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Achtzehntes Buch.

Telemach, durch mehrere Träume überzeugt, daß sein Vater nicht mehr lebe, setzt sein Vorhaben ins Werk, ihn im Schattenreiche aufzusuchen. Er verläßt das Lager. Zwei Kreter begleiten ihn bis zu einem Tempel nahe bei der berüchtigten Höhle von Acheruntia. Er dringt in sie ein, von Nacht umgeben, gelangt an das Gestade des Styx, und Charon nimmt ihn in seinen Nachen auf. Er erscheint vor Pluto, und findet ihn vorbereitet und willig, ihm zu gestatten, seinen Vater zu suchen. Er durchwandelt den Tartarus, und ist ein Zeuge der Qualen, welche die Undankbaren, die Meineidigen, die Heuchler und vornehmlich die bösen Fürsten zu erdulden haben.


N ach der Schlacht, in der er einen beträchtlichen Verlust erlitten hatte, zog Adrast sich mit seinem Kriegsheer hinter den Berg Aulon zurück, um Hülfsvölker an sich zu ziehen, und Anstalten zu einem neuen Ueberfall seiner Feinde zu machen. Gleich einem ausgehungerten Löwen, der von einem Schafstall abgetrieben, sich wieder in die dunkeln Wälder zurückschleicht, und in seine Höhle kriecht, wo er sich Zähne und Klauen wetzt, und den günstigen Augenblick erwartet, die Heerden zu erwürgen.

Nachdem Telemach sich hatte angelegen sein lassen, eine genaue, Kriegszucht in dem Lager einzuführen, richtete er jetzt seine Gedanken allein auf die Ausführung eines Vorhabens, das er gefaßt hatte, aber vor allen Führern geheim hielt. Schon geraume Zeit wurde er jede Nacht durch Träume beunruhigt, in denen ihm sein Vater Ulysses erschien. Dieses theure Bild kehrte immer wieder gegen das Ende der Nacht zurück, ehe Aurora herauf steigt mit ihren jungen Strahlen, die wandelnden Sterne vom Himmel, und von der Erde den süßen Schlummer sammt seinen Begleitern, den flüchtigen Träumen, zu verscheuchen. Jetzt däuchte es ihm, er sehe seinen Vater nackt auf einer beglückten Insel am Ufer eines Flusses auf einer blumigen Wiese, von Nymphen umgeben, die ihm Kleider zuwürfen, um sich zu bedecken; jetzt wähnte er, er höre seine Stimme in einem von Gold und Elfenbein schimmernden Palaste, in einer Gesellschaft blumenbekränzter Menschen, die ihm mit Vergnügen und Bewunderung zuhörten: Oft erschien er ihm auf einmal bei einem Gastmahl, wo Fröhlichkeit unter den Lustbarkeiten herrschte, und eine süße, melodische Stimme, lieblicher als die Stimme der Musen, in eine Leier sang, die die Leier Apolls an Wohllaut übertraf.

Telemachs Herz versank immer beim Erwachen aus diesen Träumen in Wehmuth.

»O, mein Vater,« rief er, »Ulysses, mein geliebter Vater! Warum erscheinen mir nicht eher die furchtbarsten Träume? Diese Bilder der Glückseligkeit verkünden mir, daß du schon zu den Wohnungen jener seligen Geister hinabgestiegen bist, deren Tugend die Götter mit ewiger Ruhe belohnen. Schon däucht mir, ich sehe die elysischen Gefilde. Wie schrecklich, der Hoffnung entsagen zu müssen! Soll ich dich denn nie wieder sehen, mein theurer Vater, nie denjenigen wieder in meine Arme schließen, der mich so zärtlich liebte, den ich mit so ängstlicher Erwartung suche? Werde ich nie diesen Mund mehr reden hören, dem nur Weisheit entfloß? Nie diese Hände mehr küssen, diese theuren, siegreichen Hände, die so manchen Feind niedergestürzt haben? Sie werden also nie die verwegenen Freier Penelopens bestrafen, und Ithaka wird sich nie wieder von seinem Verfall erholen? – Meinem Herzen jede Hoffnung zu entreißen, sendet ihr mir diese traurigen Träume, o ihr Götter, Feinde meines Vaters. Mit der Hoffnung raubt ihr mir zugleich das Leben. Wie könnte ich es länger in dieser Ungewißheit aushalten? Aber was sage ich? – Ach, nur zu gewiß bin ich, daß Ulysses nicht mehr ist! So will ich denn seinen Schatten in der Unterwelt aufsuchen. Auch Theseus gelang es, ins Schattenreich einzugehen, Theseus, diesem Ruchlosen, der den Göttern des Orkus trotzte, und mich leitet nur kindliche Liebe. Auch Herkules betrat diese Bahn. Ich bin nicht Herkules, aber es ist rühmlich, seinen Muth nachzuahmen. Vermochte doch Orpheus durch die Erzählung seiner Leiden das Herz jenes Gottes zu rühren, den die Menschen unerbittlich nennen, daß er Euridicen vergönnte, unter die Lebenden zurückzukehren. Verdiene ich nicht mehr Mitleid, als Orpheus! Habe ich nicht mehr verloren? Wer wagt es, ein Mädchen, so vielen andern ähnlich, dem weisen Ulysses zu vergleichen, den ganz Griechenland bewundert? Wohlan! und wenn es auch das Leben gälte! Warum sollte ein Unglücklicher wie ich den Tod fürchten? Bald, o Pluto, o Proserpina! bald werde ich erfahren, ob ihr die Unerbittlichen seid, die man euch nennt. O, mein Vater, nachdem ich lange vergebens Länder und Meere durchirrte, um dich wieder zu finden, will ich jetzt sehen, ob du vielleicht die dunkle Behausung der Todten bewohnest. Wenn die Götter mir nicht vergönnen, dich auf der Erde zu besitzen, und dich im Lichte der Sonne zu schauen, so werden sie mir vielleicht die Bitte nicht weigern, wenigstens deinen Schatten im Reiche der Nacht zu erblicken.«

