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Drittes Buch.

Telemach erzählt, daß der Nachfolger des Bocchoris alle gefangenen Tyrer zurückgegeben, und er selbst mit denselben auf dem Schiffe Narbals, des Anführers der tyrischen Flotte, nach Tyrus geführt worden sei; daß ihm Narbal ihren König Pygmalion geschildert, dessen grausamen Geiz er zu fürchten hätte; daß er nachher durch Narbal von den Grundsätzen des tyrischen Handels unterrichtet worden, und daß, als er eben im Begriff gewesen, sich auf einem tyrischen Fahrzeuge einzuschiffen, um über die Insel Cypern nach Ithaka zu reisen, Pygmalion erfahren, daß er ein Fremder sei, und ihn habe wollen in Verhaft nehmen lassen; daß er damals seinem Untergange nahe gewesen, aber durch Astarbe, die Geliebte des Tyrannen, gerettet worden sei, die anstatt seiner einen Jüngling, der sie verachtet und zum Zorn gereizt, habe wollen hinrichten lassen.


V oll Erstaunen horchte Kalypso den Worten des verständigen Jünglings; doch nichts entzückte sie mehr, als daß Telemach unverhohlen die Fehler erzählte, die er aus Unbesonnenheit und gegen den bessern Rath Mentors begangen hatte. Sie fand eine ausnehmende Erhabenheit und Größe in der Seele dieses Jünglings, der sich selbst anklagte, und aus seinen Fehltritten Weisheit, Klugheit und Mäßigung gelernt zu haben schien.

»Fahre fort, geliebter Telemach« sprach sie zu ihm; »mich verlangt, von dir zu hören, wie du aus Aegypten kamst, und wo du den weisen Mentor wiederfandest, dessen Verlust du mit Recht so schmerzlich fühltest.«

Telemach setzte seine Erzählung also fort:


»Als der bessere Theil der Aegypter, der dem König treu geblieben war, aber sich zum Widerstande zu schwach fühlte, ihn todt sah, war er genöthigt, dem andern zu weichen. Man ernannte einen andern König, Termutis genannt. Die Phönizier und die Kriegsvölker der Insel Cypern kehrten wieder nach Haus, nachdem sie mit dem neuen König ein Bündniß geschlossen hatten. Dieser gab alle gefangenen Phönizier frei. Ich wurde unter sie gezählt. Ich verließ meinen Thurm; ich schiffte mich mit den andern ein, und neue Hoffnung dämmerte wieder in meiner Seele auf. Schon schwellte ein günstiger Wind unsere Segel; die Ruderer theilten die schäumenden Wellen; das weite Meer war mit Fahrzeugen bedeckt; die Schiffsleute erhoben ein Freudengeschrei; Aegyptens Ufer flohen weit hinter uns zurück; die Hügel und die Berge ebneten sich allmählig; schon sahen wir nichts mehr als Himmel und Meer, indeß die aufgehende Sonne, ihre Feuerfunken sprühend, sich aus den Wassern zu heben schien; ihre Strahlen rötheten die Gipfel der Berge, die fern her vom Horizont unsern Augen noch ein wenig sichtbar waren, und das dunkle Lasur des Himmels versprach uns eine glückliche Fahrt.

Ob ich gleich als ein Phönizier aus Aegypten weggeschickt worden war, so kannte mich doch keiner der Phönizier, unter denen ich mich befand. Narbal, der Befehlshaber des Schiffes, auf das man mich gebracht, fragte mich um meinen Namen und mein Geburtsland.

›Aus welcher Stadt Phöniziens stammst du?‹ sprach er zu mir.

›Ich bin kein Phönizier,‹ antwortete ich ihm. ›Die Aegypter ergriffen mich auf dem Meere in einem phönizischen Schiffe; als ein Phönizier wurde ich in Aegypten gefangen gehalten; unter diesem Namen habe ich lange Zeit gelitten, und unter diesem Namen erhielt ich auch meine Freiheit wieder.‹

›Aus welchem Lande bist du dann?‹ fragte Narbal wieder.

›Ich bin Telemach,‹ antwortete ich ihm, ›der Sohn Ulysses, des Königs von Ithaka in Griechenland. Mein Vater erwarb sich hohen Ruhm unter den Königen, die Troja belagerten; aber die Götter gewährten ihm nicht die Heimkehr in sein Vaterland. Ich habe ihn in mehreren Ländern gesucht; ein widriges Geschick verfolgt auch mich. Du siehest einen Unglücklichen vor dir, der keinen andern Wunsch hat, als wieder zu den Seinigen zurückzukehren und seinen Vater wieder zu finden.‹

Narbal sah mich mit Verwunderung an; er glaubte in mir etwas Glückweissagendes zu erblicken, das nur die Gunst des Himmels ertheilt, und nicht der Antheil aller Menschen ist. Die Natur hatte ihm ein aufrichtiges und edles Herz gegeben. Mein Unglück rührte ihn, und er sprach mit einem Vertrauen zu mir, das ihm die Götter eingaben, um mich aus einer großen Gefahr zu retten.

