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Ernstliche Zerwürfnisse

Am anderen Tage waren die Arche und die ihr nächstgelegenen Ufer des Sees die Schauplätze recht erregter Szenen. Schon in den frühen Morgenstunden waren die drei Wildsteller, die bislang trotz der Verschiedenheit ihrer Charaktere in der tiefsten Harmonie gelebt hatten, heftig aneinander geraten.

Während nämlich Tommy und Young Ironfist, als sie von ihrer Streife zurückkamen, noch am Abend von ihrem Erlebnis und dem wahrscheinlichen Vorhandensein eines Spähers berichteten, hatte der lange Ben über sein Zusammentreffen mit der Rothaut geschwiegen.

Erst als die beiden ersteren nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück bereit waren, sich wieder in ihre Reviere zu begeben, fühlte er die Verpflichtung, ihnen davon Mitteilung zu machen. Es mochten mittlerweile Bedenken und die Befürchtung in ihm aufgestiegen sein, daß er mit der Züchtigung des roten Mannes doch zu weit gegangen sei und daß dieser Vorgang, wenn er in der Tat einen Späher der Odschibwä betraf, die Sicherheit der Genossen in Frage stellen könnte.

Tommy und Young Ironfist waren, als sie die Schilderung ihres Genossen vernommen hatten, aufs unangenehmste berührt. Es galt ihnen sofort als ausgemacht, daß die Odschibwä die körperliche Züchtigung eines ihrer Krieger als eine Beschimpfung des ganzen Stammes gleich erachten und keinesfalls ungerächt lassen würden. Ja, sie waren beide der übereinstimmenden Ansicht, daß Ben sogar den ganzen aussichtsreichen Jagdzug und damit ihre nächste Zukunft in Frage gestellt habe.

Young Ironfist, dem die Gehässigkeit, die Ben der roten Rasse gegenüber hegte und stets unverhohlen zur Schau trug, schon immer mißfallen hatte, war der Vorfall ein willkommener Anlaß, dem Genossen die Unmenschlichkeit, ja Roheit seiner Gesinnung vorzuwerfen. Der ehemalige rote Mann hielt mit seiner Empörung und den bittersten Vorwürfen so wenig zurück, daß es der ganzen vermittelnden Klugheit und Energie Tommys bedurfte, zu verhindern, daß die beiden nicht tätlich aneinander gerieten.

So war die Eintracht der Jäger mit einmal gar böse in die Brüche gegangen. Sie kehrten sich, jeder aufs tiefste verstimmt, erst wieder einander zu, als ihnen die Gefahr, von den Odschibwä zur Rede gestellt zu werden, unmittelbar gegenübertrat und sie um ihrer Sicherheit willen zum gemeinsamen Handeln zwang.

Young Ironfist hatte sich nämlich, nachdem das Gewitter niedergegangen war, grollend auf den dem Ufer zugekehrten Teil der Arche zurückgezogen und sich dort hinter die das Floß umfassende Brüstung gelegt. Nach und nach gelang es ihm, seine Empörung niederzukämpfen und damit kam seine ihm zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit, alles um sich her auf das genaueste zu beobachten, wieder zur vollen Geltung.

Lange lag er so, fast regungslos, die Blicke auf das Ufer gerichtet.

Endlich mußten seine Beobachtungen zu einem bestimmten Resultate geführt haben. Er erhob sich, trat zu Tommy und sagte: »Nun haben die Bescherung!«

»Bescherung? Welche Bescherung?«

»Was bis jetzt nur befürchten, nun bald zur Tatsache werden. Odschibwä sich bereits bemerkbar machen.«

Tommys Stirne umwölkte sich. Forschend flog sein Blick nach dem Ufer hinüber.

Aber auch auf den langen Ben, der dicht daneben sich damit beschäftigte, mit einem Stückchen Draht den Zündhutaufsatz seiner Kugelflinte zu reinigen, war diese Mitteilung sichtlich nicht ohne Eindruck geblieben. Auch er warf unwillkürlich einen langen Blick nach dem gegenüberliegenden Uferstreifen, gab sich aber gleichwohl den Anschein völliger Gleichgültigkeit und bemerkte nicht ohne Anflug von Spott: »Dann laßt sie kommen! – Werden sie ungemütlich, sollen sie erfahren, daß wir ihnen gerade genug zu schaffen machen.«

Tommy fuhr herum und warf dem anderen einen flammenden Blick zu. Die Ruhe, die er sich in der letzten Viertelstunde mühsam zurückerkämpft hatte, schien ihm mit einem Male wieder abhanden zu kommen. Polternd fuhr er los: »Ist das Eure ganze Weisheit? Es sollte Euch doch nachgerade gegenwärtig sein, daß es sich nicht um eine Bagatelle, sondern um sehr ernste und weittragende Dinge handelt.«

»Ach was, es wird so schlimm nicht werden!«

»Seid Ihr ein Greenhorn, das nicht weiß, wie empfindlich der rote Mann in seiner Kriegerehre ist?«

Ben zuckte verächtlich die Achseln.

»Der ganze Stamm wird sich beleidigt fühlen; der ganze Stamm wird über uns herfallen und Vergeltung heischen!«

»Ich gebe zu, daß wir dann allerdings einen schweren Stand haben würden.«

»Und dennoch – die eine Dummheit habt Ihr bereits begangen, eine zweite wäret Ihr soeben im Begriff hinzuzufügen.«

»Inwiefern?«

»Nun, wollt Ihr nicht wieder einfach mit dem Kopf durch die Wand? Sagtet Ihr nicht soeben, Ihr wollt mit Gewalt, mit sinnlosem Draufdreschen erreichen, wo nach menschlicher Berechnung wenig oder nichts zu erreichen, wo alles zu verlieren und nichts zu gewinnen ist?«

»Ich wollte nur sagen: ich will, wenn schon ein Zusammenstoß als unvermeidlich sich erweisen würde, unter keinen Umständen eine Memme sein. Ich will, wenn es einen anderen Ausweg nicht mehr geben sollte, kämpfen, meinen Mann stellen!«

»Dieses Wort in Ehren, aber habt Ihr daneben nicht noch andere sehr gewichtige Mannespflichten?«

Fragend sah Ben auf.

