Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Buch.

Nestor, als Sprecher der Verbündeten, verlangt von Idomeneus Hülfe gegen die Daunier, ihre Feinde. Mentor, der Willens ist, Salent eine Verfassung zu geben. und das Volk an den Ackerbau zu gewöhnen, bewirkt, das die Verbündeten sich begnügen, Telemach an der Spitze von hundert edlen Freiern bei ihrem Heere zu haben. Nach Telemachs Abreise stellt Mentor eine genaue Untersuchung in der Stadt und im Hafen an, unterrichtet sich von allem, läßt den Idomeneus neue Verordnungen über den Handel und die Polizei machen, und das Volk in sieben Klassen eintheilen, deren Rang und Geburt er durch die Kleidung unterscheidet, und bewegt ihn, den Luxus und die unnützen Künste abzuschaffen, damit sich die Künstler dem Ackerbau ergeben möchten, den er wieder in seine Würde einsetzt.


S chon begann das Heer der Verbündeten ein Lager zu schlagen. Das Feld war mit kostbaren Zelten von allen Farben bedeckt, in welchen die ermüdeten Hesperier den Schlaf erwarteten. Als die Könige mit ihrem Gefolge in die Stadt eingezogen, erstaunten sie, die vielen prächtigen Gebäude zu sehen, die in so kurzer Zeit errichtet worden waren, und nicht minder, daß die Verwirrung, die ein großer Krieg verursacht, diese neue Stadt nicht gehindert habe, schnell an Größe und Schönheit zu wachsen.

Man bewunderte den Idomeneus, daß er durch weise Thätigkeit ein so schönes Reich zu gründen gewußt habe, und alle überzeugten sich, daß, nachdem nun der Friede mit ihm geschlossen worden, die Macht der Verbündeten keinen geringen Zuwachs erhalten würde, wenn er dem Bunde gegen die Daunier beitrete. Man lud ihn dazu ein; er konnte einen so billigen Antrag nicht ablehnen, und versprach Kriegsvölker.

Aber Mentor, dem nichts verborgen war, was erforderlich ist, einen Staat in blühenden Wohlstand zu setzen, sah wohl, daß die Macht des Idomeneus nicht so groß sein könnte, als sie es schien. Er nahm ihn also auf die Seite, und sprach so zu ihm:

»Du siehest, daß wir nicht umsonst für dich gearbeitet haben. Salent ist dem Verderben entgangen, das ihm drohte. Jetzt hängt es nur von dir ab, seinen Ruhm bis an den Himmel zu erheben, und durch weise Beherrschung deines Volkes deinem Großvater gleich zu werden. Ich fahre fort, die Sprache der Freimüthigkeit mit dir zu reden, weil ich voraus setze, daß sie dir angenehm sei, und daß du jede Schmeichelei hassest. Während diese Fürsten den Glanz deines Reiches erhoben, konnte ich nicht umhin, bei mir selbst Ueberlegungen über deine Unbesonnenheit anzustellen.«

Bei dem Worte Unbesonnenheit änderte Idomeneus die Farbe, seine Augen trübten sich, er erröthete, und kaum konnte er sich enthalten, Mentorn zu unterbrechen, und ihm seinen Unwillen zu bezeigen. In einem bescheidenen und ehrfurchtsvollen, aber zugleich freimüthigen und festen Tone fuhr Mentor fort:

»Das Wort Unbesonnenheit hat dich beleidigt, ich sehe es wohl. Jeder andere außer mir würde Unrecht gethan haben, sich desselben zu bedienen, denn man muß die Fürsten ehren, und ihrer Empfindlichkeit schonen, selbst dann, wenn man sie tadelt. Die Wahrheit an sich selbst ist ihnen schon anstößig genug, ohne sie noch in harte Worte einzukleiden; aber ich glaubte, daß du es ertragen könntest, wenn ich dir deine Fehler entdeckte, auch ohne mich mildernder Worte zu bedienen. Ich wollte dich gewöhnen, die Sachen bei ihrem rechten Namen nennen zu hören; und dich belehren, daß, wenn andere dir auch ihre Meinung über dein Betragen sagen sollten, sie es doch nie wagen werden, dir alles zu sagen, was sie denken. Willst du dich nicht selbst täuschen, so mußt du nie vergessen, daß jeder Tadel, den man dir zu erkennen gibt, mehr in sich schließt, als die Worte sagen. Wenn du es verlangst, so kann auch ich meine Worte mildern, aber es ist dir zuträglich, daß ein uneigennütziger und anspruchloser Mann in geheim die Sprache der Wahrheit mit dir rede. Kein Anderer wird dies jemals wagen, und immer wirst du die Wahrheit nur halb und unter einer täuschenden Hülle sehen.«

Idomeneus war jetzt von seiner Uebereilung zurückgekommen, und schämte sich seiner Empfindlichkeit.

»Du siehest,« sagte er zu Mentor, »wohin es führt, wenn man nur immer Schmeichler um sich hat. Dir danke ich die Rettung meines neuen Reichs, und es gibt keine Wahrheit, welche aus deinem Munde zu vernehmen ich mich nicht glücklich schätze. Versage dein Mitleiden einem Fürsten nicht, den die Schmeichler verdorben haben, und der sogar in seinem Unglück keinen Menschen fand, der edel genug gewesen wäre, ihm die Wahrheit zu sagen. Nein, nie fand ich einen Menschen, der Liebe genug zu mir gehabt hätte, auch mit Gefahr, mir mißfällig zu werden, sie mir ganz zu sagen.«

Bei diesen Worten füllten sich seine Augen mit Thränen, und zärtlich umarmte er Mentorn. Der verständige Greis sagte zu ihm:

»Es schmerzt mich, daß ich genöthigt bin, dir harte Dinge zu sagen, aber sollte ich durch Verhehlung der Wahrheit an dir zum Verräther werden? Denke dich an meinen Platz. Wenn du bis hieher betrogen worden bist, so kam es daher, daß du selbst es sein wolltest, daß du allzu aufrichtige Rathgeber scheutest. Suchtest du uneigennützige Menschen und die vor andern geeignet waren, dir zu widersprechen? Trugst du Sorge, nur solchen Menschen dein Ohr zu öffnen, die am wenigsten geschäftig waren, dir zu gefallen, durch ihr Betragen keinen Vortheil für sich zu erzielen suchten, und vor andern dazu geschickt waren, sich deinen Leidenschaften und ungerechten Begierden entgegen zu setzen? Wenn du auf Schmeichler trafst, hast du sie von dir entfernt? Schenktest du ihnen nie dein Vertrauen? Nein, du hast nichts von allen dem gethan, was derjenige thun muß, der die Wahrheit liebt, und verdient sie zu hören. Laß sehen, ob du von jetzt an den Muth haben wirst, die Demüthigungen zu ertragen, welche dir die dich verurtheilende Wahrheit zuziehen wird!

Meine Absicht war, dir zu sagen, daß nur Tadel verdiene, was dir so viele Bewunderung zugezogen hat. Von so vielen Fremden umringt, die deinem noch schlecht gegründeten Reiche Verderben drohten, dachtest du an nichts, als deine neue Stadt mit prächtigen Gebäuden zu schmücken. Dies war es, was dir die vielen schlaflosen Nächte brachte, von denen du mir sagtest. Du erschöpstest deine Reichthümer. Du dachtest nicht daran, dein Volk zu vermehren, nicht, diese fruchtbare Küste anzubauen. Hättest du nicht diese zwei Stücke als die wesentliche Grundlage deiner Macht ansehen sollen, viel nützliche Menschen und genug angebautes Land zu besitzen, um jene zu nähren? Du bedurftest eines langen Friedens bei der Entstehung deines Staats, der die Vermehrung deines Volkes befördert hätte. Den Ackerbau in Aufnahme zu bringen, und deinem Lande weise Gesetze zu geben, hätte deine einzige Sorge sein sollen. Ein eitler Ehrgeiz hat dich an den Rand des Verderbens geführt. Nur darauf bedacht, den Schein der Größe zu haben, hättest du beinahe deine wahre Größe zu Grunde gerichtet. Säume nicht, diese Fehler wieder gut zu machen. Laß alle diese großen Arbeiten ruhen. Entsage all diesem Prunk, der deine neue Stadt zu Grunde richten würde. Gönne deinem Volke, im Frieden zu leben. Verschaffe ihm Ueberfluß, um die Ehen zu erleichtern. Wisse, daß du nur in sofern König bist, als du Unterthanen zu beherrschen hast, und daß deine Macht nicht von dem Umfange der Länder abhängt, die du besitzest, sondern von der Zahl der Menschen, die diese Länder bewohnen, und dir willig gehorchen. Strebe nach dem Besitze eines Landes von mäßigem Umfange, fülle es mit zahlreichen, arbeitsamen, wohlgesitteten Menschen, suche die Liebe dieser Menschen zu gewinnen, und dann wirst du mächtiger, glücklicher und größer sein, als alle Länder verwüstende Eroberer.«