›Telemach,‹ begann er, ›ich setze keinen Zweifel in das, was du mir sagst; auch würde ich deinen Worten Glauben beimessen müssen; die Milde und die Tugend, die in deiner Miene ausgedrückt sind, erlauben mir nicht, Mißtrauen in dich zu setzen. Ja ich fühle sogar, daß die Götter, denen ich immer gedient habe, dir gewogen sind, und daß es ihr Wille ist, daß auch ich dich liebe, gleich als wärest du mein Sohn. Ich werde dir heilsamen Rath ertheilen, und fordere keinen Lohn von dir, als Verschwiegenheit.‹

›Fürchte nicht,‹ erwiederte ich ihm, ›daß es mich Mühe koste, zu verschweigen, was du mir anvertrauen wirst. Ob ich gleich noch jung bin, so ist es mir doch schon lange zur Gewohnheit geworden, mein Geheimniß zu bewahren, noch mehr aber, nie das Geheimniß eines andern unter irgend einem Vorwand zu verrathen.‹

›Wie konntest du aber,‹ fragte er mich, ›so frühzeitig die Kunst der Verschwiegenheit lernen? Ich möchte wohl wissen, wie du diese Eigenschaft erlangt hast, welche die Grundlage der Weisheit ist, und ohne welche alle Vorzüge des Geistes unnütz sind.‹

›Als Ulysses,‹ antwortete ich ihm, ›zur Belagerung von Troja zog, nahm er mich auf seinen Schooß, und schloß mich in seine Arme; (so wurde es mir erzählt). Er küßte mich zärtlich, und sagte mir diese Worte, ob ich sie gleich nicht verstehen konnte:

»Mögen es die Götter verhüten, daß ich dich je wieder sehe, mein Sohn; möge die Parze die kaum angefangenen Fäden deines Lebens wieder durchschneiden, wie die Sense des Schnitters eine zarte Blume durchschneidet, die eben aufgebläht ist, und mögen meine Feinde dich vor den Augen deiner Mutter und den meinigen erwürgen, wenn du je dein Herz beflecken, und von dem Pfade der Tugend abweichen solltest! O, meine Freunde,« fuhr er fort, »ich lasse euch diesen Sohn zurück, der mir so theuer ist; traget Sorge für seine Kindheit. Wenn ihr mich liebt, so entfernt von ihm die verderbliche Schmeichelei. Lehret ihn sich selbst überwinden. Er gleiche einem jungen, noch zarten Baume, den man biegt, damit er gerade werde. Vor allem unterlasset nichts, ihm Gerechtigkeit und Wohlwollen einzuflößen, und ihm zu lehren, treu und redlich ein Geheimniß zu bewahren. Wer fähig ist, die Unwahrheit zu reden, ist nicht werth, ein Mensch zu heißen, und wer nicht zu schweigen weiß, verdient nicht, über andere Menschen zu herrschen.«

Ich erzähle dir diese Worte, weil man beflissen war, sie mir oft zu wiederholen, und weil sie tief in mein Herz gedrungen sind. Oft rief ich sie in meine Seele zurück.

Die Freunde meines Vaters übten mich frühzeitig in der Verschwiegenheit. Noch war ich in zarter Kindheit und schon theilten sie mir alle Bekümmernisse mit, die ihr Herz fühlte, da sie meine Mutter den Zudringlichkeiten einer Menge von Freiern ausgesetzt sahen. So wurde ich also schon damals als ein vernünftiger Mensch angesehen, auf den man sich verlassen könnte. Man sprach oft mit mir von den wichtigsten Angelegenheiten; man unterrichtete mich von den Maßregeln, die man genommen hatte, diese Freier zu entfernen. Es schmeichelte mir, daß man dieses Zutrauen in mich setzte, und ich glaubte, nun schon der Kindheit entwachsen zu sein. Nie habe ich das Vertrauen mißbraucht, das man zu mir hatte; nie ist mir auch nur ein einziges Wort entwischt, wodurch das geringste Geheimniß hätte entdeckt werden können. Die Freier versuchten es oft, mich auszuforschen, weil sie einem Kinde, das etwas Wichtiges gehört oder gesehen hatte, keine Verschwiegenheit zutrauten; aber ich wußte ihnen zu antworten, ohne zu lügen und ohne ihnen zu offenbaren, was ich vor ihnen geheim halten sollte.‹

Hierauf sagte Narbal zu mir: ›Telemach, du siehst die Macht der Phönizier. Ihre unzählbaren Schiffe machen sie allen Völkern furchtbar, die sie umwohnen. Ihr Handel erstreckt sich bis zu den Säulen des Herkules, und verschafft ihnen mehr Reichthum, als die blühendsten Nationen besitzen. Sesostris, der sie nie zur See hätte besiegen können, hatte große Mühe, sie zu Lande mit seinen Heeren zu überwinden, die den ganzen Orient unterjocht hatten. Er legte uns einen Tribut auf, den wir nicht lange bezahlt haben. Die Phönizier fühlten sich allzu reich und allzu mächtig, das Joch der Knechtschaft geduldig zu tragen. Wir machten uns wieder frei. Der Tod ließ dem Sesostris nicht Zeit, den gegen uns angefangenen Krieg zu endigen. Zwar hatten wir Ursache, alles von seiner Macht und noch mehr von seiner Klugheit zu fürchten, aber da seine Herrschaft in die Hände seines Sohnes überging, dem es an jeder Einsicht mangelte, so hörte bei uns alle Ursache zur Furcht auf. Auch waren die Aegypter weit entfernt, mit bewaffneter Hand wieder in unser Land einzudringen, um uns noch einmal zu unterjochen, sogar genöthigt, uns um Hülfe anzurufen, damit wir sie von ihrem ruchlosen und gewaltthätigen König befreien möchten. Wir sind auch wirklich ihre Erretter geworden. Du siehst, welch neuen Zuwachs von Ruhm die freien und wohlhabenden Phönizier dadurch erlangt haben.

Aber indeß wir andern die Freiheit geben, sind wir selbst Sclaven. O Telemach, fürchte in die grausamen Hände Pygmalions, unsers Königs, zu fallen. Er hat sie in das Blut des Sichäus, des Gemahls der Dido, seiner Schwester, getaucht. Dido floh, Rache dürstend, mit mehreren Schiffen aus Tyrus. Die meisten von denen, welche Tugend und Freiheit lieben, folgten ihr. Sie gründete an der Küste von Afrika eine Stadt, das stolze Karthago. Pygmalion, von unersättlichem Golddurst gequält, wird mit jedem Tage elender und seinen Unterthanen verhaßter. Es ist ein Verbrechen zu Tyrus, große Reichthümer zu besitzen. Der Geiz macht ihn mißtrauisch, argwöhnisch, grausam; er verfolgt die Reichen und fürchtet die Armen.

