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Ein und zwanzigstes Buch.

Nach Adrasts Tode reichen die Daunier den Verbündeten die Hand zum Frieden und bitten sie, ihnen einen andern König aus ihrem eigenen Volke zu setzen. Untröstlich über den Verlust seines Sohnes, entfernt sich Nestor aus der Versammlung der Heerführer, wo mehrere der Meinung sind, daß man das Land der Ueberwundenen theilen, und Telemach die Landschaft Arpi überlassen müßte. Weit entfernt, dieses Anerbieten anzunehmen, beweist Telemach, daß es das Wohl aller Verbündeten heischt, den Polydamas zum Könige der Daunier zu wählen, und ihnen ihr Land zu lassen. Er bewegt hierauf dieses Volk, die Landschaft Arpi Diomeden abzutreten, der durch Zufall an diesen Ort gekommen war. Nachdem alle Irrungen beigelegt sind, trennen sich die Verbündeten, und jeder kehrt wieder in sein Land zurück.


K aum war Adrast todt, so reichten die Daunier, weit entfernt, ihre Niederlage und den Verlust ihres Oberhaupts zu beklagen, voll Freude über ihre Befreiung, den Verbündeten ihre Hand zum Zeichen des Friedens und der Versöhnung. Metrodorus, der Sohn Adrasts, den sein Vater von Jugend auf in der Verstellung, Ungerechtigkeit und Grausamkeit unterwiesen hatte, entfloh als ein Feiger; aber ein Sclave, der Mitschuldige seiner Verbrechen und Gewaltthaten, dem er die Freiheit geschenkt, der von ihm mit Gütern überhäuft worden war, und dem er sich allein auf seiner Flucht anvertraut hatte, sann nur darauf, ihn zu verrathen, und aus dieser Verrätherei Nutzen zu ziehen. Er tödtete ihn rücklings, hieb ihm das Haupt ab, und brachte es ins Lager der Verbündeten, von denen er eine große Belohnung für ein Verbrechen erwartete, das dem Krieg ein Ende machte. Aber man verabscheute den Bösewicht und ließ ihn zum Tode führen.

Telemach konnte sich der Thränen nicht enthalten, als er das Haupt des Metrodorus sah, der ein Jüngling von wunderbarer Schönheit war, und die trefflichsten Anlagen besaß, die die Wollust und das böse Beispiel zu Grunde gerichtet hatten.

»Sehet,« rief er aus, »wohin das Gift eines zu hohen Glücks einen jungen Fürstensohn führt! Je höher sein Stand, je lebhafter sein Geist ist, je mehr entfernt er sich von den Grundsätzen der Tugend, und vielleicht wäre ich jetzt in demselben Fall, hätte nicht das Unglück, das die Götter über mich verhängten, und wofür ich ihnen danke, und Mentors Unterricht mich gelehrt, meine Begierden zu mäßigen.«

Die versammelten Daunier machten es zur einzigen Bedingung des Friedens, daß man ihnen vergönnen möchte, einen König aus ihrem Volke zu wählen, der durch seine Tugenden die Schande auslöschte, die der lasterhafte Adrast über die Königswürde gebracht hätte. Sie dankten den Göttern, daß sie den Tyrannen gestraft, und kamen schaarenweise zu Telemach, um die Hand zu küssen, die dem Leben dieses Wütherichs ein Ende gemacht hatte. Ihre Niederlage war für sie ein Triumph.

So stürzt in einem Augenblick eine Macht unwiederbringlich dahin, welche alle andern Mächte Hesperiens bedroht, und so viele Völker in Schrecken gesetzt hatte. Gleich einem Stück Erdreich, das fest und unbeweglich zu sein scheint, aber unmerklich untergraben wird. Lange spottet man der unmächtigen Anstrengung, die seine Grundfesten bedroht; noch halten seine Theile zusammen, noch ruht es fest und unerschüttert, aber allmählich sind seine unterirdischen Stützen zerstört und auf einmal sinkt der Boden ein, und ein weiter Schlund eröffnet sich. So gräbt sich auch eine ungerechte und treulose Regierung, wie groß auch immer die Macht sei, die sie sich durch ihre Gewaltthätigkeiten zu verschaffen gewußt hat, mit eigenen Händen einen Abgrund unter ihren Füßen. Betrug und Grausamkeit untergraben allmählich die festesten Stützen einer ungerechten Herrschaft. Man bewundert, man fürchtet sie, man zittert vor ihr bis zu dem Augenblick, wo sie von der Erde verschwindet. Ihre eigene Last drückt sie zu Boden, und da sie mit eigenen Händen ihre einzigen wahren Stützen, Redlichkeit und Gerechtigkeit, welche allein Liebe und Zutrauen erzeugen, vernichtet hat, so strebt sie vergebens, sich wieder zu erheben.

 

Am folgenden Tage versammelten sich die Heerführer, um den Dauniern einen König zu geben. Es war ein rührender Anblick, die beiden Lager durch das Band der Freundschaft so unverhofft vereinigt, und die beiden Heere in eines zusammengeschmolzen zu sehen.