»Aber wie soll ich mich gegen diese Könige benehmen? Werde ich ihnen meine Unmacht bekennen? Es ist wahr, ich vernachlässigte den Ackerbau und sogar den Handel, wozu diese Küste so vortheilhaft gelegen ist. Meine einzige Sorge war, eine prächtige Stadt zu erbauen. Soll ich vor allen diesen versammelten Fürsten das Geständniß meiner Unklugheit ablegen, und mich dadurch in ihren Augen herabsetzen? Wenn es sein muß, so werde ich es thun, und werde es thun, ohne erst mit mir zu Rathe zu gehen, so viel es mich auch kosten mag; denn du hast mich belehrt, daß ein wahrer König, der nur für sein Volk geboren ist, und die Verbindlichkeit hat, sich ihm ganz zu widmen, das Wohl seines Staats seinem eigenen Ruhme vorziehen müsse.«

»Solche Gesinnungen,« erwiederte Mentor, »sind eines Vaters des Volks würdig! An diesem Wohlwollen, und nicht an den prächtigen Gebäuden deiner Stadt, erkenne ich das Herz eines echten Königs. Aber selbst das Wohl deines Staats erfordert, daß deine Ehre geschont werde. Ich will diese Sache auf mich nehmen.Ich werde den versammelten Fürsten sagen, daß du dich verbindlich gemacht habest, den Ulysses, wenn er noch leben sollte, oder wenigstens seinen Sohn in die königliche Würde in Ithaka wieder einzusetzen, und Penelopens Freier durch die Gewalt der Waffen aus dem Lande zu treiben. Sie werden leicht einsehen, daß diese Unternehmung viele Krieger erfordert, und sich damit begnügen, daß du ihnen im Anfang nur eine kleine Zahl Kriegsvölker gegen die Daunier zu Hülfe sendest.«

Bei diesen Worten glich Idomeneus einem Menschen, dem man eine drückende Last abnimmt.

»Trauter Freund,I« sagte er zu Mentorn, »du rettest meine Ehre, und die Ehre dieses aufblühenden Staats, dessen erschöpften Zustand du allen meinen Nachbaren verbirgst. Aber mit welcher Wahrscheinlichkeit kann ich sagen, daß ich Willens sei, Völker nach Ithaka zu senden, um den Ulysses oder wenigstens seinen Sohn wieder in ihre Rechte einzusetzen, während Telemach sich selbst verbindlich gemacht hat, gegen die Daunier zu Felde zu ziehen?«

»Sei hierum unbekümmert,« erwiederte Mentor, »ich werde nichts als die Wahrheit sagen Die Schiffe, die du zur Gründung deines Handels absenden wirst, sollen nach der Küste von Epirus steuern. Sie werden zweierlei Zwecke auf einmal erfüllen; erstlich werden sie die fremden Kaufleute, welche die allzugroßen Abgaben von Salent entfernen, an deine Küsten zurückrufen, und dann werden sie Kundschaft von Ulysses einzuziehen suchen. Lebt er noch, so kann er nicht fern von den Meeren sein,welche Griechenland von Italien trennen, und man versichert, daß man ihn in Phönizien gesehen habe. Und wenn auch alle Hoffnung verschwände, ihn zu finden, so würden doch deine Schiffe seinem Sohne einen wichtigen Dienst leisten. Sie werden in Ithaka und allen benachbarten Ländern den Schrecken des Namens des jungen Telemach verbreiten, den man für todt hält, wie seinen Vater. Penelopens Freier werden mit Bestürzung hören, daß er, von einem mächtigen Bundesgenossen unterstützt, im Begriffe sei, in sein Vaterland zurückzukehren. Die Ithaker werden es nicht wagen, das Joch abzuwerfen. Penelope wird sich trösten, und auf ihrer Weigerung beharren, einen andern Gemahl zu wählen. Auf diese Art wirst du dem Telemach nützlich sein, indeß er an deiner Statt unter den Verbündeten dieser Küste gegen die Daunier streiten wird.«

So sprach Mentor und Idomeneus rief aus:

»Glücklich ist der Fürst, den weiser Rath unterstützt! Mehr als siegreiche Heere nützet ein verständiger und treuer Freund einem Könige; aber doppelt glücklich ist der König, der dieses Glück zu schätzen, und einen guten Gebrauch von dem ihm ertheilten weisen Rath zu machen weiß! Denn nur zu oft geschieht es, daß ein Fürst weise und rechtschaffene Männer, vor deren strengen Tugend er sich fürchtet, von seiner Vertraulichkeit ausschließt, um sein Ohr Schmeichlern zu leihen, die er für ehrliche Leute hält. Ich selbst bin in diesen Fehler gefallen, und ich werde dir alle die Unfälle erzählen, die ein falscher Freund über mich gebracht hat, der meinen Leidenschaften das Wort sprach, und hoffte, daß ich auch die seinigen begünstigen werde.«

Es fiel Mentorn nicht schwer, die verbündeten Könige zu überzeugen, daß es dem Idomeneus obliege, die Angelegenheiten Telemachs zu besorgen, während dieser mit ihnen zöge. Sie begnügten sich, den Sohn des Ulysses nebst hundert jungen Kretern, die ihm Idomeneus zu seiner Begleitung gab, bei ihrem Heere zu haben. Diese Kreter waren die Blüthe des jungen Adels, den der König mit aus Kreta gebracht hatte. Mentor hatte ihm gerathen, sie in diesen Krieg zu senden.

»Zwar muß man,« sagte er, »während des Friedens darauf bedacht sein, sein Volk zu vermehren, aber damit die ganze Nation nicht in Weichlichkeit versinke und den Krieg verlerne, muß man den jungen Adel an fremden Kriegen Theil nehmen lassen. Dies ist hinreichend, bei einem ganzen Volke den Wetteifer des Ruhms, Liebe zu kriegerischen Uebungen, Kriegserfahrenheit und Verachtung der Beschwerden und des Todes selbst zu erhalten.«

Die verbündeten Könige verließen Salent, zufrieden mit Idomeneus, von Mentors Weisheit bezaubert, und voll Freude, daß, ihnen Telemach folgte. Dieser war unvermögend, seinem Schmerz zu gebieten, als er sich von seinem Freunde trennen mußte. Indeß die verbündeten Könige Abschied nahmen, und Idomeneus ewige Freundschaft schworen, hielt Mentor den Telemach fest in seinen Armen geschlossen; er sah seine Thränen fließen.

»Die Aussicht auf Ruhm,« sagte Telemach, »rührt mich nicht; ich fühle jetzt nichts, als den Schmerz, von dir zu scheiden. Mir ist, ich sei in jene unglückliche Zeit versetzt, wo die Aegypter mich aus deinen Armen rissen, mich von dir entfernten, und mir die Hoffnung raubten, dich je wiederzusehen.«

Mit sanften und tröstenden Worten erwiederte ihm Mentor:

»Diese Trennung hat nichts mit jener andern gemein; sie ist freiwillig, sie wird von kurzer Dauer sein; du eilest dem Siege entgegen. Deine Liebe zu mir, mein Sohn, muß nicht jene weibische Zärtlichkeit haben; sie sei männlicher Art. Gewöhne dich an meine Abwesenheit. Nicht immer werde ich bei dir sein. Weisheit und Tugend, nicht Mentors Gegenwart müssen deine Handlungen leiten.«

Die Göttin, die Mentors Gestalt trug, deckte ihn bei diesen Worten mit ihrer Aegide. Sie goß in seine Brust den Geist der Weisheit und der Vorsicht, unerschütterlichen Muth und sanfte Mäßigung, die sich nur selten vereinigt bei Menschen finden.