Indem er diese Worte sagte, benetzte er sein Lager mit Thränen. Dann erhob er sich von demselben, um durch den Anblick des Lichts seinem beängstigten Geiste einige Erleichterung zu verschaffen. Aber sein Schmerz war ein Pfeil, der ihm das Herz durchdrungen hatte, und den er überall mit sich trug.

In diesem quälenden Zustande beschloß er, durch einen berüchtigten Ort, der nicht fern vom Lager war, in die Unterwelt hinabzusteigen Dieser Ort wurde Acheruntia genannt, denn dort war eine furchtbare Höhle, durch die man zu den Ufern des Acheron gelangte, dieses Flusses, bei welchem zu schwören sich die Götter selbst scheuen. Die Stadt war auf einem Felsen erbaut; sie schwebte in der Höhe, wie das Nest eines Vogels auf dem Gipfel eines Baumes.

Am Fuß dieses Felsen befand sich die Höhle. Die bangen Sterblichen wagten es nicht, sich ihr zu nahen, und sorgsam entfernten die Hirten ihre Heerden von ihr. Ein Schwefeldampf stieg unaufhörlich durch diese Oeffnungen vom stygischen Sumpf empor, und vergiftete die Luft. Rings um sie her wuchs weder Gras noch Blumen. Hier wehte kein sanfter Zephyr, kein Frühling entfaltete seine zarten Blüthen, und nie sah man hier die reichen Gaben des Herbstes. Die ausgetrocknete Erde schmachtete. Höchstens erblickte man hier und da entblätterte Gesträuche und traurige Cypressen. Weit umher versagte der Boden dem Landmann die goldenen Früchte der Ceres. Vergebens hoffte man hier sich der süßen Geschenke des Bacchus zu erfreuen. Die Trauben vertrockneten, ehe sie reiften. Die trauernden Najaden ergossen nur trübe und bittere Quellen; kein süßes Wasser entströmte ihren Urnen.

In dieser von Dornen und wildem Gesträuch starrenden Wildniß hörte man nie den Gesang der Vögel; kein Gebüsch nahm sie in seine Schatten auf; eilends entflogen sie, um ihre Liebe unter einem mildern Himmel zu singen. Keinen andern Laut vernahm man hier, als das Gekrächz der Raben und die traurige Stimme der Nachteule. Das Gras selbst war bitter, und die Heerden, die sich davon nährten, wandelten traurig einher. Die Stiere flohen die Kühe, und der muthlose Hirte vergaß seiner Pfeife und Flöte.

Ein dicker, schwarzer Rauch entstieg von Zeit zu Zeit der Höhle, und verdunkelte die Luft mitten am Tage. Alsdann brachten die Bewohner dieser Gegenden häufigere Opfer, um die unterirdischen Götter zu versöhnen. Aber oft waren es nur Menschen in der Blüthe des Lebens, die diese grausamen Götter zum Opfer verlangten, und die sie durch eine verderbliche Seuche hinwegrafften.

Hier beschloß Telemach den Weg zur dunkeln Behausung des Pluto zu suchen. Minerva, die stets über ihn wachte, und ihn mit ihrer Aegyde bedeckte, hatte den Pluto für ihn gewonnen. Jupiter selbst hatte, auf Minervens Bitte, den Merkur, der jeden Tag zur Unterwelt hinabsteigt, um dem Charon eine gewisse Anzahl von Todten zu überliefern, abgesendet, dem König der Schatten zu befehlen, daß er dem Sohne des Ulysses den Eingang in sein Reich gestatten sollte.

Telemach verließ bei nächtlicher Weile das Lager. Er wandelte im Scheine des Mondes. Er flehte zu jener mächtigen Gottheit, die am Himmel als das glänzende Gestirn der Nacht erscheint, die auf der Erde die keusche Diana, und in der Unterwelt die furchtbare Hekate genannt wird. Die Götter erhörten sein Gebet, denn er war reines Herzens, und ihn trieb die Pflicht des Sohnes, fromme Liebe zu seinem Vater.

