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Wieder eine Rothaut

Am anderen Morgen gab es in Losantiville, besonders für die Jugend, viel Aufregendes, etwas noch nie Dagewesenes.

Eine Menge Menschen strömte hinaus auf eine am Ende der Hauptstraße gelegene Wiese, wo über Nacht ein volles Dutzend riesiger Reisewagen sich eingestellt hatte.

Schon in aller Frühe waren die Bewohner dieser Wagen auf den Beinen gewesen, geschäftig allerlei Gerätschaften und Requisiten den rollenden Behausungen zu entnehmen, um mit einer Geschwindigkeit, die fast an Hexerei grenzte, mehrere kleine Zelte und ein riesengroßes Leinwandgebäude zu errichten.

Sämtliche Diener und Wagenlenker der »Troup Warrington«, im ganzen über zwei Dutzend Männer, waren, in mehrere Abteilungen geteilt, an die Arbeit gegangen, deren jede mit bewundernswerter Fixigkeit den Anordnungen eines Führers folgte und eine bestimmte Tätigkeit verrichtete. Die einen handhabten die Meßstange, andere schlugen zahlreiche Pflöcke in die Erde, wieder welche errichteten ein Balkengerüst. Jeder Pflock, jede Stange, jedes Seil wurde mit der größten Pünktlichkeit an der richtigen Stelle und zur rechten Zeit geschlagen, gezogen und aufgerichtet, worauf zuletzt die wasserdichte Leinwand faltenlos darüber gelegt wurde.

Lange vor Mittag waren die luftigen Gebäude fix und fertig.

Das Hauptzelt enthielt eine riesengroße, kreisrunde Manege, um welche amphitheatralisch aufsteigende Sitzreihen ausgebaut lagen. Nach hinten zu waren diese Sitzreihen durch einen ziemlich breiten Ausgang unterbrochen, der nach einem dahinter liegenden Garderobezelte, nach den Stallungen und Requisitenräumen führte.

Die Vorderseite des Hauptbaues war durch eine aus ziemlicher Höhe glatt niederfallende Leinwand und durch eine Estrade, zu der mehrere Stufen emporführten, verkleidet worden. Rechts und links prangten einige bunte Riesenbilder, eine wilde Jagd vorstellend, mehrere Pferdegestalten und sonstige Tiere der Wildnis, die von phantastisch gekleideten Menschen aller Rassengattungen geritten oder gebändigt wurden.

Auf der Estrade hatte in einem weißen, schneeigen Kleide, das ihre Körperfülle noch größer erscheinen ließ. Miß Baker Platz genommen. Sie beschäftigte sich tändelnd mit dem Inhalte einer Kassette, um dann und wann freundlich aufzusehen und der gaffenden Menschenmenge holdselig zuzunicken.

Die meiste Anziehungskraft schienen indessen ein Affe und mehrere Papageien auszuüben, die über der Estrade je in einigen Holzringen lustig sich schaukelten.

» Good day, Gentleman« – » good day, my ladies!« schrieen die buntgefiederten Vögel dabei unausgesetzt ins Publikum.

» They are very fine, my ladies!« (Sie sind sehr schön, meine Damen!) fügte ein gelber Kakadu unfehlbar hinzu, während ein zungengewandter grüner Vogel mit roter Haube von Zeit zu Zeit » Come in – come in, Sir!« (Herein, herein, mein Herr!) – » You are heartily welcome!« (Sie sind herzlich willkommen!) mit schnarrender Stimme in die Menschenmenge rief, was regelmäßig einen Lachsturm zur Folge hatte.

Während man sich hier durch die drolligen Vögel in die heiterste Stimmung versetzen ließ, war man in den kleineren Zelten hinter dem Hauptbau ernsteren Dingen zugewendet.

Hier begannen die »Spezialitäten« ihre Garderobe auszukramen und – sie waren wochenlang auf der Reise gewesen – die Gelenkigkeit ihrer Glieder zu erproben. Hier trafen nach und nach alle Männer ein, die den Zeltbau ausgeführt hatten, um je nach ihrer Eignung als Musiker oder Statisten Musikinstrumente oder phantastische Kostüme zu empfangen. Sie waren neben ihrem Amte als Rosselenker und Zelterbauer auch berufen, an den Vorstellungen tätigen Anteil zu nehmen, und sollten zunächst unter Paukenwirbel und Trompetenschall einen pomphaften Umzug durch die Stadt veranstalten.

Da erfuhr die rührige Tätigkeit des geschäftigen Völkchens eine jähe Unterbrechung.

Unversehens war der Eingang des Direktorzeltes geöffnet worden. Hervor trat James Warrington, gefolgt von der kriegerischen Gestalt eines Indianerhäuptlings. Die Brust des roten Mannes war nackt, Gesicht und Oberkörper mit grellen Farben bestrichen. Die Beine steckten in fransenbesetzten Pantalons, die Füße in kostbar gewobenen, mit Pelzstreifen umsäumten Mokassins. Um die Lenden hatte er einen Gürtel aus Otterfellen gewunden, aus dem der Griff des Kriegsbeiles und eines Jagdmessers hervorblitzten. Um den Hals trug er eine Kette von Muscheln, Münzen und Glasperlen. Der Hauptschmuck aber war der bunte, fast überreiche Federhut, der auf dem Scheitel des pechschwarzen Haares eine imponierende Krone bildete und von dort tief über den Rücken niederfiel.

»Gentlemen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen einen schätzenswerten Kollegen, eine neugewonnene ›Spezialität‹ vorstelle,« begann der Direktor. »Sie werden in dieser Rothaut den Fremden von gestern, der uns mit seinem lahmen Gaul die größte Bewunderung abnötigte, kaum wiedererkennen. Sie sehen, was der Farbentopf und die Garderobe der ›Troup Warrington‹ zuwege zu bringen vermag. Young Ironfist ist von diesem Augenblicke an nicht mehr der Präriereiter von gestern, sondern der ›Weiße Mustang‹, Häuptling der Pe-ta-ha-vah-da-Indianer. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß die Kunst James Warringtons und dieses roten Mannes, aus einem Bleichgesicht diesen stolzen Indianerhäuptling gemacht zu haben, ein für allemal als ein tiefes Geschäftsgeheimnis der Truppe zu betrachten und peinlich zu bewahren ist. Um Ihnen einen Begriff von der Leistungsfähigkeit des neuen Kollegen zu geben und Ihnen einen Teil derjenigen Achtung und des Ansehens jetzt schon einzuflößen, die er sich beim Publikum unzweifelhaft erringen wird, bitte ich Sie alle, mir für kurze Zeit in den Exerciseroom zu folgen.«

Mit dem höchsten Erstaunen und dem größten Interesse hatten der Magier, Little Fred und Little Wood, die beiden Clowns und die übrigen Stars, Musikanten und Statisten die imponierende Erscheinung der wilden Rothaut angestarrt und die Worte des Direktors vernommen. Der Einladung folgend, drängten sich alle hinter den beiden her, die in einen uneingedeckten, ziemlich großen von Leinwand umschlossenen Raum eingetreten waren, in dem die Künstler dann, wenn die Manege nicht benützt werden konnte, ihre Übungen abzuhalten und die Dressur einzelner Tiere vorzunehmen pflegten.

An dem einen Ende dieses Raumes war ein mannshoher, ziemlich starker Pfahl eingerammt worden, in dessen Mitte an einem Bindfaden ein Apfel so niederhing, daß er an dem Pfosten festlehnte.

Auf ein Zeichen des Direktors stellte sich der »Weiße Mustang« etwa zwölf Schritte weit vom Pfahl auf, die Beine gespreizt, das Kriegsbeil in der niederhängenden Hand, die Schneide gegen die Erde gekehrt.

Ein rasches, wuchtiges, mehrmaliges Schwingen um den Kopf, die Waffe sauste mit einem scharfen Zischlaut durch die Luft, der Tomahawk haftete in dem Pfahle – der Apfel war mitten entzwei geschnitten.

Ein einziges lautes »Bravo! – Very well done!« aus mehr als zwanzig Kehlen und alle Stars traten auf den neuen Kollegen zu, ihm anerkennenderweise die Hand zu drücken.

Der »Weiße Mustang« war mit seinem Wurfe aber noch nicht zufrieden. Er ging zu dem Pfahl, nahm die hängen gebliebene Apfelhälfte an sich und zerstückelte sie so, daß nicht mehr als eine Walnußgroße davon übrig blieb. Diesen Rest befestigte er wieder an dem Holze.

Stolz erhobenen Hauptes, ganz mit der gemessenen Würde der Rothaut, ging er zurück und wählte diesmal den Standpunkt in der Entfernung von mindestens fünfzehn Schritten.