Es ist ein noch größeres Verbrechen zu Tyrus, tugendhaft zu sein; denn Pygmalion ist sich wohl bewußt, daß alle Rechtschaffenen seine Ungerechtigkeit und Schandthaten verabscheuen. Die Tugend hat das Urtheil der Verdammniß über ihn ausgesprochen; er ist mit Bitterkeit und Unwillen gegen sie erfüllt. Er fühlt sich unruhig, umhergetrieben, von Schrecken geängstigt, von nagenden Sorgen gequält. Er fürchtet seinen eigenen Schatten. Er schläft weder Tag noch Nacht. Die Götter haben ihn zu seiner Strafe mit Schätzen überhäuft, die er nicht anzurühren wagt. Was seine Glückseligkeit befördern sollte, ist gerade ein Hinderniß derselben. Alles, was er gibt, schmerzt ihn; und immer ist ihm bange, daß sein Eigenthum geschmälert werden möchte. Er quält sich durch die Sorge, seine Reichthümer zu vermehren.

Man sieht ihn fast niemals. Einsam, traurig, niedergeschlagen weilt er im Innersten seines Palastes. Seine Freunde selbst wagen es nicht, sich ihm zu nahen, aus Furcht ihm verdächtig zu werden. Eine furchtbare Wache umgibt seine Wohnung mit gezückten Schwertern und erhobenen Speeren. Dreißig in einander führende Gemächer, jedes derselben durch eine eiserne Thür mit sechs großen Riegeln verwahrt, schließen ihn ein. Nie weiß man, in welchem von diesen Gemächern er schläft, und man sagt, daß er nie zwei Nächte hinter einander in demselben Gemache schlafe, aus Furcht, darin ermordet zu werden. Jedes Vergnügen ist ihm fremd; er kennt nicht die Annehmlichkeiten der Freundschaft. Fordert man ihn auf, sich zu erheitern, so fühlt er, daß die Freude ihn flieht, und daß sie sich weigert, in sein Herz einzukehren. Ein furchtbar wildes Feuer glimmt in seinen hohlen Augen. Seine Blicke irren stets auf allen Seiten umher. Sein Ohr lauscht bei dem leisesten Geräusch; sein ganzes Wesen ist schreckhaft bewegt. Er ist blaß und entstellt, und die schwarzen Sorgen sind seinem runzlichten Gesichte eingegraben. Er spricht nicht; er ächzt, und tiefe Seufzer entsteigen seiner Brust. Er kann die Gewissensangst nicht verbergen, welche seine Eingeweide zerwühlt. Die wohlschmeckendsten Speisen sind ihm zum Ekel geworden. Seine Kinder, weit entfernt, seine Hoffnung zu sein, flößen ihm nur Schrecken ein; er betrachtet sie als seine gefährlichsten Feinde. In seinem ganzen Leben hatte er keinen Augenblick, wo er sich sicher gefühlt hätte. Er erhält sein Leben nur dadurch, daß er das Blut aller derer vergießt, die er fürchtet. Der Unsinnige! Er sieht nicht, daß die Grausamkeit, von der er seine Erhaltung hofft, seinen Untergang befördern wird. Bald wird einer seiner Diener, von ähnlichem Mißtrauen gequält, die Welt von diesem Ungeheuer befreien.

Von mir hat er nichts zu befürchten, denn ich ehre die Götter; was mich auch treffen mag, ich werde dem König getreu bleiben, den sie mir gegeben haben. Eher würde ich von seinen Händen sterben, als ihm sein Leben rauben; ja, ich würde es sogar gegen seine Feinde vertheidigen. Du aber, o Telemach, hüte dich wohl, ihm zu sagen, daß du der Sohn des Ulysses bist; er würde dich in ein Gefängniß werfen, in Hoffnung, von deinem Vater nach seiner Rückkehr nach Ithaka ein großes Lösegeld für dich zu erhalten.‹

Als wir zu Tyrus anlangten, folgte ich Narbals Rath. Ich erkannte die Wahrheit alles dessen, was er mir gesagt hatte. Es war mir unbegreiflich, wie ein Mensch sich so elend machen könnte, als Pygmalion mir es schien. Betroffen von einem so schrecklichen, für mich so neuen Schauspiel, sagte ich bei mir selbst:

›Hier ist ein Mensch, der nichts anders suchte, als seine Glückseligkeit; er hoffte durch Reichthümer und eine unumschränkte Macht seinen Zweck zu erreichen; er ist im Besitz von allem, was er nur wünschen kann, aber eben diese Reichthümer und diese Macht sind es, die ihn elend gemacht haben. Wäre er ein Hirt, wie ich es vor kurzem noch war, er würde eben so glücklich sein, als ich es gewesen bin. Er würde die unschuldigen Freuden des ländlichen Lebens genießen, er würde sie mit ruhiger Seele genießen. Weder Eisen noch Gift würden ihn schrecken. Er würde die Menschen lieben; er würde von ihnen geliebt werden. Er besäße freilich nicht diese großen Reichthümer, die ihm so unnütz sind, als Sand, weil er sich scheut, sie anzurühren; aber er würde in ungestörter Ruhe die Früchte der Erde genießen und keinen wahren Mangel fühlen. Scheint es nicht, als ob dieser Mensch jeden Wunsch seines Herzens befriedigte? Aber ach, wie weit ist er davon entfernt! Er befriedigt nur die Forderungen seiner wilden Leidenschaften; er wird von seinem Geiz, seiner Furcht, seinem Argwohn gewaltsam fortgerissen. Er scheint über die andern Menschen zu herrschen, und ist nicht einmal Herr über sich selbst; seine zügellosen Begierden sind für ihn eben so viele Machthaber und Henker, unter deren Oberherrschaft er steht.‹

So dachte ich von Pygmalion, ohne ihn selbst gesehen zu haben, denn nie sah man ihn. Mit Schrecken blickte man zu den hohen Thürmen hinauf, welche Tag und Nacht mit Wachen umgeben waren, und in die er sich mit seinen Schätzen, wie in einem Kerker, einschloß.