»Geh,« sagte Mentor, »scheue selbst die drohendsten Gefahren nicht, so oft es nöthig ist, daß du ihnen entgegen gehest. Größere Schande trifft den Fürsten, der in der Schlacht der Gefahr ausweicht, als wenn er sich ganz dem Kriege entzöge. Nie muß der Muth eines Anführers zweifelhaft sein. Wenn einem Volke die Erhaltung seines Anführers oder seines Königs wichtig ist, so liegt diesem noch mehr daran, daß man nie an seiner Tapferkeit zweifle. Vergiß nie, daß der Befehlende das Vorbild aller andern sein muß. Sein Beispiel muß die belebende Kraft des ganzen Heeres sein. Weiche also keiner Gefahr aus, o Telemach, und wähle eher den Tod in dem Gefechte, als zuzugeben, daß man an deinem Muthe zweifeln könne. Die Schmeichler, die sich am eifrigsten bemühen werden, zu verhindern, daß du der Gefahr entgegen gehest, wenn sie dich ruft, werden die ersten sein, dir im Verborgenen den Muth abzusprechen, wenn du dich bereitwillig finden ließest, bei solchen Gelegenheiten zurückzubleiben.

Aber stürze dich auch nicht ohne Noth in die Gefahr. Die Tapferkeit ist nur dann eine Tugend, wenn sie von Einsicht geleitet wird, außerdem ist sie eine sinnlose Verachtung des Lebens und eine thierische Wuth. Ungebändigter Muth verfehlt seinen Zweck. Wer in der Gefahr seiner nicht mächtig ist, verdient eher tollkühn als tapfer genannt zu werden. Er ist in die Nothwendigkeit gesetzt, sich erst der Besinnung zu berauben, um sich über die Furcht hinwegzusetzen, weil er unvermögend ist, sich bei ruhiger Fassung seiner Seele zu überwinden. Wenn er auch in diesem Zustande die Flucht nicht ergreift, so geräth seine Seele doch in Verwirrung. Er verliert die Gegenwart des Geistes, die ihm so nöthig ist, zweckmäßige Befehle zu geben, die Gelegenheiten zu nützen, seinen Feind zu überwältigen und seinem Vaterland zu dienen. Wenn er auch alle Unerschrockenheit eines gemeinen Kriegers hat, so mangelt es ihm doch an der Beurtheilungskraft des Feldherren. Auch nicht einmal den wahren Muth des gemeinen Mannes kann man ihm zugestehen, denn auch dieser bedarf mitten im Gefechte der Gegenwart des Geistes und der Mäßigung, um gehorchen zu können. Wer sich mit Vermessenheit in die Gefahr stürzt, stört die abgemessene Bewegung des Heeres, gibt das Beispiel der Verwegenheit, und setzt nicht selten das ganze Kriegsheer den größten Unfällen aus. Wer das Wohl des Ganzen seinem eitlen Ehrgeiz aufopfern kann, verdient Strafe, nicht Belohnung.

Jage also dem Ruhme nicht mit allzu großer Hitze nach, mein Sohn. Das sicherste Mittel, ihn zu erlangen, ist, die günstige Gelegenheit ruhig zu erwarten. Je ungekünstelter, bescheidener, prunkloser deine Ansprüche sind, desto mehr wird man deine Vorzüge anerkennen. Je mehr die Nothwendigkeit wächst, sich der Gefahr auszusetzen, je mehr muß unser Muth und unsere Vorsicht zunehmen. Auch hüte dich, dir den Neid der andern zuzuziehen; du selbst aber sei nie eifersüchtig über das Glück der andern. Laß ihren Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren, aber lobe mit Ueberlegung. Erwähne des Guten mit Vergnügen; bedecke den begangenen Fehler, und rüge ihn nur durch Bedauern.

Entscheide nie in Gegenwart der alten Feldherren, die mehr Erfahrenheit haben, als du. Höre sie mit Ehrerbietung; befrage sie; bitte die einsichtsvollsten um ihren Rath und schäme dich nicht, deine rühmlichsten Thaten ihren Belehrungen zuzuschreiben. Leihe nie dein Ohr denen, welche Mißtrauen oder Eifersucht gegen die andern Feldherren bei dir erregen wollen. Sprich mit Zutrauen und Offenherzigkeit zu ihnen. Glaubst du, daß sie dir Unrecht gethan haben, so öffne ihnen dein Herz; laß ihnen den Grund deiner Unzufriedenheit wissen. Wenn sie fähig sind, das Edelmüthige eines solchen Betragens zu fühlen, so werden sie dich mit Vergnügen hören und dir die Genugthuung leisten, die du von ihnen erwarten kannst; sollten sie aber nicht billig genug sein, dir Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, so wirst du aus eigener Erfahrung die Mängel kennen lernen, die du an ihnen zu ertragen hast, und dann dein Betragen so einrichten, daß du, so lange der Krieg währt, dir keine Beleidigung mehr von ihnen zuziehest. Auf diese Art wirst du dir nie etwas vorzuwerfen haben. Vor allem aber offenbare nie gewissen Schmeichlern, die sich damit abgeben, Uneinigkeit zu stiften, die Beschwerden, die du gegen die Anführer des Heers bei dem du dich befindest, zu haben glaubst.

Ich werde hier bleiben,« fuhr Mentor fort, »um dem Idomeneus in dem Geschäfte, das ihm jetzt obliegt, nämlich an dem Glücke seines Volkes zu arbeiten, zu unterstützen, und ihm vollends behülflich zu sein, die Fehler wieder gut zu machen, die er bei Errichtung seines neuen Staates beging, weil er den Rathschlägen seiner Schmeichler Gehör gab.«

Telemach konnte sich nicht enthalten, Mentorn einiges Befremden und selbst einige Verachtung über das Betragen des Idomeneus zu erkennen zu geben. Aber dieser wies ihn mit einem ernsten Tone zurecht.

»Kannst du dich wundern,« sagte er zu ihm, »daß auch die schätzbarsten Menschen noch Menschen bleiben, daß besonders Fürsten, von unzähligen Fallstricken umgeben, und mitten im Gedränge der mit ihrem Amte unzertrennlich verbundenen Schwierigkeiten noch einige Reste menschlicher Schwachheit zeigen? Es ist wahr, Idomeneus, von seiner Erziehung mißleitet, gab stolzen und übermüthigen Einbildungen Raum; aber wo ist der Weise, der an seiner Stelle sich der Schmeichelei hätte erwehren können? Es ist wahr, daß er sich den Eingebungen derer, die sein Vertrauen besaßen, zu sehr überließ; aber wie sehr sie sich auch gegen den Betrüger waffnen mögen, die klügsten Regenten werden nur zu oft hintergangen. Ein Fürst braucht Gehülfen, die ihm einen Theil seiner Bürde abnehmen, er muß sich ihnen anvertrauen, weil er nicht alles selbst thun kann. Ueberdies kennt ein Fürst die Menschen, die ihn umgeben, weit weniger, als ein Mensch im Privatstande. Niemand erscheint in seiner wahren Gestalt vor ihm; man erschöpft alle Kunstgriffe, um ihn zu täuschen. Ach, Telemach! auch du wirst es nur zu sehr erfahren! Man findet bei den Menschen weder die Tugenden, noch die Einsichten, die man ihnen zutraut. So viele Mühe man sich auch geben mag, sie zu erforschen und zu ergründen, man findet sich jeden Augenblick in seiner Rechnung betrogen. Man bringt es selbst nicht einmal dahin, von den besten Menschen den Gebrauch zu machen den man von ihnen zum Besten des Staats zu machen wünschte. Sie haben ihre Launen, ihre Unverträglichkeit, ihre kleinliche Eifersucht; nur selten gelingt es uns, sie zu belehren, sie zu bessern.

Je größer die Zahl der Menschen ist, die man zu regieren hat, je mehrerer Diener bedarf man, um durch sie auszuführen, was man nicht selbst thun kann; und je mehrere Menschen man nöthig hat, denen man Gewalt anvertrauen muß, je mehr läuft man Gefahr, sich in der Wahl derselben zu irren. Wie mancher tadelt heute einen König ohne alle Schonung, der morgen weit schlimmer regieren würde, als dieser König, und welcher dieselben Fehler und noch weit größere begehen würde, wenn er dieselbe Gewalt in Händen hätte. Das Privatleben, wenn es einem nur nicht ganz an der Gabe fehlt, gut zu sprechen, bedeckt alle natürlichen Mängel, setzt hervorstechende Talente in ein günstiges Licht, und scheint einem Menschen ein Recht an jede Stelle zu geben, von der er entfernt ist. Die oberste Gewalt hingegen setzt die Talente auf eine harte Probe, und bringt oft große Gebrechen ans Licht. Es ist mit der Größe wie mit gewissen Gläsern, welche alle Gegenstände vergrößern. Alle Mängel erscheinen auf erhabenen Stellen in vergrößerter Gestalt, wo die geringfügigsten Dinge wichtige Folgen haben, und das leichteste Versehen mit schwerer Strafe gebüßt wird. Die Blicke der ganzen Welt sind stets auf einen einzigen Mann gerichtet, und immer ist man bereit, ihn auf das strengste zu richten. Aber diese Richter haben keinen Begriff von der Lage, in der er sich befindet. Sie kennen ihre Schwierigkeiten nicht. Sie fordern eine Vollkommenheit von ihm, die die Kräfte des Menschen übersteigt. Ein Fürst, so gut und weise er auch sein mag, bleibt immer noch Mensch; seine Einsichten sind beschränkt, seine Tugenden haben ihre Gränzen. Er hat Launen, Leidenschaften, Gewohnheiten, über die er nicht völlig gebieten kann. Eigennützige, arglistige Menschen umlagern ihn; er sieht sich vergebens nach Hülfe um. Er verrechnet sich alle Tage, bald von seiner eigenen, bald von den Leidenschaften seiner Diener irregeführt. Kaum hat er einen Fehltritt wieder gut gemacht, so begeht er einen andern. Dies ist die Lage auch der aufgeklärtesten und besten Fürsten.