»Sind wir nicht Kameraden,« fuhr Tommy erregt fort, »in gemeinsamen Interessen und zu gemeinsamem Handeln verbunden? Fehlt Euch jedes Gefühl dafür? Sollen wir beiden anderen schweigend Eure unüberlegte Handlungsweise dulden. Euren Launen, Eurem roten Koller uneingeschränkt die Zügel schießen lassen und nur die üblen Folgen tragen?«

»Mit Verlaub, wie kann von Launen, vom roten Koller die Rede sein? Im Gegenteil, ich nehme die Dinge wie sie sind. Daß der rote Schleicher ein Unrecht begangen hat, das wurde auch von Euch zugegeben. Ihr hättet den Mann aus Rücksichten ohne weiteres laufen lassen, während ich, wie ich glaube, richtiger gehandelt habe. Wenn die Sache etwa zu ernstlichen Zerwürfnissen führen sollte, die uns Unbequemlichkeiten bringen können, so ist das an sich sehr bedauerlich. Ist es nun aber einmal so weit, daß uns die roten Teufel auf den Nacken steigen, dann bleibt meiner Ansicht nach kaum etwas anderes zu tun übrig, als ihnen die Zähne zu weisen.«

»Und ich sage Euch, daß uns das bloße Dreinschlagen wohl vorübergehend aus den schlimmsten Nöten helfen kann, daß es uns aber auf alle Fälle nur das Übel vergrößert und somit die größten Nachteile bringt.«

»Ihr habt also die Absicht, zu Kreuze zu kriechen, womöglichst alleruntertänigste Abbitte zu leisten?«

»Wir werden nichts tun, was unserem Ansehen und unserer Ehre etwas vergibt; aber wir werden den Knoten nicht einfach in brutaler Weise durchhauen, sondern ihn zum besten unserer Interessen, die wir hier verfolgen, zu entwirren und wenn möglich zu lösen suchen.«

»Tommy sprechen sehr gut,« warf Young Ironfist lebhaft ein. »Wenn möglich, dann den Streit zu lösen suchen, ohne daß Flinten sprechen.«

»Ja,« fuhr Tommy, noch immer sehr erregt, fort, »wir werden versuchen, die Suppe, die Ihr uns eingebrockt habt, möglichst ohne Flintenknall auszulöffeln. Aber eines sage ich Euch: wenn es Euch beifallen sollte, uns dabei die Kreise zu stören, dann wahrlich, ich schwöre es Euch, dann soll der Pakt, den wir geschlossen, und alle Rücksicht ein Ende haben; dann habt Ihr es nicht nur mit den Roten, sondern auch mit mir zu tun!«

Ben wollte auffahren, aber Tommys Haltung war eine so entschlossene, ja drohende, daß er keine Entgegnung wagte, sondern finster schweigend in seiner Beschäftigung fortfuhr.

Young Ironfist hatte funkelnden Auges daneben gestanden und begab sich dann mit Tommy, als dieser von Ben sich abwandte, nach dem vorderen Teil der Arche.

Dort legten sie sich nun beide hinter die Brüstung, beobachteten das Ufer und tauschten lebhaft ihre Beobachtungen aus.

Immer noch stiegen, bald tiefer im Walde, bald wieder unmittelbar am Ufer, kleinere und größere Scharen Vögel auf, die lebhaft kreischend flüchtig wurden und sich erst wieder in weiterer Entfernung in den Kronen der Bäume niederließen.

Dies galt den beiden Wildstellern als sicheres Zeichen, daß etwas Ungewöhnliches auf der Uferstrecke vorging und daß den Umständen nach nichts anderes als die Anwesenheit der Odschibwä die Ursache sein könne.

Als indessen Viertelstunde auf Viertelstunde verging, ohne daß sie einer Rothaut ansichtig wurden, wurde Tommy ungeduldig. Er rief Ben herbei und erbot sich den beiden anderen gegenüber, das Ufer zu rekognoszieren. Es könnte dies, wenn in der Tat Odschibwä dort sich befänden – so meinte er –, nur von günstiger Wirkung sein, während das ungewöhnliche Verbleiben auf der Arche bei den Rothäuten den Anschein erwecken könnte, als ob es Mangel an Mut und gewissermaßen das Bekenntnis des Schuldbewußtseins in sich schlösse.

Als die beiden anderen keinen Einwand erhoben, sich im Gegenteil zu derselben Ansicht bekannten, nahm Tommy seine doppelläufige Kugelflinte an sich und stieg ins Boot.

Mit langen Ruderschlägen fuhr er dem Ufer zu.

Als er sich demselben auf etwa fünfzig Schritte genähert hatte, gab er sich den Anschein, als ob plötzlich ein Gegenstand in der Tiefe des Wassers seine Aufmerksamkeit erregt habe, und drehte dabei scheinbar ganz unabsichtlich das Kanu so, daß er mit dem Heck und Angesicht voraus dem Lande sich zukehrte.

Langsam schaufelte er sich auf die weitere Entfernung von zwanzig Schritten vor, als mit einem Male zwischen dem Ufergebüsch eine Rothaut auftauchte, die ihm, die Flinte im Anschlag, mit lauter und gebieterischer Stimme zu halten gebot.

Tommy sah auf, tat sehr erstaunt und zog das Ruderblatt aus dem Wasser.

