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XXVI.
Die Nonne Alberta.

Wenn man mit wahrem Seelenschauer das furchtbare Klostergemälde betrachtet hat, welches Diderot in seiner » Religieuse« mit grellen, vielleicht, und dennoch nicht übertriebenen Farben hingestellt, so will eine süße, freudige Empfindung uns überraschen, daß dergleichen Scenen einer vorübergegangenen Zeit angehören, und unsere sanfteren Sitten nichts mehr ertragen, was zugleich den Geist empört und das Herz zerfleischt. Besonders aber wird dann die wunderbare Macht der Aufklärung gepriesen, welche dem Unwesen klösterlichen Waltens ein Ende und gereinigtere Religionsbegriffe allenthalben vorherrschend gemacht hat. Wir aber wollen nun eine Geschichte erzählen, welche noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts sich zugetragen hat. Wenn wir das Land nicht nennen, worin sie sich spielt, noch die Stadt, das Kloster und auch die Nonnen der darin auftretenden Personen verschweigen, so wird man sie doch ohne Mühe aus dem Zusammenhange errathen. Wir liefern aber nichtsdestoweniger die strengste Wahrheit und Zeugen hiefür sind genugsam vorhanden Wenn unsere Erzählung in vielen Thatsachen jener der Schwester Magdalena und der von Zschokke im IV. Band seiner bayrischen Geschichte etwas ähnelt, so ist sie gleichwohl nicht damit zu verwechseln, auch beruht diese durchaus auf noch vorhandenen Aktenstücken..

In der ****schen Stadt N. erschien der fürstliche Kommissär, welcher die Auflösung des Karmeliter-Nonnen-Klosters zu leiten hatte, bereits zum zweitenmal im Konvente vor den versammelten Mitgliedern desselben, um sie zum Vollzug der Tags zuvor eröffneten allerhöchsten Verordnung zu vermögen. Diese Verordnung hatte den frommen Frauen bedeutet, daß aus verschiedenen wichtigen Gründen, welche sowohl auf das Interesse der Religion als auf das Wohl des Staates sich bezögen, den Regenten in seiner Weisheit bestimmt hätten, das Dasein des fraglichen Klosters nicht länger mehr zu erlauben. Die Aebtissin wurde demnach aufgefordert, die nothwendigsten Verzeichnisse über den Personalstand, das Besitzthum und übrige Vermögen sowohl des Klosters als der Kirche und des damit verbundenen Hospitiums für drei Priester und einen Laienbruder des nämlichen Ordens zu übergeben.

Nachdem der Kommissär die Liste empfangen und durchgesehen, zählte er die im Speisezimmer anwesenden Individuen, so Nonnen als Laienschwestern, fand aber immer, so oft er auch die Zählung wiederholte, eine Person zu wenig, da das Verzeichniß 21 Nummern, die Versammlung aber nur 20 aufwies. Der Kommissär, um jeden Irrthum unmöglich zu machen, rief deßhalb alle Verzeichneten mit Namen auf, und es fand sich, daß die Nonne Alberta fehlte.

Auf mehrfaches Befragen nach diesem Individuum ward keine Antwort ertheilt, vielmehr geriethen die Aebtissin und die Schwestern in sichtbare Verlegenheit, welche sich noch mehrte, als der Kommissär zudringlicher wurde und im ernstem Tone Auskunft über diese räthselhafte Abwesenheit eines Konventsglieds verlangte. Die Aebtissin und der Beichtiger des Hospitiums wechselten noch einige Minuten lang seltsame Blicke, voll Unruhe und Bestürzung, und als wollten sie sich über einen geordneten Zusammenhang ihrer Aussagen verstehen; endlich, als durchaus auf dem Erscheinen der Schwester Alberta bestanden wurde, brach die Vorsteherin ihr Stillschweigen, stammelte verschiedene Entschuldigungen und erklärte, der gegenwärtige Zustand der Nonne mache es unmöglich, sie hier vorzustellen. Hiemit gab sich aber der Kommissär nicht zufrieden, sondern begehrte, nach dem Aufenthaltsorte der Abwesenden geführt zu werden. Die Aebtissin betheuerte auch jetzt noch die Unthunlichkeit und Unmöglichkeit, daß man dem Verlangen des gestrengen Herrn willfahre, indem Alberta krank und ein Besuch ihr in den Regeln des Anstandes, wie den Satzungen des Klosters widerstreite.