Kaum hatte er sich dem Eingang der Höhle genähert, als ihm ein dumpfes Brausen aus der Unterwelt entgegen scholl. Die Erde bebte unter seinen Füßen. Leuchtende Blitze schossen durch den Himmel, und schienen zur Erde herabzufahren. Banges Entsetzen ergriff den Sohn des Ulysses. Ein kalter Schweiß bedeckte seinen Körper; aber sein Muth verließ ihn nicht. Er hob Augen und Hände gen Himmel, und rief aus:

»Mächtige Götter, ich halte diese Zeichen, die ihr mir sendet, für glückkündend, vollendet euer Werk!«

Er sprach's, verdoppelte seine Schritte, und betrat muthig den Eingang.

Sogleich zerfloß der dicke Rauch, der den Eingang der Höhle allen Thieren, die sich ihm nahten, verderblich machte, und der Pest bringende Geruch hörte auf kurze Zeit auf. Telemach trat allein in die Höhle, denn welcher andere Sterbliche hätte es gewagt, ihm zu folgen? Zwei Kreter, welche ihn bis zu einer gewissen Entfernung von der Höhle begleitet, und denen er sein Vorhaben anvertraut hatte, blieben weit von derselben zitternd und halb todt in einem Tempel, brachten Gelübde dar, und hofften nicht, Telemach je wieder zu sehen.

Indessen dringt der Sohn des Ulysses mit entblößtem Schwert immer weiter in dem furchtbaren Dunkel vorwärts. Nicht lange, so leuchtete ihm ein schwacher, düsterer Schimmer entgegen, wie man ihn bei Nacht auf der Erde sieht. Jetzt erblickt er die leichten Gestalten der Todten, die ihn von allen Seiten umschweben. Er zerstreut sie mit seinem Schwert. Alsdann entdeckt er die traurigen Ufer jenes schlammigen Flusses, dessen trübe und stille Wasser sich immerfort im Kreise drehen. Schaaren von Todten, des Begräbnisses beraubt, bedeckten diese Ufer, und flehten vergebens zu dem unerbittlichen Charon. Dieser Gott, vom ewigen Alter belastet, mürrisch und finster, aber voll rastloser Thätigkeit, bedroht sie, stößt sie zurück, aber den jungen Griechen nimmt er sogleich in seinen Nachen auf. Kaum war Telemach in denselben getreten, als das Wehklagen einer trostlosen Seele in sein Ohr drang.

Er sprach zu dem Schatten:

»Welches Leiden drückt dich, und wer warst du auf der Erde?«

Und die Gestalt antwortete ihm:

»Ich war Nabopharzan, König des stolzen Babylon. Bei meinem bloßen Namen zitterten alle Völker des Morgenlandes. Auf meinen Befehl erwiesen mir die Babylonier in einem Tempel von Marmor göttliche Ehre, und opferten Tag und Nacht vor meiner Bildsäule das auserlesenste Rauchwerk Aethiopiens. Niemand wagte es je, mir zu widersprechen, ohne sogleich die Strafe seiner Vermessenheit zu büßen. Jeden Tag suchte man neue Ergötzlichkeiten zu erfinden, um mir das Leben angenehm zu machen. Ich war noch jung und in meiner vollen Kraft. Ach, wie manche Freuden hätte ich noch auf dem Throne schmecken können! Aber ein Weib, das die Liebe nicht erwiederte, die ich für sie fühlte, benahm mir den Wahn, daß ich ein Gott sei. Sie vergiftete mich, und nun ist alle meine Herrlichkeit zu Ende. Mit großem Gepränge sammelte man gestern meine Asche in eine goldene Urne. Man vergoß Thränen; man riß sich die Haare aus; man trieb die Verstellung so weit, sich in die Flammen meines Scheiterhaufens stürzen, und mit mir sterben zu wollen, und noch seufzt man am Fuße des prächtigen Grabmals, wo sie meine Asche hingelegt haben. Aber Niemand ist, der meinen Verlust herzlich bedauert; selbst die Meinigen verabscheuen mein Andenken, und schon erdulde ich hiernieden schreckliche Qualen.«

Telemach, von diesem Anblick gerührt, fragte ihn:

»Warst du denn auch in der That glücklich, so lange du auf dem Throne saßest? Empfandest du jene süße Ruhe der Seele, ohne welche das Herz auch mitten unter den Ergötzlichkeiten beklemmt ist, und schmachtet?«

»Nein,« antwortete der Babylonier, »ja, ich verstehe nicht einmal den Sinn deiner Worte. Die Weisen rühmen diese Seelenruhe als das höchste Gut, ich selbst aber habe sie nie gefühlt. Mein Herz wurde unaufhörlich von neuen Begierden, von Furcht und Hoffnung umhergetrieben. Ich suchte meine Seele durch heftige Bewegungen zu betäuben, und sie in einem fortwährenden Taumel zu erhalten. Selbst der kürzeste Augenblick von ruhigem Nachdenken würde allzuschmerzlich für mich gewesen sein. Dies ist die Ruhe, die ich im Leben genoß: jede andere schien mir ein Traum, ein Mährchen, und dies sind die Güter, deren Verlust ich beklage.«

Als der Babylonier dies sagte, weinte er gleich einem weibischen Menschen, den das Unglück entnervt hat, und der nicht gewohnt ist, ein Unglück mit Seelenstärke zu ertragen. Einige seiner Sclaven umgaben ihn. Sie waren getödtet worden, sein Leichenbegängniß zu verherrlichen. Merkur hatte sie dem Charon nebst ihrem König überliefert, und ihnen eine unumschränkte Macht über den gegeben, dem sie auf Erden gedient hatten. Die Seelen dieser Sclaven fürchteten nun nicht mehr den Schatten des Nabopharzan. Sie schleppten ihn an Ketten und ließen ihn die grausamsten Mißhandlungen erfahren.