Die längsten und besten Regierungen sind zu kurz und zu unvollkommen, um die Uebel am Ende wieder gut zu machen, die man im Anfang begangen hat, ohne es zu wollen. Alle diese Leiden sind von der königlichen Würde unzertrennlich. Die menschliche Unvollkommenheit erliegt einer so gewaltigen Bürde. Laß uns die Könige bedauern, und sie entschuldigen! Warum sollten wir ihnen auch unser Mitleid versagen, ihnen, die für die zahllosen Bedürfnisse so vieler Menschen zu sorgen haben, und die, wenn sie ihre Untergebenen gut regieren wollen, eine so schwere Arbeit haben! Aufrichtig zu reden, die Menschen sind sehr zu bedauern, daß es ihr Loos ist, von einem regiert werden zu werden, der weiter nichts ist als ein Mensch, wie sie; denn Götter sollten über die Menschen herrschen, um ihnen wieder aufzuhelfen; aber die Fürsten sind nicht minder zu beklagen, daß es ihnen, die nur Menschen, das ist schwache und unvollkommne Geschöpfe sind, obliegt, eine so große Menge verdorbener und hinterlistiger Wesen zu leiten.«

Lebhaft erwiederte Telemach:

»Durch seine Unbesonnenheit hat Idomeneus das Reich seiner Völker in Kreta verloren, und wärest du nicht gewesen, so würde er zu Salent ein zweites verloren haben.«

»Ich läugne nicht,« antwortete Mentor, »daß er große Fehler begangen hat; aber zeige mir in Griechenland, zeige mir in allen andern, selbst den gesittetsten Ländern einen Fürsten, der nicht ebenfalls Fehler begangen hätte, die nicht zu entschuldigen sind. Es kleben sowohl der körperlichen Beschaffenheit, als der Seele auch der größten Menschen Gebrechen an, die sie zu Fehltritten verleiten; die besten unter ihnen sind diejenigen, die den Muth haben, ihre Verirrungen einzusehen, und sie wieder gut zu machen. Glaubst du wohl, daß Ulysses, der große Ulysses, dein Vater, der erste der griechischen Fürsten, nicht ebenfalls seine Schwachheiten und Fehler habe? Hätte Minerva nicht jeden seiner Tritte geleitet, wie oft wäre er den Gefahren und Bedrängnissen erlegen, die das Glück, dem er zum Spiel diente, ihm sandte! Wie oft hielt ihn Minerva zurück, oder führte ihn wieder auf den rechten Weg, um ihn stets auf dem Pfade der Tugend zum Ruhme zu leiten! Und wenn du ihn auch einst in Ithaka ruhmvoll regieren sehen wirst, so erwarte auch da keine Vollkommenheit von ihm; auch dann wird er noch Fehler begehen. Aber trotz seiner Gebrechen wurde er die Bewunderung von Griechenland, Asien und allen Inseln des Meeres. Tausend rühmliche Eigenschaften haben einen Schleier über sie geworfen.Wie glücklich würdest du sein, wenn auch du ihn einst noch bewundern und zum Muster deiner Handlungen nehmen könntest!

Gewöhne dich, o Telemach, auch von den größten Männern nur das zu erwarten, was der menschlichen Natur zu leisten möglich ist. Die unerfahrne Jugend läßt sich zu dreistem Tadel hinreißen; sie verachtet, als unvollkommen, die Muster, die sie nachahmen sollte, und erzeugt in sich einen ungelehrigen Dünkel, den nichts zu heilen vermögend ist. Nicht nur deinen Vater, ob ihm gleich die höchste Vollkommenheit fehlt, mußt du lieben, achten und ihm nachahmen, auch gegen Idomeneus mußt du eine hohe Verehrung hegen. Soviel ich auch an ihm zu tadeln gefunden habe, so ist er doch von Natur aufrichtig, gerade, billig, freigebig und wohlthätig. Er ist im höchsten Grade tapfer. Er verabscheut den Betrug, wenn er ihn als solchen erkennt, und nichts ihn hindert, dem Zuge seines Herzens zu folgen. Seine äußern Vorzüge sind glänzend und seinem hohen Stande angemessen. Die edle Einfalt des Sinnes, womit er sein Unrecht bekennt, seine Sanftmuth, die Gelassenheit, womit er mich hört, wenn ich ihm auch die härtesten Dinge sage, der Muth, den er gegen sich selbst zeigt, indem er sich nicht schämt, seine Fehler öffentlich wieder gut zu machen, und sich dadurch über jeden Tadel der Menschen hinwegsetzt, beweisen eine wahrhaft große Seele. Das Glück oder der Rath eines andern kann einen sehr mittelmäßigen Menschen vor manchen Fehlern bewahren, aber es erfordert eine ungewöhnliche Seelenstärke, wenn ein Fürst, der lange durch Schmeichelei irre geführt worden, sich bewegen läßt, sein begangenes Unrecht wieder gut zu machen. Weit ruhmvoller ist es, sich auf solche Art wieder zu erheben, als nie gefallen zu sein.

Idomeneus beging Fehler, welche fast alle Fürsten begehen; aber beinahe kein Fürst that, was er, um sich zu bessern. Ich konnte ihn nicht genug bewundern, selbst in den Augenblicken, da ich seine Fehler rügen mußte. Auch du versage ihm deine Bewunderung nicht, mein geliebter Telemach. Dieser Rath hat weniger den Ruhm des Idomeneus, als deinen eigenen Nutzen zum Zweck.«

Telemach überzeugte sich durch diese Unterredung mit Mentor, wie gefährlich es sei, sich zu einem strengen und ungerechten Tadel gegen andere Menschen und besonders gegen diejenigen hinreißen zu lassen, die mit den schwierigen und verwickelten Geschäften der Regierung beladen sind.

Alsdann sagte Mentor zu ihm:

»Es ist jetzt Zeit, daß du abreisest. Lebe wohl! Du wirst mich hier wieder finden, mein geliebter Telemach. Erinnere dich, daß wer die Götter fürchtet, von Menschen nichts zu fürchten hat. Große Gefahren warten deiner; aber sei getrost, Minerva wird dich nicht verlassen.«

Bei diesen Worten glaubte Telemach die Gegenwart der Göttin zu fühlen, und er würde auch erkannt haben, daß sie es sei, die zu ihm spreche, um sein Herz mit Vertrauen zu erfüllen, wenn die Göttin nicht mit diesen Worten Mentors Bild in seine Seele zurückgerufen hätte:

»Vergiß nicht, mein Sohn, was ich in deiner Jugend für dich gethan habe, um dir die Weisheit und den Muth deines Vaters einzuflößen; handle so, daß du deines großen Vorbildes und der Tugendlehren würdig werdest, die Mentor sich bemühte, deinem Herzen einzuprägen.«

Schon stieg die Sonne empor, und röthete die Gipfel der Berge, als die Könige Salent verließen, sich zu ihren Heeren zu begeben. Alle um die Stadt gelagerten Völker setzten sich unter ihren Anführern in Bewegung. Rings umher blinkte das Eisen der emporragenden Lanzen. Die strahlenden Schilde blendeten die Augen. Eine Staubwolke wallte zum Himmel empor. Idomeneus und Mentor gaben den verbündeten Königen, die sich von Salents Mauern entfernten, das Geleit in das offene Feld. Endlich, nachdem sie sich gegenseitig Beweise einer aufrichtigen Freundschaft gegeben hatten, trennten sie sich. Die Verbündeten zweifelten nun nicht mehr an einem dauerhaften Frieden, da sie sahen, wie gut Idomeneus gesinnt sei, von dem man ihnen eine ganz andere Schilderung gemacht hatte, als sie ihn selbst fanden; denn man hatte ihn nicht nach den Gesinnungen beurtheilt, die ihm natürlich waren, sondern nach den Rathschlägen der Schmeichler und bösen Menschen, denen er sich überlassen hatte.