Wieder ein Schwingen des Beiles, im letzten Augenblick eine drehende Bewegung der Faust – hoch seitlich im Bogen kam die Waffe dahergeflogen. Ihre Schneide zerteilte mit mathematischer Genauigkeit den kleinen Apfelrest.

»Erstaunlich!« – »Großartig!«– » Wonderful!« lauteten von allen Seiten die nicht enden wollenden Beifallsrufe.

Mit der größten Befriedigung drückte nun auch der Direktor dem neuen Mitglied seiner Truppe die Hand, das von dem Erfolge nicht minder zufrieden gestellt schien.


Der Umzug durch die Stadt, an dem auch der »Weiße Mustang« auf seinem Schimmel teilgenommen, hatte riesiges Aufsehen, die an allen Enden und Ecken ausgerufene Ankündigung das größte Interesse erregt.

Sowohl der Direktor wie die Künstler waren sehr befriedigt und von den größten Erwartungen erfüllt.

Als es dann Abend geworden war, drängte sich in der Tat das Publikum an der Kasse des Zirkus.

Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung waren die Sitzreihen bis auf den letzten Platz gefüllt, das Haus ausverkauft.

Der Direktor hatte alle Hände voll zu tun, aber doch so viel Zeit gefunden, den »Weißen Mustang« kurz vor Beginn der Vorstellung in die Spezialitätenloge zu geleiten, wo sich dieser mit der ernsten Würde der Rothaut still und gelassen niederließ.

»Hier habt Ihr einen vortrefflichen Platz, die Vorstellung mitanzusehen,« sagte dabei James Warrington. »Ihr werdet heute und voraussichtlich noch mehrere Abende, nur als Zuschauer den Vorstellungen anwohnen. Es erfüllt einen doppelten Zweck. Zum einen werdet Ihr Euch mit der Tätigkeit, die Euer wartet, mehr und mehr bekannt machen und befreunden, zum andern durch Eure bloße Anwesenheit schon bedeutendes Aufsehen erregen.«

Young Ironfist warf einen Blick in die Runde.

In der Tat, ein lebhaftes Gemurmel durchlief die Reihen. Aller Blicke waren auf den roten Mann gerichtet.

»Wann glauben, daß der ›Weiße Mustang‹ seine Tätigkeit wird aufnehmen?« fragte der Indianer.

»Es wird ganz davon abhängen, Verehrtester, ob der Besuch der Vorstellungen anhält; vielleicht werden wir schon übermorgen, möglicherweise aber erst in acht oder zehn Tagen das Programm erweitern oder verändern können.«

»Also hat der ›Weiße Mustang‹ jedenfalls noch einige Tage Zeit, sein Pferd und sich selbst an die Manege zu gewöhnen?«

»Ich hoffe es, ich hoffe es. Wäre es nicht der Fall, würde es für die ›Troup Warrington‹ einen Mißerfolg bedeuten; das Geschäft würde nicht wie erwünscht ausfallen. Wir haben zunächst ein gutes Programm und zwar ohne Euch. Das muß, solange es zieht, durchgespielt werden. Man darf nicht vergessen, daß wir eine große Reise hinter uns haben und bis zur nächsten größeren Stadt wiederum länger als uns lieb ist, in den Wagen liegen müssen. Eine Truppe, wie die unsere, kostet Geld; sie kann sich unmöglich mit nur wenigen Vorstellungen begnügen; sie muß vielmehr mehrere Wochen hindurch volle Häuser haben. Das Städtchen muß, so gut es geht, gründlich ausgebeutet werden. Um dies aber zu erreichen, darf man all sein Pulver nicht von vornherein verschießen. Es bedarf einer guten Anfangsvorstellung, dann einer allmählichen Erweiterung und Steigerung dessen, was wir darbieten. Heute wird Hadji Abdullah, der Magier, die Ehre der Hauptattraktion haben; später wird sie Euch zufallen.«

»Dann mit ›Weißen Mustang‹ große Dinge vorhaben?«

» Yes. Wir erwarten große Erfolge von Eurem Auftreten.«

»Was haben zu verstehen von einer Attraktion, wovon schon so oft hören sprechen?«

»Eine Attraktion, das ist eine der Glanznummern des Abends, deren Ihr heute schon mehrere werdet kennen lernen. Eine Hauptattraktion aber ist eine Glanznummer allerersten Ranges, etwas Großes, Hochbedeutendes, ein sogenannter ›Knalleffekt‹. Mit diesen Nummern setzt die Truppe ihren Vorstellungen die Krone auf. Die Hauptattraktionen müssen den Reiz des Außerordentlichen an sich tragen. Sie müssen an den Bars, in den Hotels, in den Familien, in der ganzen Stadt zum Tagesgespräch werden. Morgen wird man in Losantiville über alle Nummern der heutigen Vorstellung mit der größten Anerkennung sprechen, Hadji Abdullah aber wird als Hauptattrakteur begeisterte Bewunderung erregen. Ihr könnt daraus entnehmen, welche große Hoffnungen für später auf Euch gesetzt werden.«

Fort war der Direktor, während der »Weiße Mustang« mit gemischten Gefühlen in den kreisrunden Raum niederblickte, auf dem er sich die in Aussicht gestellten Künstlerlorbeeren holen sollte.

Da schreckte ein geräuschvoller Tusch der Musiker und die allgemeine Bewegung im Publikum ihn auf seinem Sinnen auf+… Die Wellington Brothers, Athleten und Jongleure, tänzelten, gefolgt von einem Diener, in die Manege.

Die Vorstellung hatte begonnen.

Die beiden Künstler verbeugten sich und warfen Kußhände unter die Zuschauer.

Sie schlugen geschickt und gewandt einige kühne Salto mortale und gingen zu einer Fülle von einfachen Jongleurkünsten über, die sie schnell, elegant und sicher ausführten. Lebhafter Beifall lohnte ihre Leistungen, als sie schließlich noch einige schwierige Nummern, wie das Balancieren eines Dieners auf einem Arm, das Auffangen einer eisernen Kugel mit dem Nacken und den Schnelllauf aus einer rotierenden Kugel ausführten.

Kaum waren sie abgetreten, als der Direktor auf seinem Schulpferde Almansor in die Manege trabte und sehr erstaunliche Leistungen dieses vierbeinigen Künstlers in allen Gangarten dem Publikum vorführte. Bald schwebte das vortrefflich dressierte edle Tier im leichtesten Schritt vor und rückwärts, dann wieder im Takte der Musik in den verschiedensten tänzelnden Gangarten, bis es schließlich wie im Fluge die Manege umkreiste und im Abgang eine mittlerweile errichtete fast mannshohe Hürde mit einer Leichtigkeit nahm, die allseitig das größte Erstaunen und die Bewunderung des Publikums hervorrief.

Während noch der Beifall das Haus durchbrauste, kam Little Wood, der Clown, mit einer Gerte bewaffnet, hinter sechs Gänsen in die Manege geschritten. Die wohldressierten schneeweißen Tiere machten einen überaus putzigen Eindruck, als sie wie die Soldaten in Reih und Glied daher marschierten. Eine kunstfertige Hand hatte ihnen niedliche rote Mützen auf den Kopf gesetzt und eine mit Sternen besäte blaue Schärpe um den Leib geschlungen.

»Allons – Marsch!« »Rechtsum!« »Linksum!« »Kehrt!« erschollen die Kommandos des Clowns.

Flott führten die Gänse die Bewegungen aus, bis auf den linken Flügelmann, einen Gänserich, der ständig falsch zu verstehen schien; denn regelmäßig führte er die anbefohlene Bewegung verkehrt aus, was, als das Publikum endlich dahinter kam, daß es in diesem Gänserich einen wohldressierten »Dummen August« vor sich zu sehen habe, allemal einen Lachsturm im Gefolge hatte. Natürlich wurde der ungelehrige Gänserich nach jedem Fehler, den er sich zu Schulden kommen ließ, von Little Wood gebührend zurechtgewiesen. Aber schon beim nächsten Kommando »Rechts schwenken!« machte der Mosjö Gelbschnabel mit aller Gemütsruhe die entgegengesetzte Bewegung. Schließlich schien der arge Sünder nicht nur den Unmut des Clowns, sondern auch der übrigen Gänse zu erregen. Der Schlußeffekt war, daß sie zornig über ihren ungeschickten Kameraden herfielen und ihn mit ihren Schnäbeln zu zerzausen suchten, dem er sich nur durch die schleunige Flucht zu entziehen vermochte. Schnatternd und zeternd stürmten die gelehrigen Vögel dem Ausgange zu.