Der weise Nestor konnte an der Berathschlagung keinen Theil nehmen, denn der Gram, verbunden mit seinem hohen Alter, hatte ihm die Seele gelähmt. So erkrankt und welkt eine Blume, vom Regen getroffen, am Abend; sie, die des Morgens, als Aurora erwachte, der Stolz und der Schmuck der grünen Felder war. Seine Augen waren zu zwei Thränenquellen geworden, die immer flossen. Der süße Schlaf, der durch seine Zauberkraft die bittersten Leiden besänftigt, besuchte sie nicht mehr. Die Hoffnung, die belebende Kraft des Menschen, war in seinem Herzen erloschen. Jede Speise schmeckte dem unglücklichen Greise bitter; das Licht des Tages selbst war ihm verhaßt. Seine Seele hatte keinen andern Wunsch mehr, als ihre Wohnung zu verlassen, und in die ewige Nacht des unterirdischen Reichs hinab zu sinken. Vergebens sprachen seine Freunde zu ihm. Sein erstorbenes Herz stieß die Freundschaft von sich, wie der ekle Kranke die besten Nahrungsmittel von sich stößt. Die rührendsten Vorstellungen erwiederte er nur mit Seufzen und Schluchzen. Von Zeit zu Zeit hörte man ihn ausrufen:

»O Pisistratus, Pisistratus, mein Sohn, du rufst mich zu dir, ich folge dir nach, und du wirst mir den Tod versüßen. Theurer Sohn, der einzige Wunsch deines Vaters ist, dich an den Ufern des Styx wieder zu finden. Dann brachte er ganze Stunden hin, ohne ein Wort zu reden; er seufzte nur, und hob seine Hände und seine in Thränen schwimmenden Augen gen Himmel.

Indeß erwarteten die versammelten Fürsten Telemach, der sich bei dem Leichnam des Pisistratus befand. Er bestreute ihn mit Blumen, goß wohlriechende Wasser über ihn aus, und weinte bittere Thränen.

»Ach, mein trauter Freund!« rief er aus, »nie werde ich es vergessen, dich zu Pylos besucht, nach Sparta begleitet, und an den Gestaden Großhesperiens wiedergefunden zu haben. Wie so manchen Beweis zärtlicher Liebe danke ich dir! Gegenseitige Zuneigung vereinigte unsre Herzen. Ich war ein Zeuge deines Muths; noch manchen berühmten Griechen würdest du an Tapferkeit übertroffen haben. Aber, ach! sie stürzte dich ins Verderben. Zwar starbst du rühmlich; aber dein Muth beraubte die Welt eines aufblühenden, edlen Jünglings,der einst seinem Vater gleich gekommen wäre. Ja, du würdest einst in reiferen Jahren diesem Greise, den ganz Griechenland bewundert, an Weisheit und Beredsamkeit ähnlich geworden sein. Schon besaßest du jene süße Ueberredung, der, wenn sie spricht, niemand widerstehen kann, ungekünstelte Einfalt im Erzählen, jene weise Mäßigung, welche die empörten Gemüther durch eine Art von Zauberkraft besänftigt, jenes Ansehen, welches Klugheit und treffender, heilsamer Rath verschafft. Wenn du sprachst, horchte man dir mit Aufmerksamkeit, jeder gab dir schon im Voraus Beifall, jeder wünschte, daß du Recht haben möchtest. Deine einfachen, bescheidenen Worte senkten sich sanft in die Herzen, wie der Thau in das hervorkeimende Gras. Ach, daß uns alle diese Schätze, die wir noch vor einigen Stunden besaßen, auf immer entrissen sind! Pisistratus, den ich noch heute umarmte, du bist nicht mehr, und nichts bleibt uns von dir übrig, als das traurige Andenken an dich! Ach, warum war dir nicht wenigstens vergönnt, deinem Vater die Augen zu schließen, bevor wir genöthigt waren, dir die deinigen zuzudrücken! dann würde er diesen Jammer nicht erfahren haben, dann wäre er nicht der unglücklichste aller Väter!«

Hierauf ließ Telemach die blutige Wunde waschen, die Pisistratus Seite durchdrungen hatte. Er ließ den Leichnam auf ein Purpurbett legen. Sein Haupt, über das sich die Blässe des Todes ergossen hatte, hing herab. Er glich einem jungen Baum, der weit umher die Erde überschattete, und seine blühenden Zweige gegen den Himmel verbreitete, den aber die scharfe Axt des Holzhauers verwundete. Seine Wurzeln halten ihn nicht mehr, nicht mehr die Erde, diese fruchtbare Mutter, deren Schooß die Pflanzen nährt; seine Blätter entfärben sich, und matt und kraftlos sinkt er zur Erde; seine Aeste, die den Himmel verhüllten, liegen welk und vertrocknet im Staube, seines ganzen Schmuckes beraubt, ist er weiter nichts als ein abgehauener Stamm. So war auch Pisistratus ein Raub des Todes geworden.

Schon trug man ihn dem unseligen Scheiterhaufen zu, schon stieg die Flamme zum Himmel empor. Eine Schaar Pylier, mit niedergesenkten und bethränten Augen und umgekehrten Waffen, folgten dem Leichnam mit langsamen Schritten. Bald war der Körper von der Flamme verzehrt. Man legte die Asche in eine goldene Urne, und Telemach, für alles besorgt, übergab diese Asche, als einen kostbaren Schatz, dem Callimachus, der der Jugendlehrer des Pisistratus gewesen war.

