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Erneute Enttäuschungen

Sehr zufriedengestellt, endlich einmal wieder ein schützendes Dach über dem Haupte zu haben, hatten sich der Doktor und Young Ironfist in einem kleinen, aber sauberen Schlafraum neben den Stallungen der Farm zur Ruhe gelegt. Sie waren indessen umso unangenehmer berührt, als sie am anderen Morgen, sehr früh schon, auf recht derbe Art jäh aus dem Schlafe gerissen wurden.

»He da! Aufgemacht, ihr verd.... Landstreicher!« wetterte eine Stimme und zwei kräftige Fäuste rüttelten an der Tür, daß es schien, als ob sie jeden Augenblick aus den Fugen gehen wolle.

Erschrocken fuhr der Doktor von seinem Lager auf.

»Was gibt es? Was ist los?«

»Heraus, sage ich, oder, so wahr ich Peter Eisenmann heiße, ich will euch Beine machen!«

So schnell wie möglich fuhr der Doktor in seine Beinkleider und schickte sich an, die Türe zu öffnen, während Young Ironfist kaltblütig sich herumdrehte und nach seiner am Kopfende der Lagerstätte stehenden Kugelflinte langte.

»Ist das eine Art, sich für erwiesene Gastfreundschaft zu bedanken,« schrie der Farmer hochroten Kopfes, »daß euer sogenannter Lord schon seit einer Stunde freudejauchzend alle meine Kartoffeläcker in Grund und Boden trampelt?«

Der Doktor, der viel Schlimmeres befürchtet hatte, atmete erleichtert auf. Über seine Stirne legte sich aber nichtsdestoweniger eine schwere Sorgenfalte.

Hastig fuhr er in seine Stiefel und schlüpfte in sein Wams.

Auch Young Ironfist sprang auf die Beine.

»Mann, seid überzeugt, hier liegt keine Böswilligkeit vor, ganz im Gegenteil –,« versicherte währenddem der Doktor.

»Zum Henker, kommt Ihr mir ebenfalls mit solchen Redensarten? Soll ich in der Vernichtung meines schwer genug errungenen Eigentums am Ende gar noch eine Gefälligkeit erblicken?«

»Ich bitte Euch sehr, lieber Freund, beruhigt Euch. Der Lord hat in der Tat keine böse Absicht+…«

»Schockschwerenot – was, lieber Freund? – wer ist Euer Freund? – ich danke für eine solche Freundschaft!«

Der Doktor sah den Farmer sehr gelassen, ja freundlich lächelnd an, was diesen ganz aus der Fassung brachte.

»Erlaubt die Frage, so seltsam sie in diesem Augenblick auch klingen mag,« fuhr der Doktor fort, der die Aufregung von zuvor nun völlig bemeistert hatte. »Sind Eure Kartoffelpflanzen frisch und gesund, oder habt Ihr über ihr Gedeihen in diesem Jahre Klage zu führen?«

Der Farmer, der nicht wußte, wie ihm geschah, machte ein wenig geistreiches Gesicht.

»Habt Ihr vielleicht bemerkt, daß Eure Kartoffeln an einer Krankheit leiden?« fragte der Doktor mit seinem gewinnendsten Lächeln wieder.

»Zum Henker, und wenn das der Fall wäre, was kümmert's Euch? Woher nimmt Euer Lord das Recht, auf seinem Braunen kreuz und quer die Äcker zu durchreiten?«

»Eben deshalb frage ich, eben darum; weil ich das, ganz wie Ihr, als ein großes Unrecht empfinde; weil ich mir aber auch ein Urteil bilden will, ob es mir gelingen wird, den Lord von seinem Beginnen abzubringen.«

»Schockschwerenot – Ihr scheint mir ganz von derselben verrückten Art wie der Lord zu sein!«

»Das glaube ich nicht+… im übrigen bitte ich, lieber Mann: nur keine unnötige Erhitzung! Es könnte Euch und uns schaden. Wenn Ihr mir ruhig Antwort geben wollt, hoffe ich, daß wir uns bald verständigt haben werden. – Wollt Ihr vielleicht sagen, ob Ihr Eure Kartoffelsetzlinge, oder etwa Kohl, oder Tomaten, den Fluß herauf, aus St. Louis bezogen habt?«

Der Farmer, der immer noch sehr erzürnt war, würgte gewaltig an der Antwort, aber er sagte endlich: »Natürlich habe ich das! Woher sollten wir unsere Samen und Setzlinge sonst, hier in dieser Einöde, herbekommen?«