Einer dieser Sclaven sagte zu ihm:

»Waren wir nicht Menschen, wie du? Wie konntest du denn wahnsinnig genug sein, dich für einen Gott zu halten? Hättest du dich nicht erinnern sollen, daß du mit andern Menschen gleichen Ursprungs seiest?«

»Wohl hattest du Recht, zu verlangen,« sagte ein Anderer, »daß man dich für etwas anderes, als einen Menschen halten sollte, denn du warst ein Ungeheuer und besaßest keine Menschlichkeit.«

Ein Dritter begann: »Wo sind sie jetzt, deine Schmeichler? Du hast nichts mehr zu geben, Unglücklicher, du kannst nichts mehr schaden, du bist der Sclave deiner eigenen Sklaven geworden. Langsam naht sich die Rache der Götter, aber endlich erreicht sie den Schuldigen.«

Bei Anhörung dieser harten Worte warf sich Nabopharzan mit dem Gesicht zur Erde, und raufte sich, vor Wuth und Verzweiflung ergriffen, die Haare aus.

Aber Charon rief den Sclaven zu:

»Ergreift ihn an seinen Ketten, reißt ihn an denselben wider seinen Willen auf. Er soll nicht einmal den Trost haben, seine Schande zu verbergen; alle Geister der Unterwelt sollen Zeugen derselben sein, damit die Götter gerechtfertigt werden, die zugeben, daß dieser Ruchlose so lange auf der Erde regierte. Und dies ist nur erst der Anfang deiner Qualen, o Babylonier; noch wartet deiner das unerbittliche Gericht des Minos, des Richters der Unterwelt.«

Während Charon diese fürchterlichen Worte sprach, hatte der Nachen schon das Gestade des Reichs des Pluto erreicht. Alle Schatten eilten herbei, diesen Lebenden zu sehen, der sich mitten unter Todten in dem Nachen befand. Aber schnell entflohen sie, als Telemach ans Land stieg, den nächtlichen Schatten ähnlich, die ein schwacher Schimmer des Tageslichts zerstreut.

Mit minder wilden Blicken und minder finsterm Gesichte, als er sonst zeigte, sprach Charon zu dem jungen Griechen:

»Eile, von den Göttern geliebter Sterblicher, dem es vergönnt ist, das jedem Lebenden unzugängliche Reich der Nacht zu betreten, eile, wohin dich deine Bestimmung ruft. Geh auf diesem dunkeln Pfade zum Palaste des Pluto. Du wirst ihn auf seinem Throne sitzend finden, und er wird dir gestatten, in jene Oerter einzugehen, deren Verborgenheit dir zu enthüllen mir nicht erlaubt ist.«

Sogleich eilte Telemach mit großen Schritten vorwärts. Von allen Seiten schwebten die Schatten um ihn, zahlreicher, als der Sand, der die Ufer des Meeres bedeckt. Ein heiliger Schauer faßte sein Herz, als er durch das tiefe Schweigen dieser unermeßlichen Räume wandelte, in welchen sich diese zahllosen Gestalten rastlos hin und her bewegten. Seine Haare sträubten sich, als er den nächtlichen Aufenthalt des unerbittlichen Pluto betrat, seine Knie wankten, die Stimme verließ ihn, und kaum vermochte er diese Worte hervorzubringen:

»Du siehest, furchtbarer Gott, den Sohn des unglücklichen Ulysses; er kommt, nach seinem Vater zu forschen, und zu erfahren, ob er schon in dein Reich hinabgestiegen ist, oder ob er noch auf der Erde umherirrt.«

Pluto saß auf einem Thron von Ebenholz; sein Gesicht war blaß und ernsthaft; seine hohlen Augen schossen feurige Blicke; seine runzelige Stirn drohte Verderben. Der Anblick eines Lebenden war ihm verhaßt, er scheute ihn, wie die Thiere, die ihre Höhlen nur bei nächtlicher Weile verlassen, den Anblick des Lichts scheuen. Ihm zur Seite saß Proserpina, die allein seine Blicke auf sich zog, und ihm sanftere Empfindungen einzuflößen schien. Nie verwelkende Schönheit blühte auf ihrem Gesichte, doch schien der Ernst ihres Gemahls ihren himmlischen Reizen etwas Düsteres und Unfreundliches mitgetheilt zu haben.