Ich verglich diesen unsichtbaren König mit Sesostris, der so sanft, so herablassend, so leutselig und so begierig war, die Fremden zu sehen, der so gern jeden selbst hörte, um die Wahrheit, die man dem Fürsten verbirgt, den Herzen der Menschen zu entlocken.

›Sesostris,‹ sagte ich, ›fürchtete nichts, und hatte auch nichts zu fürchten. Er zeigte sich allen seinen Unterthanen, wie seinen eigenen Kindern. Pygmalion fürchtet sich vor allem, und hat auch Ursache, alles zu fürchten. Selbst in der Mitte seines unzugänglichen Palastes, und von seinen Wachen umgeben, droht diesem lasterhaften König ein schmählicher Tod; der gute Sesostris hingegen war mitten unter seinem Volke eben so sicher, als ein gütiger Vater in seinem eigenen Hause, von den seinigen umgeben.‹

Pygmalion befahl, daß man die Kriegsvölker der Insel Cypern, die sich dem Bündniß gemäß, das zwischen beiden Völkern bestand, mit den seinigen vereinigt hatten, wieder nach Hause senden sollte. Narbal ergriff diese Gelegenheit, mich in Freiheit zu setzen. Er ließ mich mit den Cypriern durch die Musterung gehen, denn der König war auch in den geringsten Dingen argwöhnisch.

Es ist der Fehler nachlässiger und sorgloser Fürsten, sich mit blindem Zutrauen verschmitzten und lasterhaften Günstlingen hinzugeben; Pygmalion fehlte darin, daß er selbst den ehrlichsten Leuten nicht traute. Er verstand die Kunst nicht, den geraden und biedern Mann, der ohne Verstellung handelt, von andern zu unterscheiden. Auch hatte er nie rechtschaffene Leute kennen gelernt; denn diese fühlen kein Verlangen, einem lasterhaften Fürsten zu dienen. Ueberdies hatte er, so lange er auf dem Throne saß, bei seinen Dienern so viel Verstellung, Treulosigkeit und andere abscheuliche Laster gefunden, denen sie den Schein der Tugend zu geben wußten, daß er alle Menschen ohne Ausnahme für eben so viele Larven ansah. Er glaubte, daß keine ächte Tugend auf der Erde zu finden sei, und alle Menschen schienen ihm ungefähr von gleichem Schlage zu sein. Erkannte er einen Menschen als falsch und lasterhaft, so war er wenig darum bekümmert, einen andern dagegen aufzufinden, weil er es für ausgemacht hielt, daß dieser andere nicht besser sei. Die Rechtschaffenen däuchten ihm noch schlimmer, als die erklärtesten Bösewichter, weil er sie für eben so schlecht und für noch größere Betrüger hielt, als diese.

Was mich betrifft, so entging ich, unter die Cyprier gemischt, den scharfen Blicken des mißtrauischen Königs. Narbal zitterte aus Furcht, daß ich entdeckt werden möchte; es hätte ihm und mir das Leben gekostet. Mit der heftigsten Ungeduld wünschte er unsere Abreise zu sehen; aber die widrigen Winde hielten uns noch lange zu Tyrus zurück.

Ich nützte diesen Aufenthalt, die Sitten der Phönizier kennen zu lernen, die bei allen bekannten Völkern in so hohem Rufe stehen. Ich bewunderte die glückliche Lage dieser großen Stadt, die auf einer Insel mitten im Meere liegt. Die benachbarte Küste gewährt einen entzückenden Anblick durch ihre Fruchtbarkeit, die herrlichen Früchte, die sie hervorbringt, die große Zahl der Städte und Dörfer, die sich beinahe berühren, und durch den milden Himmel, unter dem sie liegt; denn die Berge schützen sie vor den brennenden Mittagswinden, der Nordwind erfrischt sie, der von der Seite des Meeres herweht. Das Land liegt am Fuße des Libanon, dessen Gipfel die Wolken theilt und bis zu den Gestirnen reicht. Ewiges Eis umstarret seine Stirn. Von den Spitzen der Felsen, die sie umgeben, rauschen gewaltige Ströme, vom Schneewasser geschwellt, herab. Unter diesen Felsen erblickt man einen großen Wald von alten Zedern, die mit der Erde, in der sie Wurzel gefaßt haben, von gleichem Alter zu sein scheinen, und ihre dicken Aeste bis in die Wolken erheben. Am Abhang des Berges, unter dem Walde, dehnen sich fette Weiden. Hier irren die brüllenden Stiere und die blökenden Schafe mit ihren zarten, auf dem Grase hüpfenden Lämmern umher. Tausend klare Bäche bewässern diese Weiden. Unter denselben erblickt man den Fuß des Berges, ähnlich einem Garten. Gemeinschaftlich herrschen hier der Frühling und der Herbst, um ihre Blüthen und Früchte zu gatten. Weder der giftige Hauch des trocknenden, alles versengenden Mittagswindes, noch der rauhe Nord konnten je die lebhaften Farben verlöschen, welche diesen Garten schmücken.