Brausender, lachender Beifall des Publikums, in dem sich besonders ein in einen großkarierten Anzug gekleideter Herr mit langen blonden Koteletts, das Monokel im Auge, hervortat.

»Lord Traveling, Lord Traveling aus Devonshire in England – wenn Sie gestatten –,« stellte sich der Mann Young Ironfist vor, als letzterer es sich nicht versagen konnte, einen Augenblick nach dem lärmenden Herrn sich umzusehen, der, kaum eine Armlänge entfernt, dicht hinter der Spezialitätenloge saß.

Zu einer Entgegnung oder zur Anknüpfung einer Unterhaltung, worauf der Engländer nur zu warten schien, blieb aber keine Zeit, denn schon stürzte ein halbes Dutzend Diener in die Manege, die dicht vor ihrem Ausgange mit größter Fixigkeit eine bunt drapierte, von allen Seiten des Hauses leicht übersehbare Tribüne errichteten.

Wieder einige schmetternde Trompetenstöße – Hadji Abdullah, der »größte Magier der Welt«, wie auf dem Ankündigungszettel zu lesen stand, betrat, sich nach allen Seiten verneigend, diese Tribüne.

Erwartungsvolle Spannung bemächtigte sich des Hauses, als dieser Mann, angetan mit einem schwarzseidenen Talar, eine spitzige Persermütze auf dem dunklen langbärtigen Haupte, nach einigem Hokuspokus den Zauberstab erhob und damit auf ein schwarzes Ebenholzkästchen klopfte, das er dem Publikum mit der Bitte vorzeigte, sich zu überzeugen, daß es vollständig leer sei.

Eine kurze, launige Ansprache, dann ein Griff in das Kästchen: ein prachtvolles Blumensträußchen kam zum Vorschein, das der Zauberer der nächstsitzenden Dame in den Zuschauerreihen mit einer artigen Verbeugung darreichte. Um aber auch bei den übrigen Damen sich in Gunst zu setzen, entstiegen dem Kästchen noch so viele Sträußchen, daß der Künstler schließlich vorgab, zu befürchten, die »verehrten Herrschaften« zu ermüden, wenn er den unerschöpflichen Quell, der seiner Zaubermacht zur Verfügung stände, noch länger benütze.

Er ging unter dem fortgesetzten Beifall des Publikums dazu über, ein Taschentuch zu zerschneiden und wieder herzustellen, ließ Münzen von der einen Hand in die andere wandern, fing allerlei Gegenstände aus der Luft auf und vermochte, daß sie in der Tasche irgend eines Zuschauers verschwanden; ließ einen verzauberten Kreisel tanzen und ein kleines, kaum fingerlanges Fischchen eine ganze Bütte voll Wasser austrinken.

Der Beifall stieg aber zum nicht endenwollenden Jubel, als Hadji Abdullah eine schwarze und eine weiße Taube in den Bereich seines Zauberstabes zog.

Er schnitt den beiden Tauben vor den Augen des Publikums die Köpfe ab und legte letztere in das Ebenholzkästchen. Die beiden Taubenleiber wurden jeder in einen zweiten und dritten Behälter untergebracht. Der Zauberer ließ durch einen herbeigebetenen Zuschauer vor jedes Kästchen ein kleines Schloß legen und dieses abschließen. Hadji Abdullah hielt dann eine kleine Ansprache, berührte die Behälter mit seinem Zauberstab und bat, sie wieder zu öffnen. Als dies geschehen war, fanden sich in dem Kästchen, in dem die beiden Taubenköpfe gelegen hatten, zwei Vogeleier. Der Zauberer zerschlug dieselben, worauf zwei allerliebste lebendige Vögelchen hervorflatterten, die von den Dienern alsbald eingefangen wurden.

Aber nicht genug damit, er öffnete auch die beiden anderen Behälter, worauf aus dem einen Kästchen eine schwarze Taube mit einem weißen Kopf, aus dem anderen eine weiße Taube mit einem schwarzen Kopf hervorgingen.

Aber das Packendste sollte noch kommen.

Der Künstler ließ sich zum Schlusse von einem Herrn eine Uhr und von einer Dame einen Ring geben. Die letztere schrie zum allgemeinen Ergötzen des Publikums laut auf, als der Zauberer beide Gegenstände in einem Mörser mitleidslos zu zerstampfen begann. Aber der Zauberer war noch nicht befriedigt; er rührte den Mörserinhalt auch noch mit seinem Zauberstabe durcheinander. Ein feuriger Regen kam durch die Luft, den Hadji Abdullah mit einer Alabasterschale auffing und in den Mörser goß. Eine Zauberformel murmelnd, deckte er die Schale darüber. Er nahm von einem kleinen Seitentischchen einen goldgelben Apfel und eine etwa einen halben Meter hohe, himmelblaue, mit silbernen Sternen besäte Pyramide. Den Apfel legte er vor sich nieder und stülpte die Pyramide darüber. Wieder ein Beklopfen mit dem Zauberstab. Ein Diener erschien, die Pyramide vom Tisch zu heben. Ein lieblich gekleidetes, kleines Mädchen kam unter ihr zum Vorschein, mit duftigen Flügeln an den Schultern, das, anmutig sich verneigend, dem Publikum eine silberne, mit Obst belegte Fruchtschale entgegenhielt. Hadji Abdullah bat das Mädchen, zu der Dame und dem Herrn zu treten, die ihm den Ring und die Uhr anvertraut hatten, sie je einen Apfel wählen zu lassen. Der Diener hob das Kind vom Tische, das nach den ersten Sitzreihen ging und den beiden die Schale darbot. Der Diener überreichte jedem auf einem Tellerchen ein Fruchtmesser, sie bittend, die gewählte Frucht zu zerschneiden. Wie atmeten sie erleichtert auf, wie jubelte das ganze Haus, als die Dame ihren Ring und der Herr seine Uhr in der Frucht unversehrt wiederfand.

Der Beifall, der nun das Haus durchbrauste, war so stürmisch und anhaltend, daß der auf die Tribüne getretene Direktor geraume Zeit warten mußte, ehe er den Schluß der Vorstellung ankündigen und mit einigen gewühlten Worten für den »beehrenden Zuspruch« danken und um »weiteres gütiges Wohlwollen« bitten konnte.

Unter dem unvermeidlichen lärmenden Geräusch, das eine aufgeregte hundertköpfige Menge zu verursachen pflegt, leerte sich allmählich das Haus.


Und das Wohlwollen, das der Direktor James Warrington für die Kunstleistungen seiner Truppe erbeten hatte, hielt an.

Das Publikum erzeigte sich für das Wagnis, daß ein Zirkus des Ostens es erstmals unternommen hatte, die mehr oder weniger abgelegenen Städte des entlegenen Westens aufzusuchen, recht dankbar.

Acht Tage hindurch war das große Leinwandhaus auf der Wiese vor der Stadt alle Abende bis auf den letzten Platz besetzt.

Allgemein aufgefallen unter den Künstlern war es, daß der elegante Engländer, Lord Traveling, allabendlich auf seinem Platze neben der Spezialitätenloge sich einfand. Bald merkten die Spezialitäten, daß dieser Mann neben seinem Interesse für die Kunst auch von der Absicht geleitet war, sich mit ihnen anzufreunden. Und da er sich als ein recht aufmerksamer, bisweilen sogar sehr liebenswürdiger Gesellschafter erwies, war das nach wenigen Tagen auch schon gelungen. Ohne weiteres nahm er sich die Freiheit, sich in den Stallungen einzufinden, zeigte ein reges Interesse für die Pferde, beehrte auch ab und zu die Künstler in ihrer Garderobe. Über das in der Stadt umgehende Gerücht, daß der Lord täglich mehrere Stunden hindurch die Umgebung von Losantiville abzustreifen pflege und auf diesen Streifereien keine Kartoffelpflanze unbeachtet lasse, ja ganze Wagenladungen dieses Krautes in sein Hotel schleppe, ging man, da solche große Herren oftmals ihre Schrullen haben, lächelnd hinweg.

