jener Periode auch nur oberflächlich kennen gelernt hat.

Die Flagellation als Manie betrachtet, könnten wir von lebenden oder vor Kurzem gestorbenen Personen einen äußerst anziehenden Kranz von Novellen mittheilen, welche uns von ausgezeichneten Aerzten erzählt worden sind; allein die Rücksicht auf manche Verhältnisse bestimmt uns, darüber den Vorhang zu ziehen. Nach allem dem, was wir in unserem Werke angeführt, müssen wir besonders den Wunsch ausdrücken, die körperliche Züchtigung aus den Beichtstühlen und Kongregationen, aus der Pädagogik und den Gefängnissen, als gefährlich für Gesundheit, Sittlichkeit und Schicklichkeit zugleich, aus den Kasernen aber, als entehrend für die menschliche Würde, völlig verschwinden zu sehen.


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