Am Fuße des Thrones saß der blasse, alles verschlingende Tod mit seiner schneidenden Sense, die er unaufhörlich wetzte. Um ihn flatterten die schwarzen Sorgen, das quälende Mißtrauen, die schmutzige, blutbefleckte, mit Wunden bedeckte Rache, der ungerechte Haß, der Geiz, der an sich selbst nagt, die Verzweiflung, die sich mit eigenen Händen zerfleischt, der rasende, alles zertrümmernde Ehrgeiz, die Verrätherei, die nach Blut lechzt, aber des Unglücks nie froh wird, das sie anrichtet, der Neid, der sein tödtliches Gift um sich her spritzt, und, in der vergeblichen Anstrengung zu schaden, zu Wuth wird, die Gottlosigkeit, die sich selbst einen tiefen Abgrund gräbt, in den sie sich verzweifelnd hinabstürzt, die scheußlichen Gespenster, die trüglichen Erscheinungen der Todten, die die Lebenden schrecken, die fürchterlichen Träume und jene schlaflosen, nächtlichen Stunden, nicht minder peinlich, als die schrecklichsten Träume.

Alle diese traurigen Bilder umgaben den furchtbaren Pluto, und erfüllten seinen Palast. Mit dumpfer Stimme, die durch die Abgründe des Erebus widerhallte, antwortete er dem Telemach:

»Junger Sterblicher, das Verhängniß hat dir vergönnt, diese geheiligte Freistätte der abgeschiedenen Seelen zu betreten und zu entweihen; folge deiner hohen Bestimmung. Ich sage dir nicht, wo du deinen Vater finden wirst, es ist genug, daß es dir frei steht, ihn zu suchen. Ulysses war König auf der Erde; darum darfst du nur auf der einen Seite den schwarzen Tartarus, wo die bösen Könige bestraft, und auf der andern die elyseischen Gefilde durchlaufen, wo die Guten belohnt werden. Aber erst mußt du den Tartarus durchwandeln, ehe du in die Gefilde Elysiums eingehen kannst. Beflügle deine Tritte, und eile, dich aus meinem Reiche zu entfernen.«

Telemach säumte nun nicht länger. Er schien diese weiten leeren Räume zu durchfliegen, so sehr trieb ihn das Verlangen zu wissen, ob er seinen Vater finden würde und die Begierde, sich der Gegenwart, dieses furchtbaren Königs zu entziehen, der die Lebenden schreckte und die Todten.

Nicht lange war er gegangen, so erblickte er nicht ferne von sich den finstern Tartarus. Ein dicker schwarzer Dampf stieg von ihm auf, dessen giftiger Geruch die Lebendigen tödten würde, wenn er bis zu ihnen gelangen könnte. Dieser Dampf lag über einem feurigen Fluß, dessen Flammenwogen brauseten, wie wenn reißende Ströme sich von hohen Felsen in Abgründe stürzen, und das Ohr, von diesem Rauschen betäubt, vermochte sonst nichts in diesem traurigen Aufenthalt zu vernehmen.

Telemach, dem Minerva insgeheim Muth verlieh, wagte sich ohne Furcht in diesen Abgrund. Zuerst erblickte er eine große Menge Menschen aus den niedrigsten Ständen des Lebens, die Strafe litten, weil sie durch Betrug, Verrath und Grausamkeit sich Reichthümer zu erwerben gesucht hatten. Er sah viele gottlose Heuchler, die sich den Schein der Frömmigkeit gegeben, und sie zum Vorwand gebraucht hatten, ihren Ehrgeiz zu befriedigen, und die Leichtgläubigen zu hintergehen. Die Strafe der größten Verbrecher traf diese Menschen, weil sie die Tugend selbst, das edelste Geschenk der Götter, geschändet hatten. Kinder, welche ihre Eltern erwürgt, Gattinnen, welche ihre Hände in das Blut ihrer Ehemänner getaucht, Verräther, die ihre Eidschwüre gebrochen und ihr Vaterland ins Verderben gestürzt hatten, wurden mit minder peinlichen Strafen belegt, als diese Heuchler. Dies war der Wille der drei Richter der Unterwelt; denn die Heuchler, so sagten sie, nicht zufrieden, wie andere Lasterhafte Böses zu verüben, nehmen den Schein der Tugend an, und machen, daß die Menschen, durch diesen Schein betrogen, auch der wahren Tugend keinen Glauben mehr beimessen. Die Götter, deren sie spotteten, und die diese Heuchler bei den Menschen herabwürdigten, waffnen sich mit ihrer ganzen Macht, diese Beleidigungen zu rächen.

Neben diesen sah man andere, die der große Haufe für minder strafbar hält, die aber von der göttlichen Rache ohne Nachsicht verfolgt werden. Es sind die Undankbaren, die Lügner, die Lobredner des Lasters, die boshaften Verläumder, die sich zum Geschäft machten, den Glanz der reinsten Tugend zu verdunkeln, und endlich diejenigen, welche dreist genug waren, über Dinge zu urtheilen, von denen sie nicht gründlich unterrichtet waren, und die dadurch dem guten Namen der Unschuldigen schadeten.

Aber unter allen Arten von Undankbarkeit wurde diejenige als die schwärzeste gestraft, der man sich gegen die Götter schuldig gemacht hatte.