»Sir,« sagte der Lord eines Tages zu dem Direktor, als er den gewohnt gewordenen Morgenbesuch abstattete, »Sie werden nun doch wohl bald mit einem neuen Programm herausrücken müssen. Gestern abend haben die Sitzreihen schon manche gähnende Lücke aufgewiesen.«

» Yes, wir werden morgen schon mit einer erstklassigen Attraktion aufzuwarten die Ehre haben. Ew. Lordschaft werden, wie ich hoffe, in hohem Grade zufriedengestellt sein.«

»Freut mich, Sir! freut mich sehr! Hoffentlich haben Sie nun auch Ihren Wilden auf das Programm gesetzt.«

»Ew. Lordschaft scheinen ein ganz besonderes Interesse für diesen roten Mann zu hegen.«

»Allerdings, ich gebe das gerne zu, er interessiert mich. Ich beklage es, daß er sehr zurückhaltend ist, sehr zurückhaltend.«

»Noch ganz Naturkind, Ew. Lordschaft, noch ganz Naturkind! Vorläufig ist er auch noch viel zu sehr erfüllt vom Ehrgeize, von dem ernstesten Streben. Lassen Sie ihn erst das Lampenfieber überwunden und vom Ruhme genossen haben, dann wird er sich ohne Zweifel auch als Gesellschaftsmensch immer mehr und mehr zurechtfinden und damit auch zugänglicher werden.«

»Sie mögen recht haben. Der Mensch ist ein Produkt der Erziehung, der Umstände und Verhältnisse, in denen er sich befindet. Das muß man also abwarten. Was macht übrigens seine Kate? Ist das Pferd für die Manege nun vollständig zugeritten?«

»Vortrefflich, Ew. Lordschaft! Wenn nichts dazwischen kommt, sollen Sie die Stute, wie gesagt, vielleicht morgen schon in ihrem höchsten Glanze bewundern. Sie sollen staunen!«

»Freut mich, Sir, freut mich sehr! Bin gespannt, sehr begierig!«

Und wie der Direktor es gesagt hatte, so kam es.

Am Abend desselben Tages war der Zirkus peinlich leer gewesen und schon für den andern Morgen ein pomphafter Umzug durch die Stadt veranstaltet worden. Unter Paukenschlag und Trommelwirbel wurde dem herbeieilenden Publikum an allen Enden und Ecken verkündet, daß der »Weiße Mustang«, Häuptling der Pe-ta-ha-vah-da-Indianer, unmittelbar und unter unsäglichen Schwierigkeiten aus dem wilden Westen importiert, die hochverehrte Einwohnerschaft von Losantiville mit seinen Reitkünsten und sonstigen Attraktionen in das höchste Erstaunen versetzen werde.

Am Abend wurde die Kasse, wie am ersten Tage, fast gestürmt.

Ganz Losantiville hatte den roten Mann von Ansehen längst kennen gelernt; man hatte sich von den Skalpen, die er auf des Direktors ausdrücklichen Wunsch an seinem Gürtel durch die Straßen spazieren trug, die haarsträubendsten Geschichten erzählt, nun wollte man den Wilden auch in der Manege sehen.

Dichtgedrängt harrten die Zuschauer des längstersehnten Augenblicks.

Endlich war der Zeitpunkt herangekommen; die Vorstellung begann.

Diese wurde mit einem flott sich abwickelnden komischen Entree der beiden Clowns Little Fred und Little Wood eröffnet, das aber, so lustig und gediegen ihre akrobatischen und komisch-musikalischen Darbietungen auch waren, nur halbes Auge und Ohr fand. Zwei weitere Nummern teilten dasselbe Schicksal.

Endlich wurde der zweiteilige Vorhang, der den Ausgang der Manege verdeckte, beiseite geschoben und herein sprengte, nein, stürmte, unter gellendem Kriegsgeschrei, auf seiner sattellosen weißen Stute die Rothaut, die in ihrer malerischen Erscheinung und kriegerischen Wildheit einen wirklich packenden, ja erschreckenden Anblick darbot. So gellend und durchdringend war ihr »Hei-i-hei-i!«-Geschrei, so packend die Gewalt des wildbewegten Bildes, daß das männliche Publikum mit einem Male unwillkürlich in die gellenden Rufe einstimmte, was Roß und Reiter so sehr zu beschwingen schien, daß sie mit einer Geschwindigkeit, der das Auge kaum mehr zu folgen vermochte, einherstoben.

Plötzlich stand der rote Mann kerzengerade auf dem Rücken seines Tieres+… eine Runde noch, ein gewaltiger Sprung+… der Reiter stand unbeweglich wie eine Bildsäule mitten in der Manege, während sein Pferd mit unverminderter Geschwindigkeit die Runde durchraste.

Betäubender Jubel des Publikums!+… Aber es hatte keine Zeit, die Hände zum Applaus ausgiebig zu regen+… einige kurze tänzelnde Schritte des Reiters, ein gewaltiger Satz+… er saß wieder auf dem Rücken des dahinjagenden Pferdes.

Stürmisches Händeklatschen auf allen Bänken+… unten unvermindertes Weitertollen, Schreien und Jagen+… plötzlich schwenkte die Rothaut quer durch die Manege+… der wilde Mann hatte sein Kriegsbeil dort auf dem sandigen Boden liegen gelassen+… ein plötzliches Niedergleiten an den Flanken des Pferdes+… die Rothaut nahm die Waffe im vollen Jagen vom Boden auf und schwang sie mit gellendem Jubelrufe über dem federgeschmückten Haupte.

Aber auch die Zuschauer brachen in hallende Jubelrufe aus, die erst erstarben, als der Reiter die Gangart seines Tieres erheblich verminderte.

Dann, mit einem Male, eine merkliche, fast plötzlich eingetretene Umstimmung der Zuschauer+… einzelne Ausrufe des Unwillens, dann ein Gemurmel, ein Murren auf allen Bänken+… man hatte es allgemein wahrgenommen, teils aus Mitleid, teils mit Entrüstung und Befremden – der Gaul lahmte.

Auch die Rothaut war plötzlich ganz still geworden und sah forschend an ihrem Gaul herunter. Sie schüttelte mißbilligend das Haupt; das rechte Hinterbein ihres Mustangs schleppte.

Der rote Mann streichelte dem Tier liebevoll den Hals; er suchte es aufs neue zum Ausgreifen anzuspornen. Aber das Pferd sträubte sich, schüttelte wild den Kopf und schleppte das Bein nur umso stärker.

Da wurde die Rothaut zornig. Sie suchte den Gaul mit aller Gewalt in eine schnellere Gangart zu bringen und zog schließlich die im Gürtel steckende kurze Peitsche.

»Unmensch!« klang es von den obersten Sitzen. »Schinderei!« ließ eine entrüstete schrille Damenstimme sich vernehmen.

Aber unbarmherzig sauste die Peitsche des Wilden einige Male auf den Nacken des Tieres nieder. Fest preßte der rote Mann seine Schenkel dem Pferde in die Flanken, um es vorwärts zu bringen, aber das Tier bockte, stieg kerzengerade auf, sprang dann wieder mit gekrümmtem Rücken mit allen vieren zugleich empor, den Reiter abzuwerfen. Aber der saß wie angegossen und versuchte nun seinerseits mit allerlei Tricks seinen Willen durchzusetzen.

Wohl brachte er das Tier wieder etwas von der Stelle, aber es schleppte jetzt noch viel mehr und fiel bei jedem Schritte stoßweise nach vorn in die Knie.

»Unmensch – absteigen!« klang aus den Sitzreihen eine sonore Stimme, und sie fand allgemeine Unterstützung.

Der Direktor kam, gefolgt von einigen Dienern, herbeigeeilt und forderte, als er sich von der Stimmung der Zuschauer und dem Zustande des Gaules überzeugt hatte, den Häuptling ebenfalls auf, vom Pferde zu steigen.

Dieser tat, wie ihm befohlen, sprang aus dem Sattel und führte sein Tier am Zügel umher in der Manege.

Plötzlich fing der Gaul an zu taumeln und war bald keinen Schritt mehr weiterzubringen. Breitbeinig stellte er sich hin, legte den Kopf nach der Seite und ließ die Zunge aus dem Maul hängen.

Zärtlich streichelte der Reiter seinem Pferde den Nacken.

Der rote Mann schien jetzt über das Mißgeschick seines Tieres tief betrübt zu sein.

Zuletzt umhalste er das Pferd und vergrub sein Angesicht in dessen Mähne.

Plötzlich ging ein Zittern durch den Leib des Tieres. Es schwankte einen Augenblick und brach zusammen.

Laut auf schrien einige Damen. Erregte Ausrufe und unverständliches Murren, in dem das Mitleid und die Erregung über die Mißhandlung des Pferdes um die Herrschaft zu kämpfen schienen, im ganzen Hause.

Schweigend starrte der Indianer auf sein zusammengebrochenes Reittier. Er setzte sich neben demselben auf die Erde nieder und bedeckte in seinem Schmerze mit den Händen die Augen.