Nach dem Abzug des Heeres führte Idomeneus Mentorn in alle Theile der Stadt.

»Laß uns jetzt sehen,« sagte dieser, »wie groß die Zahl der Menschen in der Stadt und auf dem Lande ist, und ein Verzeichniß derselben machen. Laß uns untersuchen, wie viel Ackersleute unter deinen Unterthanen sind. Laß uns erforschen, wie viel Korn, Wein, Oel und andere nützliche Erzeugnisse dein Land in mittelmäßigen Jahren hervorbringt. Auf diese Art werden wir erfahren, ob der Boden so viel trage, als zur Ernährung seiner Einwohner erforderlich ist, und ob noch etwas übrig bleibe, um damit in fremde Länder einen nützlichen Handel treiben zu können. Laß uns auch untersuchen, wie viel Schiffe und Seeleute du besitzest. Nur nach diesen Dingen kann deine Macht beurtheilt werde,«

Er besuchte den Hafen; er trat in jedes Schiff. Er erkundigte sich nach dem Lande, wohin ein jedes handelte, nach den Waaren, die es führte, nach seiner Rückfracht, den Ausgaben, die jedes Schiff während seiner Fahrt habe, nach den Vorschüssen, die sich die Kaufleute untereinander thäten und ihren Handelsverbindungen, um zu erfahren, ob sie auf Billigkeit gegründet, und die eingegangenen Verbindlichkeiten treu erfüllt würden. Auch nach den Gefahren forschte er, denen der Handel durch Schiffbruch und andere Unglücksfälle ausgesetzt sei, um dem Untergange der Kaufleute vorzubeugen, die öfters aus Gewinnsucht Dinge unternehmen, die ihre Kräfte übersteigen.

Er wollte, daß alle Bankerotte strenge bestraft würden, weil er glaubte, daß wenn die Kaufleute bei denselben auch von Unredlichkeit, sie doch nur selten von sträflicher Verwegenheit frei zu sprechen seien. Zugleich machte er solche Einrichtungen, wodurch die Bankerotte leicht verhütet werden konnte., Es wurden Beamte angestellt, denen die Kaufleute von ihrem Vermögen, ihrem Gewinn, ihren Ausgaben und Unternehmungen Rechenschaft geben mußten. Nie wurde ihnen gestattet, das Vermögen eines andern und mehr als die Hälfte ihres eigenen zu wagen. Die Unternehmungen, denen sie allein nicht gewachsen waren, mußten in Gemeinschaft gemacht werden, und strenge Strafen warteten auf die Uebertreter der Gesetze dieser Gesellschaften. Außerdem genoß der Handel einer uneingeschränkten Freiheit. Anstatt durch Auflagen seinen Gang zu hemmen, versprach man allen denjenigen Kaufleuten Belohnungen, welche zwischen Salent und irgend einem andern Volke einen Handelsverkehr zu Stande bringen würden.

Bald sah man Menschen von allen Enden haufenweise nach Salent kommen. Der Handel dieser Stadt glich der Ebbe und Fluth des Meeres. Gleich den sich drängenden Wogen flossen die Schätze der Stadt zu. Alle Waaren genossen einer freien Ein- und Ausfuhr. Alles, was eingebracht wurde, war nützlich, alles, was aus der Stadt ging, ließ andere Reichthümer dagegen zurück. Die strengste Gerechtigkeit wachte über alle Nationen in dem Hafen. Aufrichtigkeit, Redlichkeit, Treue und Glauben schienen die Handelsleute der entferntesten Länder von diesen stolzen Thürmen herab nach Salent zu rufen. Alle diese Kaufleute, sie mochten nun von jenen östlichen Gestaden gekommen sein, wo die Sonne sich jeden Tag aus dem Schooße der Wellen erhebt, oder aus jenem großen Meere, wo sie, von ihrem Lauf ermüdet, ihre Fackel löscht, lebten in sicherer Ruhe zu Salent, wie in ihrem eigenen Lande.

In der Stadt besuchte Mentor alle Magazine, die Werkstätten der Künstler und alle öffentlichen Plätze. Keine Waare durfte aus fremden Ländern eingeführt werden, durch welche wollüstige Ueppigkeit in die Stadt hätte gebracht werden können. Eigene Gesetze wachten über die Kleidung, die Nahrung, die Geräthe, die Größe und den Schmuck der Gebäude der verschiedenen Stände. Alle Zierrathen von Gold und Silber wurden verbannt.

»Ich sehe nur ein Mittel,« sagte Mentor zum Könige, »dem Volk in seinem Aufwande bescheiden zu machen, und dies ist, daß du selbst ihm darin mit deinem Beispiele vorangehest. Es ist allerdings nöthig, daß dich ein gewisser äußerer Glanz umgebe, aber dein Ansehen wird hinlänglich durch deine Wachen, und die ersten Beamten, die um dich sind, erhalten werden. Begnüge dich mit einem feinen wollenen, in Purpur gefärbten Gewand. Die vornehmsten Staatsdiener nach dir seien in eben diese Wolle gekleidet, und deine Kleidung zeichne sich durch nichts vor der der andern aus, als durch die Farbe und eine leichte Stickerei am Saume derselben. Die verschiedenen Farben sind zur Unterscheidung der verschiedenen Stände hinreichend, ohne daß man des Goldes, des Silbers oder der Edelsteine bedürfte.

Die Geburt bestimme die Rangordnung der Stände. Der älteste und glänzendste Adel habe den ersten Rang. Diejenigen, welche ihre Verdienste und ihre Aemter adeln, werden es sich gerne gefallen lassen, auf jene alten und erlauchten Familien zu folgen, welche schon lange im Besitz der ersten Stellen des Landes sind. Diese Männer, welche jenen nicht an Geburt gleichkommen, werden ihnen gerne nachstehen, wofern du nur dafür sorgest, daß ein großes und schnelles Glück sie nicht schwindlich mache, und wenn du die Bescheidenheit derer erhebst, die sich im Glück zu mäßigen wissen. Der Vorzug, den eine lange Reihe von Voreltern gibt, ist unter allem dem Neide am wenigsten ausgesetzt.

Der Eifer, dem Staate zu dienen, wird hinlänglich angeflammt werden, wenn du schöne Handlungen mit Kronen und Ehrensäulen belohnest, und die Kinder derer, die sie verrichtet haben, hoffen dürfen, dadurch einst in den Stand des Adels erhoben zu werden. Kleide Personen des ersten Ranges nach dir in ein weißes Gewand mit goldenen Fransen am Saume desselben. Ein goldener Ring schmückt ihre Hand und eine goldene Schaumünze mit deinem Bildniß ihre Brust. Männer des zweiten Rangs seien in ein blaues Gewand mit silbernen Fransen gekleidet; sie haben den Ring, aber kein Schaustück. Die dritte Ordnung unterscheide sich durch die grüne Farbe und ein Schaustück, aber sie habe keinen Ring und keine Fransen. Die vierte sei dunkelgelb, die fünfte blaßroth, die sechste violett gekleidet, und die in siebente, welche die Niedrigsten des Volks begreift, zeichne sich durch eine weiße mit gelb vermischte Farbe aus.

Diese Kleidung möge die sieben verschiedenen Stände der Freigebornen unterscheiden; dunkelgrün sei die Farbe der Leibeigenen. Auf diese Art wird jeder Stand, ohne daß es Kosten erforderte, seine Auszeichnung haben, und alle Künste, die nur zur Unterhaltung der Pracht dienen, werden aus Salent verbannt werden. Alle Arbeiter, die sich sonst mit diesen verderblichen Künsten beschäftigen, werden alsdann zu den nothwendigen Künsten, deren es nur wenige gibt, oder zum Handel oder zum Ackerbau gebraucht werden können. Auch muß man nie zu zugeben, daß die Beschaffenheit des Zeuges oder die Form der Kleider verändert werde, denn es ist unter der Würde der Männer, daß sie, die zu ernsten und edlen Beschäftigungen bestimmt sind, sich mit Erfindung erkünstelter Zierrathen abgeben, und eben so wenig sollen sie ihren Weibern, die ähnliche Beschäftigungen minder entehren würden, gestatten, in diese Ausschweifung zu fallen.«

»So bestrebte sich Mentor, dem geschickten Gärtner ähnlich, der das unnütze Holz von den fruchtbaren Bäumen wegschneidet, der sittenverderbenden Pracht Einhalt zu thun. Er führte alles auf eine edle und genügsame Einfalt zurück. So ordnete er auch die Nahrung der Bürger und Sklaven an.

