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Neunzehntes Buch.

Telemach geht in die elysischen Gefilde ein. Arcesius, sein Urgroßvater, erkennt ihn, und gibt ihm die Versicherung, daß sein Vater noch lebe, daß er ihn in Ithaka wiedersehen, und nach ihm regieren werde. Arcesius macht ihm ein Gemälde von der Seligkeit, die die Gerechten, vornehmlich aber die guten Könige genießen, die während ihres Lebens den Göttern gedient, und die Völker beglückt haben, die sie beherrschen. Er läßt ihn bemerken, daß die Herden, die sich nur durch kriegerische ausgezeichnet haben, dieser hohen Seligkeit nicht theilhaftig sind, und an einem abgesonderten Orte leben. Er gibt dem Telemach Lehren. Dieser eilt ins Lager der Verbündeten zurück.


A ls Telemach diesen Aufenthalt verließ, fühlte er sich eben so erleichtert, als ob man eine schwere Last von seinem Herzen genommen hätte. Aus der Beklemmung, die seine Brust empfunden hatte, konnte er das Unglück derer ermessen, die ohne Hoffnung der Befreiung an diesem Orte eingeschlossen waren. Entsetzen befiel ihn, wenn er bedachte, daß die bösen Fürsten weit strengere Strafen zu dulden hätten, als andere Verbrecher.

»Welch.ein Loos!« sagte er bei sich selbst, »so viele Pflichten, so viele Gefahren, so viele Fallstricke, so viele Schwierigkeiten, die Wahrheit zu erkennen, und den Nachstellungen anderer und seines eigenen Herzens zu entgehen, und dann am Ende diese entsetzlichen Qualen nach allem dem Umtrieb, dem Widerstand und dem Neid, den ein Fürst in seinem Leben erfährt! – – O, wie thöricht ist derjenige, welcher nach Herrschaft strebt, und wieviel glücklicher ist ein Mensch, der sich mit dem ruhigen Privatstande zu begnügen weiß, wo die Ausübung der Tugend ihm minder schwer wird!«

Indem er solche Betrachtungen anstellte, gerieth er in Unruhe; Schrecken und Entsetzen wandelten ihn an; er fühlte einen Theil der Verzweiflung jener Unglücklichen, die er so eben gesehen hatte; aber neuer Muth erwachte in ihm, je weiter er sich von diesem traurigen Aufenthalt der Nacht, des Schreckens und der Verzweiflung entfernte. Er athmete freier, und schon schimmerte ihm von fern das reine, erquickende Licht aus den Wohnungen der Heroen entgegen.

An diesem Orte wohnten alle guten Könige, die je über Menschen geherrscht hatten, gesondert von den andern Gerechten; und so wie böse Fürsten im Tartarus weit größere Qualen erduldeten, als andere Verbrecher von geringem Stande, so genossen auch die guten Fürsten im Elysium einer weit höhern Glückseligkeit, als die übrigen Menschen, die, wie sie, ihr Leben auf Erden der Tugend gewidmet hatten.

Telemach näherte sich diesen Königen. Sie wandelten auf immer grünenden, blühenden Auen, in lieblich duftenden Hainen. Tausend kleine Bäche ergossen ihr hellblinkendes Wasser an diesem reizenden Aufenthalt, und hauchten liebliche Kühlung umher. Schaaren von Vögeln füllten mit ihrem frohen Gesang die Gebüsche. Unter den Tritten der Wandelnden sproßten Frühlingsblumen hervor, und an den Bäumen hingen die köstlichen Früchte des Herbstes. Hier athmete man nie die Schwüle des glühenden Hundsterns; nie sauste hier der rauhe Nord, noch fühlte man hier die Strenge des Winters.

Fern von diesem seligen Wohnplatz der Ruhe flohen der blutdürstige Krieg, der zerstörende Neid mit seinem giftigen Zahn und mit Schlangen im Busen und um die Arme, die Eifersucht, der Argwohn, die Furcht und die täuschenden Begierden.

Hier geht der Tag nie zu Ende, und nie entfaltet hier die Nacht ihren dunkeln Schleier. Ein reines, mildes Licht umfließt die Leiber dieser Gerechten, und umgibt sie mit Strahlen, wie mit einem Gewande. Dieses Licht gleicht nicht jenem düstern Lichte, das die Augen der elenden Sterblichen erleuchtet, und nur Dunkelheit ist. Aehnlicher einer himmlischen Glorie, als dem Licht, durchdringt es ungehinderter die dichtesten Körper, als die Strahlen der Sonne den reinsten Krystall. Es blendet nicht die Augen, es stärkt sie, und senkt tief in die Seele ruhige Heiterkeit.