Nahe dieser schönen Küste erhebt sich in dem Meere die Insel, auf welcher die Stadt Tyrus erbaut ist. Diese große Stadt scheint auf den Gewässern zu schwimmen, und die Königin des ganzen Meeres zu sein. Von allen Gegenden der Erde landen hier die Kaufleute an, und ihre Bewohner sind selbst die berühmtesten Kaufleute der Welt. Tritt man in diese Stadt, so glaubt man anfänglich, daß sie nicht sowohl der Wohnplatz eines einzelnen Volkes, als vielmehr die gemeinschaftliche Stadt aller Völker und der Mittelpunkt ihres Handels sei. Sie hat zwei große Dämme, die sich gleich zwei Armen weit in das Meer erstrecken, und einen ungeheueren Hafen einschließen, in welchen die Winde nicht eindringen können. In diesem Hafen erblickt man einen ganzen Wald von Schiffsmasten, und die Schiffe selbst sind so zahlreich, daß man kaum das Meer sehen kann, das sie trägt. Alle Einwohner befleißen sich der Handlung, und ihre großen Reichthümer verleiden ihnen die Arbeit nicht, die zu ihrer Vermehrung nöthig ist. Ueberall erblickt man in dieser Stadt die feine ägyptische Leinwand und den zweimal gefärbten tyrischen Purpur von ausnehmendem Glanze. Diese doppelte Farbe ist so lebhaft, daß die Zeit sie nicht verlöschen kann. Man bedient sich derselben zu den feinen Wollenzeugen, welche man durch Stickwerke von Gold und Silber erhöht. Die Phönizier handeln mit allen Völkern bis zur Meerenge von Gades, und sind selbst in das ungeheure Weltmeer eingedrungen, das die ganze Erde umfaßt; auch besegelten sie weithin das rothe Meer, und holten auf diesem Wege in unbekannten Inseln Gold, Weihrauch und mancherlei Thiere, die in andern Gegenden unbekannt sind.

Ich konnte nicht satt werden, das prächtige Schauspiel zu betrachten, das diese große Stadt darstellte, wo alles in Bewegung war.

Man sah hier nicht wie in den Städten von Griechenland neugierige Müßiggänger, die auf den öffentlichen Plätzen nach Neuigkeiten forschen, und die Fremden angaffen, die in den Hafen einlaufen. Die Männer sind beschäftigt, ihre Schiffe auszuladen, ihre Waaren weiter zu schaffen oder sie zu verkaufen, ihre Gewölbe in Ordnung zu bringen und genaue Rechnung über das zu führen, was sie an fremde Kaufleute zu fordern haben. Das Geschäft der Weiber ist, Wolle zu spinnen, Muster zu Stickwerken zu verfertigen, oder die weichen Zeuge zu falten.

›Welches sind die Ursachen,‹ fragte ich Narbal, ›daß die Phönizier sich des Handels der ganzen Welt bemächtigt haben, und sich auf Kosten aller Völker bereichern?‹

›Du siehest es,‹ antwortete mir Narbal, ›die Lage von Tyrus könnte nicht glücklicher für den Handel sein. Unserm Vaterlande gebührt der Ruhm, die Schifffahrt erfunden zu haben. Die Tyrer waren die ersten (wenn man den Sagen des Alterthums Glauben beimessen darf), die lange vor den Zeiten des Typhis und der in ganz Griechenland so hoch gepriesenen Argonauten die Wogen bändigten. Sie waren die ersten, sage ich, die es wagten, sich einem zerbrechlichen Fahrzeuge anzuvertrauen, die, Wellen und Stürmen Preis gegeben, die Tiefen des Meeres ergründeten, und, in der Weisheit der Aegypter und Babylonier unterwiesen, fern von dem Lande den Lauf der Gestirne beobachteten; sie waren es endlich, die so viele, durch das Meer von einander getrennte Völker vereinigten. Die Tyrer sind erfinderisch, ausdauernd in der Arbeit, emsig, reinlich, mäßig und sparsam. Ihre Verfassung ist vortrefflich; eine vollkommene Eintracht herrscht unter ihnen; nie gab es ein Volk, das standhafter, aufrichtiger, zuverlässiger, keines, das zuvorkommender gegen die Fremden gewesen wäre.

Dies sind die wahren Ursachen, ohne daß wir nach andern forschen dürften, die ihnen die Herrschaft des Meeres gaben, und diesen einträglichen Handel verschafften, der in ihrem Hafen blüht. Sollte Uneinigkeit und Eifersucht sich unter ihnen einschleichen, ihr Geist durch Müßiggang und ein weichliches Leben erschlaffen, die Angesehensten der Nation die Arbeit und die Wirthschaft verachten; würden die Künste nicht mehr in ihrer Stadt geehrt, und sie den Fremden nicht mehr Wort halten; sollten sie sich die geringste Abweichung von den Handelsgesetzen erlauben, ihre Manufacturen vernachlässigen, und unterlassen, die großen Vorschüsse zu thun, welche nothwendig sind, ihre Waaren, eine jede in ihrer Art, vollkommen zu machen, so würdest du bald die Macht fallen sehen, die du jetzt bewunderst.‹

›Aber lehre mich,« sagte ich zu ihm, ›die wahren Mittel, in Ithaka einst einen ähnlichen Handel auszuführen.‹

›Verfahre eben so,‹ antwortete er mir, ›wie man hier verfährt; nimm die Fremden liebreich und gefällig auf; mache, daß sie in deinen Häfen Sicherheit, Bequemlichkeit und vollkommene Freiheit finden; laß dich nie weder von Geiz noch Stolz in deinen Handlungen leiten; das wahre Mittel, viel zu gewinnen, besteht darin, daß man nie zu viel gewinnen wolle, und zu rechter Zeit seinem Vortheil zu entsagen wisse. Erwirb dir die Liebe aller Fremden; laß dir sogar manches Unangenehme von ihnen gefallen; hüte dich, durch ein stolzes Betragen Eifersucht zu erregen. Die Gesetze des Handels seien einfach und leicht verständlich; sei standhaft in ihrer Handhabung, und gewöhne dein Volk, sie unverbrüchlich zu beobachten. Der Betrug und selbst die Nachlässigkeit und das prunkvolle Leben der Kaufleute werde streng von dir bestraft; diese Laster bringen den Handel in Verfall, indem sie die Sitten derer verderben, die ihn treiben.