»Wird schon derjenige,« sagte Minos, »für ein Ungeheuer gehalten, der gegen seinen Vater oder seinen Freund, von dem er nur einige Wohlthaten empfangen hat, undankbar ist, was muß man erst von einem Menschen denken, der sich nicht schämt, gegen die Götter, von denen wir das Dasein und alles, was mit demselben verbunden ist, erhalten haben, undankbar zu sein? Sind sie nicht mehr die Urheber unsers Lebens, als die Eltern, von denen wir geboren sind? Je mehr alle diese Verbrechen auf der Erde entschuldigt werden, und der Strafe entgehen, desto mehr sind sie hienieden der Gegenstand unerbittlicher Rache, der kein Schuldiger entfliehen kann!«

Telemach, der die drei Richter zu Gericht sitzen, und einen Menschen verurtheilen sah, wagte es, sie um seine Verbrechen zu befragen. Sogleich ergriff der Verurtheilte das Wort, und rief aus:

»Ich habe nie Böses gethan: Gutes zu thun, war meine einzige Freude. Ich lebte auf eine glänzende Art, war freigebig, gerecht, mitleidig; welchen Vorwurf kann man mir also machen?«

Minos antwortete ihm:

»O ist wahr, du versahest nichts gegen die Menschen, aber hattest nicht höhere Pflichten gegen die Götter, als gegen sie? Welcher Gerechtigkeit denn rühmest du dich? Gegen Menschen, nichtige Geschöpfe, erfülltest du alle deine Obliegenheiten. Du warst tugendhaft, aber du schriebst dir selbst deine ganze Tugend zu, und nicht den Göttern, deren Geschenk sie doch war. Du sahst sie als ein selbst erworbenes Gut an, wovon dir der Genuß gebühre, und warst stolz auf ihren Besitz. Du selbst warst dein Gott. Aber die Götter, welche alles erschufen, und nur sich zu verherrlichen schufen, können ihren Rechten nicht einsagen. Du gedachtest ihrer nicht; sie werden auch deiner nicht gedenken, sie werden dich dir selbst überlassen. Da du nur dir und nicht ihnen leben wolltest, so suche jetzt, wenn du kannst, deinen Trost in deinem eigenen Herzen. Lebe für immer von den Menschen getrennt, um deren Beifall du buhltest. Du huldigtest nur dir selbst, so sei denn auch deine einzige Gesellschaft. Lerne, daß es keine echte Tugend gibt, als die aus Ehrfurcht und Liebe gegen die Götter entspringt, von denen alles herfließt. Bald werden sich deine Tugenden, durch deren trüglichen Schimmer du die Leichtgläubigen so lange täuschtest, in ihrer ganzen Blöße zeigen. Die Menschen sind verblendet, sie kennen weder das Gute noch das Böse, nennen Laster, was ihnen zuwider ist, und Tugend, was ihnen Vergnügen macht. Hier richtet eine höhere Weisheit, und vor ihrem Lichte verschwindet jeder Wahn; diese verurtheilt oft, was die Menschen bewundern, und rechtfertigt, was sie verdammen.«

Ein Donnerschlag waren diese Worte für den vermeintlichen Weisen. Er sah sich mit Abscheu an. Die stolze Selbstgefälligkeit, mit der er einst auf seine Mäßigkeit, seinen Muth und seine Gerechtigkeit geblickt hatte, verwandelte sich in Verzweiflung. Der Anblick seines eigenen Herzens, das die Götter verachtet hatte, quälte ihn. Er sieht seine Gestalt, und sucht vergebens seine Blicke von ihr abzuwenden. Er sieht jetzt, wie nichtig die Urtheile der Menschen waren, nach deren Beifall er gestrebt hatte; alle Dinge erschienen ihm in einem andern Lichte, als er sie zuvor gesehen hatte; ihm war, als ob sein ganzes Wesen umgekehrt würde. Er fühlte, daß er nicht mehr derselbe Mensch war.

Er fand keine Hülfe mehr in sich. Sein Gewissen, dessen Beifall ihm sonst so süß gewesen war, erhob sich gegen ihn, und machte ihm quälende Vorwürfe über seine Verirrungen und die Falschheit seiner Tugenden, die weder aus Ehrfurcht gegen die Götter entsprungen waren, noch sie zum Endzweck gehabt hatten. Verwirrung, Bestürzung, Scham, Gewissensangst und Verzweiflung füllten sein Inneres. Die Furien peinigten ihn nicht, denn es genügte ihnen, ihn seinem eigenen Herzen überliefert zu haben, das die; Götter hinlänglich rächte, die er verachtet hatte. Er floh in das tiefste; Dunkel, um sich vor den andern Geistern zu verbergen, da er sich vor, sich selbst nicht verbergen konnte.

Aber umsonst sucht er nächtliche Oerter, er findet sie nirgends. Ein verhaßtes Licht folgt ihm auf allen seinen Tritten. Die Wahrheit in ihrer strahlenden Gestalt erscheint ihm überall, und rächt sich an ihrem Verächter. Er haßte, was er einst geliebt hatte, als die Quelle der endlosen Leiden, die über ihn verhängt waren.