Von diesem Lichte allein nähren sich die Seligen, es fließt durch sie aus und ein; es durchdringt sie, es wird ihnen einverleibt, wie die Nahrungsmittel sich unserm Körper einverleiben; sie sehen, sie fühlen, sie athmen es; es ist für sie eine nie versiegende Quelle von Ruhm und Wonne. Sie schwimmen in einem Meere seliger Empfindungen, wie die Fische im Wasser. Alle ihre Wünsche sind erfüllt; ohne etwas zu haben, besitzen sie alles; denn dieses reine Licht stillt den Hunger; ihres Herzens. Alle ihre Begierden sind befriedigt. Im Vollgenuß ihrer Seligkeit verlangen sie nichts von allem, wonach die dürftigen, schmachtenden Menschen auf der Erde sich sehnen.

Alle Freuden, die sie umgeben, schätzen sie gering, denn die Fülle ihrer Glückseligkeit, die von innen kommt, läßt ihnen keine Empfänglichkeit mehr für äußere Genüsse. Sie gleichen den Göttern, welche, mit Nektar und Ambrosia gesättigt, jede gröbere Speise verschmähen würden, die man ihnen beim leckerhaftesten Mahle der Sterblichen vorsetzte. Kein Uebel naht sich diesem Wohnort der Ruhe; der Tod, die Krankheit, die Armuth, der Schmerz, die Klage, die Reue, die Furcht, die Hoffnung sogar, welche oft peinlicher ist, als die Furcht, die Zwietracht, der Ekel, fliehen weit vor ihm.

Eher würden Thraziens hohe, himmelan ragende Gebirge, deren Stirne seit Anbeginn der Welt mit Schnee und Eis bedeckt sind, ihren im Mittelpunkt der Erde ruhenden Grundfesten entstürzen, als daß die Seelenruhe dieser Gerechten auch nur leise gestört werden sollte. Nur Mitleid gegen die Menschen, die, von Leiden niedergedrückt, noch auf der Erde leben, bewegt ihre Herzen, aber es ist ein sanftes, ein gemäßigtes Mitleiden, das ihre unwandelbare Glückseligkeit nicht stört.

Ewige Jugend, Seligkeit ohne Ende, göttliche Hoheit leuchtet aus ihren Gesichtern, aber ihre Freude hat nichts Leichtsinniges, nichts Unanständiges an sich; es ist eine gemäßigte Freude, voll Würde und Erhabenheit, ein hohes Gefühl des Wahren und des Guten, das ihre Herzen in Entzücken setzt. Stets und ununterbrochen fühlen sie jene Wonne, welche das Herz einer Mutter durchströmt, wenn sie den geliebten Sohn wieder erblickt, den sie für verloren hielt, aber diese süße Empfindung, welche bald wieder im Herzen der Mutter erlischt, verläßt diese Glücklichen nie; nie wird sie schwächer, nie verliert sie ihren Reiz für sie. Sie genießen das Vergnügen der Berauschung des Herzens, ohne die Unruhe und das Betäubende derselben zu fühlen.

Sie besprechen sich unter einander von dem, was sie sehen und empfinden. Mit Verachtung blicken sie auf die sinnlichen Vergnügen und den eitlen Pomp ihres ehemaligen Standes zurück, an die sie nur mit Wehmuth denken. Mit Vergnügen durchlaufen sie jene traurigen, aber kurzen Jahre, die sie, kämpfend gegen sich selbst und den Strom der Bösen, durchlebten, damit sie sich zur Tugend erhöhen. Sie preisen die hülfreichen Götter, die sie durch so viele Gefahren hindurch wie an der Hand zur Tugend geleitet.

Eine himmlische Kraft, einem Ausfluß der Gottheit selbst ähnlich, strömt unablässig durch ihre Herzen, und vereinigt sich mit ihnen. Sie sehen es, sie fühlen es, daß sie glücklich sind, und daß sie es ewig sein werden. Von demselben Gedanken, denselben Empfindungen beseelt, singen sie das Lob der Götter mit einmüthiger Stimme, und eine und dieselbe Glückseligkeit ergießt sich in immer wiederkehrenden Strömen durch die Herzen dieser innig vereinigten Geister.

In diesen himmlischen Entzückungen verfließen ihnen die Jahrhunderte schneller, als den Menschen die Stunden; aber flößen sie ihnen auch zu Tausenden dahin, ihre Seligkeit würde doch stets neu, stets vollkommen sein. Sie herrschen Alle, aber nicht mehr auf Thronen, die von Menschen umgestürzt werden können. Ihre Herrschaft, auf sie selbst gegründet, steht unerschütterlich fest, denn sie brauchen ihre Macht nicht mehr von einem elenden und verächtlichen Volk zu borgen, um durch dasselbe furchtbar zu werden. Sie tragen nicht mehr jene wichtigen Kronen, deren trüglicher Schimmer so viele Furcht und so viele quälende Sorgen verbarg; die Götter selbst haben ihre Häupter mit Kronen von unvergänglichem Glanze geschmückt.

Die selige Ruhe dieses wonnevollen Aufenthalts, in welchem Telemach seinen Vater suchte, entzückte ihn so sehr, daß er gewünscht hätte, ihn hier zu finden. Traurigkeit wandelte ihn an, selbst wieder in die Gesellschaft der Menschen zurückkehren zu müssen.