»Und – darf ich fragen? – es wird doch so ziemlich feststehen, daß St. Louis diese Handelsprodukte aus Kansas, den Missouri hinab, einführt?«

»Selbstverständlich. Sie kamen aus dem Westen, denn der Süden ist arm an diesen Feldpflanzen. Es wird behauptet, daß unsere Kartoffeln sogar aus Nebraska stammen.«

»Nun, da haben wir's,« fuhr der Doktor auf, heftig sich schüttelnd, als wolle er ein lästiges Insekt von sich scheuchen. »Aus Nebraska, sagt Ihr+… und die Pflanzung steht schlecht+… nun scheint der Teufel wirklich los!« Schnell bemeisterte Dr. Middleton aber die kleine Aufwallung und fügte begütigend hinzu: »Noch weiß ich nicht, was von der ganzen Sache zu halten ist+… jedenfalls aber, Mann, habt Ihr keine Landstreicher vor Euch, die Euch Übles zufügen wollen+… jedenfalls sollt Ihr durch uns nicht den mindesten Schaden erleiden; möglicherweise werdet Ihr dem Lord zuletzt sogar noch zu Dank verpflichtet sein.«

Mit diesen Worten zog Mr. Middleton eine umfangreiche Geldbörse aus der Hosentasche, öffnete den Beutel und drückte dem Farmer eine größere Anzahl Goldstücke in die Hand. »Nehmt das,« sagte er dabei, »zum Beweise dessen, was ich gesagt habe+… eine Anzahlung auf den Schaden, den der Lord Euch angerichtet hat oder noch anrichten wird; wir werden später noch darüber reden, genauer abrechnen.«

Ganz verdutzt starrte der Farmer die Goldstücke an, während der Doktor mit Young Ironfist, der den Vorgang mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet zu haben schien, ins Freie eilte.

Sie brauchten nicht lange nach dem Lord zu suchen.

Etwa dreihundert Meter hinter dem Wohnhaus lag ein riesiger Kartoffelacker, in dem reiterlos des Lords Brauner stand.

Ihn selbst entdeckten sie beim Näherkommen auf der Erde liegend, mit der Untersuchung einer Pflanze beschäftigt, dann und wann, mit beiden Händen zugleich, nach einem vorbeischwirrenden Insekt haschend. Einige schwarze Knechte standen grinsend um ihn her, die ihm neugierig zusahen.

»Hurra, Middleton!+… Hurra, Young Ironfist!+… nun haben wir sie,« schrie der Lord strahlenden Angesichts, als er die Anwesenheit der beiden bemerkt hatte.

Wie von einer Sprungfeder geschnellt sprang der Lord vom Boden auf, breitete die Hände nach allen Windrichtungen und rief: »Das ganze große Feld bedeckt von Milliarden+… fast alle Pflanzen bereits in Angriff genommen. Ich wette tausend gegen ein Pfund, in kürzester Zeit ist alles bei Rumpf und Stumpf aufgefressen!«

»Ich gratuliere Euer Lordschaft zu dieser Entdeckung,« entgegnete Dr. Middleton sehr trocken. »Was gedenken Eure Lordschaft nun zu beginnen?«

Mächtig schwang der Lord die Waffe einigemal um das Haupt.

»Das sollst du gleich sehen!« versetzte dieser, lief so schnell er zu laufen vermochte, zu seinem Pferde, die vom Sattelknopf niederhängende Keule herbeizuholen.

Mächtig schwang er die Waffe einigemal um das Haupt und rief mit lauter, oftmals überschnappender Stimme: »Ein erhabener Moment!+… Ganz Amerika, ja die ganze Welt wird die Tat des Lord Traveling lobpreisen+… man wird ihn auf den Händen tragen, denn er wird sein Wort halten. Ich werde nicht eher ruhen, bis das unglückliche verseuchte Land von diesem Ungeziefer befreit ist. Ich bin entschlossen, das unheilvolle Gezücht dieser Käfer bis auf das letzte Exemplar eigenhändig totzuschlagen!«

Und nun begann Lord Traveling mit aller Wucht, daß Erdstücke und Pflanzenteile nur so flogen, auf die Kartoffelstauden loszudreschen.

Mit weitaufgerissenen Augen sahen Young Ironfist und die inzwischen herbeigekommenen Farmersleute diesem Beginnen zu.

