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Erstes Buch.

Telemach, geleitet von Minerven in Mentors Gestalt, langt, nach erlittenem, Schiffbruch auf der Insel der Göttin Kalypso an, die noch über Ulysses' Abreise trauerte. Die Göttin nimmt ihn günstig auf, faßt eine zärtliche Zuneigung zu ihm, bietet ihm die Unsterblichkeit an, ersucht ihn um die Erzählung seiner Begebenheiten. Er erzählt ihr seine Reise nach Pylos und Lacedämon, seinen Schiffbruch an der Küste von Sizilien, die Gefahr, die er lief, dem Schatten des Anchises geopfert zu werden, den Beistand, den Mentor und er dem Acestes bei einem Ueberfall barbarischer Völker leisteten, und wie sich dieser König beeiferte, ihnen seine Erkenntlichkeit für diesen Dienst zu bezeigen, indem er ihnen ein tyrisches Schiff zur Heimkehr in ihr Vaterland überließ.


K alypso war untröstlich über die Abreise des Ulysses. Im Gefühl ihres Schmerzes hielt sie es für ein Unglück, unsterblich zu sein. Ihre Grotte ertönte nicht mehr von ihrem Gesange. Die Nymphen, ihre Dienerinnen, wagten es nicht, mit ihr zu reden. Einsam wandelte sie oft auf den blühenden Auen, womit ein ewiger Frühling ihre Insel umgränzte. Aber diese schönen Oerter, weit entfernt, ihren Schmerz zu lindern, riefen nur das Bild des Ulysses in ihre Seele zurück, den sie daselbst so oft an ihrer Seite gesehen hatte. Oft stand sie unbeweglich an dem Gestade des Meeres, das sie mit ihren Thränen benetzte, und ihre Blicke waren unverwandt dahin gerichtet, wo das Schiff des Ulysses, die Wogen zertheilend, aus ihren Augen verschwunden war.

Auf einmal erblickte sie die Trümmer eines gescheiterten Schiffes, zerbrochene Ruderbänke, ein Steuerruder, einen Mast, Taue, längs der Küste hinschwimmend, Ruder, da und dort auf dem Sande zerstreut. Alsdann entdeckte sie in der Entfernung zwei Menschen. Der eine schien alt zu sein, der andere, wiewohl noch jugendlich, glich dem Ulysses. Er hatte sein sanftes Wesen und seinen edlen Stolz, seinen Wuchs und seinen majestätischen Gang. Die Göttin erkannte in ihm den Telemach, den Sohn dieses Helden; aber so sehr auch die Götter die Menschen an Einsicht übertreffen, vermochte sie doch nicht zu ergründen, wer der ehrwürdige Greis sei, der den Jüngling begleitete; denn die höhern Gottheiten verbergen den Untergöttern alles, was ihnen gefällt, und Minerva, die in Mentors Gestalt Telemach's Begleiterin war, wollte nicht von Kalypso erkannt sein.

Aber Kalypso freute sich dieses Schiffbruchs, der den Sohn des Ulysses, der seinem Vater so ähnlich war, auf ihre Insel führte. Sie geht auf ihn zu, und ohne sich merken zu lassen, daß sie ihn kenne, redet sie ihn also an:

»Wie konntest du dich erfrechen, auf meiner Insel zu landen? Wisse, junger Fremdling, daß Niemand ungestraft mein Reich betritt.«

Sie sprach's, und strebte vergebens, unter diesen drohenden Worten die Freude ihres Herzens zu verbergen, die wider ihren Willen aus ihrem Gesichte hervorleuchtete.

Telemach gab ihr zur Antwort:

»O du, wer du auch sein magst, eine Sterbliche oder eine Göttin (wiewohl wer könnte dich erblicken, ohne in dir eine Gottheit zu erkennen?), sollte dein Herz ungerührt bleiben bei den Leiden eines Sohnes, der von Winden und Wellen umhergetrieben, seinen Vater sucht, und sein Schiff an deinen Felsen hat scheitern sehen?«

»Wer ist denn dein Vater, nach welchem du forschest?« fragte die Göttin.