Betroffen und sprachlos sah auch der Direktor auf die beiden nieder. Er schien sich in einer nicht geringen Verlegenheit zu befinden.

Endlich gab er den Dienern den Befehl, den Kadaver wegzuführen und forderte auch den »Weißen Mustang« auf, sich aus der Manege zu entfernen, daß die unterbrochene Vorstellung ihren Fortgang nehmen könne.

Da erwachte die Rothaut aus ihrem Schmerze und widersetzte sich.

Es entspann sich zwischen dem Direktor und ihr in einem Indianerdialekte, der keinem Menschen verständlich war, eine heftige Auseinandersetzung, die schließlich damit endigte, daß der Direktor seine Börse zog und dem roten Manne einige Goldstücke gab, die ihn für seinen Verlust entschädigen sollten.

Zufriedengestellt steckte der Indianer das Geld in seinen Gürtel, worauf die Diener einen kleinen Wagen daherrollten, das niedergebrochene Pferd aufzuladen.

Als sie im Begriffe waren, den Kadaver anzufassen, fuhren sie erschrocken zurück. Die Rothaut hatte einen kurzen scharfen Pfiff ertönen lassen+… mit einem mächtigen Rucke stand der tot gewähnte Gaul auf den Beinen. In der nächsten Sekunde saß der Indianer auf dem Rücken des Pferdes und mit triumphierendem »Hei-i-hei-i!« raste er, wie zuvor, durch die Manege. Einige Runden, dann ging die tolle Jagd nach dem Ausgang.

Die Verblüffung der Zuschauer war eine so vollständige, daß die Besinnung erst zurückkehrte, und der allgemeine Jubel auf den Sitzreihen erst losbrach, als Roß und Reiter längst verschwunden waren.

Wiederholt mußte sich der »Weiße Mustang« dann dem Publikum zeigen, ehe die Beifallssalven ein Ende nahmen und die vielen, immer wieder stürmisch klatschenden Hände zur Ruhe kamen.

Mit einem wirkungsvollen Intermezzo der Riesendame und des Luftgymnastikers und einer zwerchfellerschütternden Schlußnummer des Clowns Little Wood, der unter allerlei tölpelhaften Schreiereien auf einem wohldressierten, jämmerlich grunzenden Schwein die Reitkunststücke des »Weißen Mustang« nachzuahmen suchte, schloß die Vorstellung.


Young Ironfist hatte als »Weißer Mustang«, wie der Direktor mit freudiger Genugtuung sich auszudrücken beliebte, einen ›Bombenerfolg‹ und die Zirkustruppe fast durch zwei Wochen hindurch gedrückt volle Häuser.

Als das Publikum in Losantiville dann aber nach und nach sich gesättigt zeigte und der Besuch bedenklich nachzulassen begann, war die kleine Zeltstadt mit dem großen Leinwandhaus draußen auf der Stadtwiese eines Morgens verschwunden, um der Reihe nach in Hamilton, Dayton, Columbus, Indianapolis und Louisville für längere und kürzere Zeit aufzutauchen.

Auch auf diesen Plätzen eroberte sich der »Weiße Mustang« im Sturm den Beifall der Einwohnerschaft, zumal er sein Repertoire inzwischen um einige sehr packende Nummern erweitert hatte.

Eines Vormittags bummelte der junge Pseudo-Häuptling in vollem Kriegerputz durch die Straßen von Louisville, überall auf das lebhafteste verfolgt von den Blicken der neugierig gaffenden Menge.

Seine Erscheinung war tadellos, seine Hautfarbe fast kupferrot, die langen, strähnigen Haare pechschwarz, die Tätowierung auf der Brust ohnedem echt. Wange und Stirn waren mit einigen kunstvoll geschwungenen Farbenstreifen belegt. Alles an ihm, sein stolzer Gang, seine gemessene Haltung konnten dem schärfsten kritischen Auge standhalten. Verstand er sich doch von seiner frühesten Knabenzeit her vortrefflich darauf, die Merkmale, die den Weißen etwa hätten verraten können, mit Farbe und Schminke aufs täuschendste zu verdecken.

Als er, dahinschlendernd, vor dem Auslagefenster eines Waffenladens stehen blieb, die ausgestellten Flinten zu besichtigen, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Sich umwendend, sah er zu seinem Erstaunen in das freundlich lächelnde Gesicht des Lord Traveling.

»O, Sir – eine Überraschung, die ›Weißen Mustang‹ viele Freude und Ehre bereiten.«

»Die Freude teile ich und die Ehre ist meinerseits, den kühnen Reiter und vortrefflichen Pferdedresseur der ›Troup Warrington‹ nach vielen Wochen wieder einmal begrüßen zu dürfen.«

»Wie kommen hierher? Weilen schon längere Zeit in Louisville?«

»Seit einigen Tagen. Ich wollte heute früh weiter. Als ich aber von den Ankündigungen Ihrer Truppe Kenntnis erhielt, ließ ich sofort absatteln und die Pferde in die Ställe führen. Ich werde bleiben und mir wieder einen Sitz neben Ihrer Loge mieten.«

»Seien eine große Ehre! Das bekunden für die ›Troup Warrington‹ ein außerordentliches Interesse.«

»Ein Interesse, das ich vor allem an Ihnen nehme. Ich habe Sie auch in Dayton gesehen, ebenso in Columbus und Indianapolis, nur haben mir die Umstände leider nicht gestattet, in diesen Städten längere Zeit zu verweilen. Ich habe indessen gehört. Sie hätten inzwischen noch größere Fortschritte gemacht.«

»Nun auch schießen und den Tomahawk schleudern.«

»Sie sind ein Allerweltskünstler – also auch ein Meister in der Führung der Flinte?«

»Nein, schießen mit dem Bogen der Rothaut – Schießen nach der Scheibe, schießen einen Kranz um einen kleinen schwarzen Punkt.«

»Erstaunlich! Das wird den Yankees sicherlich ungemein imponieren. Freue mich sehr, Ihre neuesten Leistungen bewundern zu können. Sie schießen natürlich vom Pferde?«

» Yes, schießen auch vom Pferde, wenn Mustang wie ein Pfeil dahinfliegen. Schießen, wenn auf dem Rücken liegen, Mister Little Fred eine Zigarre aus dem Munde. Wollen auch schießen einen Apfel vom Haupte der Mrs. Baker, aber diese noch nicht genug Mut dazu haben.«

»Wiewohl diese Dame Ihrer Schießkunst sicherlich das größte Vertrauen entgegenbringen könnte.«

»O, wenn auch noch nicht vorhanden sein, Vertrauen schon noch kommen werden. Mister James Warrington für das Schießen des ›Weißen Mustang‹ sehr viel Interesse an den Tag legen, er der Mrs. Baker sicher keine Ruhe lassen.«

»Und wie ist es, Sie finden, wenn ich fragen darf, Gefallen an Ihrer Tätigkeit?«

»Ja, finden noch immer Gefallen,« entgegnete Young Ironfist. Aber das Lächeln, womit er dieses Zugeständnis begleitete, war etwas säuerlich.

Lord Traveling gewahrte das und sah den jungen Häuptling forschend an.

Dieser senkte verlegen den Blick.

»Und dennoch – verübeln Sie mir das nicht –,« versetzte der Lord mit Nachdruck, »es will mir scheinen, als ob diese Versicherung nicht so ganz vom Herzen käme.«

»O, kommen tief aus dem Herzen. Der ›Weiße Mustang‹ sehr viel Freude darüber empfinden, erproben zu dürfen, ob er noch alles vermag, was er als Knabe gelernt und geübt hat; er schwelgen oft sehr in Jugenderinnerungen; er sich wirklich freuen, daß ihm das Reiten und Schießen wie in früheren Tagen noch ebensogut gelingen. Wenn das Publikum dann schreien vor Vergnügen, er dann freilich ein großes Mißbehagen empfinden.«

»Aber warum das? Man müßte im Gegenteil annehmen, daß Sie der wohlverdiente Beifall nur angenehm berührt, daß er Sie entschädigt für den Wagemut, für die Kühnheit und Geschicklichkeit, die Sie in Ihren erstaunlichen Leistungen bekunden.«

»Nein, darüber ist der ›Weiße Mustang‹ noch niemals glücklich gewesen. Er sich immer im stillen sagen, daß er ein großes Unrecht begehen; er sich sagen, daß er den Beifall des Publikums nicht verdienen.«

»Sie sprechen in Rätseln; ich verstehe Sie nicht. Von jeher waren doch die Anerkennung und der Ruhm die leitenden Sterne, das Begehrenswerteste des Künstlers.«