Als der Wilde auch jetzt den Lauf seiner Flinte nicht senkte, sagte der Wildsteller: »Mein roter Bruder sieht einen weißen Mann vor sich, der die Ehre gehabt hat, mit den Häuptlingen und vornehmsten Kriegern des Stammes, dem diese Jagdgründe angehören, die Friedenspfeife zu rauchen und Freundschaftsversicherungen auszutauschen.«

»Blindschleiche, ein Krieger vom Stamme der Odschibwä, weiß das. Gleichwohl mag sich das Bleichgesicht gesagt sein lassen, sich dem Lande nicht weiter zu nähern.«

»Mein roter Bruder führt eine Sprache, die nicht verständlich ist. Die Häuptlinge der Odschibwä haben den Bleichgesichtern, die in der schwimmenden Hütte wohnen, die Erlaubnis erteilt, nach Belieben an den Ufern dieses Sees sich zu ergehen und den Biber zu jagen. Was kann Blindschleiche, ein Krieger der Odschibwä, veranlassen, dieser Erlaubnis entgegen zu handeln?«

»Das Bleichgesicht gibt sich den Anschein, als ob es nicht wisse, daß Dinge vorgegangen sind, welche die Krieger der Odschibwä unter keinen Umständen sich werden gefallen lassen. Mag das Blaßgesicht seine Verstellung kleinen Kindern vormachen, bei ernsten und erfahrenen Kriegern und Männern wird es kein Glück damit haben.«

»Von Verstellung kann keine Rede sein. Mögen auch Dinge vorgefallen sein, welche die Odschibwä nicht billigen können, muß man sich dennoch darüber wundern, daß die Odschibwä den Bleichgesichtern verwehren, die Ufer zu betreten.«

»Sie haben ihre triftigen Gründe und sind den weißen Männern über diese Gründe keine Rechenschaft schuldig.«

»Das ist weniger höflich als deutlich gesprochen und dennoch unbegreiflich. Zugegeben, daß die Odschibwä sich über einen der weißen Männer zu beklagen haben+… hat sich mein roter Bruder noch nicht gesagt, daß sie das Bedürfnis haben könnten, den begangenen Fehler ungeschehen zu machen, die Klage der Odschibwä in Zufriedenheit zu wandeln und daß Blindschleiche aus diesem Grunde den weißen Mann vor sich sieht?«

»Wenn das Bleichgesicht in dieser Absicht das Land zu betreten wünscht, mag es das tun. Es kann den Odschibwä gleichgültig sein, ob sie den weißen Mann bis zum Eintreffen der Häuptlinge in seinem schwimmenden Wigwam oder auf dem Lande gefangen halten.«

Nun war die Sache geklärt, jetzt wußte Tommy, woran er war.

Die Odschibwä hatten also ernstlich vor, Vergeltung zu üben und sich bisher nur noch nicht offen gezeigt, weil ihre Häuptlinge aus irgend einem Grunde am Erscheinen verhindert waren.

Da der Wildsteller natürlich nicht die mindeste Lust verspürte, sich seiner Freiheit zu begeben, entschloß er sich, den Rückzug anzutreten, und sagte: »Dann mag Blindschleiche seinen Häuptlingen vermelden, aus welchem Grunde der weiße Mann hier gewesen ist und ihnen sagen, daß die Biberfänger ihrem Eintreffen mit Interesse entgegensetzen.«

Tommy gab seinem Kanu mit dem Riemen einen mächtigen Ruck und ruderte wieder der Arche zu.

Die Rothaut verschwand im Ufergebüsch.

Als Tommy das Floß erreicht hatte, traten ihm die anderen mit begreiflicher Neugierde entgegen.

»Es ist, wie wir befürchtet haben. Wir müssen uns auf alles gefaßt machen.«

»Was haben sprechen, der rote Mann?«

»Nicht viel, aber gerade genug, um uns wissen zu lassen, woran wir sind. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß es uns gelingen wird, Blutvergießen zu vermeiden, doch gebietet uns die Vorsicht, daß wir uns ungesäumt in den bestmöglichsten Verteidigungszustand setzen.«

Tommy schilderte den Inhalt der kurzen Unterredung und nun verflog auch bei Ben der letzte Rest von Vertrauensseligkeit; er mußte sich nachgerade doch sagen, daß die Sache schließlich eine sehr ernste werden konnte.

Es wurde sofort ein Kriegsrat abgehalten, wobei die Männer übereinkamen, zunächst die Arche etwas weiter hinaus in den See zu verlegen. Da der Wind gerade günstig stand, wurde ohne Verzug der Anker gehoben und fast unmerklich glitt das schwere Fahrzeug dem offenen Wasser zu. Mehrere Stücke Treibholz, denen sich die Arche auf ihrer Fahrt näherte, wurden von Tommy aufgefischt und an dem Flosse beigelegt.

Dann holten sie ein Fäßchen mit Pulver hervor, eine größere Anzahl Patronen anzufertigen. Ein halbes Dutzend Kienfackeln, die sie vordem schon in freien Abendstunden aus gesammeltem Fichtenharz hergestellt hatten, wurde sorglich auf ihre Beschaffenheit untersucht und bereit gelegt.

Mittlerweile war die Arche eine beträchtliche Strecke in den See hinaus geglitten, so daß die Bucht, die sie verlassen hatten, in der Entfernung von mehr als hundertfünfzig Meter hinter ihnen lag. Das Floß war jetzt auf Büchsenschußweite nach allen Seiten frei, was unter Umständen manchen Vorteil bieten konnte.

Young Ironfist, der ein sehr geschickter Angler war, hatte inzwischen mehrere Angelschnüre ausgeworfen, dem vorhandenen Mundvorrat durch einen kleinen Fischzug aufzuhelfen, wobei er sich die Beobachtung des gegenüberliegenden Ufers nicht minder angelegen sein ließ.