Weit kühler nahm das der Doktor. Er kannte seinen Kranken ja ganz genau und mochte sich die Bestimmung der vom Lord mitgeführten Keule schon lange zurechtgelegt haben.

Ihn, den Arzt und Gelehrten, interessierte für den Augenblick mehr das verderbliche Insekt, von dem die Pflanzung in der Tat in Besitz genommen schien.

Er nahm eine stark angefressene Pflanze vom Boden auf, zog ein Vergrößerungsglas aus der Tasche und untersuchte die unteren Blattseiten.

»Es ist kein Zweifel, überzeugt Euch selbst, Ihr habt auf Eurer Pflanzung glücklich den gefürchteten Koloradokäfer,« sagte er über eine Weile zu dem ratlos dastehenden Farmer, indem er ihm Kraut und Glas darreichte.

Dieser, dem die Gefahr, die der Kartoffel seitens dieses Ungeziefers drohte, keineswegs unbekannt war, erschrak nicht wenig.

Er brachte das Glas zögernd vor das Auge und besichtigte die Blätter. – Auf ihrer Unterseite waren ganze Haufen länglich gestalteter Eier von dottergelber Farbe wahrzunehmen.

»Das ist die Bescherung der Käferweibchen, die sie auf der Unterseite der Blätter fünf Wochen lang hindurch täglich abgesetzt haben,« erklärte der Doktor auf den fragenden Blick des Farmers. »Einzelne Eier wurden von den Larven bereits verlassen. Es sind die blutroten Punkte, die, wie hier der ganzen Pflanze entlang zu sehen ist, mit der Vertilgung der Blätter bereits sich beschäftigen. Die vorgeschritteneren Exemplare« – der Doktor hatte ein solches von einer Pflanze aufgelesen und zeigte es dem Farmer – »sind von glänzender gelblicher Farbe. Sie sollen sich binnen zwanzig Tagen zum erwachsenen Käfer ausbilden. Hat die derzeitige Generation, die auf Eurer Pflanzung vorhanden ist, diese Phasen der Entwicklung alle durchgemacht, wird auf Euren Kartoffelfeldern bald kaum mehr ein Fäserchen übrig geblieben sein.«

»Was ist dagegen zu machen?« fragte der Farmer sehr niedergeschlagen, nachdem er mit eigenen Augen das alles gesehen hatte.

»So gut wie nichts. Das beste wäre, den ganzen Acker mit Petroleum zu übergießen und anzuzünden.«

»Da aber hier herum kein Öl vorhanden ist?«

»Wird es das beste sein, das Grundstück brach liegen zu lassen, damit der Herbstkäfer, der sich den Winter über in die Erde begibt, im Frühjahr keine Nahrung vorfindet.«

»Die Käfer sollen wandern?«

»Ja, die Käfer wandern; wenn sie hier eine Nahrung nicht mehr vorfinden, werden sie die Pflanzungen Eures Nachbars aufsuchen; sie werden aber, wenn Ihr auf den Anbau von Kartoffeln und verwandten Arten vorläufig nicht verzichtet, auch den Weg auf Eure Farm zurückfinden.«

»Dann ist das aber doch Unsinn, daß der Lord dort wie ein Wahnsinniger darauf losdrischt?«

»Er wird viele Eierhaufen, wie sie an den Blättern zu finden sind, mit seiner Keule zerschmettern, aber er wird das Übel damit nicht entfernt ausrotten. Ihr seht, daß der Lord von einer dichten Käferwolke umgeben ist, daß das erwachsene Insekt, durch die Schläge aufgeschreckt, einfach aufschwirrt und umherfliegt. Der Lord wird die ausgebildeten Weibchen, die die Träger der Fortpflanzung sind und die eigentliche Gefahr bilden, mit seiner Keule niemals, wie es seine Absicht ist, erschlagen können. Es ist, wie Ihr sagt, Unsinn. Jedenfalls aber werdet Ihr jetzt zugeben müssen, daß der Lord nicht von Böswilligkeit sich leiten läßt.«

Der Farmer nickte schweigend mit dem Kopfe. Er war sehr kleinlaut geworden.

Der Lord aber, von einer immer dichter werdenden Käferwolke umschwirrt, drosch unverdrossen weiter.

Young Ironfist, den die Auseinandersetzung mit dem Farmer weniger interessierte, vielmehr die ganze Zeit her kaum ein Auge vom Lord gewendet hatte, machte ein recht unglückliches Gesicht. Man sah es ihm an, in ihm mochten die widerstreitendsten Gefühle sich geltend machen. Mit großen Augen wendete er sich mit der Frage an den Doktor, ob er denn wirklich außer stande sei, diesem Treiben, das er doch soeben selbst als Unsinn bezeichnet habe, Einhalt zu gebieten.