»Der ›Weiße Mustang‹ wissen das, er das auch sehr gut empfinden; er aber müssen darauf verzichten; er niemals nach diesen Sternen greifen dürfen; er dafür seine Gründe haben, aber nicht darüber sprechen dürfen.«

»Sie überraschen mich immer mehr; Sie halten mit irgend etwas hinter dem Berge. Doch sei es ferne von mir. Ihnen ein Geständnis zu entlocken. Immerhin aber muß es mir erlaubt sein, meinem Erstaunen Ausdruck zu geben.«

»Der ›Weiße Mustang‹ können dieses Erstaunen sehr wohl begreifen. Vielleicht kommen früher oder später ein Tag, an dem ›Weißen Mustang‹ dann plötzlich verstehen.«

»Sie gehen doch nicht etwa mit dem Gedanken um, sich Ihrer künstlerischen Tätigkeit zu entziehen? Das würde für die Troup Warrington, deren Ruhm von Tag zu Tag steigt, einen empfindlichen Schlag bedeuten.«

»Mister Warrington wäre damit freilich nicht einverstanden. Aber die anderen Künstler den ›Weißen Mustang‹ gewiß sehr gerne scheiden sehen.«

»Warum das? Sollte die Kollegialität zu wünschen übrig lassen?«

» Yes, sie lassen sehr viel zu wünschen übrig. Als der ›Weiße Mustang‹ zum ersten Male in die Manege reiten, auch die andern Künstler davon sehr erfreut sein und ihm sehr viel zujubeln. Als er aber dann sein Programm erweitern und immer mehr den Beifall des Publikums gewinnen, die anderen Künstler immer stiller werden.«

»Weil Ihre Nummern bei dem Publikum, das selbst noch ein halbwildes ist, mehr gefallen, mehr gezogen haben.«

» Yes, weil für Schießen und Reiten mehr Interesse als für die Späße der Clowns bekunden. Das die anderen Künstler aber sehr verstimmen.«

»Sie dürfen sich das nicht zu sehr zu Herzen gehen lassen. Es ist das eine, ich möchte sagen, fast unabwendbare Erscheinung, weil, wie ich früher schon sagte, beim Künstlervölkchen der Ehrgeiz von jeher das Treibende gewesen ist und bleiben wird.«

»Der ›Weiße Mustang‹ das sehr gut begreifen, er sich aber nicht überwinden können, ihn das sehr tief betrüben. Er auch hier wieder sehen, daß die weißen Menschen sehr viel von Neid und Zwietracht erfüllt sind.«

»Wo gäbe es das nicht auf dieser Welt!? Der klug handelnde Mensch wird sich aber damit abfinden; er wird das Herz umpanzern, um möglichst wenig davon angefochten zu werden.«

»Der ›Weiße Mustang‹ hat noch keine Gelegenheit gehabt zu lernen, auf sein Herz in dieser Weise einzuwirken. Er glaubt auch nicht, daß er dieses jemals lernen wird. Er kann auch nicht annehmen, daß der Neid und die Zwietracht gutzuheißen sind und daß die Unempfindlichkeit des Herzens nach dem Willen des Großen Geistes der Bleichgesichter ist. Denn nicht umsonst hat er seine weißen Kinder mit dem großen Buche beschenkt, in dem fast auf jeder Seite zu lesen steht, daß sie einander lieben sollen!«

Sprach's, grüßte kurz, aber nicht unfreundlich, und stolzierte dem nahen Zirkus zu.

Verblüfft stand der Lord und sah der Rothaut erstaunten Blickes nach, bis diese hinter der Zeltleinwand verschwunden war.

Auch in Louisville verfolgte der Direktor den Grundsatz, das Interesse für seinen Zirkus durch die Vielseitigkeit und allmähliche Steigerung des Programms zu erhalten, um der Einwohnerschaft das Geld nach und nach gründlich aus den Taschen zu holen.

Auch hier hatte das Auftreten des »Weißen Mustang«, eines Repräsentanten der kriegerischen Rothäute, die man vielfach nur aus blutrünstigen Berichten oder aus den Schilderungen halbwilder Trapper hatte kennen lernen, großes Aufsehen erregt und schließlich unter allen künstlerischen Darbietungen der »Troup Warrington« die größte Anziehungskraft ausgeübt.

So waren drei Wochen vergangen, das Publikum mittlerweile des Zirkus aber schon recht müde geworden.

James Warrington stellte infolgedessen bereits seinen Wegzug in Aussicht, spielte zugleich aber seinen letzten Haupttrumpf aus, indem er noch einige große Galavorstellungen ankündigte, in denen der Pe-ta-ha-vah-da-Häuptling die Ehre haben würde, »durch eine noch nie dagewesene Hauptattraktion das hochverehrte Publikum in das größte Erstaunen zu versetzen«.

Das zog noch einmal.

Am Abend dieses Tages war das Haus, wie oft schon zuvor, wieder einmal gedrückt voll, die besten Sitzplätze sogar mit dem doppelten Eintrittspreise bezahlt worden.

Die Vorstellung begann, wie immer mit einem komischen Entree, dem mehrere ebenso gediegene als unterhaltende Nummern der verschiedensten Künstler folgten.

Auch der »Weiße Mustang« hatte sich, von tosendem Beifall begrüßt, in der Manege eingefunden und mit einer Reihe erstaunlicher Leistungen im Reiten und Bogenschießen den stürmischen Dank des Publikums geerntet.

Eine kurze Pause folgte.

Nach ihr sollte, wie die Ankündigung verhieß, noch ein anderes bislang noch nicht aufgetretenes Mitglied der Truppe des Namens Mike den Zuschauern sich vorstellen, dem die Glanznummer des Pe-ta-ha-vah-da sich anschließe.

Eine Trompetenfanfare auf der Musikertribüne kündigte den Wiederbeginn der Vorstellung an.

Aller Blicke richteten sich auf den Zugang zur Manege+… Die Clowns Little Fred und Little Wood kamen unter allen Zeichen der größten Hast und Anstrengung durch den mit einem Tuche verhangenen Eingang gesprungen, ein armdickes Schiffstau hinter sich herschleppend, an dem sie aus Leibeskräften zu ziehen begannen. Dieses Tau stand trotz der größten Anstrengung der beiden Männer geraume Weile straff und fast unbeweglich. Der Gegenstand, der daran hing, von den Zuschauern aber natürlich noch nicht gesehen werden konnte, schien den größten Widerstand entgegenzusetzen.

Verzweifelt zogen die beiden.

Als sie die Erfolglosigkeit einsehen mußten, baten sie einige starke Männer aus dem Publikum herbei, und den vereinten Anstrengungen gelang es endlich, einige Meter des Taues an sich zu bringen.

Die Erwartung und Erregung des Publikums stieg von Sekunde zu Sekunde, je mehr die Männer sich quälten, schlug aber in eine dröhnende Lachsalve um, als nach den unmäßigsten Anstrengungen das Tau endlich nachgab und an seinem Ende ein winziges, kaum zwei Fäuste hohes Wachtelhündchen einhertrippelte.

Als die Überraschung und der Lachsturm sich endlich gelegt hatten, zeigte sich Mike als ein sehr gelehriges Tier, das mit der größten Zierlichkeit das Schulpferd Almansor, das der Direktor kurz zuvor geritten hatte, in allen Gangarten nachahmte.

Zur Belohnung sollte der niedliche vierfüßige Künstler schließlich die Scheibe einer Wurst erhalten, die Little Fred unter einem Schwall von anerkennenden Worten aus seinen weiten faltigen Pumphosen zog. Flink und geschickt wußte sich aber Mike in einem unbewachten Augenblick in den Besitz der ganzen Wurst zu setzen, mit der sich der kleine Dieb, verfolgt von den schimpfenden und zeternden Clowns, unter dem schallenden Gelächter der Zuschauer aus dem Staub machte.

Gleich darauf durchsauste ein zweites Beil die Luft.

Mehrere Diener kamen nun in die Manege gelaufen, die wenige Meter vor dem Ausgang mit der größten Geschwindigkeit eine zwei Meter breite, aus starken Bohlen zusammengefügte Bretterwand errichteten. Auf ihr war, überall sichtbar, mit dicken weißen Kreidestrichen der obere Teil einer ausnehmend großen und starken menschlichen Figur eingezeichnet, eine geheimnisvolle Andeutung, die sofort die allseitige Aufmerksamkeit des Publikums aufs neue auf sich zog.

Ebenso flink wurde von den Dienern unmittelbar neben dem Manegeausgang eine etwa einen halben Meter hohe Tischplatte aufgestellt und auf ihr eine größere Anzahl indianischer Kriegsbeile niedergelegt.