»Bewahre diese Asche,« sprach er zu ihm, »als die traurigen, aber kostbaren Reste desjenigen, der dir einst theuer war; verwahre sie für seinen Vater, aber übergib sie ihm nicht eher, als bis seine Seele stark genug ist, sie von dir fordern, denn oft schärft den Schmerz zu einer Zeit, was ihn zu einer andern lindert.«

Jetzt trat Telemach in die Versammlung der Fürsten. Alle schwiegen, als sie ihn erblickten, und erwarteten, daß er sprechen würdet aber er erröthete, und man konnte ihn nicht bewegen, die Rede zu beginnen. Der laute Beifall, der ihm von allen Seiten über seine Thaten zuströmte, vermehrte seine Scham, und gerne hätte er sich den Augen der Menschen entzogen. Zum ersten Mal sah man ihn verlegen und unschlüssig.

»Höret auf,« sprach er endlich, »mich zu erheben. Zwar ist mein Herz nicht unempfindlich gegen den Beifall, besonders, wenn er von so gültigen Richtern der Tugend kommt, aber ich fürchte, mich diesem Vergnügen allzusehr zu überlassen. Das Lob verdirbt den Menschen, es macht ihn stolz auf sich selbst, und erfüllt ihn mit eitlen Einbildungen. Man muß es verdienen, aber ihm ausweichen. Wahres Lob gleicht immer dem nicht aufrichtig gemeinten. Die schlimmsten aller Menschen, die Tyrannen, werden von ihren Schmeichlern am meisten erhoben, und wem könnte es Vergnügen machen, gelobt zu werden, wie diese. Bin ich so glücklich, euern Beifall zu verdienen, so werde er mir in meiner Abwesenheit zu Theil; alsdann werde ich mich wirklich geehrt fühlen. Wenn ihr mir echte Tugend zutrauet, so müßt ihr auch glauben, daß ich die Bescheidenheit liebe, und die Eitelkeit hasse. So schonet also meiner, wenn ihr mich achtet, und behandelt mich nicht als einen Menschen, der nach eitlem Lobe dürstet.«

Er sprach's, und achtete derer nicht mehr, die auch jetzt noch fortfuhren, ihn bis an den Himmel zu erheben. Aber seine Miene, die Gleichgültigkeit sprach, hemmte bald den Strom dieser Lobeserhebungen. Man begann zu fürchten, daß er dadurch beleidigt werden möchte.

Aber die Bewunderung stieg nur desto höher, als das Lob verstummte, denn Jedermann war Zeuge seiner innigen Liebe zu Pisistratus und der zärtlichen Sorge gewesen, womit er ihm die letzten Pflichten erwiesen hatte, und das ganze Heer fühlte sich mehr von diesen Beweisen der Güte seines Herzens durchdrungen, als von allen Wundern der Klugheit und Tapferkeit, durch die er sich ausgezeichnet hatte.

»Er ist weise, er ist tapfer,« sagten sie im Verborgenen zu einander; »er ist ein Freund der Götter und der wahre Held unserer Zeit, er ist mehr als ein Mensch; aber alles dies erregt nur unsere Bewunderung setzt uns nur in Erstaunen; er ist leutselig, er ist gütig, er ist treu und zärtlich; mitleidig, freigebig, wohlthätig, er widmet sein Leben denjenigen ganz, die Ansprüche auf seine Liebe zu machen haben, er ist das Entzücken derer, die mit ihm leben, er hat seinen Uebermuth, seine Gleichgültigkeit gegen die Menschen, seinen Trotz abgelegt; dies gibt ihm einen Werth, dies rührt unsere Herzen, dies erfüllt uns mit inniger Zuneigung gegen ihn und macht uns alle seine Vorzüge fühlbar, und dies ist die Ursache, warum ein jeder von uns sein Leben für ihn ließe.«

 

Und nun wurde ohne längern Aufschub die Nothwendigkeit in Ueberlegung genommen, den Dauniern einen König zu geben. Die meisten Fürsten, die der Rathsversammlung beiwohnten, waren der Meinung, daß man das Land, als eine Eroberung, unter sie vertheilen sollte. Man bot Telemach zu seinem Antheil den fruchtbaren Landstrich von Arpi an, der zweimal im Jahr seine Schätze zollt, die reichen Geschenke der Ceres, die süßen Gaben des Bacchus und die immer grüne Frucht des der Minerva geweihten Oelbaums.

»Im Besitz dieser Landschaft,« sagten sie zu ihm, »wirst du bald die dürftigen Hütten von Ithaka, die grauenvollen Felsen von Dulichium und die furchtbaren Wälder von Zacynthus vergessen. Suche nicht länger deinen Vater, denn längst muß ihn die Rache des Nauplius und der Zorn Neptuns bei dem capharischen Vorgebirge in den Wellen begraben haben, nicht deine Mutter, die seit deiner Abreise im Besitze ihrer Freier ist, noch dein Vaterland, dessen Boden der Himmel nicht eben so begünstigt, wie das Land, das wir dir anbieten.«

Ruhig hörte er diese Worte an; aber Thraziens und Thessaliens Felsen sind nicht tauber und fühlloser gegen die Klagen unglücklich Liebender, als Telemach gegen dieses Anerbieten war.