»Lassen wir ihn ruhig gewähren,« entgegnete begütigend und lächelnd der Doktor. »Es ist mir sogar lieb, daß er so wacker an der Arbeit ist. Je mehr er dreindrischt, umso eher und je mehr wird er müde werden. Ihr seht, zum ersten Male hält er soeben ein, sich den Schweiß von der Stirne zu wischen und Atem zu schöpfen.«

»Aber sehen – jetzt schon wieder losgehen; jetzt schon wieder darauf losdreschen!«

»Ganz gut so! Das kann uns nur recht sein; es wird eine Wirkung hervorbringen, die mir nicht unlieb ist. Ich hoffe nämlich, daß ihm die ungewohnte Arbeit weidlich zusetzt, ich hoffe, daß er morgen und vielleicht mehrere Tage lang kein Glied mehr rühren kann.«

»Mister Middleton glauben, daß auf diese Weise der Lord des Unsinns vielleicht doch noch überdrüssig wird. Doktor Middleton ihn vielleicht doch noch kurieren können?«

»Sehr wohl möglich. Wünschen wir es; hoffen wir es!«


Am anderen Morgen klagte der Lord, wie der Doktor es vorausgesagt hatte, über völlig steife Glieder und unmäßige Schmerzen; kaum noch, daß er einen Arm rühren könne. Dazu hatte er hochangeschwollene Hände.

»Sagte ich's nicht, daß das Insekt bei der Berührung einen klebrigen Stoff von sich gibt, der die betroffenen Gliedmaßen ganz erheblich anschwellen läßt? Nun hat er's und wird noch manchen Tag damit zu tun haben. Und das ist gut so. Ich hoffe, die Sache macht sich.«

Young Ironfist, dem diese Auskunft galt, lächelte ein wenig, aber dieses Lächeln war recht säuerlich.

Der Doktor, ohne eine Antwort abzuwarten, eilte zu seinem Patienten.

Sinnend stand Young Ironfist eine Weile vor dem Farmhause, dann ging er in die benachbarte Stallung, führte seinen Schimmel heraus und legte ihm Zaum und Sattel an.

Ehe er damit noch fertig war, kam der Doktor wieder herbeigelaufen.

»Ihr habt die Absicht auszureiten?«

» Yes. Young Ironfist die Untätigkeit hier wenig gefallen; er wollen ein wenig in die Prärie hinausstreifen.«

Ein langer, forschender Blick des Doktors.

»Ich vermute, es gehen in Eurem Kopfe Dinge um, die dem Lord, wenn er darum wüßte, nicht recht gefallen möchten.«

Überrascht sah Young Ironfist auf.

Er konnte indessen den forschenden Blick des anderen auf die Dauer nicht ertragen. Um die Verlegenheit, die in ihm aufzusteigen begann, nicht merken zu lassen, wendete er sich weg, nahm die bereit stehende Kugelflinte an sich und schwang sich in den Sattel.

»Nun, dann reitet – reitet Euch tüchtig aus! Laßt dabei aber die Gedanken, die Euch im Kopfe umherwirbeln, nicht zu kraus werden. Ich hoffe, Ihr kehrt aufgeräumter zurück, als Ihr in den letzten Tagen gewesen seid.«

Young Ironfist nickte dem Doktor nur kurz, aber nicht unfreundlich zu und war schon im Begriffe wegzureiten, als Jack dahergelaufen kam.

»Seine Lordschaft lassen Mister Middleton und Young Ironfist zu sich bitten.«

»Was ist ihm wieder in die Krone gefahren, was mag er nur wieder wollen?« fragte der Doktor.

Jack zuckte die Achseln, machte kehrt und ging steif und stumm zurück nach dem Farmhause.

Da Young Ironfist keine Lust bezeigte, vom Pferde zu steigen, sagte der Doktor: »Nun, ich werde ihm sagen, daß Ihr soeben im Begriffe seid, die Gäule auszureiten, daß sie nicht steif, wie er, werden; ich will vorerst allein zu ihm gehen, zu hören, welchen Wunsch er hegt.«

Der Doktor verschwand.

Young Ironfist drückte seinem Schimmel die Schenkel in die Weichen. Wie ein Pfeil schoß das edle Tier, froh, dem ungewohnten Stalle zu entrinnen, von dannen.

