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XIV.
Geisselbrüderschaften in Frankreich, nach der Reformation und in den neueren Zeiten.

Das Beispiel Italiens und Deutschlands ward auch in Frankreich nachgeahmt, oder gleichzeitig befolgt. Bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts und noch mehr gegen das Jahr 1468 fand man zu Avignon graue Büßende (Pénitens gris d'Avignon). Allein im sechszehnten Jahrhundert, gleich als wollte man die Aufklärung desselben erst recht verhöhnen, entstanden eine ganze Reihe von Buß-Gesellschaften unter den verschiedensten Namen. Es gab weiße, schwarze und graue Büßende. Der Süden des Königreichs zeichnete vor allen Provinzen darin sich aus; doch blieb selbst die Hauptstadt von derlei Thorheiten nicht verschont.

Die seltsamste Erscheinung war wohl die Erscheinung des lüderlichen Königs Heinrich III. nach seiner Rückkehr aus Polen, in den Reihen der Büßenden, bei denen er zuerst blos als Bruder sich einschreiben ließ, später aber eine Hauptrolle spielte. Im December 1574 ging es besonders toll in Avignon her. Die Königin Mutter, welche gleich anfänglich ebenfalls Theil daran nehmen wollte, aber von ihrem Sohne abgehalten worden war, hatte nichts desto weniger sich später an die Spitze der einen von den drei bestehenden Geißler-Sodalitäten, (nämlich an die der schwarzen) gestellt, während der König an der Spitze der weißen und der Kardinal d'Arnogene an jener der blauen stand. Lyon und Toulouse, von den Jesuiten mit besonderem Eifer hiefür bearbeitet, folgten bald nach. Mit halb entblößten Füßen, baarhaupt, Kruzifixe tragend, zogen sie in den Straßen herum. Sogar der grundgescheidte, intrigante Kardinal von Lothringen, welcher dem Fanatismus aus Berechnung huldigte, trieb sich mit bei der Komödie herum. Er zog sich jedoch dabei eine Erkältung zu, an welcher er starb.

Zu Paris wurden die Sachen noch toller getrieben. Um den Ablaß des großen Jubiläums 1575 zu verdienen, welches der Papst Gregor XIII. ausgeschrieben, wurden allerlei Prozessionen und auch Geissel-Wallfahrten angestellt. Der ganze Hof war dazu eingeladen. Frauenzimmer durften jedoch nicht erscheinen. Der König liebte die Frauenzimmer nicht. Dafür geisselte Katharina von Medici ihre Hofdamen bei verschlossenen Thüren. Heinrichs Aufzug, mit Rosenkranz, Wachskerzen, Kruzifix und Gebetbuch, hatte für die Pariser etwas ungemein Ergötzliches; sie überschütteten ihn und seine Sodalen mit Pasquillen und gaben ihm unter anderem den Spotttitel eines »Père conscrit des Blancs battus.«

Hiemit war der fromme König nicht zufrieden, sondern errichtete im Jahr 1583 eine neue weiße Bußbrüderschaft der Verkündigung Mariä zu Paris. Seine Mignons und viele angesehene Staatsbeamte, Hofleute und Bürger traten in dieselbe. Er ließ sich die Statuten förmlich vom Papste bestätigen. Das Ganze war jedoch blos eine Farçe, die ihm zu politischen Zwecken dienen mußte.

Am 25. März, als am Festtage des Schutzpatrons der Brüderschaft, ward eine besonders glänzende Prozession oder vielmehr die erste öffentliche angestellt. Nach den vorgeschriebenen Regeln und in Allem genau nach den Flagellanten von Rom, Avignon, Toulouse u. s. w. sich haltend, zogen sie paarweise vom Augustiner-Kloster aus nach der Kirche Notre-Dame. Der König, ohne alle Kennzeichen seiner Würde, der Großsiegelbewahrer und andere Vornehme befanden sich mit in der Reihe. Der Kardinal von Guise trug das Kreuz; der Herzog von Mayenne bekleidete die Stelle eines Zeremonienmeisters. Auger und du Peyrat waren die Zugführer der Uebrigen.

Paris empfing diese seltsame Gaukelei wie sie es verdiente. Es regnete Spöttereien jeder Art; am satyrischsten aber benahm sich der Himmel, denn der Regen fiel in Strömen herab und durchnäßte die Büßenden. Mönche von strengerer Denkungsart predigten von den Kanzeln gegen die freche Entweihung des Ehrwürdigen und Heiligen und hielten die Penitents blancs der Geissel würdig, jedoch in anderem Sinne, als jene es nahmen.

Die Prozession ward später noch mehrmals wiederholt, besonders zur Nachtzeit, wo man sodann bei Fackelschein und guter Musik nach den Kirchen wallete. Einige der Günstlinge Heinrichs geisselten sich tüchtig bei diesem Anlasse, so daß einer an Erkältung starb. Das Volk überließ sich von Neuem den beissendsten Scherzen gegen den König und seine Leute und weissagten ihnen das Schlimmste.