»Wie entehrend,« sagte er, »daß Menschen, die auf den höchsten Stufen stehen, ihre Größe in den Genuß leckerhafter Speisen setzen, die die Seele erschlaffen und die Gesundheit unvermerkt untergraben! Sollten sie nicht vielmehr ihre Glückseligkeit in der Mäßigung, in der Macht, die sie haben, andern Menschen Gutes zu thun und in der Ehre suchen, welche gute Handlungen begleitet? Die Mäßigkeit macht auch die einfachste Nahrung schmackhaft. Sie verschafft feste Gesundheit, reines und dauerhaftes Vergnügen. Deine Tafel werde also mit guten nahrhaften Speisen besetzt, aber ohne alle leckerhafte Zubereitung. Die Kunst, die Eßlust noch zu reizen, wenn die Forderungen der Natur befriedigt sind, tödtet den Menschen.«

Idomeneus sah jetzt ein, wie ungerecht er gethan habe, die Gesetze des Königs Minos über die Mäßigkeit in Verfall gerathen, und dadurch Weichlichkeit und Sittenverderbniß unter den Einwohnern seiner neuen Stadt einreißen zu lassen. Aber der weise Mentor bemerkte, daß, wenn man auch die Gesetze erneuerte, sie doch ohne Wirkung sein würden, wenn das Beispiel des Königs ihnen nicht ein Gewicht gäbe, das sie von sonst nichts erhalten könnten. Sogleich ordnete Idomeneus seine Tafel. Man erblickte auf derselben nichts, als treffliches Brot, den starken und lieblichen Wein des Landes, der sehr mäßig getrunken wurde, nebst andern ganz einfachen Speisen, so wie er sie einst mit andern Griechen vor Troja genossen hatte. Niemand wagte es, sich über eine Vorschrift zu beklagen, die der König selbst befolgte, und jeder fing an, von der Verschwendung und dem verzärtelten Geschmack zurückzukommen, dem man sich bei den Mahlzeiten schon zu überlassen angefangen hatte.

Auch jene üppige und weibische Musik wurde von Mentorn abgeschafft, die einen so verderblichen Einfluß auf die Jugend hat. Mit nicht minderer Strenge verbot er die bacchische Musik, welche die Sinne beinahe eben so berauscht, als der Wein, und schamlose Ausgelassenheit erzeugt. Nur bei Festen in den Tempeln sollte die Musik gehört werden; sie sollte das Lob der Götter und der Heroen singen, die der Welt das Beispiel seltener Tugenden gegeben haben. Auch sollte es nur bei den Tempeln erlaubt sein, die Pracht der Baukunst zu zeigen, und Säulen, verzierte Giebel und Hallen nirgends als dort gesehen werden. Er gab Abrisse, nach denen auf einem mäßig großen Platz bequeme und anmuthige Wohnungen von einfacher und schöner Bauart für eine zahlreiche Familie errichtet werden sollten. Die Gebäude sollten eine gesunde Lage haben, die Gemächer von einander abgesondert sein, Reinlichkeit und Ordnung in denselben erhalten werden, und die Unterhaltung derselben nur wenigen Aufwand erfordern.

Er verlangte, daß jedes nur etwas bedeutende Haus einen Saal und einen kleinen bedeckten Gang nebst kleinen Zimmern für alle Freigebornen habe, aber streng verbot er die überflüssige Zahl und den Prunk der Gemächer. Die verschiedenen Abrisse, die Mentor nach Verschiedenheit der Größe der Familien entworfen hatte, dienten, einen Theil der Stadt mit geringen Kosten zu verschönern, und ihm eine regelmäßige Gestalt zu geben, da hingegen der andere schon geendigte Theil derselben, wobei die Erbauer ihren Einfällen und ihrem Hang zur Pracht gefolgt waren, eine weit minder angenehme und bequeme Einrichtung hatte. Der Bau dieser neuen Stadt wurde in kurzer Zeit vollendet, weil die nahe Küste von Griechenland gute Baumeister lieferte, und man aus Epirus und andern Ländern eine Menge Maurer kommen ließ, die sich verbindlich machen mußten, nach Vollendung ihrer Arbeiten sich in der Gegend von Salent niederzulassen, und einen Theil des Landes urbar zu machen und zu bevölkern.

Mentor war überzeugt, daß die Malerei und Bildhauerkunst nicht vernachlässigt werden müßte, aber er wollte, daß nur wenige Menschen in Salent sich mit diesen Künsten beschäftigen sollten. Er errichtete eine Schule, welche Künstler von vollendetem Geschmack zu Vorstehern hatte, die die Fähigkeiten der jungen Leute prüfen mußten.

»In diesen Künsten, welche nicht unumgänglich nöthig sind,« sagte er, »muß nichts Gemeines und Mittelmäßiges geduldet werden. Es müssen also zu denselben nur Jünglinge von vielversprechenden und der Vollkommenheit entgegenstrebenden Fähigkeiten zugelassen werden. Andere, zu minder edlen Künsten bestimmt, können zu den gewöhnlichen Bedürfnissen des Staats mit Nutzen gebraucht werden. Aber man bediene sich der Malerei und der Bildhauerkunst nie,« sagte er, »als das Andenken großer Männer und großer Thaten auf die Nachwelt zu bringen. Alles, was mit ungewöhnlicher Anstrengung des Geistes zum Besten des Vaterlands gewirkt worden ist, muß durch bildliche Vorstellungen auf öffentlichen Gebäuden oder Grabmälern erhalten werden.«

Der Geist der Mäßigung und Sparsamkeit, den Mentor zeigte, hielt ihn aber nicht ab, alle jene größeren Gebäude zu begünstigen, die zu Pferd- und Wagenrennen, zu den Kämpfen der Ringer, den Kämpfen mit dem Cästus und allen den übrigen bestimmt sind, die dem Körper Gewandtheit und Stärke geben.

Mentor schaffte eine sehr große Anzahl von Kaufleuten ab, welche künstlich gewirkte Zeuge, theure Stickwerke, goldene und silberne Gefäße, auf welchen Götter, Menschen und Thiere abgebildet waren, gebraunte Wasser und Räucherwerke verkauften. Die Hausgeräthe sollten einfach und von dauerhafter Arbeit sein. Allmählich sahen die Salentiner, die laut über ihre Armuth geklagt hatten, ein, daß sie viele überflüssige Reichthümer besäßen; aber bei all diesem Ueberfluß blieben sie dennoch arm, und wurden nicht eher wirklich reich, als bis sie den Muth hatten, diesen betrüglichen Reichthümern zu entsagen. Man bereichert sich, sagten sie bei sich selbst, wenn man einen Aufwand verachtet, der den Staat erschöpft, und wenn man seine Bedürfnisse auf die wahre Forderung der Natur beschränkt.

Mentor säumte nicht die Zeughäuser und Magazine zu besuchen, um zu erfahren, ob die Waffen und andere Kriegsgeräthschaften in gutem Stande seien.

»Man muß immer zum Kriege gerüstet sein,« sagte er, »damit man nie in die traurige Nothwendigkeit gesetzt werde, ihn führen zu müssen.«

Er sah, daß es an vielen Dingen gänzlich mangelte. Alsbald wurden Künstler zusammen berufen, um die nöthigen Arbeiten in Stahl, Eisen und Erz zu verfertigen. Aus den glühenden Essen stiegen Rauch- und Flammenwirbel empor, den Feuerströmen ähnlich, die der Aetna ausstößt. Der Amboß erklang und stöhnte unter den wiederholten Schlägen der Hämmer. Die nahen Berge, das Gestade des Meeres erschallte davon; man glaubte in jene Insel versetzt zu sein, wo Vulkan, die Cyklopen zur Arbeit anfeuernd, dem Vater der Götter seine Donnerkeile schmiedet. So wurden mit weiser Vorsicht mitten in einem tiefen Frieden die Zurüstungen zum Kriege betrieben.

Jetzt ging Mentor, von Idomeneus begleitet, aus der Stadt. Er fand eine große Strecke fruchtbaren, aber unangebauten Landes. Andere Felder waren nur halb gebaut, aus Nachlässigkeit und Armuth des Landmanns, und weil es an Menschen, und also auch an Muth und Kraft gebrach, den Ackerbau zur Vollkommenheit zu bringen.