Eben war er dabei einem prächtigen Schwarzbarsch das Lebenslicht auszublasen, als er mitten in der Arbeit innehielt und rief: »Nun kommen – nun bald wissen, wie Odschibwä Vergeltung zu üben gedenken.«

Die beiden anderen, die sich am entgegengesetzten Ende der Arche befanden, kamen eilends um die Hütte herum gelaufen.

Mit einem Schlage waren entlang dem Ufer mindestens hundert Rothäute sichtbar geworden. Ziemlich nahe dem Punkte, an dem Tommy mehrere Stunden zuvor zu landen versucht hatte, traten soeben mehrere hochgewachsene Gestalten aus dem Walde, die ein Kanu auf den verschränkten Armen trugen, das sie geschickt zu Wasser brachten. Alsbald stiegen zwei Riemenleute und noch ein dritter Mann in das Fahrzeug.

Tommy hatte sofort sein Taschenfernrohr hervorgezogen, die Rothäute einer genauen Musterung zu unterwerfen.

»Die Sache verspricht ja recht nett zu werden,« bemerkte er etwas grimmigen Tones, als er das Glas mehrere Male die Uferstrecke hatte entlang gleiten lassen. »Wenn nicht alles trügt, haben die Gentlemens große Toilette angelegt, was auf eine wenig versöhnliche Stimmung schließen läßt.«

»Das schlimm, das sehr schlimm,« echote Young Ironfist, der mit seinen scharfen Augen diese Tatsache auch ohne Glas schon beobachtet hatte. »Odschibwä sehr wenig ihre Farbentöpfe schonen; Odschibwä sich für großen Kriegspfad vorbereiten; das sehr schlimm, wenn für Bleichgesichter gelten.«

Mittlerweile hatten die roten Männer das Boot vom Ufer abgestoßen und hielten in gemessener ruhiger Fahrt geradenwegs auf die Arche.

Bald war das Kanu so weit herangekommen, daß man das Aussehen der Wilden in allen seinen Einzelheiten unterscheiden konnte. Die roten Männer boten in ihrer grauenvollen Bemalung und in vollen Waffen einen wirklich kriegerischen und schreckenerregenden Anblick dar, der keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, daß sie in feindlicher Absicht kamen und gewillt waren, blutige Vergeltung zu üben.

Als das Kanu nur noch wenige Bootlängen von der Arche entfernt war, drehten die Riemenleute auf und legten es langseit.

Eine mit der Kopfzierde des Häuptlings geschmückte, noch jugendliche Rothaut, die zwischen den beiden Ruderleuten saß, erhob sich.

Das Antlitz des Kriegers war finster und kalt, seine Sprache kurz und scharf.

Er erklärte: »Rotfuchs, der Häuptling der Odschibwä, ist gekommen, an die Bleichgesichter eine Forderung zu stellen.«

Tommy, der an den äußersten Rand des Floßes getreten war, lehnte sich lässig über die Brüstung und antwortete höflich und gelassen: »Die weißen Männer sind bereit, die Wünsche des Häuptlings anzuhören. Sie laden ihn ein, in ihre Hütte zu kommen und an ihrem Feuer Platz zu nehmen. Sie werden ihn dort willkommen heißen und sich diesen Besuch zu einer großen Ehre anrechnen.«

Der Häuptling machte ein Zeichen des Unwillens. Er entgegnete: »Sind die weißen Männer Kinder, daß sie nicht verschmähen, eine Sprache zu führen, die man nur eine heuchlerische nennen kann? Oder geschehen die Dinge für sie nur, um sie nach Kinderart ebenso schnell wieder zu vergessen? Sie müßten sonst doch wissen, was vorgefallen ist.«

»Die weißen Männer sind weder Kinder, noch leiden sie an Gedächtnisschwäche. Sie wissen sehr gut, daß sie vor wenigen Monden erst mit den Odschibwä die Friedenspfeife geraucht und Freundschaftsversicherungen ausgetauscht haben. Nach der Sprache, die der Häuptling im Munde führt, will es fast scheinen, daß diese Tatsache bei den Odschibwä in Vergessenheit geraten ist.«

»Das Blaßgesicht scheint eine besondere Gabe zu besitzen, Worte, deren Sinn klar und unverkennbar ist, dennoch in das Gegenteil zu wandeln. Die Odschibwä haben keineswegs vergessen, daß sie die weißen Männer ihre Freunde nennen durften; sie wissen jetzt aber auch, daß sie ihre Freundschaft an Unwürdige verschwendet haben.«

Tommy Hawking entgegnete: »Der Häuptling der Odschibwä hätte es sich doch zweimal überlegen sollen, solch schwerwiegende Worte in den Mund zu nehmen. Die weißen Männer, die von jeher gewohnt sind, an einem einmal gegebenen Versprechen festzuhalten, erfreuen sich eines reines Gewissens. Um nicht unhöflich zu werden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den erhobenen Vorwurf zunächst mit aller Gelassenheit zu übergehen. Sie sind überzeugt, daß es sich doch nur um Dinge handeln kann, die nicht viel mehr als eine vorübergehende Störung bedeuten, oder ein Mißverständnis in sich schließen.«

»Der weiße Mann nennt es ein unbedeutendes Mißverständnis, wenn die Kriegerehre der Odschibwä mit Füßen getreten wird? wenn eines der Blaßgesichter einen Wehrlosen überfällt und fast zu Tode prügelt?«