»Er nennt sich Ulysses,« erwiederte Telemach, »und ist einer der Könige, die nach einer Belagerung von zehn Jahren die berühmte Stadt Troja zerstört haben. Sein Name war berühmt in ganz Griechenland und in ganz Asien durch seine Tapferkeit in den Gefechten; aber mehr noch durch seine Weisheit in den Rathsversammlungen. Jetzt irrt er umher in den weiten Meeren zwischen drohenden Klippen, sein Vaterland scheint vor ihm zu fliehen; Penelope, seine Gattin, und ich, sein Sohn, wir haben die Hoffnung verloren, ihn je wieder zu sehen. Von gleichen Gefahren umringt, irre auch ich umher, um zu erfahren, wo er ist. Aber was sage ich? vielleicht liegt er schon lange im tiefen Meere begraben. Habe Mitleid mit unserm Unglück, und wenn du weißt, o Göttin, was das Verhängnis über meinen Vater beschlossen hat, ob er noch lebt oder schon todt ist, o, so verbirg es nicht seinem unglücklichen Sohne.«

Kalypso staunte über die Weisheit und Beredsamkeit des Jünglings; sie war gerührt, sie konnte nicht satt werden, ihn anzublicken, und schwieg still.

Endlich sagte sie zu ihm:

»Telemach, du sollst erfahren, was deinem Vater begegnet ist, aber die Geschichte ist lang. Jetzt ist es Zeit, daß du von deinen Mühseligkeiten ausruhest. Komm in meine Wohnung, wo ich dich aufnehmen werde, wie meinen Sohn. Komm, du wirst mein Trost sein in dieser Einsamkeit, und ich werde dich glücklich machen, wenn du anders fähig bist, es zu schätzen.«

Telemach folgte der Göttin, umgeben von einer Schaar junger Nymphen, über welche sie hervorragte, wie eine hohe Eiche in einem Walde mit ihren dicken Aesten sich über alle andern Bäume erhebt, die sie umgeben. Er bewunderte den Glanz ihrer Schönheit, den reichen Purpur ihres dahin fliegenden Gewandes, ihre Haare, die reizend nachlässig von hinten aufgebunden waren, das Feuer ihrer Blicke und die Anmuth, welche die Lebhaftigkeit ihrer Augen milderte. Mentor folgte dem Telemach schweigend und mit gesenkten Blicken.

Sie langten am Eingang der Grotte der Göttin an. Telemach erstaunte, hier, wo alles nur ländliche Einfalt anzukündigen schien, alles zu finden, was die Augen entzücken kann. Zwar erblickte man hier weder Gold noch Silber, weder Marmor, noch Gemälde, noch Bildsäulen; aber die Grotte war eine in den Felsen gehauene Wölbung, mit Korallen und Muscheln besetzt. Die Wände waren mit jungen Reben bekleidet, welche ihre geschmeidigen Ranken nach allen Seiten ausbreiteten. Gelinde Weste durchsäuselten den Ort, und man athmete erquickende Kühle, selbst bei glühender Sonnenhitze. Leise murmelnde Bäche schlängelten sich durch die mit Amaranthen und Violen besäeten Wiesen, und bildeten an verschiedenen Orten reine und krystallhelle Teiche. Tausend hervorsprießende Blumen schmückten den grünen Teppich, welcher die Grotte umgab. Ein Gehölz von jenen dickbelaubten Bäumen, welche goldene Aepfel tragen, und deren Blüthe in jeder Jahreszeit sich erneuert, streueten süße Wohlgerüche umher. Dieses Gehölz wand sich wie ein Kranz um diese schönen Wiesen, und bildete eine Nacht, welche die Strahlen der Sonne nicht durchdringen konnten. Man hörte hier nichts als den Gesang der Vögel, oder das Rauschen eines Baches, der sich brausend und schäumend vom hohen Felsen stürzte, und über die Wiesen hineilte.

Die Grotte der Göttin war an dem Abhang eines Hügels. Von diesem sah man das Meer, bald hell und glatt wie ein Spiegel, bald thörichter Weise entrüstet gegen die Felsen, an denen es sich mit Getöse brach, und seine Wellen wie Berge erhob. Auf einer andern Seite erblickte man einen Fluß mit Inseln, von blühenden Linden und hohen Pappeln umgeben, deren stolze Wipfel bis in die Wolken reichten. Die verschiedenen Arme die durch diese Inseln gebildet wurden, schienen spielend in den Fluren umherzuirren. Einige wälzten ihre klaren Wasser mit Schnelligkeit fort, andere schlichen ruhig und still über die Gefilde hin, andere kehrten nach langen Umwegen zu ihren Quellen zurück, und schienen diesen zauberischen Aufenthalt nicht verlassen zu können. In weiter Entfernung zeigten sich Hügel und Berge, welche sich in den Wolken verloren, deren seltsame Gestalten, die den Horizont begränzten, man mit Vergnügen erblickte. Die nahen Berge bedeckte das frische Grün der Weinreben, die wie Fruchtschnüre über sie herabhingen. Die Trauben, glänzender als Purpur, drängten sich zwischen den Blättern hervor, und der Weinstock erlag unter seiner Last. Der Feigenbaum, der Oelbaum, der Granatbaum und andere Bäume bedeckten die Ebene und machten sie zu einem großen Garten.