Nie müsse es dir einfallen (und dies ist das Wichtigste), den freien Gang des Handels zu stören, um ihm eine Richtung nach deinem Sinne zu geben; es ist weit zuträglicher, daß sich der Fürst gar nicht in den Handel mische, und daß er allen Nutzen davon seinen Unterthanen überlasse, welche die mit denselben verknüpften Beschwerden tragen, sonst schlägt er ihren Muth nieder. Die großen Reichthümer, die durch den Handel in seine Stadt kommen, verschaffen ihm genug Vortheile. Es ist mit dem Handel, wie mit gewissen Quellen; wenn man ihren Lauf ändern will, vertrocknen sie. Die Fremden werden nur durch die Aussicht auf leicht zu erlangende Vortheile in unser Land gezogen; wenn man den Handel stört, und ihnen diese Vortheile erschwert, so verlieren sie sich unvermerkt, und kommen nicht mehr zurück, weil andere Völker unsere Unklugheit benutzen, sie an sich ziehen, und sie gewöhnen, unserer zu entbehren. Auch hat seit einiger Zeit, ich muß es dir freimüthig gestehen, Tyrus viel von seinem Glanze verloren. O, wenn du sie gesehen hättest, diese Stadt, geliebter Telemach, vor Pygmalions Regierung, wie viel mehr würde sie dein Erstaunen erregt haben! Jetzt findest du hier nichts mehr als die traurigen Reste unserer ehemaligen Größe, die vollends ihrem Untergange zueilt. O, unglückliches Tyrus, in welche Hände bist du gefallen! Ehemals brachte dir das Meer den Tribut aller Völker der Erde.

Pygmalion traut weder den Fremden noch seinen eigenen Unterthanen. Statt seine Häfen nach unserer alten Sitte allen, auch den entferntesten Völkern ohne Einschränkung zu öffnen, will er die Zahl der Schiffe, welche ankommen, ihr Land, die Namen der in denselben befindlichen Menschen, die Zeit, die sie hier zuzubringen gedenken, die Waaren, mit welchen sie handeln, ihre Beschaffenheit und den Preis derselben wissen. Er geht noch weiter; auf eine hinterlistige Weise legt er den Kaufleuten Schlingen, um Gelegenheit zu finden, ihnen ihre Waaren weg zu nehmen. Er beunruhigt diejenigen unter ihnen, welche er für die Reichsten hält. Unter mancherlei Vorwänden führt er neue Abgaben ein. Er will selbst Theil an dem Handel nehmen, und jedermann scheut sich, mit ihm zu thun zu haben. Auf diese Art liegt der Handel darnieder. Die Fremden vergessen allmählig den Weg nach Tyrus, der ihnen vormals so bekannt war; und wenn Pygmalion sein Verfahren nicht ändert, so wird unser Ruhm und unsere Macht bald zu einem anderen Volke übergehen, das besser regiert wird, als wir.‹

Ich fragte alsdann Narbal, wie es zugegangen, daß die Tyrier so mächtig zur See geworden; denn ich wünschte von allem unterrichtet zu sein, was zur Verwaltung eines Staats gehört. Er antwortete mir:

›Wir sind im Besitz der Wälder des Libanon; sie verschaffen uns das Bauholz zu unsern Schiffen, und sorgfältig wird es zu diesem Gebrauch aufgespart. Die Bäume werden nur gefällt, wenn es das Bedürfniß des Staats erfordert. Wir haben ferner den Vortheil, geschickte Schiffsbaumeister zu besitzen.‹

›Wie gelanget ihr zu diesen Arbeitern?‹ fragte ich ihn.

Er antwortete mir:

›Sie haben sich allmählig in dem Lande selbst gebildet. Man darf nur diejenigen, welche sich in irgend einer Kunst auszeichnen; gut belohnen, und man kann gewiß sein, bald Leute zu finden, die sie zu ihrer höchsten Vollkommenheit bringen; denn einsichtsvolle und fähige Köpfe legen sich immer auf die Künste, deren Ausübung mit großen Vortheilen verbunden ist. Alle diejenigen, welche sich in den zur Schifffahrt gehörigen Künsten hervorthun, genießen hier einer ehrenvollen Auszeichnung. Man achtet einen guten Meßkünstler; ein geschickter Sternkundiger wird hoch geschätzt; ein Steuermann, der die andern in seiner Kunst übertrifft, wird reichlich belohnt; ein guter Zimmermann sogar wird nicht gering geachtet; er wird gut bezahlt und gut behandelt; selbst die guten Ruderer finden sichere und ihren Diensten angemessene Belohnungen; sie erhalten gute Kost; man verpflegt sie, wenn sie krank sind; wenn sie im Schiffbruch umkommen, wird ihre Familie entschädigt; man entläßt diejenigen in ihre Heimath, welche eine bestimmte Zeit gedient haben. Auf diese Art finden sich derselben so viele, als man nur haben will. Mit Vergnügen unterrichtet der Vater seinen Sohn in einem so einträglichen Gewerbe. Schon von seiner frühesten Jugend an lehrt er ihn das Ruder führen, die Seile spannen und die Stürme verachten. So werden die Menschen ohne allen Zwang bloß durch Belohnung und gute Anstalten geleitet. Das gebieterische Ansehen allein bringt keine Wirkung hervor; der äußere Gehorsam der Untergebenen ist nicht hinreichend; man muß die Herzen gewinnen, und die Sachen so einzurichten wissen, daß die Menschen bei allem, was sie für uns thun sollen, ihren eigenen Vortheil finden.‹

Nach dieser Unterredung besuchte ich mit Narbal die Magazine, die Zeughäuser und alle Handthierungen, die zum Schiffbau erforderlich sind. Ich erkundigte mich nach allen Umständen, auch bei den geringfügigsten Dingen, und ich schrieb alles auf, was ich gelernt hatte, aus Furcht, irgend einen bedeutenden Umstand zu vergessen.