Als der Gaul sich einigermaßen ausgetobt hatte, schlug Young Ironfist einen kleinen Bogen und kehrte langsam und gedankenvoll nach der Farm zurück.

Schon auf halbem Wege kam ihm der Doktor auf seiner Stute entgegen, halb lachend, halb ärgerlich.

»Da wären wir nun in der allerschönsten Patsche!« rief er schon von weitem. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euch das, was der Lord wünscht, beibringen soll.«

»Mister Middleton mag das, was er zu sagen hat, nur ganz unverblümt aussprechen,« entgegnete leichthin Young Ironfist, aber nicht ohne bitteren Beigeschmack. »Seit er mit dem Lord in die Prärie reiten, er schon so viel Seltsames erleben, daß er sich über nichts mehr wundern wird.«

»Das nenne ich einen sehr lobenswerten Standpunkt. – Der Lord ist trotz aller Schmerzen noch immer bei seinen Koloradokäfern und krümmt sich vor Kampfesmut und Ungeduld.«

»Wenn der Lord die Keule nicht mehr zu schwingen vermag, dann wird er warten müssen, bis seine Arme und Hände wieder biegsam geworden sind.«

»Das sieht er auch ein. Aber er ist im höchsten Grade unglücklich darüber, daß die Arbeit unterbrochen liegt. Er fürchtet, daß ihm unterdessen manches Insekt entwischen wird. Er ist nun voller Vertrauen zu Eurer Umsicht und Körperkraft und läßt Euch – um es kurz zu sagen, bitten, an seiner Statt die Drescherei fortzusetzen, bis er wieder flügge ist.«

Der Doktor hatte das nur zögernd ausgesprochen.

Er mochte befürchten, daß Young Ironfist dieses Ersuchen als eine Zumutung auffassen und entrüstet von sich weisen würde.

Young Ironfist blieb aber völlig kalt, ja ein leichtes Lächeln kräuselte sich sogar um seine Lippen.

Er sah dem Doktor geraume Weile forschend in das Auge, die Blicke des jungen Mannes wurden dabei aber allmählich ernster, seine Stirn legte sich in Falten. Endlich sagte er: »Young Ironfist ist der Meinung, daß er sich die Antwort auf diese Bitte des Lords ersparen kann. Im übrigen wird auch Young Ironfist ohne viel Umschweife aussprechen, was er zu sagen wünscht. – Mister Middleton wird sich jedenfalls des Gespräches noch erinnern, in welchem Young Ironfist mit dem Spleen und dem Koloradokäfer bekannt machen. Mister Middleton damals ausdrücklich sagen, er werde niemals eine Einwendung erheben, wenn Young Ironfist eines Tages wünschen, nicht mehr in den Diensten des Lords zu sein, sondern sich entschließen, ein anderes Leben zu beginnen. Young Ironfist lieben nicht die Umwege; er sprechen es jetzt unverhohlen aus, daß er den Zeitpunkt für gekommen erachtet, von diesem Zugeständnis Gebrauch zu machen.«

»Ich war auf eine solche Entgegnung eigentlich gefaßt,« entgegnete der Doktor etwas gedehnt, »Ihr habt mir schon seit einigen Tagen nicht recht gefallen. – Es liegt mir selbstverständlich völlig fern, von jenem Zugeständnis, wie Ihr es nennt, auch nur ein Jota zurückzunehmen. – Gleichwohl muß ich als Arzt sagen, daß mir Euer Entschluß mindestens kein Behagen verursacht, weil ich befürchte, daß Euer Weggang meinem Patienten sehr zu Herzen gehen wird. Ich möchte Euch daher ebenso dringend raten wie bitten, Eure Entschließung mindestens noch so lange hinaus zu schieben, bis wir St. Louis erreicht haben. Ich habe Euch schon angedeutet, daß sich bis dahin vielleicht Dinge begeben, die Euch besser als die derzeitigen Vorgänge gefallen. Ich gebe Euch zu bedenken, nicht zu übersehen, daß der Lord, abgerechnet seine krankhafte Neigung, durchaus Gentleman ist, der Euch dereinst noch von großem Nutzen sein kann.«

»Young Ironfist zweifelt nicht daran. Er weiß, daß er in dem Lord einen guten Menschen vor sich hat. Young Ironfist muß aber gleichwohl auf seinem Entschlusse beharren, der nicht von heute ist.«