»Reichthum und Wohlleben,« gab er ihnen zur Antwort, »haben keinen Reiz für mich. Was sollte mir der Besitz einer größern Strecke Landes und die Herrschaft über eine größere Menge Menschen? Ich würde nur mehr Unruhe haben und weniger frei sein. Das Leben, auch der besten und weisesten Menschen, hat schon an sich so viele Widerwärtigkeiten, warum sollte man diese noch durch das mühselige Geschäft vermehren, über unlenksame, unruhige, ungerechte, hinterlistige und undankbare Menschen zu herrschen? Wer nur aus eigennützigen Absichten nach der Oberherrschaft strebt, und sie zum Werkzeug seiner Größe, seines Vergnügens und seines Ruhms zu machen sucht, ist ein Lasterhafter, ein Tyrann, ist die Geißel des menschlichen Geschlechts; läßt man sich hingegen bei dem Regieren von den wahren Grundsätzen leiten, die das Wohl der Menschen zum Zweck haben, so ist man weniger ihr Oberherr, als ihr Vormund; man legt sich eine unendliche Arbeit auf, und ist weit entfernt, die Grenzen seiner Herrschaft erweitern zu wollen. Der Hirte, der seine Heerde nicht selbst aufzehrt, der sie, mit Gefahr seines Lebens vor den Wölfen beschirmt, der Tag und Nacht für sie wacht, und nur darauf sinnt, sie auf fette Weiden zu führen, wünscht gewiß nicht, die Zahl seiner Schafe zu vermehren, und seinem Nachbar die Seinigen zu rauben; er würde nur seine Mühe vermehren. Zwar habe ich noch nie regiert,« fügte Telemach hinzu, »aber die Gesetze und die Weisen, die sie gaben, lehrten mich, daß es ein sehr mühevolles Geschäft sei, Städte und Länder zu beherrschen. Mein Ithaka genügt mir, so klein, so dürftig es auch ist, und mein Ruhm wird groß genug sein, wenn ich es nur mit Weisheit, Muth und Gerechtigkeit regiere. Und auch in jenem Lande werde ich nur zu frühzeitig regieren. Ach, daß mein Vater, der Wuth der Wellen entgangen sein, daß er sein Reich bis in sein höchstes Alter beherrschen, und ich lange genug unter seinen Befehlen leben möchte, damit ich lernte, wie man seine Leidenschaften beherrschen müsse, um die Herzen eines ganzen Volkes lenken zu können!

Höret mich, versammelte Fürsten,« fuhr er fort, »höret, was ich glaube, zu eurer eigenen Wohlfahrt euch sagen zu müssen. Gebt ihr den Dauniern einen gerechten Mann zum König, so wird er sein Volk mit Gerechtigkeit regieren. Von ihm werden sie lernen, wie ersprießlich es sei, Treue und Glauben zu halten, und das Eigenthum seiner Nachbarn nie an sich zu reißen. Unter der Regierung des frevelhaften Adrasts konnten sie nie zu diesen Einsichten gelangen. So lange ein König, mit Weisheit und Mäßigung begabt, über sie herrscht, werdet ihr nichts von ihnen zu fürchten haben. Dieser gute König wird euer Geschenk sein, und euch werden sie die Ruhe und Glückseligkeit danken, die sie dann genießen werden. Fern von dem Gedanken, euch feindlich anzufallen, werden sie euch ohne Unterlaß segnen; der König, das ganze Volk, Alles wird das Werk eurer Hände sein. Aber höret nun auch das Unglück, das ich euch verkünde, wenn ihr das Land der Daunier unter euch theilet. Das Volk, zur Verzweiflung gebracht, wird den Krieg von Neuem anfangen; es wird für seine Freiheit fechten, sein Krieg wird gerecht sein, und die Götter, die die Unterdrückung hassen, werden ihnen zur Seite stehen; haben sie aber die Götter zu Freunden, so werdet ihr früher oder später unterliegen; eure errungenen Vortheile werden wie Dünste zerfließen. Weisheit und Klugheit wird von euren Heerführern, der Muth von euren Heeren, der Ueberfluß von euren Ländern weichen. Ihr werdet eitlen Hoffnungen Raum geben, Vermessenheit wird eure Unternehmungen begleiten; den tugendhaften Männern, die den Muth haben, euch die Wahrheit zu sagen, werdet ihr den Mund schließen; schnell werdet ihr fallen, und man wird von euch sagen: sind dies die glorreichen Völker, die der ganzen Welt Gesetze vorschreiben wollten? Jetzt fliehen sie vor ihren Feinden; andere Nationen treten sie unter die Füße, und spotten ihrer; dies ist das Werk der Götter, und eine solche Strafe verdienen übermüthige, ungerechte und grausame Völker. Erwäget auch dies: Wenn ihr das eroberte Land unter euch theilet, so werden sich die benachbarten Völker gegen euch vereinigen. Euer Bund, der Hesperiens Freiheit gegen die ungerechten Anmaßungen Adrasts schützen sollte, wird der Gegenstand des Hasses werden, und alle Völker werden mit Recht klagen, daß ihr es seid, die nach allgemeiner Herrschaft streben.