Nachdem die Göttin dem Telemach alle diese Naturschönheiten gezeigt hatte, sagte sie zu ihm: »Ruhe nun aus; deine Kleider sind durchnäßt, es ist Zeit, daß du sie wechselst. Bald werden wir uns wiedersehen, und dann sollst du solche Dinge hören, die dein Herz entzücken werden.«

Nahe bei der Grotte der Göttin war eine andere, in deren Innerstes Telemach und Mentor geführt wurden. Die Nymphen hatten daselbst ein großes Feuer von Cedernholz angezündet, dessen Wohlgeruch sich nach allen Seiten verbreitete. Auch Kleider lagen für die neuen Gäste bereit.

Als Telemach das Unterkleid von feiner Wolle erblickte, dessen Weiße den Schnee verdunkelte, und das Oberkleid von Purpur, mit Gold gestickt, die für ihn bestimmt waren, fühlte er das Vergnügen, das der Anblick der Pracht einem jugendlichen Herzen gewährt.

Mit ernster Stimme sprach Mentor zu ihm: »Wie, Telemach, sind dieß die Empfindungen, die den Sohn des Ulysses beschäftigen? Solltest du nicht vielmehr bedacht sein, den Ruhm deines Vaters zu behaupten, und das Glück zu überwinden, das dich verfolgt? Der Jüngling, der eitel genug ist, sich gleich einem Weibe zu schmücken, ist nicht berechtigt, auf Weisheit und Ehre Anspruch zu machen; Achtung verdient nur der, der den Schmerz zu ertragen, und das Vergnügen unter die Füße zu treten weiß.«

Telemach antwortete:

»Eher sollen mich die Götter vertilgen, als daß ich zugebe, daß Weichlichkeit und Wollust sich meiner Seele bemächtigen; nein, nein, nie sollen die Lockungen eines trägen und weibischen Lebens den Sohn des Ulysses bethören! aber sprich, ist es nicht Gunst des Himmels, die uns nach unserm Schiffbruch diese Göttin oder diese Sterbliche finden ließ, welche uns mit Wohlthaten überhäuft?«

»O, daß sie dich nicht mit Unglück überhäufe!« erwiederte Mentor, »fürchte, mein Sohn, fürchte mehr als die Klippen, an denen dein Schiff scheiterte, dieser Göttin süße und trügliche Worte. Der Schiffbruch und der Tod sind minder gefährlich, als die Lüste, welche der Tugend nachstellen. Hüte dich wohl, dem Glauben beizumessen, was sie dir erzählen wird. Die Jugend ist vermessen; sie verspricht sich alles von ihren Kräften; so schwach sie ist, glaubt sie doch alles zu vermögen, und kennt keine Furcht. Mit blindem Zutrauen, ohne Vorsicht, gibt sie sich jedem dahin. Hüte dich vor den süßen Schmeicheleien der Kalypso; gleich einer Schlange, die unter Blumen hingleitet, wird sie sich in dein Herz einzuschleichen suchen; fürchte dieses verborgene Gift; setze ein Mißtrauen in dich selbst, und erwarte immer erst meinen Rath.«

Hierauf kehrten sie zu der Göttin zurück, die ihrer wartete. Die Nymphen, mit zierlich gelockten Haaren und in weißen Gewändern, besorgten ein einfaches Mahl, niedlich und von auserlesenem Geschmack. Man sah hier kein anderes Fleisch, als das Fleisch der Vögel, welche sie in Garnen gefangen, oder der Thiere, welche sie auf der Jagd mit ihren Pfeilen erlegt hatten. Ein Wein, süßer als Nektar, floß aus großen silbernen Gefäßen in goldene, mit Blumen bekränzte Schalen Die Früchte, die der Frühling verspricht und der Herbst über die Erde ausgießt, wurden in Körbchen aufgetragen. Zu gleicher Zeit stimmten die vier jungen Nymphen den Gesang an. Zuerst sangen sie den Streit der Götter und Riesen, alsdann die Liebe Jupiters und der Semele, die Geburt des Bacchus und seine Erziehung durch den alten Silen, den Wettlauf der Atalante und des Hypomenes, welcher vermittelst der goldenen Äpfel siegte, die er in den Gärten der Hesperiden gebrochen hatte. Auch den trojanischen Krieg sangen sie, die Thaten des Ulysses und seine Weisheit wurden bis in die Himmel erhoben. Leukothoe, die erste der Nymphen, begleitete die lieblichen Stimmen der andern mit den Tönen ihrer Leier.