»Dieser Entschluß wäre also nicht allein auf den Umstand zurückzuführen, daß der Lord eine Zumutung an Euch stellt, die selbstverständlich auch ich nicht billigen kann?«

»Nein, die Gründe, die Young Ironfist leiten, sie viel tiefer liegen.«

»Darf ich sie kennen lernen?«

»Mister Middleton mag sie kennen lernen. Young Ironfist ist der Ansicht, daß zwei Männer, die mit krankhaften Neigungen behaftet sind, nicht gut zusammenpassen. Der Lord haßt den Koloradokäfer. Young Ironfist aber hat in der Welt der Bleichgesichter so viel Unangenehmes erlebt, so viele Enttäuschungen erfahren, daß er auf dem besten Wege ist, seine weißen Brüder hassen zu lernen.«

»Freund, ich muß sagen, ich bin unangenehm genug überrascht, dergleichen von Euch vernehmen zu müssen. Ihr seid, als wir uns kennen lernten, stets munter und aufgeräumt gewesen, in der letzten Zeit aber freilich recht einsilbig geworden. Nun, die Erklärung dafür, sie liegt nicht weit, ist doch auch der Barometer meiner Laune oft schon fast auf den Nullpunkt gesunken. Indessen will mir doch scheinen, Ihr hättet Euch in einen recht bedenklichen, doch keineswegs völlig gerechtfertigten Mißmut hineingeredet, in dem Euch alles viel schwärzer erscheint, als es in der Tat ist. Der Lord wird, so hoffe ich, wieder gesund werden. Wenn Ihr vermöchtet, Euren derzeitigen Unmut zu bezwingen, würde es sicherlich auch Euch bald wieder leichter um das Herz werden.«

»Young Ironfist bezweifelt das eine wie das andere. Wenn es auch Mister Middleton gelingen würde, den Kranken zu kurieren, Young Ironfist befürchtet, der Lord wird eines Tages doch nur wieder von einer neuen Idee befallen werden, vielleicht von einer Krankheit, die noch viel mehr zu beklagen ist. Young Ironfist hingegen hat allen Grund, sich vor einer Verschlimmerung der krankhaften Neigung, die sich seiner zu bemächtigen droht, zu behüten. Er muß zur Erklärung dessen geltend machen, daß er, seit er seinem Heimatsdorfe den Rücken kehrte, sehr viel Unangenehmes erlebt hat. Es ist wahr, er ist in jenen Tagen, als Lord Traveling ihn zu dieser Reise aufforderte, immer sehr fröhlich gewesen, denn sein Mut, der kurz zuvor sehr tief gesunken war, wurde durch das Anerbieten des Lords wieder sehr gehoben. Er dem jungen Bleichgesicht versprechen, dasselbe in das Land der weißen Brüder mitzunehmen und für dessen erste Zukunft zu sorgen; das in Young Ironfist wieder viele frohe Hoffnungen erwecken. Inzwischen aber sind alle diese Hoffnungen wieder zu Wasser geworden. Hatte Young Ironfist zuvor fast nur Menschen kennen gelernt, die ihm die herbsten Enttäuschungen bereiteten, so waren das Menschen, die alle viele Klugheit besaßen, diese aber nur benützten, um an ihrem Nebenmenschen Handlungen zu verüben, die Young Ironfist keine guten nennen kann. Er fühlte sich glücklich, in dem Lord endlich wieder einen wirklich guten Menschen gefunden zu haben. Hier, bei dem guten Menschen, zeigte sich nun aber ein anderer Fehler, ein Fehler, der kaum jemals gut zu machen sein wird. Young Ironfist ist also nur wieder einer sehr herben Enttäuschung entgegen gegangen. Den Lord selbst trifft keine Schuld; er ist, ebenso wie Young Ironfist, ein Kind des Unglücks. Young Ironfist befürchtet aber nun sehr, daß ihm auch fernerhin beschieden sein wird, immer wieder Enttäuschungen entgegen zu gehen. Er will daher vorbeugen und die stolzen Hoffnungen, die er im Busen trug, endgültig begraben. Aber nicht allein dieser Mangel an Zuversicht ist es, der in ihm den Entschluß, den weißen Männern den Rücken zu kehren und nunmehr seinen eigenen Weg zu wandeln, hat reisen lassen. Young Ironfist hat die wenigen Städte der Bleichgesichter, die er berührte, keineswegs blindlings durchwandelt. Er hat die Augen, so gut er es vermochte, aufgemacht und gefunden, daß es in der Natur der Sache begründet liegt, wenn das Volk der Bleichgesichter nur zum kleinen Teil aus wirklich guten Menschen sich zusammensetzt. Er hat nach der Ursachen gesucht und befinden müssen, daß es anders auch gar nicht sein kann.«