Hatte der Kommissär bis dahin Verdacht geschöpft, daß etwas Unrichtiges vorgegangen, so steigerte sich derselbe nun erst recht zum Argwohn irgend einer unheimlichen That, die im Verborgenen schleiche und viele frühern Erzählungen von Willkühr und Bosheit, in Frauenklöstern verübt, stellten sich seiner Erinnerung dar. Er beschloß, seinen Amtscharakter durchaus geltend zu machen und um jeden Preis hinter die Sache zu kommen; er bemerkte daher der Oberin, daß kein Grad von Krankheit ihn abhalten könne, von der Identität der Person und der individuellen Lage Alberta's sich zu überzeugen; er begehre daher ohne Verzug zu ihr geführt zu werden. Jene, die Zwecklosigkeit fernern Widerstands einsehend, gab jetzt nach, bemerkte aber; Alberta's Krankheit sei von ganz besonderer Art und ein hoher Grad von Wahnsinn, in welchem sie irgend Jemanden zu erkennen ganz außer Stande sich befinde.

Auf weitere Nachforschungen erfuhr der Kommissär zu seinem größten Erstaunen, während immer größere Blässe die Gesichter der Nonnen umzog und sie vor Zittern kaum auf den Knieen sich halten konnten, daß der gewöhnliche Klosterarzt von Alberta's Zustand gar nichts wisse, sein Vorgänger, welcher sie behandelt, habe denselben für unheilbar erklärt und daher sei, zur Wahrung der Ehre des Klosters, die Sache geheim gehalten worden; seit 8 Jahren befinde sich die Unglückliche in ihrer bedauernswerthen Lage, ohne daß sie jemals eines lichten Zwischenraumes sich erfreut. Ueber ihre näheren Verhältnisse und die möglichen Ursachen des Uebels wollte Niemand Aufschluß ertheilen. Um so mehr drang nun der Beamte darauf, Alberta zu sehen und ein paar Nonnen verstanden sich endlich dazu, nach dem Aufenthaltsorte der Wahnsinnigen ihn zu geleiten.

Der Weg ging viele Treppen hinauf und hinab, durch lange, bisweilen sehr schmale und düstere Gänge, bis man endlich zu einer Art von Hintergebäude gelangte und abermals eine Stiege sich zeigte, welche der Kommissär ebenfalls besteigen zu müssen glaubte. Allein, wie erstaunte er, als eine seiner Führerinnen ein unter dieser Stiege angebrachtes Behälter, oder vielmehr eine Art von Verschlag öffnete und bedeutete, daß dieser die Wohnung der Schwester Alberta sei!

Aus demselben, der ursprünglich für einen Hund- oder Hühnerstall zusammengezimmert schien, kroch eine weibliche Figur hervor, kaum nothdürftig mit Lumpen bedeckt. Sie umklammerte die Kniee des Kommissärs und bat unter heißen Thränen und Händeringen erst um Schonung, indem sie glaubte, daß sie neuerdings gegeisselt werden sollte, sodann aber, da die edle theilnehmende Miene des Mannes ihr Muth gemacht um Rettung und Befreiung aus endlosem Jammer.

Der Kommissär bemühte sich, sie emporzurichten; da fielen die Lumpen stückweise von dem Körper; ihr starkes schwarzes Haar hing in Verwirrung um das Haupt; ihre Füße waren ohne Strümpfe. Wilden Blickes schaute Alberta jetzt umher und es schien, als ob der Wahnsinn in heftiger Gestalt sich offenbaren wollte. Nach einer Weile mäßigte sich der Ton ihrer Stimme wieder; ihre Reden erhielten Zusammenhang und Ordnung. Bei allen Antworten, die sie auf die an sie gestellten Fragen gab, bildete die Bitte, daß man sie nicht mehr mit Schlägen mißhandeln möchte, den Nachsatz.

Die Nonne war von mehr als weiblicher Mittelgröße; ihr Alter schien 35-36 Jahre. Sie hatte einen gedrungenen Körperbau von bleichgelber Farbe, aber von fester Muskulatur. Ihre Augen blitzten, von Leiden und Weinen noch nicht entkräftet, lebhaft aus den bleichen Höhlen hervor. Ihre Mienen verriethen die Spuren des tiefsten Kummers, welchen nur lange Gewohnheit erträglich gemacht haben konnte.