»Ja insofern ein Mißverständnis, als das Blaßgesicht, das einen roten Mann prügelte, nicht wissen konnte, daß es einen Krieger vom Stamme der Odschibwä vor sich hatte. Wie konnte es sich sagen, daß Männer, die ihnen in Freundschaft zugetan und zu jeder Stunde willkommen sind, die Ufer dieses Sees beschleichen, die schwimmende Hütte der Bleichgesichter heimlich beschnüffeln und sich dann wie eine diebische Katze, die den Vogel aus dem Neste holen will, aber des Jägers Flinte gewittert hat, heimlich wieder aus dem Staube machen? Wenn Rotfuchs, der Häuptling der Odschibwä, gerecht ist, dann muß er zugeben, daß in erster Linie dem roten Manne die Schuld an dem beklagenswerten Vorgänge zuzuschreiben ist. Was würden die Krieger der Odschibwä dazu sagen, wenn es den weißen Männern beifallen sollte, die Wigwams ihrer Freunde heimlich zu beschleichen und dann, wenn die Bleichgesichter erspäht haben, daß die roten Krieger abwesend sind, in deren Hütten einzudringen? Die Krieger der Odschibwä würden sich darüber sehr entrüsten und sagen, daß sie Männern, denen der Weg zu ihnen offen steht, die sich aber dennoch der Schleichwege bedienen, niemals ihr Vertrauen schenken können.«

»Rotfuchs muß zugeben, daß das, was das Bleichgesicht sagt, etwas für sich hat. Doch ist damit noch lange nichts bewiesen und der Vorwurf, den die Odschibwä wider die weißen Männer erheben müssen, keineswegs entkräftigt. Man wird der Wahrheit niemals mit leeren Worten, sondern nur dann beikommen, wenn man den Dingen auf den Grund sieht. Das Blaßgesicht würde überhaupt gut tun, seine schönen Worte nicht jetzt schon alle zu verschwenden, täte vielmehr weit besser, sparsam damit umzugehen, denn es wird dieselben später vielleicht noch sehr nötig haben.«

»Der Häuptling der Odschibwä spricht in Rätseln. Wenn er wünscht, daß die weißen Männer seine letzte Andeutung verstehen, dürfte es angezeigt sein, daß er sich etwas deutlicher ausdrückt.«

»Sie werden die Worte verstehen, wenn Rotfuchs im Auftrag der Odschibwä die Forderung stellt, daß die weißen Männer ihre Messer und Flinten abliefern und sich in das Lager der Odschibwä begeben. Man wird ihnen vorläufig nichts zu leid tun, sondern sie nur zu Gefangenen machen. Die Odschibwä werden das große Ratsfeuer entzünden und Gericht über sie halten. Die Bleichgesichter werden dann Gelegenheit haben, ihren wohlgesetzten Reden Geltung zu verschaffen.«

Tommy, der nichts anderes erwartet haben mochte, nahm diese Aufforderung mit der größten Gelassenheit entgegen. Er beobachtete eine kurze Weile den lauernden Blick des Häuptlings und lächelte sogar ein wenig, indem er sagte: »Die Odschibwä müssen die weißen Männer in der Tat für sehr kindliche Geschöpfe halten. Was ist ein Krieger der Odschibwä ohne sein Schießgerät, was ohne sein Kriegsbeil und ohne das Messer, das er in seinem Gürtel trägt? Das hat der rote Mann, der Anlaß zu diesem Zwist gegeben, sattsam bewiesen. Hätte er seinen Bogen mit den Pfeilen, seine Lanze oder sein Kriegsbeil nicht in ein Versteck gelegt, wie er es wahrscheinlich getan hat, wäre ihm kaum jemals das Ungemach widerfahren, durchgeprügelt zu werden. Er hätte es nicht nötig gehabt, in der Flucht sein Heil zu suchen und wäre dann auch nicht in die eiserne Hand getreten. Die weißen Männer werden niemals so unklug sein, wie dieser Krieger, sie werden sich niemals solchen Gefahren aussetzen.«

»Das soll also heißen, daß die weißen Männer sich weigern, ihre Flinten auszuliefern, sich weigern, sich gefangen zu geben, bis der Große Rat gesprochen hat?«

»Das soll heißen, daß die weißen Männer es ablehnen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Mögen die Odschibwä immerhin den Großen Rat zusammenberufen, aber nicht, wie sich denken läßt, zu dem sattsam bekannten Zweck, die weißen Männer von vornherein als die einzig Schuldigen zu betrachten und den Stab über sie zu brechen. Mögen die Odschibwä vielmehr darüber beraten, ob sich nicht ein anderer Weg zu einem beiderseits befriedigenden Ausgleich finden läßt. Mag Rotfuchs den im Rate Versammelten berichten, was er hier vernommen hat, und hinzufügen, daß die weißen Männer die Zufriedenstellung des beleidigten Kriegers ausdrücklich wünschen und daher zu jeder annehmbaren Genugtuung bereit sind. Mag er den Kriegern und Vornehmsten seines Stammes die Versicherung überbringen, daß die weißen Männer den Vorgang, der Anlaß zu diesem Zwist gegeben hat, und den drohenden Bruch der Freundschaft aufs tiefste beklagen und daß sie in aufrichtig freundschaftlicher Gesinnung alles zu tun bereit sind, diesen Bruch hintan zu halten.«

Der Häuptling hatte diese Erklärung anfänglich mit steigenden Unmutsbezeigungen angehört, dann aber gewaltsam sich zur Ruhe gezwungen.

Als Tommy geendet hatte, schien er sich zu einer heftigen Erwiderung anzuschicken, ließ sich aber, als ob er einer plötzlichen Eingebung folge, auf die Ruderbank nieder.

Ohne auf einen Befehl zu warten, senkten die beiden Ruderleute ihre Riemenblätter in das Wasser; sie drehten den Bug des Kanus der Landseite zu.

Ohne daß der Häuptling die Weißen eines weiteren Blickes gewürdigt hätte, schoß das Fahrzeug von dannen.