Als Telemach den Namen seines Vaters hörte, rollten Thränen über seine Wangen, welche die Schönheit seiner Gestalt noch mehr erhöhten. Kalypso bemerkte, daß er nicht essen konnte, und daß Wehmuth sein Herz ergriffen hatte; sie winkte den Nymphen, und alsbald sangen sie den Streit der Centauren und Lapithen und Orpheus Hinabfahrt zur Unterwelt, um seine geliebte Euridice aus derselben zurückzubringen.

Nach geendigtem Mahle nahm die Göttin den Telemach auf die Seite, und sprach also zu ihm:

»Du siehst, Sohn des großen Ulysses, mit welcher Güte ich dich bei mir aufgenommen habe; ich bin unsterblich; kein Sterblicher betritt diese Insel, ohne für seine Vermessenheit gestraft zu werden, und selbst dein Schiffbruch würde dich vor meinem Unwillen nicht schützen, wenn ich dich nicht liebte. Dein Vater hatte dasselbe Glück, wie du, aber ach! er wußte sich desselben nicht zu bedienen. Lange habe ich ihn bei mir auf der Insel behalten: es stand nur bei ihm, der Unsterblichkeit hier mit mir zu genießen. Verblendet durch das Verlangen, sein armseliges Vaterland wieder zu sehen, verschmähte er alle diese Vortheile. Du siehst, was er für Ithaka dahin gab, wohin er nicht einmal zurückkehren konnte. Er bestand darauf, mich zu verlassen, er reiste von hinnen, und der Sturm rächte mich an ihm. Sein Schiff, lange ein Spiel der Winde, versank in die Fluten des Meeres. Laß dich durch ein so trauriges Beispiel warnen. Nach seinem Untergange hast du nichts mehr zu hoffen. Nie wirst du ihn wiedersehen, nie nach ihm in der Insel Ithaka regieren. Tröste dich über seinen Verlust, da du eine Göttin findest, die so geneigt ist, dich glücklich zu machen, und dir ein Königreich anbietet.«

Noch vieles sagte die Göttin, um ihm zu beweisen, wie glücklich Ulysses bei ihr gewesen sei. Sie erzählte seine Abenteuer in der Höhle des Cyklopen Polyphemus und bei Antiphates, dem Könige der Lästrigonen; sie vergaß nicht, ihm zu verkünden, was seinem Vater auf der Insel der Circe begegnet war, der Tochter der Sonne, und die Gefahren, in die er durch die Scyla und Charybdis gerathen; sie erzählte ihm von dem Sturm, welchen Neptun gegen ihn erregt, nachdem er sich von ihr getrennt hatte, sie ließ ihn glauben, daß er bei seinem Schiffbruch umgekommen sei, und verschwieg seine Ankunft auf der Insel der Phäacier.

Telemach, der sich zu schnell den frohen Empfindungen überlassen hatte, in welche er durch die gütige Aufnahme der Göttin versetzt worden war, erkannte jetzt ihre Arglist und die Weisheit der Lehren, die Mentor ihm gegeben hatte. Er antwortete ihr mit wenigen Worten:

»O Göttin, vergib meinen Schmerzen, mein Herz ist jetzt keiner andern Empfindung fähig, als der des Grams. Vielleicht bin ich in der Folge im Stande, den Werth des Glücks zu fühlen, das du mir anbietest. Laß mich in diesem Augenblicke meinen Vater beweinen, du weißt noch besser, als ich, wie sehr er verdient, beweint zu werden.«

Kalypso wagte für jetzt nicht, weiter in ihn zu dringen; sie stellte sich sogar, als ob sie seinen Kummer theile, und von Mitleid gegen den Ulysses bewegt sei. Aber damit sie das Herz des Jünglings besser kennen lerne, und die Weise, es zu rühren, fragte sie ihn, auf welche Art er Schiffbruch gelitten, und welche Ereignisse ihn an diese Küste geführt hätten.