Nach vielen Fragen und aus flüchtigen abgerissenen Erklärungen brachte man endlich folgende Geschichte von ihr heraus. Sie war von W...g gebürtig, von wohlhabenden Eltern, die vom Weinhandel lebten. Sie erklärte, zum Eintritt in das Kloster theils durch priesterliche Ueberredung, theils durch Zwang und körperliche Mißhandlungen von Seite ihrer Eltern gezwungen zu sein.

Ungern folgte Alberta dem Kommissär in das Refektorium, wo die übrigen Nonnen mit dem Pater Beichtiger noch sich befanden. Alsbald wurde eine reinliche Kleidung und passende Nahrung, so wie ein vollständiges Bett für sie herbeigeschafft. Der Kommissär befahl gute Verpflegung der Armen und drohte für die geringste geistige oder körperliche Mißhandlung schwere Strafe an. Des folgenden Tages verließ er das Kloster mit Gefühlen tiefsten Unwillens.

Gleich darauf erschien der edle Vicepräsident des damaligen Landeskollegiums, Graf Th..., mit dem Kommissär in dem Konvente, um sich persönlich von der Lage der unglücklichen Nonne zu überzeugen. Leider hatte dieselbe sich bedeutend verändert. Ihre Worte hatten keinen Zusammenhang mehr; ihr Mund verzog sich oft zu einem seltsam bittern Lachen; ihre Blicke schweiften unstät herum; ein dunkles Feuer blitzte aus ihrem Auge, und sie gebrauchte eine Menge unflätiger Ausdrücke. Die Oberin und die Nonnen konnten hämische Schadenfreude nicht unterdrücken.

Der Vice-Präsident, in großer Verlegenheit und ein schweres Verbrechen ahnend, jedoch zur Zeit noch ohne gehörige Aufklärung, hielt an die Versammelten eine seelenvolle Anrede über Mißbrauch der Religion und geistlicher Gewalt, über tadelnswerthe Nachlässigkeit in der Behandlung dieser Kranken, welche die strengste Sorgfalt verdient hätte; er machte die Nonnen dafür verantwortlich. Die Beschämung derselben war nicht geringe; sie sprach sich in gesenkten Blicken und in einem Todesstille athmenden Schweigen aus. Endlich begleitete der Graf sie selbst in den Miethwagen, der vor dem Klosterhofe hielt, und ließ Alberten, in Begleitung eines tüchtigen Arztes in das Bürgerspital der Stadt bringen.

Die Sache machte darin, so wie im ganzen Lande, ungeheures Aufsehen und je nachdem man für die Priesterparthei und die alten religiösen Vorurtheile, oder für die Regierung und die Sache der Aufklärung gestimmt war, sprachen die Leute sich für und wider aus. Die Obscuranten wendeten alles an, dem Ganzen den Anstrich eines Mährchens oder einer Intrigue von Seiten der Religionsfeinde und Neuerer gegen die Klöster zu geben, oder wohl gar ins Lächerliche zu ziehen. Endlich kam jedoch die Wahrheit gleichwohl an den Tag.

In der ersten Epoche der Krankheit zeigten sich ziemlich Spuren von Möglichkeit völliger Wiedergenesung, besonders was Wahnsinn betraf. Die lichten Zwischenräume wurden länger und andauernder; die zweckmäßige Warte und Pflege äußerte ebenfalls ihre wohlthätige Wirkung; die Verwüstungen des Körpers durch Kummer und Geisselhiebe, durch Kerkerluft und Moder verschwanden nach und nach; ja selbst einige Farbe kehrte auf die bleichen Wangen zurück.

Der Hauptgrund der Krankheit schien jedoch eine Hartnäckigkeit erreicht zu haben, welche aller ärztlichen Wissenschaft und Kunstübung trotzten. Die Hysterie zeigte sich bei Alberta in so hohem Grade, daß sie bei wiederholten Krankheitsanfällen mit einer an Wuth gränzenden Heftigkeit ihre Sehnsucht nach Befriedigung des Geschlechtstriebes ausdrückte und sich bis zu thätigen Angriffen auf ihr sich nähernde Mannspersonen verirrte.