Die Jesuiten fuhren fort, für die Sache ungemein thätig zu sein; sie waren meist die Verfasser der Statuten für diese und die Societäten in andern Städten. Sie warben so viele Sodales als möglich an. In den Klubbs der Provinzen befanden sich auch Frauen, selbst von Stande und von gutem Rufe. Um sich die Schaam und die Verlegenheit vor manchen witzelnden Zuschauern zu ersparen, verhüllten sie sich, wie auch die großen Herren und die Geistlichen, das Gesicht, wenn sie in Verrichtung ihrer Andacht die Straßen durchzogen. Nach feierlichem Abendgottesdienst und genommenem Abendmahl züchtigte sich das schöne Geschlecht insgeheim auf exemplarische Weise. Doch erschienen auch Damen baarfuß bei den, oft über sechs Stunden lang dauernden Prozessionen. Das Volk staunte über das wunderliche Schauspiel. Oft sah man über 100,000 Zuschauer bei einander. Die Hugenotten, welche ihr Hohngelächter nur mühesam verstecken konnten, aber in sehr frivolen, bisweilen überaus geistreichen Satyren sich Luft zu machen wußten, fehlten natürlich nicht. Was sie sahen, war nicht geeignet, sie zu bekehren. Die Toulouseraninnen offenbarten einen solch' brennenden Eifer für den modernen Flagellantismus, daß innerhalb kurzer Zeit drei Brüderschaften sich bildeten. Man forderte die schönen Pariserinnen zur Nachahmung auf. Allein die Vermahnung wirkte nicht gleich auf den ersten Schlag. Die apologistischen Jesuiten, um die Sache zu fördern und wenigstens die Idee weit möglichst zu verbreiten, erklärten schon das bloße Tragen einer Geißel für verdienstlich; sie erlaubten, besonders den Frauenzimmern, auch im Dunkeln und anonym sich zu geisseln. Bisweilen erleichterten sie selbst ihnen die Mühe. Die von der blauen Brüderschaft disciplinirten sich auch in der Regel nicht öffentlich ohne besondere Erlaubniß der Vorgesetzten.

König Heinrich III., welcher seinen Rosenkranz mit stolzem Selbstgefühl, die »Geissel der Liguisten« nannte, setzte in den folgenden Jahren (1584–1587) seine Bußübungen mit gesteigerter Begeisterung fort und man sah dieselben Auftritte, jedoch mit allerlei Varianten wieder, wie zuvor. Die Niederlagen, welche er durch die Guisen und die Ligue erlitt, änderten jedoch in etwas seine Gesinnung über die Brauchbarkeit des Geißler-Institutes. Seine Gegner hatten seine eigene Schöpfung dazu benützt, um in Chartres ihn auszukundschaften. Der Mignon Joyeuse, inzwischen Kapuziner geworden, und von der Faktion bearbeitet, spielte die Hauptrolle dabei, in der Meinung, seinem Herrn eine Freude zu bereiten. Geisselnd zog ein beträchtlicher Schwarm in des Königs Lager; allein dort erlebte Heinrich den Verdruß, Joyeuse, auf Befehl des übereifrigen Gardehauptmanns Crillon, tüchtig, ja bis auf's Blut gepeitscht und mit höhnischen Vorwürfen über cynische Feigheit überhäuft zu sehen. Er tröstete ihn so gut er konnte, setzte ihm jedoch auseinander, wie Crillon mit sicherem Takte das Aufrührerische in dieser maskirten Geisselfahrt erkannt und wie übel er, Joyeuse, gethan habe, von Faktionisten sich mißbrauchen zu lassen. Gleichwohl legte der König an die Pseudo-Flagellanten dermal noch keine Hand an.

Nach der Ermordung der Guisen hörte der fanatische Bußeifer nicht auf, der plötzlich über die Hauptstadt gekommen war. Die Mönche redeten in der ungeheuern Verwirrung, wo sie konnten, für das Geisselsystem. Die Bußaufzüge erneuerten sich. Weiber und Mädchen liefen mit Geisseln im bloßen Hemde herum und selbst die schönen Herzoginnen von Guise, Mercoeur, Aumale, Elboeuf u. s. w. zeigten sich halbnackt der Bevölkerung, um durch ihr Beispiel zu ermuntern und gaben sich die Disciplin. Besonders dauerte dieser Skandal während der Schreckenszeit der Sechszehner. Das Parlament selbst mußte endlich einschreiten und, das erste, in Sachen des Flagellantismus auf angelegte Appellation des königlichen Prokurators, gefällte Urtheil erging wieder die blauen Büßenden von Bourges. Darauf dehnte man es auch auf alle Geisselbrüderschaften ohne Unterschied der Persönlichkeit ihrer Mitglieder aus, erklärte sie für Ketzer und Majestäts-Verbrecher, als Königsmörder und Unzüchtige. Alle früheren Erscheinungen von öffentlichen und heimlichen Flagellanten wurden mit in die Dokumente aufgeführt und daraus ein Hauptbeweis der Gefährlichkeit des Daseins der jetzigen hergenommen.

Dieser Parlaments-Beschluß, welcher alle büßenden Geißler-Gesellschaften untersagte, wirkte nur theilweise. Päpste, Konzilien und Bischöfe nahmen sie in Schutz Selbst das Konzilium von Trient gestattete sie unter der Bedingung, daß der Bischof das Recht der Aufsicht übe.. Selbst nach der Revolution erhoben sie sich, öffentlich und insgeheim, zumal in den südlichen Provinzen wieder. Die Missionäre, die Jesuiten und die Kongregationisten begünstigten sie aus politischen und kirchlichen Gründen, und besonders pflegten sie während der Restauration in geheimen Konziliabeln die Frauen dafür zu gewinnen. Vornehme Damen liehen ihre Haut abermal zu dem alten Spiele mystisch-frömmelnder Bußübungen her. Die Jesuiten jedoch wußten sanft zu schlagen. Wie bekannt, wurde all' dergleichen Unwesen von oben herab geduldet, ja begünstigt. Aber der Geist der Revolution konnte gleichwohl nicht herausgestäupt werden.


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