»Die Erzählung meiner Unfälle,« erwiederte er, »würde allzu lange dauernd.«

»Nein, nein,« antwortete sie, »es verlangt mich, deine Geschichte zu wissen, säume nicht, sie mir zu erzählen.«

Sie nöthigte ihn lange, endlich vermochte er nicht länger zu widerstehen und begann also:

 

»Ich reiste von Ithaka ab, um bei den andern Königen, welche von der Belagerung von Troja zurückgekommen waren, zu forschen, was aus meinem Vater geworden sei. Die Freier meiner Mutter Penelope waren über meine Abreise bestürzt; ich hatte sie sorgfältig vor ihnen verborgen, da ich ihre Treulosigkeit kannte. Weder Nestor, den ich zu Pylos besuchte, noch Menelaus, der mich liebreich in Lacedämon aufnahm, konnten mir sagen, ob mein Vater noch lebe. Müde, immer in Zweifel und Ungewißheit zu schweben, beschloß ich, nach Sizilien zu segeln, wohin, wie das Gerücht sagt, die Winde meinen Vater getrieben. Aber der weise Mentor, den du hier siehst, widersetzte sich diesem verwegenen Vorhaben. Er zeigte mir auf der einen Seite die Cyklopen, ungeheure Riesen, die die Menschen auffressen, auf der andern die Schiffe des Aeneas, welche an diesen Küsten kreuzten. ›Die Trojer,‹ sprach er zu mir, ›sind gegen alle Griechen aufgebracht, aber vor allem würden sie mit Vergnügen das Blut des Sohnes des Ulysses vergießen. Kehre nach Ithaka zurück,‹ sprach er, ›vielleicht, daß dein Vater, dem die Götter hold sind, zugleich mit dir daselbst anlangt. Haben aber die Götter sein Verderben beschlossen, und soll er sein Vaterland nie wiedersehen, so liegt dir ob, ihn zu rächen, deine Mutter zu befreien, deine Weisheit allen Völkern zu zeigen, und ganz Griechenland zu beweisen, daß du eben so würdig seiest, zu regieren, als Ulysses selbst es je war.‹

Heilsam waren diese Worte Mentors, aber ich war unverständig genug, ihnen kein Gehör zu geben; ich hörte nur meine Leidenschaft. Mentor liebte mich so sehr, daß er auf einer verwegenen Reise mein Begleiter wurde, die ich gegen seinen Rath unternommen hatte. Die Götter ließen es geschehen, daß ich diesen Fehltritt beging, damit ich von meinem jugendlichen Leichtsinn geheilt werden möchte.«

 

Während Telemach redete, blickte Kalypso Mentor an; sie war betroffen; sie glaubte etwas Göttliches in ihm zu sehen, aber sie war unvermögend, den Streit ihrer Empfindungen zu schlichten; der Anblick dieses Unbekannten flößte ihr Furcht und Mißtrauen ein. Aus Besorgniß, daß die Verwirrung ihrer Seele sichtbar werden möchte, sagte sie zu Telemach: »Fahre fort, meine Neugier zu befriedigen;« und er begann von neuem:

 

»Lange begünstigte der Wind unsere Fahrt nach Sizilien; jetzt aber erhob sich ein schwarzer Sturm. Der Himmel entzog sich unsern Augen; tiefe Nacht umhüllte uns. Beim Leuchten der Blitze sahen wir andere Schiffe, die mit uns in gleicher Gefahr schwebten. Wir erkannten bald, daß es die Schiffe des Aeneas seien; die eben so furchtbar für uns waren, als die Klippen des Meeres. Zu spät erkannte ich nun meine Vermessenheit, welche früher einzusehen mich Unklugheit und ungestüme Jugendhitze verhindert hatten. Mentor zeigte sich in dieser Gefahr nicht nur standhaft und unerschrocken, sondern sogar noch heiterer als gewöhnlich. Er war es, der meine Seele emporhob, der ihr einen unbesiegbaren Muth einflößte. Mit ruhiger Fassung gab er die nöthigen Befehle, während der Steuermann in Bestürzung war. ›Mein theurer Freund,‹ sagte ich zu ihm, ›warum war ich doch so unbesonnen, deinem Rathe nicht zu folgen? Ich Unglücklicher! warum wollte ich mir selbst mehr Glauben beimessen, als dir, in einem Alter, wo die Zukunft unsern Blicken verborgen ist, wo uns noch keine Erfahrung des Vergangenen belehrt hat, und wo man nicht Mäßigung genug besitzt, den gegenwärtigen Augenblick zu nützen? O, wenn wir so glücklich sind, diesem Sturme zu entgehen, so werde ich meinem gefährlichsten Feinde eher glauben, als mir selbst; auf dich allein, Mentor, werde ich mein ganzes Vertrauen setzen.‹