In den obengedachten lichten Zwischenräumen konnten über ihre Geschichte, den Eintritt in das Kloster und die wahrscheinliche erste und Hauptveranlassung des sie quälenden Uebels betreffend nur nachstehende Momente in Zusammenhang gebracht werden.

Alberta war die Tochter wohlhabender bürgerlicher Eltern; der Vater betrieb ein ziemlich ausgebreitetes Weinhandlungsgeschäft, das täglich bessern Fortgang und größere Ausdehnung gewann, da die Lage ihres Wohnortes W–b–g in Mitte des schönen weinreichen Frankens diese Gattung Handel vorzüglich begünstigte. Alberta war von vier Geschwistern, nämlich von zwei Brüdern und zwei Schwestern, das älteste.

Ihre Jugend schwand ziemlich harmlos und ruhig dahin; nur ließ sich an ihr ein Hang zur Zerstreuung bemerken, der ihr die nöthige Aufmerksamkeit auf die ihr übertragenen häuslichen Geschäfte entzog und sie dadurch in den Augen ihrer häuslichen, stets auf Erwerb bedachten und strenger Arbeitsamkeit gewohnten Eltern, gegen ihre Geschwister bedeutend zurücksetzte. Es gehörte mit zur Sitte damaliger Zeit, daß sich in den Häusern und Familien wohlhabender Bürger eines ganz katholischen Landes unter der Herrschaft eines geistlichen Fürsten, Priester, und vorzüglich Mönche aller Gattungen und Farbe, einzuschleichen und sich unter mancherlei Gestalten in denselben festzusetzen und zu erhalten wußten. – Dieß geschah auch bei Alberta's Eltern. Die Mönche des Ordens der baarfüßigen Kameliter hatten in W–zb–g ein sehr zahlreich besetztes Kloster und verstanden es, sich allenthalben beliebt zu machen, weil Mönchsschlauheit in bürgerlichen Familien bald allen alles zu werden trachtete, und kein Mittel verschmähte, das zu ihrem Ziele führen konnte.

Das Mädchen wuchs heran in blühender Schönheit und kraftvoller Jugend; die Geschäfte des Hauswesens waren nichts für sie, und durch die fortgesetzte Unachtsamkeit hierin wird endlich auch sie selbst ihren Eltern sowohl als auch den Geschwistern gleichgültig. Diese scheuten sich auch nicht, den Wunsch, ihrer bald enthoben zu sein, laut und unverholen zu äußern.

Alberta ihrerseits versäumte auch nichts, diesem Wunsche zu entsprechen; sie ward sich ebenfalls den Ihrigen fremd und knüpfte hinter dem Rücken ihrer Eltern ein Liebesverhältniß an, welches in kurzer Zeit durch den Reiz des Geheimnisses noch süßer und lockender zu einem völlig vertrauten Umgange führte. Alberta naschte vom verbotenen Baume. Plötzlich fiel es den frommen Hausfreunden ihrer Eltern ein, das Mädchen zur Braut Jesu zu gewinnen und ihren Vermögens-Antheil einem heiligen Hause zuzuwenden.

Kein Mittel blieb unversucht, Ueberredung, Schmeichelei und von Seite der Eltern, Güte und Härte, Zusicherungen, Drohungen und Züchtigungen bestimmten endlich das ohnehin charakterlose, in bigotter Beschränktheit unachtsame Geschöpf, dem heiligen Ungestüme nachzugeben und den Schleier zu wählen, um ihre Eltern einer Last zu überheben, von der sie um jeden Preis frei zu werden suchten, und diese Absicht ihrer Tochter täglich recht fühlbar werden ließen. – Die Wahl des Klosters fiel auf N–bg; der Empfang war gefällig und freundlich, auch das Probejahr schwand erträglich dahin – und die feierlichen Gelübde befestigten die Scheidewand, die fromme Täuschung zwischen dem Mädchen und der Welt oder dem bürgerlichen Leben niedersenkte. Der Ton der Obern wurde in diesen Tagen schon strenger, die Unthätigkeit schärfer gerügt und der ohnehin in allen Nonnenklöstern herrschende Kleinigkeitsgeist mit aller Bosheit, Neid und Heimtücke in seinem Gefolge begann bald sich folgerecht zu entwickeln.