Aber solltet ihr auch die Daunier und alle anderen Völker überwinden, so würde euch doch dieser Sieg ins Verderben stürzen, und zwar auf folgende Art: Ihr müßt bedenken, daß diese Unternehmung euch alle entzweien wird. Da sie nicht auf Gerechtigkeit gegründet ist, so werdet ihr keinen Maßstab haben, die Ansprüche eines Jeden unter euch darnach zu bestimmen. Jeder wird verlangen, daß sein Antheil an der Beute seiner Macht angemessen sei, und Keiner unter euch wird so viel Ansehen bei den Uebrigen haben, daß diese Theilung friedlich vorgenommen werden könnte. Sehet hier den Ursprung eines Krieges, dessen Ende eure Enkel nicht erleben werden. Sollten wir also nicht lieber Gerechtigkeit und Mäßigung wählen, als uns von ehrgeizigen Entwürfen leiten lassen, die mit so vielen Gefahren, mit so viel unvermeidlichem Unglück verbunden sind? Ein unerschütterlicher Friede, die sanften, unschuldigen Freuden, die ihn begleiten, der beglückende Ueberfluß, die Liebe unserer Nachbarn, die Ehre, die von der Gerechtigkeit unzertrennlich ist, das hohe Ansehen, das man sich durch Redlichkeit erwirbt, und uns zu Schiedsrichtern aller Völker macht, sind dies nicht weit dauerhaftere Güter, als der vergängliche Ruhm, der uns durch eine ungerechte Eroberung zu Theil wird? Fürsten, Könige, ihr sehet, daß ich ohne eigennützige Absichten zu euch spreche, gebet also demjenigen Gehör, der aus Liebe zu euch die Gefahr nicht scheut, euch durch seinen Widerspruch und die Wahrheit, die er euch vorstellt, zu beleidigen.«

Während Telemach mit einer Würde sprach, die man noch bei keinem Menschen gesehen hatte, und die versammelten Fürsten, vor Erstaunen außer sich, die Weisheit seiner Worte bewunderten, hörte man ein verworrenes Getöse, das sich durch das ganze Lager verbreitete, und bis an den Ort gelangte, wo die Versammlung gehalten wurde. Ein Fremdling, so hieß es, ist mit einem Haufen bewaffneter Männer an der Küste gelandet; in seinem Ansehen ist hohe Würde. Alles an ihm verkündigt den Helden. Man sieht leicht, daß er lange gelitten, aber daß hoher Muth ihn über seine Leiden erhoben hat. Erst wollten ihn die Eingebornen des Landes, die die Küste bewachten, als einen Feind abtreiben, der ihr Land mit einem Einfall bedrohte, aber er zog sein Schwert, und erklärte mit Unerschrockenheit, daß er sich zu vertheidigen wissen würde, im Fall sie ihn angreifen sollten, aber daß er nur Frieden und Gastfreiheit verlange. Kniend reichte er sodann einen Oelzweig hin. Man glaubte ihm. Er hat begehrt, zu den Beherrschern dieser Küste geführt zu werden, und wirklich wird er hierher gebracht, um mit den versammelten Fürsten zu sprechen.

Kaum hatten sie dieses gesagt, so trat der Fremde mit einer Hoheit in die Versammlung, die Jeden in Erstaunen setzte. Man glaubte, den Kriegsgott zu erblicken, wenn er auf Thraziens Gebirgen seine blutdürstigen Heere versammelt. Er begann also:

»Hirten der Völker, die ihr sonder Zweifel hier versammelt seid, um das Vaterland gegen Feinde zu schützen, oder weisen Gesetzen Kraft zu verschaffen, höret einen Menschen, den das Schicksal verfolgt hat. Mögen die Götter ähnliche Leiden von euch entfernen! Ich bin Diomedes, Etoliens König, der einst vor Troja die Venus-verwundete. Die Rache dieser Göttin verfolgt mich durch die ganze Welt. Neptun, welcher dieser göttlichen Tochter des Meers nie eine Bitte versagt hat, gab mich der Wuth der Winde und Wellen Preis; oft schleuderten sie mein Schiff an die Klippen. Die unerbittliche Göttin raubt mir jede Hoffnung, mein Reich, meine Verwandten und das süße Licht des Landes wieder zu erblicken, dessen Strahlen mir bei meiner Geburt leuchteten. Ach, nur zu gewiß ist es, daß ich nie wiedersehen werde, was mir am Theuersten auf der Welt war! Nach so vielen erlittenen Schiffbrüchen komme ich nun an diese unbekannte Küste, um an derselben einige Ruhe und eine sichere Freistätte zu suchen. Wenn ihr die Götter scheuet, und vor allen Jupitern, der die Fremdlinge schützet, wenn euer Herz das Mitleid kennt, o so weigert mir nicht in diesem großen Lande irgend einen unfruchtbaren Winkel, eine sandige Einöde, oder einen steilen Felsen, um daselbst mit meinen Genossen, eine Stadt zu gründen, das traurige Bild unsers verlornen Vaterlandes! Was wir begehren, ist ein wenig Erde, die euch keinen Nutzen bringt. Wir wollen im Frieden und inniger Verbindung mit euch leben; eure Feinde werden die Unsrigen, euer Vortheil der Unsrige sein. Das Einzige, was wir verlangen, ist die Freiheit, nach unsern Gesetzen leben zu dürfen.«