Wieder einige schmetternde Trompetenstöße, die das Haus in spannungsvolle Erwartung versetzten.

Die Musiker stimmten eine wilde Musik an und herein stürmte mit gellendem Kriegsgeschrei und wehendem Federhute auf seinem weißen Mustang der Pe-ta-ha-vah-da.

Er bot, wie immer, einen sehr malerischen und kriegerischen Anblick dar, als er mehrere Male die Manege durchraste, im Vorbeischießen von dem Tische einen Tomahawk aufnahm und die Waffe dann mit wildem Aufjauchzen über dem Kopfe schwang.

Wieder zwei und eine halbe Runde+… ein blitzartiges Aufleuchten in der Luft+… ein hell klingender Schlag+… das Beil saß in der Bohlenwand, dicht über dem linken Schulterstriche der Kreidefigur.

Brausender Beifall im ganzen Hause. Rufe wie: »Brav gemacht!« – » Very well done!« – » Wonderful!« durchrauschten die Zuschauerreihen.

Aber schon war der rote Mann wieder auf dem Punkte angelangt, wo er die Waffe zuvor entsandt hatte+… ein zweites Beil durchsauste vom jagenden Pferde herab die Luft, das in genau gleichem Abstande dicht über dem rechten Schulterstriche der Figur einschlug.

Wieder erscholl tosender Beifall auf allen Bänken, der aber fast plötzlich verstummte, als neben der Bohlenwand eine leicht gekleidete weibliche Gestalt, Miß Baker, die Riesendame, auftauchte.

Diese, etwas bleich im Angesicht, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, verneigte sich mehrmals gegen das Publikum, ging zu der Wand und stellte sich in den Rahmen der Kreidezeichnung.

Der »Weiße Mustang« hatte unterdessen den Kreis mehrere Male durchritten und stand plötzlich in der Mitte der Manege, während sein Schimmel, einem Pfiffe seines Herrn folgend, dem Ausgange zutrabte und dort verschwand.

Eine unheimliche Stille machte sich nun mit einem Male im ganzen Hause geltend.

Auf allen Bänken erwartungsvolle, atemlose Spannung.

Da lief ein Diener herbei, der mehrere Kriegsbeile in den Händen trug und neben der Rothaut auf die Erde legte.

Fest umfaßte diese den Griff eines Beiles und schwang es mit gewaltiger Wucht mehrere Male um das federngeschmückte Haupt.

Zischend fuhr die Waffe durch die Luft+… sie saß, eine halbe Faust breit entfernt, neben der rechten Hüfte der Riesendame.

Miß Baker hatte mit keiner Wimper gezuckt, was ihr ein anerkennendes und ermunterndes Lächeln des wilden roten Mannes eintrug.

Schon aber hatte dieser ein zweites Beil in der Hand, das im nächsten Augenblick mit hellem Schlage auf der anderen Seite des lebenden Zieles in die Bohlenwand einschlug.

Noch immer allgemeines peinliches Schweigen des Publikums, als ob über den Zuschauern der Bann einer unheildrohenden Schwüle, ein lähmender Schrecken läge, dann aber ein allmähliches merkliches Aufatmen, wie wenn die Menschenmenge jetzt erst Zutrauen zu der Hand gewänne, die die furchtbare Waffe schleuderte.

Wieder aber trat die lautloseste Stille ein, als die Rothaut eine dritte Waffe aufnahm.

Deutlich war zu beobachten, daß Miß Baker etwas zu zittern begann, daß ihr ohnehin bleiches Angesicht noch blasser wurde.

Kaltblütig aber schwang der »Weiße Mustang« das Beil über dem Haupte+… wenige Augenblicke später saß die Waffe dicht neben der rechten, gleich darauf ein zweites Beil neben der linken Wange der Riesendame.

Wieder ging es wie ein Aufatmen durch die Reihen der Zuschauer, als ob sie sich von einem drückenden Alp befreit fühlten. Einzelne Bravorufe wurden laut.

Aber der rote Mann hatte schon wieder ein Kriegsbeil in der sehnigen Faust.

Dicht über dem Scheitel des lebenden Zieles befand sich ein besonders hervortretender weißer Kreidepunkt.

Offenbar sollte diesem der nächste Wurf gelten.

Langsam erhob die Rothaut die Waffe und warf mit einem gellen Rufe einen triumphierenden Blick in die Runde.

Schon begann das Beil über dem Haupte des roten Mannes zu kreisen+… da flog des Wilden Blick wiederholt zurück in die Zuschauerreihen und blieb schließlich auf einem Manne mit dem Ausdruck der größten Überraschung wie gebannt haften.

Langsam senkte sich der Arm des Indianers, zugleich aber schien in seinem Angesicht eine dunkle Wetterwolke aufzusteigen.

Immer größer wurden seine Augen, faltiger seine Stirne, finsterer der Blick, der das Halbdunkel, in dem jener Mann hinten auf den Bänken saß, zu durchbohren versuchte.

Da, plötzlich, ein geller Schrei+… aus gequälter Brust. Der »Weiße Mustang« hatte ihn ausgestoßen.

Der starke Mann, die wilde Rothaut stand wie gelähmt da+… starrte, als ob sie ein entsetzenerregendes Gespenst wahrgenommen hätte, in den dunklen Winkel hinten+… erkannte dort das höhnisch grinsende Gesicht Henry Smiths, jenes treulosen verhaßten Gefährten, der den jungen Pe-te-ha-vah-da-Krieger dereinst in dem heimatlichen Dorfe zu überreden und zu entführen wußte+… sah zum ersten Male jenen Menschen wieder, dem er, Young Ironfist, zur Freiheit verholfen, der ihn aber, das hilflose unerfahrene Bleichgesicht, zum Dank dafür so schnöde verlassen hatte.

Mit einem Male aber kam wieder Leben in den roten Mann.

Mit plötzlich hervorbrechender Wildheit erhob er das Kriegsbeil und schwang es mit gellem Rufe gegen den Treulosen.

Ein einziger entsetzensvoller, fürchterlicher Schrei der Zuschauermenge!

Im nächsten Augenblick hielt die Rothaut inne, die Waffe lag zu ihren Füßen.

Aber der rote Mann selbst setzte hinweg über die vollbesetzten Bänke und Köpfe der Menschen nach dem Platze hinten, von dem der höhnisch grinsende Mann blitzschnell verschwand.

Als Young Ironfist dann an dem leeren Sitzplatz angelangt war, konnte er gerade noch sehen, wie der ehemalige Gefährte die Leinwand, die den Zirkus umschloß, mit blitzendem Messer zerteilte und durch die Öffnung ins Freie enteilte.

Noch ganz im Banne der Überraschung und des Zornes, den der unverhoffte Anblick des verhaßten Menschen in ihm hervorgerufen hatte, jagte Young Ironfist ihm nach. In seiner Hast hatte der rote Mann aber ein von einem Pflocke niederhängendes Seilbündel, das Ende eines Taus, bestimmt die Leinwand zu straffen, nicht bemerkt, verstrickte sich mit dem einen Fuße in demselben und kam zu Fall.

So lag er eine kurze Weile, bestrebt das Bein frei zu bekommen, hinter sich und über sich die tosende und tobende Menschenmenge, die jetzt, da die Gefahr, mit der Waffe des Wilden eine unliebsame Bekanntschaft zu machen, als beseitigt gelten konnte, nach Kräften zu schreien und zu schimpfen begann.

Endlich hatte er die Tauschlinge, die ihn festhielt, abgestreift.

Flink schlüpfte er durch die Leinwandöffnung und befand sich im Freien.

Hier aber war der davongelaufene Mann in der Dunkelheit nicht mehr zu sehen und der hinter der Zeltwand losgebrochene Tumult der Menschen zu groß, um den Tritt eines fliehenden Menschen zu vernehmen.

Aufs Geratewohl lief Young Ironfist eine Strecke weit über das angrenzende Wiesengelände, mußte indessen das Vergebliche seines Beginnens bald einsehen und blieb endlich ratlos stehen.

Unentschlossen, wohin sich wenden, gewahrte er mehrere Fackeln hinter sich aufleuchten, hörte, wie der Zirkus tumultuarisch sich leerte, wie die aufgeregte lärmende Menge in Scharen den angrenzenden Straßen zuströmte.

Jetzt erst kam dem Ausreißer zum Bewußtsein, daß die Vorstellung durch sein Verschulden ein jähes Ende mit Schrecken genommen; nun erst hallte der entsetzensvolle Schrei des Publikums in ihm nach, das sich durch sein Kriegsbeil bedroht glaubte.