Dieß geänderte Benehmen diente nur dazu, der jungen Nonne allmählig die Augen über ihre eigentliche Lage zu öffnen. Thränenströme benetzten ihre Wangen, das Gefühl, von jedem Wesen, zu dem sie Vertrauen oder Anhänglichkeit haben konnte, sich entfernt zu sehen, wirkte zerreißend auf ihr Herz, die kalten herzlosen Blicke, unkluges Bespötteln ihres Kummers, das geistlose Gebetmurmel und der einschläfernde Nasengesang im Chore waren ungeeignete Zerstreuungsmittel, und so versank die Unglückliche stets tiefer in ihren Gram.

In diesem Zustande, und als sie glaubte, ihre Leiden wären keines Zuwachses mehr fähig, traten dennoch Verhältnisse ein, die ihre Lage noch verschlimmerten. Es erschien nämlich der Zeitpunkt, an welchem ihre Eltern das ihr bei der Aufnahme in das Kloster versprochene Vermögen hätten erlegen sollen. Geschah es nun aus Eigennutz und Habsucht, oder hatten sich die Vermögensumstände ihrer Eltern wirklich in Abnahme befunden, hierüber konnte die Kranke keine genügenden Aufschlüsse geben, genug daß die zugesicherte Zahlung gar nicht erfolgte, oder so lange verzögert wurde, bis eine Verlustsgefahr mit Wahrscheinlichkeit geahnt werden konnte. Nun war der Anstoß zu neuer und erhöhter Verfolgung gegen das unglückliche Opfer des krassen Bigotismus gegeben, das durch seine Abneigung vor klösterlicher Beschäftigung, so wie vor jeder ernsten oder anhaltenden weiblichen Arbeit ohnehin schon der Gegenstand des Widerwillens und der Verachtung seiner Umgebungen geworden war. Daß unter solch' traurigen Konstellationen der Gedanke an ehedem, an ihr väterliches Haus, dem Ueberredung und Furcht sie entlockt, an ihren Geliebten, dem die gewandten Mönchskniffe sie entzogen hatten, mit erneuter Stärke in der Unglücklichen erwachten, war wohl ein ganz natürliches Ereigniß. Die Phantasie des Unglücklichen verweilt so gerne bei Bildern der Vergangenheit, um sich die Trauer des Augenblicks zu lindern, und daran die schwachen Fäden der Hoffnung einer bessern Zukunft zu knüpfen. Allein bei Alberta trat dieß letztere Hülfsmittel nicht ein. Schwarz und undurchdringlich dem geringsten Strahl der Hoffnung lag ihre Zukunft vor ihr – unübersehbar wie dem Schiffer das Weltmeer; aber ihr Gram hatte ihr auch den Kompaß geraubt, durch dessen Weisung ihr Geist die Bahn zur Festigkeit, und ihr Herz den Hafen der Ruhe hätte finden können. Und wie Unglück nie allein kommt, so gerieth das Spiel ihrer Phantasie auf die unglücklichen Bilder der früher genossenen heimlichen Freuden der Sinnenliebe. Dieß vollendete das Unglück. Ihr voller Körperbau, die eigentliche Nahrung im Kloster (ihr Orden war, einen Geliebden zufolge, vom Genuß der Fleischspeisen ausgeschlossen und an deren Stelle traten süße, oft stark gewürzte Mehlspeisen und gesalzene Fische) und so viel anderes mehr wirkte auf ihre Nerven und auf ihre Säfte höchst nachtheilig. Das einsame Leben in düsterer Zelle, der Mangel an aller Mittheilung unter ihren Ordensschwestern, kurz alles trug dazu bei, sie zur unrettbaren Beute einer flammenden, in Bildern von heißester Sinnenlust schwelgenden Einbildungskraft hinzugeben. Dieser Zustand der Seele ging endlich in eine Krankheit des Körpers über. Es mochte lange angestanden haben, bis die Unglückliche sich entdeckte; noch länger vielleicht, bis sie von ihren Obern Glauben fand und endlich ein Arzt zu Rathe gezogen wurde. – Dieser fand die Kranke schon in hohem Grade verschlimmert, die Hysterie hatte sich nicht nur vollkommen ausgebildet, sondern stand auf dem Punkte, in gänzliche Nymphomanie überzugehen.