»Hier nur,« sagte er, »findet sich das wahre Leben, und Tod ist, was wir Leben nennen.«

Aber er erstaunte, so viele Könige im Tartarus gestraft zu sehen, und nur wenige derselben im Elysium zu finden. Hieraus ersah er, daß es nur Wenige geben müßte, die Standhaftigkeit und Muth genug hätten, ihrer eigenen Macht Schranken zu setzen, und die vielen Schmeichler von sich zu entfernen, die nur das Feuer ihrer Leidenschaften anfachen; daß also gute Könige sehr selten, und die meisten unter ihnen so schlimm sein müßten, daß die Götter ungerecht wären, wenn sie sie nicht nach ihrem Tode bestraften, nachdem sie geduldet hatten, daß sie ihre Macht während ihres Lebens mißbrauchten.

 

Als Telemach unter diesen Königen seinen Vater nicht fand, suchte er wenigstens mit den Augen den göttlichen Laertes, seinen Großvater. Während er sich vergebens nach ihm umsah, näherte sich ihm ein ehrwürdiger Greis von hohem Ansehen. Er glich nicht jenen Greisen auf der Erde, die die Bürde der Jahre niederdrückt. Man erkannte, nur, daß er in einem hohen Alter gestorben war. Seine Gestalt zeigte die ganze Würde des Alters mit aller Annehmlichkeit der Jugend verbunden; denn die jugendlichen Reize entfalten sich aufs Neue bei den hinfälligsten Greisen, sobald sie den Wohnsitz der Seligen betreten.

Dieser Mann ging schnell auf Telemach zu, und blickte ihn mit Freundlichkeit an, wie man einen Menschen anblickt, für den man Liebe fühlt. Telemach, der ihn nicht kannte, war betroffen und verlegen.

»Ich verzeihe dir gern, geliebter Sohn,« sprach der Alte zu ihm, »daß du mich nicht kennest. Ich bin Arcesius, der Vater des Laertes. Ich starb kurz zuvor, als Ulysses, mein Enkel, zur Belagerung von Troja zog, und damals warst du noch ein kleines Kind, das in den Armen seiner Amme lag. Schon damals faßte ich große Hoffnungen von dir, und du täuschtest sie nicht, denn ich sehe, daß du in Pluto's Reich herabgestiegen bist, deinen Vater zu suchen, und daß die Götter dein Unternehmen begünstigen. Glückliches Kind! Die Götter sind dir hold, und bereiten dir einen so hohen Ruhm als deinem Vater. Auch ich fühle mich glücklich, dich wieder zu sehen! Suche deinen Vater nicht länger an diesem Orte; er lebt noch, und es ist ihm vorbehalten, unser Haus in Ithaka wieder zu seinem alten Glanz zu erheben. Auch Laertes, obwohl von der Bürde der Jahre niedergedrückt, freut sich noch des Lichts der Sonne, und harrt seines Sohnes, damit dieser ihm die Augen schließe. So vergehen die Menschen, wie die Blumen des Feldes, die des Morgens ihre Knospen öffnen, und am Abend verwelkt sind, und nicht mehr geachtet werden. Die Geschlechter der Menschen eilen vorüber, wie die Wellen eines schnell dahin fließenden Stromes. Unaufhaltsam fliegt die Zeit, und reißt mit sich fort, was noch so fest, gegründet scheint. Auch du, mein Sohn, mein geliebter Sohn, der du dich jetzt dieser blühenden Jugend freust, die so reich an Vergnügen ist, auch du mußt nicht vergessen, daß die liebliche Blume der Jugend fast eben so schnell vertrocknet, als sie ihre Blätter entfaltet. Du wirst dich verwandeln, ohne es gewahr zu werden. Die lächelnden Grazien, die holden Freuden, die dich begleiten, die Stärke, die Gesundheit, das Vergnügen, alles wird verschwinden, gleich einem schönen Traum, und nichts wird dir bleiben, als die traurige Erinnerung an diese Güter. Das träge, freudenscheue Alter wird dein Gesicht mit Runzeln überziehen, deinen Körper krümmen, deine Glieder schwächen, die Quelle der Freuden in deinem Herzen vertrocknen, dir das Gegenwärtige vergällen, die Zukunft in schreckhafter Gestalt zeigen, und dein Gefühl gegen alles abstumpfen, den Schmerz ausgenommen.

Diese Zeit scheint dir noch fern zu sein, aber du täuschest dich, mein Sohn, sie eilet mit schnellen Schritten herbei, schon ist sie zugegen. Was mit solcher Geschwindigkeit herannaht, ist nicht fern von dir, das Gegenwärtige aber, das von hinnen eilt, ist bald in weiter Entfernung von uns, denn es ist nicht mehr, indem wir davon reden, und kehret nie wieder. So verlasse dich denn nie auf das Gegenwärtige, mein Sohn, sondern richte deine Blicke auf die Zukunft, und stärke dich dadurch auf dem rauhen und mühseligen Pfade der Tugend. Bereite dir durch reine Sitten und durch Liebe zur Gerechtigkeit einen Platz an diesem seligen Wohnort der Ruhe.