Während Diomedes sprach, blickte ihn Telemach mit unverwandten, Augen an; alle noch so verschiedene Leidenschaften bildeten sich auf; seinem Gesichte ab. Als Diomedes von seinen langwierigen Leiden zu reden begann, stieg der Gedanke in seiner Seele auf, dieser ehrwürdige Mann könnte sein Vater sein. Sobald er aber seinen Namen genannt hatte, entfärbte sich sein Gesicht, wie sich eine schöne Blume entfärbt, die der zerstörende Hauch des ungestümen Nords ihrer Anmuth beraubt. Diomedens Klagen über den unversöhnlichen Zorn der Göttin rührten sein Herz; er dachte an ähnliche Leiden, die er und sein Vater erduldet. Thränen des Schmerzes und der Freude flossen ihm über die Wangen; aber nun hielt er sich nicht mehr, er eilte auf Diomeden zu, und schloß ihn in seine Arme.

»Ich bin,« sprach er zu ihm, »der Sohn des Ulysses, den du einst kanntest, deines Gehülfen, als ihr die berühmten Rosse des Rhesus entführtet. Wie dich, so verfolgen auch ihn die Götter ohne Erbarmen. Er lebt noch, wofern die Aussprüche des Erebus nicht trüglich sind. Aber ach, er lebt nicht für seinen Sohn! Ich verließ Ithaka, um nach ihm zu forschen, aber ich fand ihn nicht, und auch Ithaka wieder zu sehen ist mir nicht vergönnt. Aus meinen eigenen Leiden kannst du ermessen, wie sehr mein Herz von Mitleiden gegen dich bewegt sei, denn dies ist der Vortheil der Leiden, daß sie das Herz zum Mitgefühl erweichen. Ob ich aber gleich in diesem Lande nur ein Fremdling bin, so kann ich dir doch, großer Diomedes, (ich nenne dich so, denn traf gleich mein Vaterland während meiner Kindheit Unglück, so ist doch meine Erziehung nicht so sehr vernachlässigt worden; daß ich nicht wissen sollte, welch hohen Ruhm du dir in den Gefechten erwarbst) dir, dem tapfersten aller Griechen nach Achill, einige Hülfe leisten. Die Fürsten, die du hier siehest, kennen die Gefühle der Menschlichkeit; sie wissen, daß ohne sie keine Tugend, kein wahrer Muth, keine dauerhafte Ehre stattfindet. Das Unglück gibt dem Ruhm großer Männer einen neuen Glanz, und ihre Größe hat noch nicht die höchste Stufe erreicht, wenn sie nie unglücklich gewesen sind. Wir vermissen in ihrem Leben belehrende Beispiele von Geduld und Standhaftigkeit. Die leidende Tugend bewegt jedes Herz zum Mitleiden, das für das Gute Empfänglichkeit hat. Ueberlaß uns also die Sorge, dich in deinem Ungemach zu trösten. Die Götter selbst führten dich zu uns; es ist ein Geschenk, das sie uns in dir machen, und wir müssen uns glücklich schätzen, deine Leiden lindern zu können.«

Diomedes sah Telemach, während dieser sprach, mit Erstaunen an, seine Blicke ruhten auf ihm, sein ganzes Herz fühlte sich erschüttert. Sie umarmten einander, als wenn sie lange schon innige Freunde gewesen wären.

»Würdiger Sohn des weisen Ulysses,« sagte Diomedes zu ihm, »du bist es! du hast seine sanfte Miene, seine liebliche Rede, seine hinreißende Beredsamkeit, seine edeln Gesinnungen und seine tiefen Einsichten.«

Auch Philoktet umarmte den großen Sohn des Tydeus. Sie erzählten einander die traurigen Begebenheiten ihres Lebens. Hierauf sagte Philoktet zu ihm:

»Ich zweifle nicht, daß du dich freuen wirst, den weisen Nestor wieder zu sehen. Er hat vor Kurzem Pisistratus, den letzten seiner Söhne, verloren. Das Leben hat keinen Reiz mehr für ihn; auf bethräntem Pfade wandelt er dem Grabe zu. Komm, sei sein Tröster; wer könnte seinem bekümmerten Herzen so gut Erleichterung verschaffen, als ein unglücklicher Freund!«

Sie gingen in Nestors Zelt. Kaum erkannte er Diomeden, so sehr hatte der Gram seinen Geist und seine Sinne geschwächt. Anfangs weinte Diomedes mit ihm, und sein Anblick vermehrte den Schmerz des Greises, aber allmählich erleichterte die Gegenwart dieses Freundes sein Herz. An dem Vergnügen, das er empfand, von seinem Unglück zu sprechen und Diomedens Begebenheiten anzuhören, konnte man sehen, daß sein Gram ein wenig nachgelassen hatte.

Während diese sich unterhielten, rathschlagten die versammelten Fürsten mit Telemach, was hier zu thun sei. Telemach rieth ihnen, dem Diomedes das Land der Arpiner zuzutheilen und zum König der Daunier den Polydamas zu ernennen, der von ihrem Volke war.