Mehrere Stunden waren verstrichen, die Sonne begann sich schon stark dem Westen zuzuneigen. Tommy stand, das Fernglas vor dem Auge, hinter der Floßbrüstung. Er beobachtete, seit der Häuptling sich entfernt hatte, unausgesetzt die Uferstrecke und schien mit sich recht zufrieden.

Wußte man auch nicht, was die nächsten Stunden brachten, durfte er doch annehmen, daß die Art, wie er den ersten Angriff abwehrte – vorausgesetzt, daß der junge Häuptling vor dem Großen Rate einen wahrheitsgetreuen Bericht erstattete – auf die Odschibwä nicht ohne jeden Eindruck bleiben werde.

Sehr beruhigt hatte ihn, daß Young Ironfist, als die Odschibwä wieder dem Ufer zusteuerten, sofort auf ihn zugeeilt war, ihn zu seiner Entgegnung zu beglückwünschen.

»Tommy das sehr gut machen, das Spieß umdrehen und Vorwürfe gegen Odschibwä erheben. Dieses jetzt viele und lange Reden im Großen Rat hervorrufen und damit Zeit gewinnen; und wenn Zeit gewinnen, dann schon etwas gewinnen.«

»Was aus deinen Worten gefolgert werden kann, ist mir noch nicht recht klar,« entgegnete Tommy. »Es wird, denke ich, ganz darauf ankommen, ob die Odschibwä über die Ablehnung ihrer Forderung nicht sehr erbost sein und darum erst recht starrköpfig auf ihr beharren werden.«

»Young Ironfist das nicht glauben. Jetzt haben sehr viel zu besprechen und zu erwägen und darüber manche Zeit vergehen. Je mehr aber Zeit vorüber gehen, umso besser, dann leichter der erste Zorn verrauchen. Dann, wenn nicht mehr großen Zorn haben, eher Klugheit walten lassen und auf Unterhandlungen eingehen.«

»Nach deiner Ansicht wäre es also geraten, daß wir sie auch mit ihrer nächsten Forderung – laute sie wie sie wolle – heimschicken, um so mehr und mehr die Besonnenheit herbeizuführen, um endlich einen beiderseits gangbaren Weg zu bahnen.«

»Vielleicht sehr richtig. Erst abwarten, was Odschibwä nach dem Großen Rate sagen werden. Die Forderung, die sie stellen, jedenfalls immer größer sein, als das, was sie zu erhalten wünschen. Darum Klugheit walten lassen und von den Forderungen immer so viel als möglich abhandeln, oder, wenn möglich, Gegenforderungen stellen. Der rote Mann sehr viel und gerne erwägen und beratschlagen; ihn das gar nicht verdrießen, wenn Unterhandlung auch viele Tage dauern. Bedenken, daß weiße Männer damit gar nichts verlieren, daß sie aber während dieser Zeit doch vielleicht einen guten Ausweg finden.«

Das besagte nun zwar im großen ganzen nicht viel, war aber doch keineswegs von der Hand zu weisen.

Auch der lange Ben, der anfangs, als die beiden anderen ihm tüchtig den Text gelesen hatten, zwar überall bereitwillig mit Hand anlegte, aber doch recht mürrisch war, schien mittlerweile anderen Sinnes geworden zu sein, ja er wurde sogar gesprächig. Ihm hatte die Zusicherung Tommys, daß man den durchgeprügelten Mann auf irgend eine Weise zufrieden zu stellen bereit sei, am besten gefallen. Das, meinte er, wäre sehr wohl geeignet, die Habgier zu reizen, von der die roten Teufel alle besessen seien. Dies würde am ehesten noch dahin führen, Blutvergießen zu vermeiden und, wenn auch nicht die alte vielgepriesene Freundschaft herzustellen, so doch wieder ein erträgliches Einvernehmen herbeizuführen. Auf eine alte Flinte aus dem Vorrat, die möglichst um die Ecke schösse, käme es nicht an; er wolle, um die Kameraden nicht nochmals ins Mitleid zu ziehen, die Kosten gerne tragen. Freilich stände zu erwarten, daß man das Bettelvolk dann nie wieder los würde, und daß sich alle Tage einer der Roten einfände, um sich durchprügeln zu lassen.

Young Ironfist war über diese Einschätzung der roten Leute sehr empört. Es bedurfte der ganzen Überredungskunst Tommys, um die ehemalige Rothaut zu überzeugen, daß Ben das keineswegs im Ernste, sondern nur im Scherze gesagt habe.

Tommy stand noch immer, das Fernglas vor dem Auge.

Mit einem Male fuhr er auf, rief die beiden anderen zu sich und deutete nach dem Ufer hinüber.

Dort war ein großer Haufen Rothäute sichtbar geworden, die mehrere Kanus trugen und zu Wasser brachten.

»Das sieht wenig versöhnlich aus,« sagte etwas gedehnt Tommy Hawking. »Mir will scheinen, die Sache wird jetzt wirklich brenzlich. Wo sie die Boote nur alle her haben?«

»Das Young Ironfist keineswegs überraschen,« versetzte dieser. »Rote Leute an allen ihren Flüssen und Seen ihres Jagdgrundes Kanus besitzen, die sie in den hohlen Bäumen verbergen. Und wenn nicht haben, dann in wenigen Stunden ein Kanu aus der Rinde eines Baumes herstellen.«

Weitere Rothäute traten aus dem Walde. Binnen wenigen Minuten wimmelte es von solchen weithin am Ufer.

Da wurde eines der Boote von drei Männern bestiegen, die vom Ufer abstießen und dann mit raschem Ruderschlage der Arche zufuhren.

Bald erkannten die Wildsteller, daß derselbe junge Häuptling ihrer schwimmenden Hütte sich näherte.