Wurden nun die Erklärungen des Arztes, der sonst als ein höchst rechtlicher Mann und denkender Arzt allgemein verehrt ward, mißverstanden, oder war es Klosterpolitik, kurz die Oberin und Vorstand des nämlichen Hospitiums kamen überein, einen Versuch zu machen, ob dem Uebel nicht durch einen bestimmten Grad der Befriedigung der Sinnlichkeit ein Ableitungskanal geöffnet werden könnte, und der Mönch im Vertrauen auf seine, wahrscheinlich bei andern Gelegenheiten erprobte Manneskraft, versuchte selbst dieß Mittel.

Der Erfolg zeigte sich jedoch ganz unerwartet, und der beabsichtigte Zweck wurde verfehlt. Die Nonne wurde immer heftiger, der Mönch fand vermuthlich die Aufgabe, die er zu lösen übernommen hatte, allzuschwierig und mit seinen physischen Kräften im Mißverhältniß.

Jetzt versuchte man ein anderes. Der Mönch schlug einen häufigen Gebrauch der Geissel, verbunden mit Fasten, vor. Man ermuthigte ihn, die Kur zu unternehmen. Allein jetzt hatte man gerade noch mehr Oel in's Feuer gegossen, statt zu löschen. Hatten schon die bisherigen Disciplinen unserer Alberta mehr als Würze, denn als Strafe gedient, so entflammten die Züchtigungen, denen sie sich jetzt unterwerfen mußte und bereitwillig unterwarf, noch mehr ihre Sinnlichkeit. Wie in einem wilden Wollustmeer brandeten und bäumten sich ihre blutträgen üppigen Glieder unter der scheinbaren Bußruthe, gehandhabt von männlicher Hand. Alle Bilder des Genusses wurden um so stärker dadurch hervorgerufen, und da der wirkliche Genuß faktisch ihr verwehrt wurde, so erlaubte sie sich mit jener unheilvollen Selbsttäuschung heimliche Freuden, welche ihre Kräfte zerstörten, und endlich durch Nerven-Ueberreiz, so wie durch das erwachte Gewissen, dem Wahnsinn sie überlieferten.

Niemand als die Vorsteherin erfuhr den eigentlichen Grund davon, und das Geheimniß der mißlungenen Heilung. Das Uebel erreichte den höchsten Grad; statt die Aermste jedoch ärztlich behandeln zu lassen, beschloß man, in der Absicht, den Ruf des Klosters zu schonen, sie von allen lebenden Wesen entfernt zu verwahren. Der früher beschriebene Winkel und der Verschlag wurden demnach ihr Aufenthaltsort, mit nothdürftiger Kost und kaum hinreichender Kleidung. Mißhandlungen von ernsterer Art, als die frivolen Züchtigungen des Beichtigers, erfolgten von Zeit zu Zeit und vermehrten den Wahnsinn der Unglücklichen.

Leider erfocht die Wahrheit nicht ihren vollkommenen Sieg. Man wußte die Ausschweifungen der Nonne vor ihrem Eintritt in's Kloster mit ihrem Wahnsinn in Verbindung zu bringen und die Erzählung von der Kurart des Mönches durch Verdächtigung des Arztes, der sie im Spitale behandelte, zu entkräften. Diesem, welcher in der That sexuell nicht das sicherste Renomée besaß, redeten die Finsterlinge nach: er selbst habe das mit seiner Patientin getrieben, was früher der Mönch zu ihrer Heilung versucht. Sein Verstummen über solche Beschuldigungen schien wider ihn zu zeugen. Kurz, das Interesse an Alberten nahm ab, wiewohl man im Uebrigen ihr Schicksal sehr beklagte, und die Priesterparthei arbeitete redlich dahin, daß die ganze Geschichte als einfache Folge ihres Wahnsinns, der aus unmäßiger Befriedigung des Geschlechtstriebes entstanden, einen Anstrich von Zweifelhaftigkeit erhielt. Die Nonne ward nicht völlig wieder geheilt, sondern endete ihre Tage in einem Irrenhause. Die Monomanie allein hatte sie endlich verlassen, sie lebte mehrere Jahre lang still und ruhig, und bisweilen konnte sie selbst zu kleinen häuslichen Arbeiten verwendet werden; aber ihre Geistesfähigkeiten, namentlich das Gedächtniß, kamen ihr nimmer wieder.


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