Lächelnd antwortete mir Mentor: ›Fürchte keine Vorwürfe von mir wegen deines begangenen Fehlers; es ist schon genug, wenn du ihn erkennst, und wenn er dazu dient, daß du in Zukunft deine Begierden mäßigest. Aber wird nicht der jugendliche Leichtsinn wieder zurückkehren, wenn die Gefahr vorüber ist? Für jetzt kann uns unser Muth retten. Ehe man sich in die Gefahr begibt, muß man sie kennen lernen und fürchten; befindet man sich aber wirklich in derselben, so bleibt uns nichts übrig, als sie zu verachten. So beweise dich denn als den würdigen Sohn des Ulysses, und zeige, daß dein Herz größer ist, als die Unglücksfälle, die dich bedrohen.‹

Die Güte, mit welcher Mentor zu mir sprach, und sein Muth entzückten mich; aber erstaunt war ich, als ich sah, mit welcher Klugheit er uns aus den Händen der Trojer rettete. In dem Augenblick, da der Himmel anfing, sich aufzuhellen, und die Trojer, denen wir ganz nahe waren, uns gewiß würden erkannt haben, bemerkte er eines ihrer Schiffe, das dem unsrigen fast ähnlich war, und das der Sturm von den andern getrennt hatte. Das Hintertheil desselben war mit Blumen geziert. Er eilte, das Hintertheil unseres Schiffes mit ähnlichen Blumen zu schmücken; er befestigte sie selbst mit Bändern von gleicher Farbe; er befahl allen Bootsknechten, sich längs ihren Ruderbänken, so tief sie könnten, hinab zu bücken, um nicht von den Feinden erkannt zu werden. Auf diese Weise segelten wir mitten durch ihre Flotte hin. Sie erhoben ein Freudengeschrei, als sie uns erblickten, als wären wir ihre Gefährten, die sie für verloren gehalten hatten. Die Gewalt des Meeres nöthigte uns sogar, ziemlich lange mit ihnen fortzusegeln. Endlich blieben wir ein wenig zurück, und während die ungestümen Winde sie gegen Afrika hintrieben, boten wir alle unsere Kräfte auf, durch angestrengtes Rudern die benachbarte Küste von Sizilien zu erreichen.

Wir langten auch wirklich daselbst an; aber das, was hier unser wartete, war nicht weniger schrecklich, als die Flotte, vor welcher wir flohen. Wir fanden an dieser Küste andere feindlich gegen uns gesinnte Trojer. Der alte Acestes regierte in diesem Lande, der einst von Troja dahin gekommen war. Kaum waren wir an's Land gestiegen, so wurden wir von den Eingebornen desselben angefallen, die uns für Fremdlinge hielten, die sich ihres Landes bemächtigen wollten, oder für ein anderes Volk der Insel, das, die Waffen in der Hand, gekommen wäre, sie zu überfallen. Sie verbrennen in der ersten Wuth unser Schiff; sie erwürgen alle unsere Gefährten, sie verschonen nur Mentor und mich, um uns dem Acestes vorzustellen, damit dieser von uns erführe, woher wir kämen, und was unsere Absichten wären. Man führte uns in die Stadt, die Hände auf den Rücken gebunden, und unser Tod wurde nur aufgeschoben, damit er einem grausamen Volke zum Schauspiel diene, wenn es an den Tag käme, daß wir Griechen wären.

Wir wurden vor den König gebracht, der, den goldenen Scepter in der Hand, zu Gerichte saß, und Anstalten zu einem großen Opfer machte. Mit ernstem Tone fragte er uns, von wannen wir kämen, und was uns hieher geführt hätte. Mentor eilte zu antworten, und sagte: ›Wir kommen von den Küsten Großhesperiens, und unser Vaterland ist nicht weit davon entfernt.‹ Auf diese Weise vermied er zu sagen, daß wir Griechen seien. Aber Acestes hörte uns nicht weiter an; er hielt uns für Fremdlinge, die ihre wahren Absichten verbergen, und befahl, uns in einen nahen Wald zu schicken, wo wir als Sklaven unter denjenigen dienen sollten, die die Aufsicht über seine Heerden hatten.