Da tauchten entlang der Zeltwand wieder einige Fackeln auf.

Seine scharfen Augen erkannten in einem Rudel Menschen den Direktor, der händeringend um den Zirkus lief.

Young Ironfist fühlte eine nicht geringe Beklemmung in seiner Brust aufsteigen und zugleich das ungestüme Verlangen, die allgemeine Verwirrung zu benutzen, das Weite zu suchen, um das ganze Künstlertum, das ihn längst wie eine schwere Last bedrückte, mit einem Schlage von sich zu werfen. Aber der Gedanke, daß der weiße Mustang, sein geliebtes Reitpferd, sich in den Stallungen des Zirkus befand, hielt ihn zurück.

Als er noch so stand und überlegte, hörte er ganz in der Nähe seinen Namen rufen. – Aufblickend gewahrte er kaum zwanzig Schritte hinter sich eine schattenhafte, dunkle, menschliche Gestalt, in der er sofort seinen Gönner, Lord Traveling erkannte.

»Kommen hierher!« rief unwillkürlich der rote Mann. »Young Ironfist können nicht näher treten; er dem Direktor jetzt nicht wollen begegnen.«

»Menschenkind, was ist Ihnen denn nur beigefallen? Der ganze Zirkus war in hellem Aufruhr, Frauen und Kinder sind in panikartiger Flucht. Miß Baker, die sich auf ihre heutige Leistung sehr viel zu gut tut, ist in höchstem Grade unglücklich; der Direktor außer Rand und Band, verzweifelt, händeringend!«

»Young Ironfist das sehr tief beklagen. Er für einen Augenblick sein Künstlertum leider ganz vergessen; er sein kaltes Blut verlieren; er sich hinreißen lassen und einen großen Unsinn machen.«

»Wie kamen Sie nur dazu, Ihre Waffe gegen das Publikum zu erheben?«

»Young Ironfist weiß selbst nicht, wie schnell das gekommen ist. Er stehen im Begriff den letzten Tomahawk nach dem weißen Punkte über dem Kopfe der dicken Miß zu entsenden. Er die Waffe bereits zum Wurfe über das Haupt erheben. Young Ironfist in diesem Augenblicke plötzlich sehen das höhnische Gesicht eines treulosen Freundes und das mit einem Male die Sicherheit seiner Hand lähmen. Young Ironfist sich nicht konnte entschließen, das Haupt der Miß zu gefährden. Er schnell die Waffe sinken lassen.«

»Dafür aber wollten Sie jenen Mann auf das Korn nehmen?«

» Yes. Young Ironfist gegen jenes treulose Bleichgesicht schon lange einen tiefen Groll im Herzen tragen. Er in jenem Augenblick in einen großen Zorn geraten, er diesen Zorn nicht mehr bezähmen können. Er die Waffe erheben und die Stirne des treulosen Mannes ganz sicher treffen.«

»Was hat dieser Mann gegen Sie nur verbrochen? Wie kommen Sie, der ›Weiße Mustang‹, mit einem Male zu dem Namen Young Ironfist?«

»Young Ironfist ist niemals ein Häuptling gewesen; er nur durch den Willen des Direktors den Namen des ›Weißen Mustang‹ tragen. Young Ironfist ist auch kein Pe-ta-ha-vah-da, er ist keine Rothaut. Er als junges Bleichgesicht einst gelangen durch jenen treulosen Freund nach Jonville. Dort er sich nicht gleich in die ungewohnten Verhältnisse finden können, ihn die Rafters oftmals sehr ärgern, er sie dafür aber tüchtig durchprügeln. Diese ihn, weil das junge Bleichgesicht keinen anderen Namen besaß, aus diesem Grunde Young Ironfist nennen.«

»Wie? Habe ich recht gehört? Sie wären gar kein roter Mann? Sie wären ein Bleichgesicht?«

» Yes, Young Ironfist ist ein Bleichgesicht. Er nur durch Zufall die Bekanntschaft des Direktors machen. Dieser ihm goldene Berge versprechen, ihn durch seine Verheißungen ganz gefangen nehmen; er ihn zwingen in seinem Zirkus aufzutreten.«

»Was Sie sagen! Dann wäre also Ihr ganzes Häuptlingsdasein eine Täuschung gewesen?«

»Ja, das nur Täuschung. Young Ironfist sich oft sagen, daß er damit ein großes Unrecht begehen. Er sich nur dazu verleiten lassen, weil der Direktor ihm versprechen, daß viel Geld verdienen. Wenn Young Ironfist dieses Geld erst wird in Händen haben, dann er keinen Betrug mehr verüben, dann er sich wieder zum weißen Manne machen; er von einem Zirkus dann nichts mehr wissen wollen; er nach dem Osten reisen, um ein Gentleman zu werden.«

»Ein Gentleman an Gesinnung scheinen Sie zu sein, aber, wie mich bedünken will, ein Menschenkind zugleich, das entweder mit einem Fuße noch in der Wildnis steht oder durch die Einwirkung besonderer Verhältnisse in sehr eigentümliche, wenig beneidenswerte Bahnen geraten ist. Und glauben Sie denn, daß der Direktor Ihnen die wahren Karten gezeigt hat? Glauben Sie, daß er Ihnen wirklich goldene Berge geben wird?«

»Wenn er sie nicht geben, wenn er nicht halten, was er versprochen hat, dann er ein sehr schlechter Mensch sein; dann er ein sehr großes Unrecht begehen.«

»Nun, wir werden ja sehen, wie sich die Sache gestalten wird. Wir werden bald genug erfahren, was aus ihm herauszubringen ist. Ich fürchte nur, daß er nach dem heutigen Vorgange in Hinsicht auf die goldenen Berge sehr harthörig geworden sein wird. Sie werden froh sein dürfen, wenn er den Spieß nicht umkehrt und seine Person als die geschädigte hinstellt. Einen Prozeß aber werden Sie kaum gegen ihn anstrengen können, einmal, weil füglich doch Sie der Kontraktbrüchige sind, zum anderen, weil Sie sich damit doch nur bloßstellen würden, da die ganze Sache auf einer unlauteren Täuschung des Publikums beruht. – Wissen Sie was? Schenken Sie mir Ihr Vertrauen, lassen Sie mich das, was hinter Ihnen liegt, etwas näher kennen lernen. Kommen Sie mit mir in mein Hotel+… es wird sich nach dem Vorgefallenen ohnedem nicht empfehlen, daß Sie sofort nach dem Zirkus zurückkehren. Erzählen Sie mir, wer Sie eigentlich sind; erzählen Sie mir von Ihren Jugendtagen, woher Sie kommen, worauf Ihr Sinn gerichtet ist, welches Ihre Lebensziele sind+… Ich interessiere mich für Sie+… vielleicht kann ich etwas für Sie tun+…«

Young Ironfist war mittlerweile butterweich geworden.

Einmal sah er sich fast plötzlich wieder in einer völlig veränderten Lebenslage, zum anderen tat es seinem vereinsamten Dasein, seinem jeden Gegenhall schmerzlich missenden Seelenzustande so wohl, endlich wieder einen Menschen vor sich zu haben, der aufrichtige Teilnahme an seinem Geschick zu empfinden schien.

Nebeneinander auf und ab wandelnd wollte er schon beginnen zu erzählen von seinem Leben in dem Indianerdorfe, von seinen Erinnerungen aus seinen frühesten Knabenjahren, von seiner Flucht, von seinen Wünschen und Hoffnungen auf die Zukunft, von seinen bitteren Enttäuschungen, als auf einmal wieder eine Kienfackel beim Zirkus aufleuchtete.

Der Direktor war es wieder und hinter ihm die Riesengestalt der Miß Baker im weißen flatternden Gewande, die, gefolgt von einem halben Dutzend dunkler Menschengestalten, unter allen Zeichen der größten Erregung um die kleine Zeltstadt herumgelaufen kamen. »Mu-u-stang! – Wo bleiben Sie? – Weißer Mu-u-u-stang!« erklang unausgesetzt die Stimme der Miß im höchsten Diskant.

»Kommen Sie, kommen Sie,« sagte der Lord, indem er seinen jungen Freund am Arm erfaßte+… »Der Zirkus scheint geleert, der Menschenschwarm scheint sich so ziemlich verlaufen zu haben+… lassen Sie die Miß ruhig rufen, lassen Sie uns versuchen, möglichst ungesehen in mein Hotel zu gelangen. Es wird sich ohnedem empfehlen, daß Sie – wenigstens für heute – dem Direktor und ihren Kollegen aus dem Wege gehen.«

Willenlos ließ sich Young Ironfist von dem Engländer mitziehen.


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