»O, des Wahnsinns!« sagte er bei sich selbst,, »so habe ich also weder die Götter, noch die Menschen, noch mich selbst gekannt! Nein, alles war meinen Augen verborgen, denn ich liebte nicht das, was allein wahrhaft gut ist. Alle meine Tritte waren Verirrungen, meine Weisheit war Thorheit, und meine Tugenden waren nichts als der Stolz eines Ruchlosen und Verblendeten, der sich selbst vergötterte.«

 

Endlich erblickte Telemach die Könige, die der Mißbrauch ihrer Gewalt in die Verdammniß gestürzt hatte. Eine rächende Furie hielt ihnen an der einen Seite einen Spiegel vor, in welchem sie die ganze Scheußlichkeit ihrer Laster erblickten. Dieser Spiegel – und vergebens bemühten sie sich, ihre Augen von demselben abzuwenden – zeigte ihnen ihre schamlose Eitelkeit, womit sie nach den lächerlichsten Lobeserhebungen gedürstet hatten, ihre Härte gegen die Menschen, deren Glück sie zu machen bestimmt waren, ihre Gleichgültigkeit gegen die Tugend, ihre Scheu vor der Wahrheit, ihre Liebe zu niederträchtigen Schmeichlern, ihre Sorglosigkeit, Weichlichkeit und Trägheit, ihren ungerechten Argwohn, ihren Stolz, ihre ausschweifende Prachtliebe, wodurch sie ihre Völker zu Grunde gerichtet, ihren Ehrgeiz, der sie trieb, mit dem Blut ihrer Unterthanen etwas nichtigen Ruhm zu erkaufen, und endlich die Grausamkeit, womit sie, taub gegen die Thränen und die Verzweiflung der Unglücklichen um sie her, stets nach neuen Ergötzlichkeiten jagten.

Unaufhörlich sahen sie sich in diesem Spiegel, und ihre Gestalt erschien ihnen scheußlicher und grauenvoller, als die Chimära, die Bellerophon bezwang, als die lernäische Schlange, die Herkules erlegte, furchtbarer sogar als Cerberus, wiewohl er aus seinen drei offenen Rachen schwarzes, giftiges Blut ausströmt, das das ganze Menschengeschlecht zu verpesten fähig wäre.

An der andern Seite wiederholte ihnen zu gleicher Zeit eine andere Furie mit Hohngelächter das Lob, das ihnen ihre Schmeichler während ihres Lebens ertheilt hatten, und hielt ihnen einen andern Spiegel vor die Augen, wo sie sich so erblickten, wie diese Schmeichler sie abgemalt hatten. Das Abstechende dieser zwei so verschiedenen Gemälde peinigte ihre Eitelkeit. Man bemerkte, daß die Schlimmsten unter diesen Königen diejenigen waren, denen man während ihres Lebens die prächtigsten Lobsprüche ertheilt hatte, denn man fürchtet die Bösen mehr, als die Guten, und jene sind schamlos gering, die kriechendsten Schmeicheleien der Dichter und Redner ihrer Zeit als ein Recht zu fordern.

Den Mißhandlungen und der Schmach Preis gegeben, hört man sie in diesen finstern Abgründen ihr Leben verseufzen. Rings um sich her finden sie nichts als Verachtung, Widerspruch, Beschämung. Sie, die im Wahn, daß Alles zu ihrem Dienst geschaffen sei, einst auf der Erde mit dem Leben der Menschen spielten, dulden jetzt in dem Tartarus die Launen gewisser Sclaven, denen sie überantwortet sind, und die jetzt auch ihrerseits die grausamste Herrschaft über sie ausüben. Sie fühlen das Quälende dieser Dienstbarkeit, und alle Hoffnung einer mildern Behandlung ist für sie auf immer dahin. Unter den Streichen dieser Sclaven, die sie mit unerbittlicher Strenge beherrschen, gleichen sie einem Amboß unter den Hämmern der Cyklopen, wenn Vulkan sie in den glühenden Essen des Berges Aetna zur Arbeit anfeuert.

Aus bleichen, scheußlichen, jammervollen Gesichtern starrte der finstere Gram, der am Herzen dieser Verbrecher nagte, dem Telemach entgegen. Sie verabscheuen ihren eigenen Anblick, aber sie können diesen Abscheu eben so wenig unterdrücken, als sich von ihrem eigenen Wesen trennen. Sie bedürfen keiner andern Strafe, als des Bewußtseins ihrer Verbrechen, die sie immer in ihrer ganzen Häßlichkeit vor Augen sehen. Schreckenden Gespenstern gleich stehen sie vor ihnen und verfolgen sie. Um ihnen zu entfliehen, wünschen sie noch tiefer in die Nacht des Todes zu versinken, als einst, da sie sich von ihren Leibern trennten. In ihrer Verzweiflung wünschten sie eines Todes zu sterben, der jede Empfindung, jedes Bewußtsein in ihnen vertilgte.