Dieser Zustand schien mir schrecklicher, als der Tod. ›König,‹ rief ich laut, ›laß uns lieber tödten, als daß du uns so schmählich behandelst. Wisse, daß ich Telemach bin, der Sohn des weisen Ulysses, des Königs der Ithaker. In allen Meeren suche ich meinen Vater. Soll ich ihn nie wiedersehen, ist mir nicht vergönnt, in mein Vaterland zurück zu kehren, und kann ich der Knechtschaft nicht entgehen, so tödte mich, denn das Leben ist mir hinfort eine Last.‹

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, so rief das ganze Volk in wilder Bewegung aus:

›Er sterbe, der Sohn dieses grausamen Ulysses, durch dessen listige Ränke Troja fiel.‹

›Sohn des Ulysses,‹ sagte Acestes zu mir, ›ich kann dein Blut den Schatten so vieler Trojer nicht versagen, die dein Vater zu den Ufern des schwarzen Cocytus hinab gestürzt hat. Ihr werdet beide sterben, du und dein Begleiter.‹

Ein Greis aus dem Haufen schlug dem König vor, uns auf dem Grabe des Anchises schlachten zu lassen; ›ihr Blut,‹ sprach er, ›wird dem Schatten dieses Helden angenehm sein; und Aeneas selbst, wenn er von diesem Opfer hört, wird es mit Wohlgefallen sehen, daß du den so zärtlich liebst, der ihm am theuersten auf der Welt war.‹

Das ganze Volk gab diesem Vorschlage Beifall, und man dachte an nichts anderes, als uns zu opfern. Schon wurden wir auf das Grab des Anchises geführt; man hatte auf demselben zwei Altäre errichtet; das heilige Feuer brannte darauf; der Stahl, der uns durchbohren sollte, blinkte vor unsern Augen; wir waren mit Blumen bekränzt; in keiner Brust regte sich Mitleid für uns; nichts konnte uns mehr retten, es war um uns geschehen, als Mentor ganz gelassen verlangte, mit dem König zu reden, und also zu ihm sprach:

›O Acestes, wenn das unglückliche Schicksal des jungen Telemach, der nie die Waffen gegen Troja getragen hat, dein Herz nicht zu bewegen vermag, so müsse wenigstens dein eigener Vortheil dich rühren. Die Kenntniß der Vorbedeutungen und des Willens der Götter, die ich erworben habe, belehrt mich, daß, ehe drei Tage um sind, barbarische Völker dich überfallen werden. Gleich einem Waldstrom werden sie von den hohen Gebirgen herabkommen, deine Stadt zu überschwemmen, und dein Land zu verheeren. Eile, ihnen zuvor zu kommen. Bewaffne dein Volk; verliere keinen Augenblick, die reichen Heerden, die in den Feldern umher irren, in deine Mauern zu treiben. Habe ich dich durch lügenhafte Verkündung getäuscht, so steht es bei dir, uns nach drei Tagen tödten zu lassen, habe ich aber die Wahrheit geredet, so bedenke, daß es ungerecht sein würde, denen das Leben zu rauben, welchen man die Rettung seines eigenen zu verdanken hat.‹

Arestes staunte über diese Worte Mentors, die dieser mit einer Zuversicht aussprach, die er noch bei keinem Sterblichen gefunden hatte. ›Ich sehe wohl, fremder Mann,‹ antwortete er, ›daß die Götter, die dir die Güter des Glücks nur mit karger Hand zutheilten, dir eine Weisheit verliehen haben, die schätzbarer ist, als alle irdische Glückseligkeit.‹

Das Opfer wurde aufgeschoben, und eilends gab Arestes die nöthigen Befehle, um dem Angriff zuvor zu kommen, der ihm nach Mentors Weissagung bevorstand. Ueberall erblickte man nur zitternde Weiber, gebückte Greise und weinende Kinder, die der Stadt zueilten. Heerdenweise wurden die brüllenden Stiere und die blökenden Schafe, die ihre fetten Weiden verließen, herbei getrieben, und kaum fand man Raum genug, sie unterzubringen. Rings umher erscholl das verwirrte Getöse der sich drängenden Menge. Keiner verstand den Andern. In diesem wilden Getümmel wurde der Unbekannte für den Freund gehalten. Die Menschen liefen, ohne zu wissen, wohin ihre Füße eilten. Aber die Vornehmsten der Stadt dünkten sich klüger, als die andern, und hielten Mentor für einen Betrüger, der eine falsche Weissagung erdichtet habe, um sein Leben zu retten.