Polydamas war ein berühmter Heerführer, dessen sich Adrast aus Eifersucht nie bedienen wollte, weil er besorgte, man möchte das Glück seiner Waffen diesem geschickten Manne zuschreiben, und er seinen Ruhm mit Niemand theilen wollte. Oft hatte ihn Polydamas insgeheim gewarnt, sein Leben und das Wohl seines Staats in einem Kriege gegen so viele gegen ihn verschworne Fürsten nicht zu sehr aufs Spiel zu setzen. Er hatte sich bemüht, ihn dahin zu bringen, gegen seine Nachbaren mit mehr Mäßigung zu verfahren; aber Menschen, die die Wahrheit hassen, hassen auch diejenigen, die den Muth haben, sie zu sagen; weder die Aufrichtigkeit, noch der Eifer, noch die Uneigennützigkeit derselben, macht einen Eindruck auf sie. Der Schimmer eines täuschenden Glücks hatte den heilsamsten Ermahnungen den Eingang in das Herz Adrasts verschlossen. Auch triumphirte er täglich über seine Feinde, indem er andern Grundsätzen folgte, und Stolz, Treulosigkeit und gewaltsame Thaten verschafften ihm stets den Sieg. Keine der Widerwärtigkeiten, womit ihn Polydamas so lange bedroht hatte, traf ihn. Adrast spottete einer furchtsamen Weisheit, die nichts als Unglück weissagen konnte. Polydamas war ihm unerträglich, er entfernte ihn von allen Aemtern und ließ ihn in Armuth und Einsamkeit schmachten.

Anfänglich erlag Polydamas dieser Verachtung und Zurücksetzung, aber die Ungnade seines Herrn öffnete ihm die Augen über die Nichtigkeit eines großen Glücks, und verschaffte ihm die Eigenschaften, die ihm noch fehlten. Seine Erfahrungen machten ihn weise. Er freute sich seines widrigen Geschicks. Er lernte allmählich seinen Kummer unterdrücken, sich mit Wenigem begnügen, in stiller Einsamkeit sich mit Erforschung der Wahrheit beschäftigen, und die verborgenen Tugenden üben, die den glänzenden weit vorzuziehen sind. Mit einem Wort, er lernte die Menschen entbehren.

Er lebte in einer Einöde am Fuße des Garganus; ein halb ausgehöhlter Felsen diente ihm zur Wohnung; ein Bach, der vom Felsen herabfiel, stillte seinen Durst; einige Bäume in seiner Nähe nährten ihn mit ihren Früchten. Zwei seiner Sclaven bauten ein kleines Feld, und er arbeitete mit ihnen. Die Erde lohnte seine Mühe reichlich, und ließ es ihm an nichts fehlen; sie gab ihm nicht allein Früchte und Gartengewächse in Ueberfluß, sondern auch wohlriechende Blumen jeder Art. In dieser Abgeschiedenheit beweinte er das Unglück der Völker, die der thörichte Ehrgeiz ihrer Fürsten zum Verderben hinreißt, und hier erwartete er mit jedem Tage, daß die langmüthigen, aber gerechten Götter Adrasten stürzen würden.

Je höher das Glück dieses Fürsten stieg, desto näher und unvermeidlicher schien ihm sein Fall zu sein, denn eine Glückseligkeit, die sich auf Thorheit und Lasterhaftigkeit gründet, und eine Macht, die sich bis zur Höhe einer unumschränkten Herrschaft emporgeschwungen hat, sind die Vorboten des Untergangs der Reiche und ihrer Beherrscher. Er erfuhr die Niederlage und den Tod Adrasts; aber er freute sich weder, daß er sein Schicksal vorhergesehen, noch daß er von dem Tyrannen befreit sei; nur die Sorge bekümmerte sein Herz, daß die Daunier in die Knechtschaft gerathen möchten.

Dies war der Mann, den Telemach zum König vorschlug. Schon lange war ihm sein Muth und seine Rechtschaffenheit bekannt, denn er forschte, dem Rathe Mentors gemäß, überall, wo er auch sein mochte, sorgsam nach den guten und schlimmen Eigenschaften aller Personen, die höhere Aemter bekleideten, sowohl bei den verbündeten Völkern, denen er in diesem Kriege diente, als auch bei den Feinden. Seine vornehmste Sorge war, an allen Orten die Menschen aufzufinden und kennen zu lernen, die sich durch irgend ein Talent oder irgend eine hervorstechende Tugend auszeichneten.

Die Verbündeten Fürsten zeigten Anfangs einige Abneigung, dem Polydamas die Königswürde zu ertheilen.

»Wir haben die Erfahrung gemacht,« sagten sie, »wie furchtbar ein König der Daunier, der den Krieg liebt, und ihn zu führen versteht, seinen Nachbaren ist. Polydamas ist ein großer Feldherr; seine Erhebung kann uns großen Gefahren aussetzen.«

Telemach erwiederte:

»Es ist wahr, Polydamas weiß den Krieg zu führen, aber er liebt den Frieden, und gerade diese zwei Eigenschaften müssen wir an ihm wünschen: Ein Mann, der die Leiden, die Gefahren und die Schwierigkeiten des Krieges kennt, ist weit mehr geeignet, ihn zu vermeiden, als ein anderer, der von all diesem keine Erfahrung hat. Polydamas hat die Annehmlichkeiten eines stillen Lebens geschmeckt, er hat die Entwürfe Adrasts gemißbilligt, er sah ihre verderblichen Folgen vorher. Ein schwacher, unwissender und unerfahrener Fürst ist mehr für euch zu fürchten, als ein Mann, der alles selbst untersucht, und seinen eigenen Einsichten folgt. Jener sieht nur durch die Augen eines parteiischen Günstlings oder eines einschmeichelnden, unruhigen, ehrsüchtigen Dieners. Ein solcher verblendeter Fürst läßt sich wider seinen Willen zum Krieg hinreißen. Ihr könnet euch nie auf ihn verlassen, da er seiner selbst nicht gewiß ist. Er wird sein gegebenes Wort brechen, und bald werdet ihr in die Nothwendigkeit gesetzt sein, entweder selbst unterdrückt zu werden, oder ihn zu Grunde zu richten. Sollte es nicht nützlicher, sicherer und zu gleicher Zeit gerechter und edler sein, das Zutrauen der Daunier redlich zu erfüllen, und ihnen einen König zu geben, der würdig ist, Herrscher zu sein?«

Diese Worte wirkten bei der ganzen Versammlung Ueberzeugung, und man schlug den Dauniern, die einer entscheidenden Antwort mit Ungeduld harrten, den Polydamas zum König vor. Als sie den Namen Polydamas hörten, sagten sie:

»Jetzt erkennen wir, daß die verbündeten Fürsten aufrichtig mit uns zu Werke gehen, und ewigen Frieden mit uns zu halten gedenken, denn sie geben uns einen tugendhaften Mann zum König, der die Fähigkeiten hat, uns zu beherrschen. Hätten sie uns einen verzagten Weichling, einen Unwissenden vorgeschlagen, so würden wir geglaubt haben, daß sie keine andere Absicht hätten, als uns zu unterdrücken, und unsere Verfassung umzuwerfen; Ein so hartes, so hinterlistiges Verfahren würde in unsern Herzen, stets einen geheimen Groll genährt haben; aber die Wahl des Polydamas zeugt von ungeheuchelter Aufrichtigkeit. Ohne Zweifel erwarten die Verbündeten nichts von uns, als was gerecht und billig ist, weil sie uns einen König geben, der unfähig ist, etwas zu thun, das der Freiheit und Ehre unsers Volkes nachtheilig wäre. Auch werden die Flüsse eher zu ihren Quellen zurückkehren (wir bezeugen es vor den gerechten Göttern!), als daß wir je aufhören sollten, unsere Wohlthäter zu lieben. Möchten unsere entferntesten Enkel sich noch des Geschenkes erinnern, das wir heute aus ihrer Hand empfangen, und möchte von Geschlecht zu Geschlecht sich der Friede des goldenen Zeitalters an Hesperiens Küsten erneuern.«

Telemach schlug hierauf den Dauniern vor, Diomeden die arpinischen Felder einzuräumen, um eine Pflanzstadt daselbst zu errichten.

»Dieses neue Volk,« sagte er zu ihnen, »wird euch auf immer für die Wohnplätze dankbar sein, die ihr ihm in einem Lande einräumet, das ihr nicht bewohnet. Bedenket, daß die Menschen verbunden sind, sich gegenseitig zu lieben, daß die Erde noch immer zu viel Raum für sie hat, daß wir nicht ohne Nachbarn sein können, und daß es besser für uns ist, solche Menschen um uns herzu haben, die uns für ihre Niederlassung verpflichtet sind. Lasset euch die Leiden eines Königs rühren, der nicht mehr in sein Reich zurückkehren kann. Polydamas und er, durch die Bande der Gerechtigkeit und Tugend vereinigt, die einzigen, welche die Zeit nicht zerstört, werden euch einen dauerhaften Frieden verschaffen, und euch allen benachbarten Völkern furchtbar machen, die sich zu vergrößern Lust bezeigen sollten. Ihr sehet, Daunier, daß wir eurem Lande und eurem Volke einen Fürsten gegeben haben; der fähig ist, den Ruhm desselben bis an den Himmel zu erheben; so räumet also auch, da wir euch darum bitten, einem Könige ein Stück Landes ein, das euch unnütz ist, einem Manne, der es werth ist, daß man ihm beistehe.«

Die Daunier antworteten, daß sie dem Telemach, durch dessen Vermittlung sie den Polydamas zum König bekommen, nichts verweigern könnten. Sogleich machten sie sich auf, denselben in seiner Einsamkeit aufzusuchen, um ihn auf den Thron zu setzen. Ehe sie abreisten, übergaben sie Diomeden die fruchtbaren arpinischen Ebenen, daselbst ein neues Reich zu gründen.

Die Genossen des Bundes freuten sich dessen, denn diese griechische Pflanzstadt gab ihrer Macht einen neuen Zuwachs, wenn es die Daunier wieder versuchen sollten, Eingriffe in ihre Rechte zu thun, wovon Adrast das böse Beispiel gegeben hatte.

Die Fürsten dachten nun an ihre Trennung.

Telemach umarmte mit inniger Zärtlichkeit den tapfern Diomed, den weisen, tief bekümmerten Nestor und den berühmten Philoktet, den würdigen Erben der Pfeile des Herkules. Alsdann reiste er mit seinen Kretern von dannen, und Thränen entfielen seinen Augen.



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