Wie zuvor legten die Riemenleute das Kanu langseitig vor das Floß. Der Häuptling erhob sich ernst und mit vieler Würde von seinem Sitze und sagte: »Die Odschibwä haben das Ratsfeuer entzündet und die geheiligte Pfeife geraucht. Sie haben die Entgegnung der weißen Männer sorgfältig erwogen und sind nach reiflicher Beratschlagung zu einem anderen Entschlüsse gekommen.«

Tommy entgegnete: »Die weißen Männer hören das mit großem Vergnügen. Sie wollen nur wünschen, daß die Erwägungen, welche die Odschibwä gepflogen haben und die Resultate, zu denen sie gelangten, gerechte und billige sind.«

»Die Odschibwä handeln stets gerecht und billig. Wenn die Bleichgesichter nicht diese Ansicht haben, so kann der Fehler nur an ihnen selber liegen.«

Tommy war zu höflich und ließ sich auch zu sehr von der Vorsicht leiten, um hieraus zu entgegnen.

Als keine Einrede erfolgte, fuhr der Häuptling zu sprechen fort: »Der Große Rat ist zum Vorteil der weißen Männer der Überzeugung, daß sie die Wahrheit gesprochen haben, wenn sie sagen, daß sie die Freundschaft der Odschibwä nicht zu verscherzen gewillt sind. Die Odschibwä gehen von der Ansicht aus, daß es ihrer unzählige, der weißen Männer aber nur sehr wenige sind. Wenn es in dem Willen der Odschibwä liegt, die Bleichgesichter zu Gefangenen zu machen, so brauchen sie dieselben nur von ihrer schwimmenden Hütte herunter zu holen; die weißen Männer werden einer solchen Übermacht trotz ihrer Todesflinten nicht widerstehen können. Da die weißen Männer dies befürchten müssen, muß ihnen daran liegen, daß die Odschibwä nicht ihre Feinde sind.«

Tommy entgegnete: »Die weißen Männer freuen sich, daß die Odschibwä diese Überzeugung gewonnen haben, wenn sie auch durch sehr eigentümliche Schlußfolgerungen zu dieser Ansicht gelangt sind. Denn nicht die Furcht ist es, sondern die Liebe von Mensch zu Mensch, noch gestützt auf das ausgetauschte Manneswort, welches sie wünschen lassen muß, daß das alte Freundschaftsverhältnis ungetrübt erhalten bleibe.«

»Die Krieger der Odschibwä werden also den beiden weißen Männern, die an der Züchtigung des roten Mannes keinen Anteil haben, nichts in den Weg legen. Sie sollen wie zuvor in ihrem schwimmenden Wigwam wohnen und auch fernerhin in den Flüssen den Biber jagen. Diese beiden Bleichgesichter sollen aber ebenso gerecht sein wie die Odschibwä und werden dann zugeben müssen, daß das dritte Blaßgesicht sich einer Handlung schuldig gemacht hat, der unter allen Umständen eine Sühne folgen muß.«

»Die weißen Männer müssen anerkennen, daß die Odschibwä sich in ihrer Beschlußfassung in der Tat von Gerechtigkeitsgefühl haben leiten lassen. Der Häuptling wolle sich erinnern, daß die weißen Männer selbst schon erklärt haben, gerne bereit zu sein, die Beleidigung, die der rote Mann als eine Schmach empfindet, ungeschehen zu machen. Die Odschibwä mögen vorschlagen, auf welche Weise das geschehen soll oder geschehen kann.«

»Die Odschibwä haben hierüber noch keinen endgültigen Beschluß gefaßt. Es wird das noch von weiteren Verhandlungen und Beratungen abhängen. Jedenfalls aber sollen die weißen Männer das schuldige Bleichgesicht den Odschibwä ausliefern, daß sie in der Lage sind, die Vergeltung an ihm üben zu können.«

»Kann der Häuptling sagen, worin diese Vergeltung voraussichtlich bestehen würde?«

»Es wird darauf ankommen, welche Schwere die Mehrzahl der Odschibwä seiner Handlungsweise unter den Umständen, die dabei obgewaltet haben, beimessen. Das Bleichgesicht kann vielleicht den Martertod erleiden, oder aber wird es um sein Leben kämpfen müssen.«

»Das eine wie das andere wäre in der Tat höchst unverdient. Würde das Bleichgesicht etwa mit dem roten Manne zu kämpfen haben, dem es die Schläge verabreicht hat?«

»Niemals wird es jenem roten Manne möglich sein, die Schmach, die ihm angetan wurde, selbst zu tilgen. Es würde daher irgend einem anderen Krieger der Odschibwä obliegen, die Kriegerehre des Gezüchtigten wieder herzustellen. Jener rote Mann wäre auch gar nicht in der Lage zu kämpfen, weil er durch die eiserne Hand, in die er geraten ist, in einer Weise verletzt wurde, daß er nicht im vollen Besitze seiner Geschicklichkeit und Kraft sich befindet.«

»Will der Häuptling uns wissen lassen, ob die weißen Männer bei der Wahl des Gegners mitzusprechen haben werden, oder ob etwa das Bleichgesicht den Gegner aus den Reihen der Odschibwä selbst wählen darf?«

»Weder das eine, noch das andere, denn das wäre ungerecht, weil die weißen Männer, um sich den Sieg zu sichern, den kleinsten und schwächsten roten Mann heraussuchen würden. Die Häuptlinge der Odschibwä werden vielmehr eine Aufforderung ergehen lassen, worauf sich sehr viele der kräftigsten Krieger freiwillig melden werden, weil alle Odschibwä für ihren Bruder einzutreten wünschen, da sie sich selbst auch aufs tiefste beleidigt fühlen.«

»Und aus diesen Männern würden die Häuptlinge, um das Schicksal des weißen Mannes von vornherein zu besiegeln, den stärksten und gewandtesten Mann auswählen? – Das wäre ebensowenig gerecht.«