Nicht lange, so wird dein Vater sein Ansehen in Ithaka wieder erhalten. Dir ist bestimmt, nach ihm zu regieren. Aber ach! mein Sohn, wie täuschend ist die königliche Würde! Von ferne betrachtet, verspricht sie lauter Vergnügen, Glanz und Größe, aber in der Nähe, wie sehr ist sie mit Dornen umgeben! Ein Privatmann kann ohne Schande sein Leben in ruhiger Verborgenheit hinbringen, aber ein Fürst würde sich entehren, wenn er einen behaglichen Müßiggang den beschwerlichen Geschäften der Regierung verziehen wollte. Jeder seiner Untergebenen hat gerechte Ansprüche an ihn, und es ist ihm nie erlaubt, nur sich selbst zu leben. Auch seine kleinsten Fehler haben die bedeutendsten Folgen, denn sie machen ein ganzes Volk, und nicht selten auf Jahrhunderte unglücklich. Dem kühnen Laster sich entgegen zu stellen, die Unschuld zu schützen, die Verläumdung zu Schanden zu machen, dieß ist seine Pflicht. Er hat noch nicht genug gethan, wenn er nur das Böse unterläßt, er ist auch verbunden, alles das Gute zu thun, was auf die Beglückung des Staats einen Einfluß hat. Und es ist noch nicht genug, daß er nur für sich selbst recht handelt, er muß auch das Böse verhindern, das andere begehen würden, wenn man sie nicht im Zaume hielte. Fürchte dich also, mein Sohn, vor einem so gefährlichen Stande, und waffne dich mit Muth gegen dich selbst, gegen die Leidenschaften und gegen die Schmeichler.«

Arcesius schien von einem göttlichen Feuer belebt zu sein, als er. diese Worte sprach. Der Kummer über die Uebel, welche mit der Königswürde verbunden sind, leuchtete aus seinem Gesichte.

»Uebernimmt man,« fuhr er fort, »die höchste Gewalt bloß zur Befriedigung seiner eigenen Begierden, so ist sie eine verabscheuungswürdige Tyrannei; übernimmt man sie aber in der Absicht, seine Pflichten zu erfüllen, und ein großes Volk mit Vaterliebe zu leiten, so ist sie eine drückende Knechtschaft, welche den Muth, und die Geduld einer Heldenseele erfordert. Indeß ist es eben so unläugbar, daß Fürsten, die ihr Amt mit tugendhafter Treue verwalten, im Besitze aller der Güter sind, die die Macht der Götter ertheilen kann, wenn sie Menschen vollkommen beglücken wollen.«

Arcesius Worte senkten sich tief in Telemachs Herz; sie drückten sich demselben ein, wie sich die Bilder dem Erz eindrücken, die der Grabstichel eines geschickten Künstlers demselben eingräbt, um sie den Augen der entferntesten Nachwelt noch sichtbar zu machen. Gleich einer zarten Flamme durchdrangen sie das innerste Wesen des Jünglings, Sein Herz fühlte sich erwärmt und erschüttert. Seine Seele, von einer höhern Kraft erweicht, schien in ihm zu zerfließen. Was er so in seinem Innersten empfand, lös'te sein Wesen unmerklich auf. Er vermochte weder diesem mächtigen Eindruck zu widerstehen, noch ihn zu ertragen, noch ihn in sich zu verschließen. Es war ein durchdringendes Gefühl von Wonne, in welches sich etwas tödtlich Peinliches mischte.

Allmählich begann Telemach wieder freier zu athmen. Er erkannte in den Zügen des Arcesius eine große Aehnlichkeit mit Laertes; ihm däuchte sogar, er habe bei seinem Vater Ulysses, als dieser zur Belagerung von Troja reiste, einige Aehnlichkeit mit diesen Zügen bemerkt. Sein Herz fühlte sanfte Regungen bei diesen Rückerinnerungen; süße Thränen der Freude entquollen seinen Augen. Er wünschte diesen geliebten Greis in seine Arme zu schließen; mehrere Male versuchte er es, aber vergebens, die Schattengestalt entzog sich seiner Umarmung wie ein täuschender Traum einem Menschen entweicht, der ihn zu halten glaubt. Bald hascht sein dürstender Mund nach einem Wasser, das vor ihm flieht, bald bewegen sich seine Lippen zu Worten, welche die starre Zunge nicht hervorzubringen vermag, bald strecken sich seine Hände aus, er strengt sich an, und erfaßt nichts. So vermochte auch Telemach nicht, den Drang seines Herzens zu befriedigen. Er sah den Arcesius, er hörte seine Stimme, er sprach mit ihm, aber er konnte ihn nicht berühren.

Endlich fragte er ihn, wer die Menschen seien, die er um sich her erblicke.