Mentor sah dieses öde Land, und sagte zu Idomeneus:

»Das Erdreich scheint hier nichts anders zu wünschen, als seine Bewohner zu bereichern, aber seine Bewohner entsprechen seinem Wunsche nicht. Laß uns alle diese überflüssigen Künstler, welche sich in der Stadt befinden, und deren Arbeiten nur Sittenverderbniß bereiten, aus das Land versetzen, damit sie diese Ebenen und Hügel anbauen. Es ist freilich zu bedauern, daß alle diese Menschen, die solche Künste betreiben, die eine sitzende Lebensart erfordern, nicht an harte Arbeit gewöhnt sind, aber diesem Uebel ist leicht abzuhelfen. Man muß die Ländereien, die niemand angehören, unter sie vertheilen, und Menschen aus der Nachbarschaft zu ihrer Unterstützung herbeirufen, die unter ihrer Aufsicht die beschwerlichsten Arbeiten verrichten. Diese Menschen werden sich gerne dazu verstehen, wenn man ihnen nur einen billigen Antheil an den Früchten der Felder verspricht, die sie urbar machen werden. In der Folge kann man ihnen einen Theil dieser Felder als Eigenthum überlassen, und sie können deinem Volke einverleibt werden, das ohnedies nicht zahlreich ist. Wenn sie nur arbeitsam sind und den Gesetzen gehorchen, werden sie unter deine besten Unterthanen gehören, und deine Macht vergrößern. Deine Künstler, auf das Land verpflanzt, werden ihre Kinder zur Arbeit erziehen, und sie an die Mühseligkeiten des Landlebens gewöhnen. Außerdem haben sich auch die fremden Maurer, die mit Erbauung deiner Stadt beschäftigt sind, verbindlich gemacht, einen Theil deines Landes anzubauen, und Landleute zu werden. Auch diese mußt du deinem Volke einverleiben, sobald ihre Arbeiten in der Stadt geendigt sein werden. Mit Freuden werden diese Arbeiter das Anerbieten ergreifen, unter einer Regierung zu leben, die jetzt so sanft ist. Da sie von starkem Körperbau und der Arbeit gewohnt sind, so wird ihr Beispiel die Künstler, die du aus der Stadt auf das Land versetzen wirst, und die mit ihnen vermischt leben werden, zur Arbeit anfeuern, und so wird in der Folge das ganze Land mit kraftvollen und dem Ackerbau ergebenen Familien bevölkert sein.

Uebrigens sei wegen der Vermehrung dieser Menschen außer Sorgen; bald wird sie ins Unendliche gehen, wofern du nur die Ehen erleichterst. Das Mittel hierzu ist sehr einfach. Fast alle Menschen haben eine Neigung zum ehelichen Leben. Die Armuth allein hält sie davon ab. Wenn du sie nicht mit Auflagen beschwerest, so werden sie keine Mühe haben, ihre Weiber und Kinder zu ernähren. Die Erde ist nie undankbar; sie nährt den, der sie sorgfältig baut, mit ihren Früchten; nur denen weigert sie ihre Güter, die zu träge sind, ihren Fleiß auf sie zu verwenden. Je mehr Kinder die Landleute haben, desto reicher sind sie, wenn anders der Fürst sie nicht beraubt, denn diese Kinder unterstützen sie schon von ihrer frühesten Jugend an. Die kleinsten weiden die Schafe; ältere können zur Leitung der größeren Heerden gebraucht werden, und die ältesten bauen das Feld mit dem Vater. Indessen bereitet die Mutter mit dem Rest der Familie dem Gatten und den lieben Kindern, die, von der Arbeit des Tages ermüdet, am Abend zur Wohnung zurückkehren, ein einfaches Mahl. Sorgsam melkt sie ihre Kühe und Schafe: Bäche von Milch strömen in die Gefäße. Sie schürt ein großes Feuer an; die unschuldige, friedliche Familie setzt sich um dasselbe her. Der Abend verfliegt unter fröhlichen Gesängen, bis der süße Schlaf sie zur Ruhe einladet. Auch bereitet sie Käse, röstet Kastanien, und weiß andere Früchte so frisch zu erhalten, als wenn man sie eben gebrochen hätte.

Der Hirte kehrt mit seiner Flöte zurück, und singt der versammelten Familie die neuen Lieder, die er in den umliegenden Weilern gelernt hat. Der Ackermann kommt mit seinem Pfluge wieder nach Haus; seine ermüdeten Stiere schreiten mit gesenktem Halse schwerfällig und langsam einher und achten nicht des treibenden Stachels. Alle Mühen der Arbeit endigen mit dem Tage. Die Schlummerkörner, die Morpheus auf der Götter Geheiß über die Erde streut, beruhigen durch ihre Zauberkraft die bangen Sorgen, und verbreiten sanftes Entzücken über die ganze Natur. Alles entschläft, und keines ahnet die Mühseligkeiten des folgenden Tages.

Wie glücklich sind diese Menschen, die weder Ehrgeiz, noch Mißtrauen, noch Trug kennen, wenn anders die Götter ihnen einen gütigen Fürsten geben, der ihre unschuldigen Freuden nicht stört. Aber wie schrecklich, wie unmenschlich, ihnen die süßen Früchte ihrer Felder zu entreißen, die ihnen die freigebige Natur schenkte, und die sie im Schweiße ihres Angesichts erwarben, nur damit man prunkvolle und ruhmsüchtige Entwürfe ausführen könne! Der fruchtbare Schooß der Erde bringt alles hervor, was zur Unterhaltung einer zahllosen Menge arbeitsamer und genügsamer Menschen erforderlich ist, nur der Stolz und die Schwelgerei einiger wenigen stürzen so viele andere in die schrecklichste Armuth.«

»Aber was muß ich thun,« fragte Idomeneus, »wenn die Menschen, unter welche ich diese fruchtbaren Ländereien vertheilen werde, den Anbau derselben vernachlässigen?«

»Du mußt,« antwortete Mentor, »ganz das Gegentheil von dem thun, was gemeiniglich geschieht. Gierige, kurzsichtige Fürsten laden gerade denjenigen ihrer Untergebenen die meisten Lasten auf, welche am sorgfältigsten und emsigsten sind, den Ertrag ihrer Ländereien zu vermehren, weil sie voraussetzen, daß die Abgaben von diesen am leichtesten erhoben werden können; von denjenigen hingegen fordern sie weniger, welche durch Trägheit in Dürftigkeit gerathen sind. Diese Maßregel ist fehlerhaft; verfahre nach einer gerade entgegengesetzten Weise. Sie beschwert den Arbeitsamen, sie belohnt die Faulheit und macht eine Nachlässigkeit zur Sitte, die für den Fürsten und den ganzen Staat gleich verderblich ist. Belege mit Abgaben, mit Geldbußen und, wenn es sein muß, sogar mit andern harten Strafen diejenigen, welche ihre Felder vernachlässigen, so wie du Soldaten bestrafen würdest, die im Kriege ihren Posten verlassen sollten. Denjenigen Familien hingegen, deren Glieder sich vermehren und die durch dieselben den Anbau ihrer Ländereien verbessert haben, erweise Gnadenbezeigungen, und befreie sie von Abgaben. Bald wird dann die Bevölkerung zunehmen und jedermann zur Arbeit angefeuert werden; man wird die Arbeit sogar für ehrenvoll halten. Der Stand des Ackermannes wird nicht mehr mit Verachtung angesehen werden, da ihn jetzt weniger Lasten drücken. Der Pflug wird wieder in seine alten, ehrenvollen Rechte eintreten, wenn ihn eben die siegreichen Hände führen werden, welche das Vaterland vertheidigt haben. Es wird nicht weniger rühmlich sein, das Erbtheil seiner Voreltern während eines glücklichen Friedens zu bauen, als es in den Verwirrungen des Krieges mit Edelmuth vertheidigt zu haben. Die Gefilde werden aufs neue blühen; Ceres wird ihr Haupt mit goldenen Aehren bekränzen; Bacchus, auf Trauben einhergehend, wird von dem Abhang der Berge Bäche von Wein, süßer als Nektar, herabrinnen lassen. In tiefen Thälern werden die frohen Lieder der Hirten erschallen, an klaren Bächen werden ihre Flöten ertönen, dort werden sie ihre Freuden und ihre Leiden singen, indeß ihre fröhlichen Heerden, vor den Wölfen gesichert, im Gras unter Blumen weiden werden.