»Das heißt mit anderen Worten einfach: den Stab über das Leben der Weißen brechen. Das will ferner heißen: Ihr habt Eure Absicht, in den Osten zu reisen und selbst auch ein Kulturmensch zu werden, ganz aufgegeben?«

»Young Ironfist war dieses Willens, aber er sieht die Schwierigkeiten, die dieser Absicht entgegenstehen, ein; er will nichts mehr davon wissen. Würden die Bleichgesichter leben nach dem Buche der Liebe, das sie so eifrig lesen, würde sich Young Ironfist ohne Zweifel sehr leicht in dieses Leben gefunden haben. Da aber die wenigsten von ihnen getreu nach diesem Buche leben, fürchtet er, daß es ihm niemals gelingen wird. Das, was die Bleichgesichter die Größe ihrer Kultur nennen, soweit es ihr Wissen und ihre Kunstfertigkeiten betrifft, das kann Young Ironfist nur anerkennen. Er bewundert ihren Fleiß und die Größe ihres Geistes, womit sie dieses alles zu bewerkstelligen vermögen. Aber er muß es beklagen, daß seine weißen Brüder durch ihre Erfolge ohne allen Zweifel sehr übermütig geworden sind. Anders läßt es sich nicht verstehen, daß sie allen Schwächeren gegenüber die Herren zu sein wünschen und niemand neben sich dulden wollen. Es kommt daher, daß sie die Größe ihres Geistes in den Dienst einer sehr niedrigen Leidenschaft, in den Dienst der Selbstsucht gestellt haben.

»Diese Selbstsucht der Bleichgesichter ist so groß,« fuhr Young Ironfist zu reden fort, »daß sie sich sogar unter sich selbst zu übervorteilen suchen und daher unter sich selber stetig uneins sind. Young Ironfist hatte einst sehr stolze Hoffnungen und die besten Absichten im Herzen getragen. Er war willens, ein tatkräftiger und ehrlich strebender Mann unter seinen weißen Brüdern, er hat die Absicht gehabt, ein Gentleman zu werden. Er hat damals das Leben der weißen Völker noch in einem ganz anderen Lichte angesehen. Er ist inzwischen zu anderen Anschauungen gelangt. Er hat sich überzeugt, daß ein Leben, wie es im Buche der Liebe der weißen Männer geschrieben steht, von ihnen gepriesen, aber dennoch nicht befolgt wird, niemals wahr und gut sein kann. Wenn er hinginge, um unter seinen weißen Brüdern zu leben, bliebe ihm nichts anderes übrig, als ihresgleichen, das heißt, ebenso wie sie ein selbstsüchtiger Mensch zu werden und das will er nicht. Wenn er aber getreu seiner Auffassung des göttlichen Wortes ›Liebet einander‹ unter ihnen leben, oder sie gar auf den Widerspruch in ihrem Leben aufmerksam machen wollte, würden sie ihn einen Narren schelten oder ihn auslachen.«

»Mensch, Eure kindliche Einfalt ist im stande, die größten und weisesten Männer unter den Bleichgesichtern aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jedenfalls aber seid Ihr eine grundehrliche Haut, das muß man Euch lassen.«

»Mister Middleton hat das richtige Wort ausgesprochen. Young Ironfist wird stets, so gut er es vermag, der Wahrheit die Ehre geben, er wird stets das Bestreben zeigen, schlicht, gerade und ehrlich zu sein. Auch der Vorwurf, daß Young Ironfist mit einem erheblichen Teil kindlicher Einfalt behaftet ist, mag zutreffen. Schon Tommy Hawking hat Young Ironfist wiederholt den Vorwurf gemacht, daß er sich in seinen Urteilen zu sehr von den Empfindungen des Naturkindes leiten läßt. Young Ironfist will aber lieber ein Naturkind bleiben, viel lieber, als ebenso wie seine weißen Brüder in die Selbstsucht zu versinken, um schließlich in ihr unterzugehen.«

»Das ist an sich sehr anerkennenswert, vermag aber den Fehler nicht auszuschließen, daß Euch die Dinge viel schwärzer erscheinen als sie sind, daß Ihr die Sache viel zu gründlich nehmt. Wenn man unter Menschen leben und mit ihnen auskommen will, muß man ihren Schwächen Rechnung tragen, sich den bestehenden Sitten und Gebräuchen nach Möglichkeit anbequemen, wenn diese Sitten auch manchmal recht verbesserungsfähig oder wirklich auch einmal anfechtbar sind.«