»Du siehest hier,« gab ihm der weise Greis zur Antwort, »die Menschen, welche die Zierde ihrer Jahrhunderte, der Stolz und das Glück des Menschengeschlechts waren. Du erblickst die kleine Zahl der Könige, welche würdig waren, es zu sein, die treuen Stellvertreter der Götter auf der Erde. Jene andern, welche du nicht weit von ihnen erblickest, und welche diese kleine Wolke von ihnen absondert, kamen ihnen an Ruhm bei weitem nicht bei. Zwar waren sie Helden; aber der Lohn, der ihrer Tapferkeit und ihren Thaten zu Theil wird, kommt in keinen Vergleich mit dem Lohn dieser weisen, gerechten und wohlthätigen Könige.

Unter diesen Helden ist Theseus; gemäßigter Gram blickt aus seinem Gesicht. Ihn traf das Unglück, einem arglistigen Weibe allzu leicht geglaubt zu haben, und noch trauert er über den grausamen Tod, den Neptun auf seine ungerechte Bitte über seinen Sohn Hippolyt verhängte. Der Unglückliche ließ sich zu schnell und zu leicht zum Zorn dahinreißen.

Jener dort ist Achill; er stützt sich auf seine Lanze wegen der Wunde, die er von der Hand des feigen Paris an der Ferse empfing und die sein Leben endigte. Die Götter würden ihm ein längeres Leben verliehen haben, wenn er eben so viel Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung besessen hätte, als er unerschrocken war. Aber sie trugen Mitleid mit den Phtioten und Dolopern, über die er nach dem Tode des Peleus regieren sollte. Sie wollten diese Völker nicht der ungezähmten Willkühr eines Menschen unterwerfen, die leichter zu empören war, als das stürmische Meer. Die Parzen kürzten den Faden seines Lebens; er sank dahin wie eine kaum geöffnete Blume, die die Pflugschaar abmäht und die hinfällt, noch ehe der Tag zu Ende ist, der sie aufblühen sah. Die Götter bedienten sich seiner, wie sie sich der reißenden Ströme und der Stürme bedienen, um die Verbrechen der Menschen zu strafen; sie gebrauchten ihn, Troja's Mauern zu stürzen, Laomedons Meineid und die strafbare Liebe des Paris zu rächen. Nachdem er den Göttern zum Werkzeug ihrer Rache gedient hatte, war ihr Zorn versöhnt. Vergebens flehte Thetis mit Thränen die Götter für ihn um längeres Leben an; er sollte die Erde verlassen, wo er nur taugte, um die Ruhe der Menschen zu stören und Städte und Reiche umzustürzen.

Siehst du jenen dort mit der wilden Miene? Es ist Ajax; Telamon's Sohn, und Achills Verwandter. Es ist dir nicht unbekannt, welchen hohen Ruhm er sich im Streite erwarb. Nach Achill's Tode glaubte er vor andern ein Recht an seine Waffen zu haben, dein Vater wollte sie ihm nicht abtreten. Die Griechen sprachen sie dem Ulysses zu, und Ajax tödtete sich aus Verzweiflung Noch bricht Zorn und Wuth aus seinem Gesicht hervor. Nähere dich ihm nicht, mein Sohn, er würde glauben, daß du seines Unglücks spotten wolltest, und er verdient Mitleiden. Bemerkst du nicht, mit welchem Unwillen er auf uns blickt, und wie er sich schnell in jenes dunkle Gehölz verbirgt, weil wir ihm verhaßt sind?

Auf jener andern Seite siehst du Hektorn. Nie würde er besiegt worden sein, wenn der Sohn der Thetis nicht zu gleicher Zeit mit ihm gelebt hätte.

Dort geht Agamemnon vorüber; noch trägt er die Wunden, die ihm die Treulosigkeit der Clytemnestra schlug. Ach! mein Sohn, Schauder überfällt mich, wenn ich an das Unglück denke, welches das Geschlecht des Tantalus, dieses Frevlers, traf. Die Zwietracht der beiden Brüder Atreus und Thyestes hat dieses Haus mit Blut und Entsetzen erfüllt. Ach, wie zieht ein einziges Verbrechen so viele andere nach sich! Agamemnon führte die Griechen von der Belagerung von Troja zurück, aber er genoß den Ruhm nicht, den er sich erworben hatte. Dies ist das Loos fast aller Eroberer. Alle diese Menschen, welche du hier siehst, waren furchtbar im Streit, aber sie waren weder liebenswürdig noch tugendhaft, darum wurde ihnen auch nur der geringere Ort im Elysium zur Wohnung gegeben.

Jene Andern regierten mit Gerechtigkeit; sie liebten ihr Volk, sie sind die Lieblinge der Götter. Indeß Achill und Agamemnon auch hier noch ihres Haders und ihrer Schlachten gedenken, ihre Gebrechen und Leiden fühlen, vergebens das Leben zurückwünschen, das sie verloren haben, und trauern, jetzt nichts mehr als unmächtige und nichtige Schatten zu sein, genießen jene gerechten Könige, von göttlichem Lichte geläutert und genährt, einer Seligkeit, die ihnen nichts mehr zu wünschen übrig läßt. Mitleidig sehen sie auf die Bekümmernisse der Sterblichen; und die wichtigsten Angelegenheiten, die die ehrgeizigen Menschen beunruhigen, dünken ihnen nur Kinderspiele. Ihre Herzen sind mit Wahrheit und Tugend gesättigt, die sie aus der Quelle schöpfen. Sie leiden nichts mehr durch sich selbst; sie haben keine Wünsche, keine Bedürfnisse, keine Furcht mehr; Alles ist für sie zu Ende, nur ihre Seeligkeit nicht, welche unvergänglich ist.