Wirst du dich nicht glücklich fühlen, Idomeneus, der Schöpfer so vieles Guten zu sein, und so viele Menschen unter dem Schatten deines Namens einer süßen Ruhe theilhaftig zu machen? Lockt dich dieser Ruhm nicht mehr, als die Begierde, Länder zu verheeren, überall und fast eben so sehr in deinem Lande mitten unter Siegen, als bei den Fremden, die du überwindest, Verwirrung, Blutvergießen, Schrecken, Entkräftung, Bestürzung, quälenden Hunger und Verzweiflung zu verbreiten? Glücklich der Fürst, von den Göttern geliebt, dessen Herz groß genug ist, den Trieb zu fühlen, die Lust seines Volkes zu sein, und den kommenden Jahrhunderten das entzückende Schauspiel einer Regierung zu zeigen, wie die seinige. Die ganze Welt, statt sich seiner Oberherrschaft durch die Waffen zu erwehren, würde ihm zu Füßen fallen, würde ihn anflehen, ihr Herrscher zu sein.«

Idomeneus erwiederte:

»Werden aber diese im Frieden und Ueberfluß lebenden Menschen nicht durch das Vergnügen verdorben werden? werden sie nicht die Kräfte, die ich ihnen gab, gegen mich selbst kehren?«

»Fürchte diesen Uebelstand nicht,« antwortete Mentor; »man braucht ihn nur zum Vorwand, der Neigung verschwenderischer Fürsten, die ihr Volk gern mit Auflagen beschweren möchten, zu schmeicheln. Das Uebel ist leicht abzuwenden. Die Gesetze, die wir für den Ackerbau gegeben haben, halten die Menschen zu einem arbeitsamen Leben an. Der Ueberfluß, den sie besitzen, wird nur in dem Nothwendigen bestehen, da wir die Künste abgeschafft haben, die für das Entbehrliche arbeiten. Dieser Ueberfluß selbst wird durch die Erleichterung der Ehen und die große Vermehrung der Familien vermindert werden. Jede Familie, aus zahlreichen Gliedern bestehend, und nur eine mäßige Strecke Landes besitzend, wird zu einer unablässigen Arbeit genöthiget sein, um ihren Antheil gut zu bauen. Die Ueppigkeit und der Müßiggang sind es, die die Menschen übermüthig und zur Empörung geneigt machen. Sie werden zwar Brot haben, und werden es im Ueberfluß haben, aber außer diesem und den Früchten, die eine mühselige Arbeit ihrem Boden abzwingt, werden sie nichts besitzen.

Aber damit dein Volk bei dieser Mäßigung erhalten werde, mußt du gleich Anfangs die Strecke Landes bestimmen, die jede Familie besitzen soll. Wir haben, wie du weißt, dein ganzes Volk in sieben Klassen nach den verschiedenen Ständen eingetheilt. Man muß fest darauf halten, daß jede Familie in jeder Klasse nur so viel Land besitze, als durchaus nöthig ist, die Anzahl von Personen zu ernähren, aus der sie besteht. Da dieses Gesetz nie verletzt werden darf, so können die Edeln nie die Besitzungen der Armen an sich reißen. Jeder wird ein Stück Landes besitzen, aber der Antheil eines jeden wird nur klein sein, und dies wird ihn antreiben, es gut zu bearbeiten. Sollte es in der Folge an Land fehlen, so würde man den Menschen an entfernten Orten Wohnplätze anweisen, und dein Staat würde durch diese Pflanzstädte vergrößert werden.

Ich halte auch dafür, daß du sorgen müssest, daß der Gebrauch des Weins in deinem Reiche nicht zu allgemein werde. Wenn allzuviele Weinstöcke gepflanzt worden sind, so muß man sie wieder ausreißen. Der Wein ist die Quelle der größten Uebel unter den Menschen. Er erzeugt Krankheiten, Hader, Empörungen, Müßiggang, Abneigung vor der Arbeit und Verwirrung in den Familien. Man spare den Wein als eine Arzenei auf; man betrachte ihn als eine Art sehr seltenen Getränkes, dessen Gebrauch nur bei Opfern oder außerordentlichen Festen vergönnt ist. Aber hoffe nicht, daß man eine so wichtige Vorschrift beobachten werde, wenn du nicht mit deinem eigenen Beispiele vorangehest.

Vorzüglich aber mußt du sorgen, daß die Gesetze des Minos über die Erziehung heilig beobachtet werden. Man errichte öffentliche Schulen. Hier unterweise man die Kinder in der Furcht der Götter, der Liebe des Vaterlandes, der Ehrerbietung gegen die Gesetze, und hier lehre man sie, die Ehre den Vergnügungen und dem Leben selbst vorziehen.

Eigene obrigkeitliche Personen müssen über die Familien und die Sitten der Einzelnen wachen. Diese Aufsicht kommt vor allen dir zu, der du nur König, das ist, Hirte deines Volkes bist, um Tag und Nacht für deine Heerde zu wachen. Durch diese Aufsicht wirst du sehr vielen Unordnungen und Verbrechen vorbeugen. Diejenigen, welche du nicht verhindern kannst, strafe gleich Anfangs mit Strenge. Es ist wahre Güte, abschreckende Strafen zu verhängen, welche den Lauf des Lasters aufhalten. Ein wenig zu rechter Zeit vergossene Blut erspart uns den Schmerz, in der Folge vieles vergießen zu müssen, und die Furcht vor unserer Strenge überhebt uns der Nothwendigkeit, sie oft gebrauchen zu müssen.

Aber wie verabscheuungswürdig ist die Denkart der Fürsten, die nur in der Unterdrückung ihrer Völker Sicherheit für sich zu finden glauben, die nicht für den Unterricht derselben sorgen, sie nicht auf den Pfad der Tugend leiten, nie ihre Liebe zu gewinnen suchen, durch den Schrecken sie bis zur Verzweiflung treiben, und sie in die fürchterliche Nothwendigkeit setzen, entweder nie frei athmen zu können, oder das Joch einer unausstehlichen Herrschaft abzuwerfen! Ist dies wohl das rechte Mittel, in ungestörter Ruhe zu regieren? Ist dies der Weg, der zum Ruhme führt?

Wisse, daß die Fürsten, die am unumschränktesten herrschen, die wenigste Macht besitzen. Sie strecken ihre Hände nach allem aus, sie zerstören alles, sie sind die einzigen Besitzer des ganzen Landes; aber der Staat liegt auch entkräftet darnieder; die Felder liegen öde und sind entvölkert; der Wohlstand der Städte nimmt mit jedem Tage ab; der Handel stockt.

Der König, der nur in sofern König ist, als er Menschen zu regieren bat, vernichtet sich nach und nach selbst, indem er seine Unterthanen unvermerkt zu Grunde richtet, von denen seine Reichthümer und seine Macht herfließen. Sein Staat wird an Geld und Menschen erschöpft: der letztere Verlust ist weit der größte und ist unersetzlich. Die unbegränzte Gewalt, die er ausübt, verwandelt seine Untergebenen in eben so viele Sclaven. Man schmeichelt ihm, man gibt sich die Miene, ihn anzubeten, man zittert bei seinen geringsten Winken; aber der Staat erleide nur die kleinste Erschütterung, so zeigt sich die Hinfälligkeit dieser ungeheuren Macht, die auf eine allzu steile Höhe getrieben wurde. Sie findet keine Stütze an den Herzen der Völker; sie hat alle Stände aufs äußerste gebracht, und gegen sich empört; sie zwingt alle Glieder derselben mit gleich heißer Begierde nach Veränderung zu seufzen. Bei dem ersten Schlage, den man dem Götzen versetzt, stürzt er zu Boden, und wird unter die Füße getreten. Verachtung, Haß, Furcht, Unwille, Mißtrauen, mit einem Wort, alle Leidenschaften vereinigen sich gegen eine so verhaßte Regierung. Der Fürst, welcher in dem trüglichen Schimmer seines Glücks nicht einen Menschen fand, der es gewagt hätte, ihm die Wahrheit zu sagen, wird auch in seinem Unglücke niemand finden, der es auf sich nehme, ihn zu entschuldigen, oder gegen seine Feinde zu vertheidigen.«

Nach diesem Gespräch eilte Idomeneus, nach Mentors Rath die ledigen Ländereien zu vertheilen, sie mit den entbehrlichen Künstlern anzufüllen, und alles auszuführen, was man beschlossen hatte. Nur diejenigen Felder behielt er zurück, welche für die Maurer bestimmt waren, und die nicht eher von ihnen angebaut werden konnten, als bis ihre Arbeiten in der Stadt geendigt waren.

 

Ende der ersten Abtheilung.

 


 << zurück weiter >>