»Das mag nach dem Ermessen der Bleichgesichter richtig sein, Young Ironfist aber muß sagen, daß sie dann leichten Herzens sind. Er muß entgegnen, daß weder der rote noch der weiße Mann jemals etwas tun darf, von dem er nicht zugleich auch sagen kann, daß es das Wahre und das Gute ist.«

»Damit bin ich ganz einverstanden. Übrigens, ich muß gestehen, ich sehe ein, daß Eure Abneigung gegen das Leben der Bleichgesichter nicht einfach nur eine oberflächliche ist, sondern in der Tat recht tief sitzt. Beharret Ihr bei Eurer Absicht, von uns zu gehen, muß ich Euch beklagen. Es wird Euch dann wohl nichts anderes übrig bleiben, als in Euer Indianerdorf zurückzukehren.«

»Young Ironfist ist aus dem Dorfe der Pe-ta-ha-vah-da heimlich entflohen, er kann nie wieder dahin zurückkehren. Young Ironfist weiß jetzt, daß er ein Bleichgesicht ist, und darum wünscht er diese Rückkehr auch nicht.«

»Dann seid Ihr wahrlich in einer wenig beneidenswerten Lage. Auf der einen Seite den Weißen wenig freundlich gesinnt, auf der anderen die Unmöglichkeit der Rückkehr+… Da hättet Ihr Euch recht hübsch zwischen zwei Stühle gesetzt.«

»Und dennoch hofft Young Ironfist sich zurechtzufinden. Er hat den großen Geist der Bleichgesichter kennen gelernt, er liebt und verehrt ihn, denn er ist ein gerechter und liebender Vater über allen Menschen. Young Ironfist wird fortan leben, so wie es in dem großen Buche geschrieben steht, das dieser liebende Vater seinen Kindern geschenkt hat. Denn die Lehren seines Buches sind gut und weise. Young Ironfist kann und wird es niemals begreifen, warum seine weißen Brüder sich nicht ebenfalls dazu verstehen, nach den Ratschlägen dieses Buches zu leben, ein Umstand, wodurch alles übrige für das einsam stehende junge Bleichgesicht gegeben ist. Young Ironfist wird seinen weißen Brüdern nicht aus dem Wege gehen; er wird sich, wenn er ihnen jemals begegnen sollte, liebevoll gegen sie erweisen; aber er wird sie ebensowenig jemals aufsuchen. Young Ironfist mag das allerdings sein, was man ihm so oft schon zum Vorwurf gemacht hat, ein Naturkind, aber er ist nichtsdestoweniger gewillt, sich als ein Mann zu erweisen. Er wird sich einfach wieder in die Wälder begeben, nicht um ein roter Krieger zu werden, sondern als ein freier weißer Mann zu leben, als feiger, allenfalls auch als Krieger, wenn es gilt, ein Unrecht zu sühnen. Young Ironfist wird sich zu helfen wissen und aller Not überhoben sein. Jedenfalls wird er nichts unternehmen, um in die Lage zu kommen, sich jemals einen Bissen durch jenes Mittel beschaffen zu müssen, das seine weißen Brüder das Geld nennen, das sie so sehr lieben, aber die Quelle ihres Unglücks ist. Die Prärien und Wälder sind angefüllt mit jagdbarem Wilde, auf den Wiesen und Feldern wachsen die besten Kräuter und Gewürze, die Seen und Flüsse sind voll von Fischen, in der Erde sprießen süße nahrhafte Wurzeln, an den Sträuchern und Bäumen reifen die besten Früchte. Was braucht Young Ironfist als ein freier Mann und Jäger mehr? Aus dem roten wird einfach ein weißer Sohn der Wälder geworden sein und er wird sich ungleich wohler als seine weißen Brüder befinden.«

Während Mister Middleton den jungen Mann noch anstarrte, hatte Young Ironfist schon des Doktors Hand ergriffen und warm gedrückt.

Während Mister Middleton den jungen Mann noch offenen Mundes anstarrte, hatte Young Ironfist seinen Gaul schon herumgedreht, des Doktors Hand ergriffen und warm gedrückt.

Schnell warf er den Schimmel wieder herum und sprengte, jede weitere Auseinandersetzung abzuschneiden, eilends von dannen.


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