Betrachte, mein Sohn, diesen alten König Inachus, der das Königreich Argos gründete. Sieh dieses ruhige, dieses ehrwürdige Alter. Blumen sprossen unter seinen Tritten auf, sein leichter Gang gleicht dem Schweben eines Vogels. Er hält eine goldene Leier in der Hand. Von ewigem Entzücken beseligt, singt er die Wunder der Götter. Seine Seele und sein Mund hauchen liebliche Wohlgerüche. Die melodischen Töne seiner Leier und seiner Stimme entzücken Götter und Menschen. Dieser Lohn ward ihm, weil er die Menschen liebte, sie in die Mauern seiner neuerbauten Stadt aufnahm, und ihnen Gesetze gab.

Auf einer andern Seite, unter jenen Myrthen, siehst du den Aegypter Cekrops, der zuerst in Athen regierte, in jener Stadt, die der Göttin der Weisheit geheiligt ist, deren Namen sie trägt. Cekrops brachte heilsame Gesetze aus Aegypten, das Griechenland Wissenschaften und Sitten gab, er zähmte die wilden Einwohner von Attika, und vereinigte sie durch das Band der Gesellschaft. Er war gerecht, menschlich, mitleidig. Er hinterließ sein Volk in Wohlstand, die Seinigen hingegen in mittelmäßigen Glücksumständen, denn er wollte nicht, daß seine Kinder nach ihm regieren sollten, weil er glaubte, daß andere der Oberherrschaft würdiger seien.

Ich darf den Erichton nicht übergehen, der in jenem kleinen Thale wandelt. Er war es, welcher den Gebrauch des gemünzten Silbers erfand. Seine Absicht war, den Handel zwischen den griechischen Inseln zu erleichtern, aber er sah auch die schlimmen Folgen voraus, welche diese Erfindung haben würde. Er sagte den Menschen: ›Sorget vor allem, die natürlichen Reichthümer zu vermehren, welche allein keinen wahren Werth haben. Bauet das Land, damit es euch Korn, Wein, Oel und Früchte im Ueberfluß trage. Verschaffet euch zahlreiche Heerden; ihre Milch nähre, ihre Wolle kleide euch; dann werdet ihr nie in den Fall kommen, die Armuth fürchten zu müssen. Je mehr Kinder ihr habt, je reicher seid ihr, wenn ihr sie anders an die Arbeit gewöhnt habt, denn die Erde ist unerschöpflich, und ihre Furchtbarkeit steigt mit der Zahl ihrer Bewohner, die sie anbauen. Sie lohnt ihre Mühe reichlich, und nur gegen diejenigen ist sie karg und unfreundlich, die ihren Anbau vernachlässigen. Strebet also vornehmlich nach wirklichen Reichthümern, die die wahren Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Des gemünzten Silbers bedienet euch nur dann, wenn es die Noth erfordert, wenn ihr gegen Auswärtige Kriege zu führen habt, die ihr nicht vermeiden könnt, oder um die nothwendigen Waaren einzutauschen, die eurem Lande mangeln; denn es wäre zu wünschen, daß kein Handel mit Dingen getrieben würde, die nur zu Unterhaltung der Pracht, der Eitelkeit und der Ueppigkeit dienen.‹

Der weise Erichton sagte oft: ›Wie sehr fürchte ich, meine Kinder, euch ein schädliches Geschenk gemacht zu haben, indem ich euch den Gebrauch des Geldes lehrte! Ich sehe voraus, daß es den Geiz, die Ehrsucht, die Prachtliebe erwecken, und eine Menge schädlicher Künste in Gang bringen wird, die die Sitten erschlaffen und verderben, daß es euch den Geschmack an jener glücklichen Einfalt rauben wird, von welcher die Ruhe und Sicherheit des ganzen Lebens abhängt, und daß es auch den Ackerbau in Verachtung bringen wird, den Grund des menschlichen Lebens und die Quelle aller wahren Güter. Aber die Götter wissen es, daß ich reine Absichten hatte, als ich euch diese Erfindung, die an sich selbst nützlich ist, mittheilte.‹

Endlich, als Erichton sah, daß das Geld den Sitten des Volks verderblich ward, wie er es geahnet hatte, entwich er aus Betrübniß auf einen öden Berg, wo er, arm und von allen Menschen getrennt, bis zu einem hohen Alter lebte, ohne irgend einen Antheil mehr an der Regierung nehmen zu wollen.