Indeß sah Narbal, der den Pygmalion kannte und mich liebte, mit Ungeduld meiner Abreise entgegen; er fürchtete, ich möchte von den Kundschaftern des Königs, welche die Stadt Tag und Nacht durchliefen, entdeckt werden. Aber die Winde gestatteten uns noch nicht, uns einzuschiffen.

Wir waren eben damit beschäftigt, den Hafen mit Aufmerksamkeit zu betrachten und an verschiedene Kaufleute Fragen zu thun, als ein Diener des Königs bei uns anlangte, und zu Narbal sagte:

›Der König hat von einem der Befehlshaber der Schiffe, die mit dir aus Aegypten zurückgekommen sind, vernommen, daß du einen Fremden mitgebracht hast, der für einen Cyprier ausgegeben wird; er befiehlt, daß er in Verhaft genommen werde, und daß man genau untersuche, aus welchem Lande er ist; du wirst mit deinem Kopfe für ihn bürgen.‹

Ich hatte mich gerade in diesem Augenblicke ein wenig entfernt, um die Einrichtung eines fast neuen tyrischen Schiffes in der Nähe zu betrachten, das, wie man sagte, durch die genaue Uebereinstimmung aller seiner Theile der beste Segler war, den man je im Hafen gesehen hatte, und ich befragte den Werkmeister, der dem Schiffe diese Einrichtung gegeben hatte.

Narbal, betroffen und erschrocken, antwortete:

›Ich werde sogleich diesen Fremden aufsuchen, der aus der Insel Cypern ist.‹

Aber kaum hatte er diesen Diener aus dem Gesichte verloren, als er auf mich zulief, um mich von der Gefahr zu benachrichtigen, in der ich war.

›Ich hatte es nur zu gut vorausgesehen, mein lieber Telemach,‹ sagte er zu mir; ›wir sind verloren. Der König, den das Mißtrauen Tag und Nacht peinigt, argwohnt, daß du nicht aus der Insel Cypern seiest; er befiehlt, daß man dich verhafte, und droht mir den Tod, wenn ich dich nicht in seine Hände liefere. Was werden wir beginnen? Götter! erleuchtet unsern Verstand, damit wir dieser Gefahr entgehen! Telemach, ich kann es nicht vermeiden, dich in den Palast des Königs zu führen; du wirst vorgeben, daß du ein Cyprier seiest, aus der Stadt Amathunt, der Sohn eines Venusbildners. Ich werde vorgeben, ehemals deinen Vater gekannt zu haben; vielleicht läßt dich der König abreisen, ohne der Sache tiefer nachzuforschen; ich sehe kein anderes Mittel, dein Leben und das meinige zu retten.‹

Ich antwortete Narbaln:

›Laß immerhin einen Unglücklichen umkommen, dessen Untergang das Verhängniß will. Ich fürchte den Tod nicht, und ich bin dir zu sehr verpflichtet, um dich mit in mein Verderben zu ziehen. Ich bin kein Cyprier, und es würde mir auch nicht möglich sein, zu sagen, daß ich es sei. Die Götter sehen meine Aufrichtigkeit; wenn es ihr Wille ist, so werden sie mein Leben durch ihre Macht erhalten, aber ich mag es durch keine Lüge retten.‹

›Diese Lüge,‹ erwiederte Narbal, ›hat nichts Verwerfliches; die Götter selbst können sie nicht verdammen; sie beschädigt niemand; sie rettet zwei Unschuldigen das Leben; sie täuscht den König nur, um ihn an der Begehung eines großen Verbrechens zu hindern; du treibst die Liebe zur Tugend zu weit und die Furcht, die Götter zu beleidigen.‹

›Die Lüge bleibt Lüge,‹ sagte ich ihm, ›dies ist genug; sie entehrt den Menschen, der die Götter immer zu Zeugen seiner Handlungen hat, und der Wahrheit alles schuldig ist. Wer sie verletzt, beleidigt die Götter; er schadet sich selbst, weil er gegen seine Ueberzeugung spricht. Dringe nicht weiter in mich, Narbal; dein Vorschlag entehrt uns beide. Haben die Götter Mitleiden mit uns, so werden sie uns schon zu retten wissen, ist aber unser Untergang beschlossen, so werden wir als Opfer der Wahrheit fallen und den Menschen das Beispiel hinterlassen, eine unbefleckte Tugend einem langen Leben vorzuziehen, das meinige hat nur schon allzulange gedauert, da es so unglücklich ist. Nur dein Schicksal, theurer Narbal, rührt mich. Ach, daß die Freundschaft, die du für einen unglücklichen Fremdling fühltest, dir so traurig werden mußte!‹

Wir stritten uns lange auf diese Art; da sahen wir einen Mann auf uns zukommen, der ganz außer Athem war. Es war ein anderer Diener des Königs, von Astarbe abgeschickt.

Diese Frau war schön, wie eine Göttin; mit den Annehmlichkeiten des Geistes vereinigte sie die Reize des Körpers. Sie war von einem muntern, einnehmenden, einschmeichelnden Wesen; aber gleich den Sirenen, verbarg sie unter diesen verführerischen Reizen ein grausames, tückisches Herz. Tiefe Verstellung verhüllte ihre lasterhaften Gesinnungen. Durch ihre Schönheit, ihren Verstand, ihre liebliche Stimme und den Wohlklang ihrer Leier, hatte sie Pygmalions Herz zu gewinnen gewußt. Von heftiger Liebe gegen dieses Weib verblendet, hatte er die Königin Topha, seine Gemahlin, verlassen. Die Leidenschaften der ehrgeizigen Astarbe zu befriedigen, war sein einziges Bestreben. Die Liebe zu diesem Weibe war ihm beinahe eben so verderblich, als sein schändlicher Geiz. Indessen flößte ihr der König, der sie anbetete, nur Ekel und Verachtung ein. Aber sie verbarg ihre wahren Gesinnungen, und während sie ihn verabscheute, beredete sie ihn, daß sie nur für ihn zu leben wünsche.