Noch vor dem Ablauf des dritten Tages, während alles nur an das bevorstehende Ereigniß dachte, sah man von den benachbarten Bergen herab eine Staubwolke sich wälzen. Man erblickte eine zahllose Menge bewaffneter Barbaren. Es waren die wilden Himerier, nebst den Völkern, welche die nebrodischen Gebirge und den Gipfel des Agragas bewohnen, wo ein ewiger Winter herrscht, den der Hauch der Zephyre nie gemildert hat. Alle, welche Mentors Weissagung verachtet hatten, verloren ihre Sclaven und ihre Heerden.

Der König sagte zu Mentor:

›Ich vergesse, daß ihr Griechen seid; unsere Feinde sind unsere treuesten Freunde geworden; die Götter haben euch zu unserer Rettung hieher gesendet; ich erwarte nicht weniger von eurer Tapferkeit, als von eurem weisen Rath; eilet, Freunde, uns zu Hülfe zu kommen.‹

Aus Mentors Auge strahlte eine Kühnheit, welche die beherztesten Krieger in Erstaunen setzte. Er bewaffnet sich mit Schild und Helm; er ergreift ein Schwert, eine Lanze; er stellt die Völker des Acestes in Schlachtordnung; er schreitet vor ihnen her, er rückt wohlgeordnet gegen die Feinde an. Acestes, wiewohl von kriegerischem Muthe beseelt, kann ihm nur von weitem folgen, ihn drückte das Alter; ich schließe mich näher an ihn an, aber vergebens bestrebe ich mich, es ihm an Heldenmuth gleich zu thun. Sein Harnisch glich im Streite der unsterblichen Aegyde; der Tod durchwandelt die Reihen der Feinde überall, wo seine Streiche hintrafen. So stürzt ein numidischer Löwe, von grausamem Hunger verzehrt, in eine Heerde schwacher Schafe; er zerreißt, er würgt, er badet sich im Blute; die Hirten, statt der Heerde beizustehen, fliehen zitternd, um seiner Wuth zu entgehen.

Die Barbaren; welche gehofft hatten, die Stadt unversehens zu überfallen, wurden selbst überrascht und in Bestürzung gesetzt. Die Völker des Acestes, durch Mentors Beispiel und Worte entflammt, zeigten einen Heldenmuth, den sie sich selbst nicht zugetraut hatten. Mit meiner Lanze stürzte ich den Sohn des Königs dieses feindlichen Volkes danieder. Er war von meinem Alter, aber größer, als ich; denn dieses Volk stammte von einem Riesengeschlechte, und war gleichen Ursprungs mit den Cyklopen. Er verachtete einen so schwachen Gegner, als ich ihm schien; aber ohne über seine ungeheure Stärke und über seine wilde und grimmige Miene zu erschrecken, stieß ich ihm meine Lanze in die Brust. Seine Seele entfloh, und ein Strom schwarzen Bluts ergoß sich aus seinem Munde. Beinahe hätte er mich in seinem Fall zerschmettert. Das Getöse seiner Waffen erscholl bis in die Gebirge. Ich nahm seine Rüstung und kehrte zu Acestes zurück. Nachdem Mentor die Feinde vollends zerstreut hatte, hieb er sie nieder, und verfolgte die Fliehenden bis in die Wälder.

Nach einem so unerwartet glücklichen Erfolge wurde Mentor als ein Liebling der Götter angesehen, dem sie ihren Willen offenbarten. Acestes, von Dank gerührt, eröffnete uns, daß er alles für uns befürchte, wenn die Schiffe des Aeneas nach Sizilien zurückkehren sollten. Er gab uns eines, damit wir ohne Verzug in unsere Heimat zurückkehren möchten, überhäufte uns mit Geschenken, und drang auf unsere Abreise, um den widrigen Begebnissen zuvor zu kommen, die er ahnete; aber er wollte uns weder einen Steuermann, noch Ruderknechte von seinem Volke geben, weil er besorgte, sie möchten an den Küsten von Griechenland der Gefahr allzusehr ausgesetzt sein. Er gab uns phönizische Kaufleute, die nichts zu befürchten hatten, weil sie mit allen Völkern der Welt Handlung trieben, und die dem Acestes das Schiff wieder zurückführen sollten, wenn sie uns nach Ithaka gebracht hätten.

Aber die Götter, die der Anschläge der Menschen spotten, bereiteten uns neue Gefahren.«



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