Kurze Zeit nach ihm erschien der berühmte Triptolemus in Griechenland, den Ceres die Kunst gelehrt hatte, das Feld zu bauen, und es alle Jahre mit goldenen Aehren zu bedecken. Zwar kannten die Menschen schon das Getreide, und wußten es durch den Samen zu vervielfältigen, aber sie verstanden den Ackerbau noch nicht vollkommen. Da kam Triptolemus, von Ceres gesandt, den Pflug in der Hand, und bot die Geschenke dieser Göttin allen denjenigen an, die Muth genug hatten, ihre natürliche Trägheit zu überwinden, und mit anhaltendem Fleiße zu arbeiten. Nicht lange, so lernten die Griechen, von Triptolemus unterwiesen, in die Erde eindringen, ihren Schooß öffnen, und sie fruchtbar machen. Bald sanken die goldenen Aehren, welche die Gefilde bedeckten, unter der scharfen Sense des rüstigen und unermüdeten Schnitters. Die wilden und rohen Völker sogar, welche in den Wäldern von Epirus und Aetolien umherirrten, und sich von Eicheln nährten, nahmen mildere Sitten an, und unterwarfen sich Gesetzen, als sie gelernt hatten, das Getreide zum Wachsthum zu bringen, und sich von Brot zu nähren.

Triptolemus lehrte die Griechen, wie glücklich diejenigen seien, die ihren Reichthum bloß ihrem Fleiß zu danken hätten, und in ihm Feldern alles fänden, was dem Leben Reiz und Bequemlichkeit geben könne. Glücklich durch den Besitz dieser einfachen und unschuldigen Güter, die der Ackerbau verschafft, erinnerten sie sich der weisen Lehren Erichtons. Sie sahen das Geld und alle erkünstelten Reichthümer mit Verachtung an, jene Reichthümer, denen nur die Meinung einen Werth gibt, die die Menschen reizen, schädlichen Vergnügungen nachzugehen, und sie von der Arbeit entwöhnen, die ihnen wahre Güter gewähren, ihre Sitten rein erhalten, und ihre Freiheit sichern würde. Man überzeugte sich, daß ein fruchtbares, wohlangebautes Feld der wahre Reichthum einer Familie sei, die weise genug ist, die Genügsamkeit ihrer Vorältern nachzuahmen. Wie glücklich würden die Griechen sein, wenn sie diesen Grundsätzen treu geblieben wären, die so geschickt waren, ihre Macht, ihre Freiheit und ihr Glück zu sichern, und die dieser Vortheile auch durch Festigkeit in der Tugend würdig gewesen wären! Aber ach! vom Glanze falscher Reichthümer geblendet, fangen sie jetzt an, die wahren zu vernachlässigen, und den Geschmack an jener glücklichen Einfalt zu verlieren.

O, mein Sohn, einst wirst auch du regieren, und dann vergiß nicht, die Menschen zum Ackerbau zurückzuführen, diese Kunst zu ehren, diejenigen zu unterstützen, die sich derselben widmen, und nicht zu dulden, daß die Menschen ihr Leben in Müßiggang hinbringen, oder solche Künste treiben, die der Ueppigkeit und Weichlichkeit fröhnen. Du siehest, wie sehr diese beiden Menschen, die einst so weise regierten, von den Göttern geliebt sind. So sehr der milde Frühling den beeisten Winter, und so sehr das strahlende Licht der Sonne den Schimmer des Mondes übertrifft, so sehr überstrahlt ihr Ruhm den Ruhm Achills und der andern Helden, die sich nur in den Schlachten hervorthaten.«

Arcesius bemerkte, daß Telemach während seines Gesprächs seine Blicke stets auf ein Lorberwäldchen und einen kleinen Bach richtete, dessen Ufer mit Veilchen, Rosen, Lilien und andern wohlriechenden Blumen bekränzt waren, deren blendende Farben den Farben der Iris glichen, wenn sie vom Himmel zur Erde herabsteigt, den Sterblichen den Willen der Götter zu verkünden. Telemach erkannte an diesem anmuthsvollen Orte den großen Sesostris. Höhere Würde umgab ihn als einst auf Aegyptens Thron; ein mildes Licht strahlte aus seinen Augen, das Telemachs Augen blendete. Er schien trunken von Nektar, in so hohes, alle menschlichen Begriffe übersteigendes Entzücken hatte ihn der göttliche Geist gesetzt, um seine Tugenden zu lohnen.

»O mein Vater,« sprach Telemach zu Arcesius, »ich sehe dort den Sesostris, jenen weisen König von Aegypten, den ich vor Kurzem noch daselbst sah.«

»Er ist es,« antwortete Arcesius, »und sein Beispiel kann dich lehren, wie mit freigebiger Hand die Götter gute Könige lohnen. Aber wisse, daß ihm eine Seligkeit bestimmt war, gegen die seine jetzige verschwinden würde, wenn er nicht, von zu hohem Glück berauscht, der Mäßigung und der Gerechtigkeit vergessen hätte. Das heftige Verlangen, den Stolz und den Uebermuth der Tyrier zu demüthigen, trieb ihn, sich ihrer Stadt zu bemächtigen. Diese Eroberung machte ihn lüstern nach andern. Der eitle Ruhm, ein Eroberer zu heißen, verführte ihn. Er unterjochte, oder vielmehr, er verwüstete ganz Asien. Er kehrte nach Aegypten zurück, woselbst sein Bruder die Regierung an sich gerissen, und durch seine Ungerechtigkeiten die besten Gesetze des Landes verkehrt hatte. So hatten also seine großen Eroberungen zu nichts gedient, als sein eigenes Königreich zu zerrütten!