Es befand sich damals zu Tyrus ein Lydier, Namens Malachon, ein Jüngling von wunderbarer Schönheit, aber weichlich, weibisch und in den Wollüsten versunken. Seine einzige Sorge war, die Zartheit seiner Haut zu erhalten, seine blonden über seine Schultern herabhängenden Haare in Locken und sein Gewand in zierliche Falten zu legen, von Wohlgerüchen zu duften, und seine Liebe in die Leier zu singen. Astarbe erblickte ihn, verliebte sich in ihn, und ihre Leidenschaft stieg bis zur Raserei. Er verachtete sie, denn sein Herz brannte für einen andern Gegenstand, und überdies fürchtete er, sich der grausamen Eifersucht des Königs auszusetzen.

Astarbe, die sich verachtet sah, überließ sich ihrer Rachgier. Die Verzweiflung gab ihr den Gedanken ein, Malachon für den Fremdling auszugeben, den der König aufsuchen ließ, und der mit Narbal angekommen sein sollte. Es gelang ihr auch wirklich, Pygmalion zu hintergehen, und sie brachte durch Bestechung alle diejenigen auf ihre Seite, welche dem König seinen Irrthum hätten benehmen können; denn da ihm tugendhafte Leute verhaßt waren, und er sie nicht von den schlechten zu unterscheiden wußte, so umgaben ihn nur eigennützige, verschmitzte Menschen, die seine ungerechten und blutdürstigen Befehle willig vollzogen. Leute dieser Art fürchteten die Allgewalt der Astarbe, und halfen ihr den König hintergehen, aus Furcht, dieser übermüthigen Frau zu mißfallen, die ihn ganz gefesselt hatte.

So wurde also Malachon, ob ihn gleich die ganze Stadt als einen Lydier kannte, für den jungen Fremdling ausgegeben, den Narbal mit aus Aegypten gebracht habe, und man setzte ihn ins Gefängniß.

Astarbe, welche fürchtete, daß Narbal mit dem König reden und ihren Betrug entdecken möchte, schickte diesen Diener eilends an ihn ab, der ihm sagte: ›Astarbe verbietet dir, dem König zu eröffnen, wer dein Fremdling ist; sie fordert nichts von dir als Verschwiegenheit, und sie wird alles so einzuleiten wissen, daß der König mit dir zufrieden sei. Indessen verliere keine Zeit, diesen jungen Fremdling, den du aus Aegypten gebracht hast, mit den Cypriern einschiffen zu lassen, damit er nicht mehr in der Stadt gesehen werde.‹

Narbal, erfreut auf diese Weise mein Leben und das seine retten zu können, versprach zu schweigen; und der Diener, zufrieden, erlangt zu haben, was er begehrte, kehrte zu Astarbe zurück, um ihr von seiner Verrichtung Rechenschaft zu geben. Narbal und ich bewunderten die Güte der Götter, welche unsere Aufrichtigkeit belohnten, und so zärtlich für diejenigen sorgen, welche keine Gefahr scheuen, um der Tugend treu zu bleiben.

Mit Entsetzen stellten wir uns diesem von Geiz und Wollust beherrschten König vor.

›Wer sich so sehr fürchtet, von andern hintergangen zu werden,‹ sagten wir zu einander, ›wird es fast immer auf die gröbste Weise, und verdient auch diese Strafe seines ungerechten Argwohns. Indem er kein Vertrauen in rechtschaffene Leute setzt, wird er die Beute verworfener Menschen. Er ist der einzige, der die Ränke nicht kennt, die im Verborgenen getrieben werden. Sieh einmal diesen Pygmalion; er ist das Spiel eines schamlosen Weibes. Indeß wird nicht selten in den Händen der Götter die Falschheit der Bösen ein Werkzeug zur Rettung der Tugendhaften, welche lieber das Leben verlieren, als der Wahrheit untreu werden wollen.‹

Indem wir also sprachen, bemerkten wir, daß der Wind sich änderte, und den cyprischen Schiffen günstig wurde.

›Die Götter geben uns ihren Willen zu erkennen,‹ rief Narbal aus, ›sie wollen dich retten. Fliehe diesen abscheulichen, diesen verwünschten Boden. Ach, wer dir bis zu den entlegensten Ufern folgen, wer mit dir leben und sterben könnte, wie glücklich wäre er! Aber ein strenges Geschick fesselt mich an dieses unglückliche Vaterland, mein Loos ist, mit ihm zu leiden, vielleicht unter seinen Trümmern begraben zu werden. Immerhin! wenn ich nur stets ein Freund der Wahrheit und der Tugend bleibe.

Dich, mein Sohn, mögen die Götter noch ferner leiten, sie, die bisher deine treuen Begleiter waren, und dir eine reine und unbefleckte Tugend bis ans Ende deiner Tage gewähren, das kostbarste aller Geschenke, das sie verleihen können. Lebe, kehre nach Ithaka zurück, tröste Penelopen, rette sie aus den Händen ihrer verwegenen Freier! Möchten deine Augen den weisen Ulysses wiedersehen! Möchten deine Arme den geliebten Vater umfassen, und möchte er in dir einen Sohn finden, dessen Weisheit der seinigen gleicht. Aber in deinem Glück erinnere Dich des unglücklichen Narbal, und bleibe mir stets mit Liebe zugethan.‹

Er sprach's; ich benetzte ihn mit meinen Thränen, ohne ihm antworten zu können; tiefe Seufzer hinderten mich zu sprechen. Wir hielten uns lange umschlossen. Er begleitete mich ans Schiff, er blieb an dem Ufer stehen, und als das Schiff abgesegelt war, behielten wir uns so lange im Auge, als wir uns sehen konnten.«



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