Sie rufen den Abgründen, sie zu verschlingen, um sich den rächenden Strahlen der Wahrheit zu entziehen, die sie verfolgt, aber sie werden der Rache aufbewahrt, die langsame, nie endende Qualen über sie ausgießt. Die Wahrheit, deren Anblick sie scheuten, ist ihre Marter. Sie sehen sie, und vermögen sonst nichts zu sehen, als sie, die gegen sie zeugt. Sie durchbohrt sie, zerfleischt sie, entreißt sie ihnen selbst. Aehnlich dem Blitz, dringt sie bis in das Mark ihrer Gebeine, ohne von außen eine Spur von Zerstörung zurückzulassen. Dem Metalle gleich, das in dem Schmelzofen zerfließt, wird die Seele von diesem rächenden Feuer aufgelös't. Ihr ganzer Zusammenhang wird durch dasselbe aufgehoben, aber es verzehrt nichts; es trennt die Bestandtheile des Lebens, ohne den Tod herbeizuführen. Ihrer selbst beraubt, wird diesen Unglücklichen auch nicht die Ruhe und der Trost. eines Augenblicks zu Theil. Sie fühlen sich nur noch in der Wuth, die sie gegen sich selbst kehren, und in einer Verzweiflung, die zur Raserei wird.

 

Unter den Gegenständen, bei deren Anblick sich Telemachs Haare sträubten sah er auch viele der alten lydischen Könige, die die Strafe ihrer wollüstigen Trägheit büßten, die sie den Geschäften vorgezogen hatten, die ein Fürst, wenn er sein Volk beglücken will, nicht vernachlässigen darf. Diese Könige rückten einander ihre Verblendung vor. Einer von denselben sagte zum Andern, der sein Sohn gewesen war:

»Wie oft habe ich dich in meinem Alter und vor meinem Tode ermahnt, das Uebel wieder gut zu machen, das durch meine Nachlässigkeit entstanden war! Du hast es nicht gethan.«

Der Sohn antwortete:

»Unglücklicher Vater! Du selbst bereitetest deinem Sohne das Verderben. Dein eigenes Beispiel war es, das mir Prachtliebe, Stolz, Wollust und Härte gegen die Menschen einflößte. Ich sah dich, von schändlichen Schmeichlern umgeben, in Ergötzlichkeiten leben; so gewöhnte ich mich, die Schmeichelei und die Wollust zu lieben. Ich wähnte, daß andere Menschen sich zu den Königen verhielten, wie die Pferde und andere Lastthiere zu den Menschen. Ich hielt sie für Thiere, die man nur deßwegen schätzt, weil sie nützlich sind, und zu unserer Bequemlichkeit dienen. So dachte ich, und du warst es, der mich so denken lehrte, und nun dulde ich diese Qualen, weil ich dich zu meinem Vorbilde nahm.«

Schreckliche Verwünschungen begleiteten diese Worte, und sie schienen von Wuth, einander zu zerreißen, entflammt zu sein.

 

Auch schwirrten um diese Könige, gleich nächtlichen Eulen, der grausame Argwohn, die täuschenden Schrecken, das Mißtrauen, das die Völker an ihren hartherzigen Fürsten rächt, der unersättliche Golddurst, die Menschen zerstörende Ruhmsucht und die entehrende Weichlichkeit, welche das Gewicht der Uebel, die man leidet, noch drückender, macht, ohne je einen wahren Vortheil zu gewähren.

Viele dieser Könige wurden streng bestraft, nicht wegen des Bösen, das sie gethan, sondern wegen des Guten, so sie unterlassen hatten. Alle Laster des Volks, die ihren Ursprung in schlechter Handhabung der Gesetze haben, wurden den Königen zugerechnet, die nur darum Könige sind, um den Gesetzen die Herrschaft über das Volk zu verschaffen. Auch alle diejenigen Unordnungen wurden ihnen beigemessen, die aus Prachtliebe, Ueppigkeit und andern Ausschweifungen entspringen, welche die Leidenschaften der Menschen erregen, und sie in Versuchung führen, mit Uebertretung der Gesetze Reichthümer zu erwerben.

Die schwersten Strafen aber wurden über diejenigen Könige verhängt, welche, statt gute und wachsame Hirten ihrer Völker gewesen zu sein, gleich raubgierigen Wölfen nur darauf gesonnen hatten, ihre Heerde zu zerstören.

Aber keine Erscheinung setzte Telemach in größere Bestürzung, als in diesen finstern Abgründen des Jammers eine große Zahl von Königen zu sehen, die auf der Erde für ziemlich gute Fürsten waren gehalten worden, aber die Strafen des Tartarus litten, weil sie sich von bösen arglistigen Menschen hatten beherrschen lassen. Sie wurden für alles das Böse bestraft, das unter ihrem Namen verübt worden war. Die meisten dieser Könige konnten weder gut noch böse genannt werden, so groß war ihre Schwachheit gewesen. Sie hatten es sich nie angelegen sein lassen, dem Irrthum zu entgehen, sie hatten keinen Geschmack an der Tugend gefunden, und das Vergnügen nicht gekannt, Gutes zu thun.



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