Aber was ihn am strafbarsten machte, war, daß er von seiner eigenen Größe schwindelich wurde. Er ließ die stolzesten unter den Königen, die er besiegt hatte, an seinen Wagen spannen. In der Folge erkannte er seinen Fehler, und schämte sich seiner Unmenschlichkeit. Dies war die Frucht seiner Siege, und solche Unfälle bringen Eroberer über sich und ihre Staaten, wenn sie die Länder ihrer Nachbaren an sich zu reißen suchen. So sank ein König von seiner Höhe herab, der sonst so gerecht, so wohlthätig war, und so wurde er der hohen Glückseligkeit verlustig, die die Götter für ihn bereitet hatten.

Siehst du nicht diesen andern, mein Sohn, mit der glänzenden Wunde? Es ist ein König aus Carien, Dioklides genannt. Er opferte sich selbst in einem Treffen für sein Volk; denn in einem Kriege zwischen den Cariern und Lyciern hatte das Orakel den Ausspruch gethan, daß dasjenige Volk siegreich sein würde, dessen König umkäme.

Betrachte jenen andern; er ist ein weiser Gesetzgeber. Er gab seinem Volke Gesetze, die es gut und glücklich machen konnten, und ließ es schwören, keines dieser Gesetze während seiner Abwesenheit zu verletzen. Alsdann entfernte er sich, verbannte sich selbst aus seinem Vaterlande Bis hierhin erinnert dies stark an Solon (um 640-540 v.u.Z.), einen der bedeutendsten Gesetzgeber der Antike, der jedoch nach langer Zeit des Reisens in seine Heimat Athen zurückkehrte, ohne indes noch einmal politisch tätig zu werden. Die Antike zählte ihn zu den Sieben Weisen von Griechenland. – Anm.d.Hrsg., und endigte sein Leben in Armuth in einem fremden Lande, um seinem Volke durch diesen Schwur die Verbindlichkeit aufzulegen, diese heilsamen Gesetze nie zu übertreten.

Der, den du dort siehest, ist Eunesimus, König der Pylier, einer der Ahnherren des weisen Nestor. Eine Pest verheerte die Erde, die Ufer des Acheron waren mit den Schatten der neuen Ankömmlinge bedeckt. Er flehte zu den Göttern, mit seinem Tode für soviele Tausende Unschuldiger büßen zu dürfen, um ihren Zorn.zu versöhnen. Die Götter erhörten seine Bitte, und ließen ihn hier die wahre Krone finden, von welcher alle Kronen der Erde nur schwache Bilder sind.

Jener mit Blumen bekränzte Greis ist der berühmte Belus. Er herrschte in Aegypten, und vermählte sich mit Anchinoe, der Tochter des Gottes Nilus, der seine Quellen den Augen der Menschen verbirgt und die Länder befruchtet, die er mit seinen Gewässern überströmt. Er hatte zwei Söhne, den Danaus, dessen Geschichte du kennest, und den Aegyptus, der diesem schönen Lande seinen Namen gab. Belus glaubte sich reicher durch den Ueberfluß, den er seinem Volke verschaffte, und die Liebe seiner Untergebenen, als durch alle Abgaben, die er ihnen hätte aufbürden können. Alle diese Menschen, die du für todt hältst, mein Sohn, leben, und das jammervolle Leben auf der Erde ist der wahre Tod; nur die Namen sind verwechselt worden. Möchten dich die Götter leiten, mein Sohn, möchtest du durch Tugend diese Glückseligkeit verdienen, die nie endigen und durch nichts gestört werden kann! Säume nun nicht länger; eile, deinen Vater zu suchen. Ach, ehe du ihn findest, wie viel Blut wirst du noch fließen sehen, aber auch welcher hohe Ruhm erwartet dich in Hesperiens Gefilden! Erinnere dich der Lehren des weisen Mentor, folge ihnen, und dein Name wird groß sein unter allen Völkern, und alle Jahrhunderte werden ihn nennen.«

Er sprachs und geleitete Telemach alsbald zu dem elfenbeinernen Thor, das aus dem Reiche Pluto's führte. Telemach schied von ihm mit bethränten Augen, ohne ihn umarmen zu können. Er verließ diesen dunkeln Aufenthalt. Und nachdem er die zwei jungen Kreter wiedergefunden, die ihn bis zur Höhle begleitet, und nicht gehofft hatten, ihn je wieder zu sehen, kehrte er eilends in das Lager der Verbündeten zurück.



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