»Doch das ist gerecht. Die weißen Männer müssen bedenken, daß die Odschibwä die Beleidigten sind, und daß es daher keineswegs ungerecht zu nennen ist, wenn ihnen etwa ein kleiner Vorteil zukäme.«

»Das ist eine höchst seltsame, mit der Gerechtigkeit schwer zu vereinbarende Anschauung. Indessen, gesetzt der Fall, daß die weißen Männer auf die Forderung der Odschibwä eingehen, auf welche Art und mit welchen Waffen soll gekämpft werden?«

»Das werden die Häuptlinge der Odschibwä erst bestimmen, wenn die freiwilligen Krieger zum Kampfe sich gemeldet haben.«

»Und welche Bestimmungen sollen für den Ausgang des Kampfes maßgebend sein?«

»Daß dem Sieger das Recht zusteht, den Besiegten zu töten und sich seinen sämtlichen Besitz anzueignen. Das schuldtragende Bleichgesicht wird daher, ehe es sich in den Kampf begibt, seine sämtlichen Waffen und vor allem seine Flinte abzugeben haben.«

Tommy entgegnete: »Aus allem, was der Häuptling bis jetzt gesagt hat, geht hervor, daß die Odschibwä nur auf ihren Vorteil bedacht sind. Die weißen Männer sind es gewöhnt, daß bei einem Zweikampfe die Vorteile und Nachteile nach Möglichkeit gleichmäßig verteilt werden. Die Kraft, Tapferkeit und Geschicklichkeit mag den Kampf dann zum Austrag bringen. Sie sind ferner der Ansicht, daß der Zweikampf an sich schon eine Sühne darstellt, und daß es grausam ist, dem Sieger, der den Besiegten voraussichtlich zuvor schon mehr oder weniger schwer verwundet hat, das Recht zu geben, ihn vollends zu töten. Mag der Häuptling daher dem Großen Rat der Odschibwä berichten, daß die weißen Männer nach wie vor wünschen, den Streitfall in jeder annehmbaren Weise beizulegen, daß sie sich aber nicht entschließen können, ihren weißen Bruder unter Umständen, die alle Möglichkeiten zu seinen Ungunsten zulassen, herauszugeben. Mögen die Odschibwä gerecht sein und sich gegenwärtig halten, daß sie unter gleichen Verhältnissen ganz das Gleiche tun werden. Was würden die Odschibwä dazu sagen, wenn man von ihnen forderte, einen ihrer Krieger an ein fremdes Volk auszuliefern und ruhig zuzusehen, wie er dem sicheren Tode geweiht wird? Sie würden sich niemals dazu entschließen, lieber den Kriegspfad betreten, warum, weil sie sich untereinander lieben, weil sie Mann für Mann einer für den anderen einstehen. Auch die weißen Männer lieben sich untereinander und würden es für eine Schmach halten, um des eigenen Vorteils willen einen Dritten preiszugeben. Die Odschibwä haben bewiesen, daß sie klug und weise sind; sie mögen sich besinnen, sie werden, ohne ihrer Kriegerehre Abbruch zu tun, sicherlich einen anderen annehmbaren Ausweg finden.«

Der Häuptling blickte geraume Weile vor sich nieder. Man sah es ihm an, daß er auf diese Entgegnung nicht gefaßt gewesen war. Er mochte dem Wildsteller, insbesondere hinsichtlich des zuletzt gemachten Vorhaltes, nicht unrecht geben, mußte sich aber hüten, ihm offen beizupflichten. Endlich sagte er: »Die beiden Bleichgesichter mögen ihre Grundsätze haben und man kann es nur gut heißen, wenn sie dieselben befolgen. Aber sie handeln gleichwohl sehr unklug, wenn sie das Entgegenkommen der Odschibwä zurückweisen und ihre Freundschaft aufs neue verscherzen. Sie mögen bedenken, daß sie ihre Freiheit erhalten haben, daß es aber, wenn sie das schuldige Bleichgesicht nicht ausliefern, auch für sie schwere Folgen haben kann.«

»Die weißen Männer sind es gewohnt und wissen es nicht anders, als die Folgen ihrer Handlungsweise zu tragen. Sie werden diese Folgen in dem vorliegenden Falle umso leichter auf sich nehmen, als sie sich sagen dürfen, daß sie ehrlich und männlich gehandelt haben. Mag der Häuptling den Kriegern und Vornehmsten seines Stammes berichten, daß die beiden Bleichgesichter lieber die Freundschaft als die Achtung der Odschibwä verlieren. Oder, so muß man fragen, würden die Krieger der Odschibwä, dann, wenn ihr Zorn verraucht ist, wenn sie wieder nüchtern und klar sehen, sich nicht mit Abscheu von den weißen Männern wenden müssen und mit Fingern auf sie weisen, wenn sie ihnen nachsagen könnten, daß sie ihren eigenen Bruder und Gefährten im Stiche gelassen haben? Würden sie nicht mit vollem Recht sagen, diese Männer sind es nicht wert, mit unserer Freundschaft beschenkt zu werden, denn sie haben sogar einen der Ihren verraten und aus diesem Grunde kann ihnen überhaupt kein Vertrauen entgegengebracht werden?«

Wieder sah der Häuptling geraume Weile schweigend vor sich nieder, richtete sich dann plötzlich zu seiner vollen Höhe auf und fragte: »Haben die Bleichgesichter ihrer Erklärung sonst noch etwas hinzuzufügen?«

Als Tommy dies verneinte, genügte ein kurzer Wink der Rothaut, daß das Kanu von den beiden Riemenleuten sofort aufgedreht wurde und unter ihren kräftigen Ruderschlägen davonschoß.


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