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Hinter Schloß und Riegel

Young Ironfist saß hinter Schloß und Riegel.

Hatte der Wortwechsel unter den Gästen der Branntweinbude kaum ein Aufsehen erregt, weil sie an derartige Auftritte gewöhnt waren, so hatte die Tatsache, daß nach einer verhältnismäßig nur sehr kurzen Auseinandersetzung zwei Männer, der eine erstochen, der andere erschlagen, am Boden lagen, eine umso größere Erregung hervorgerufen.

Lebhaft wurde der Fall erörtert und besprochen, und als der Vorgang auch auf der Straße bekannt wurde, kamen eine Menge neugieriger Menschen und zuletzt auch einige Konstabler herbeigelaufen.

Rasch wurde der Tatbestand festgestellt und Young Ironfist als der einzig überbliebene Täter in Haft genommen.

Vor den Richter geführt, mußte er nicht nur den Hergang der Sache schildern, sondern es kam zu einer Menge Fragestellungen, die den ganzen Lebensgang des jungen Wildstellers betrafen. Willig, fast mechanisch, gab er Auskunft und erhielt dann die Belehrung, daß jetzt noch alle die Männer, die Zeuge des Vorganges gewesen waren, vernommen werden müßten, worauf der Richter Urteil und Strafe fällen werde.

Seitdem waren zwei Tage vergangen und Young Ironfist aus dem halb bewußtlosen Zustande, in den er durch den plötzlichen Verlust des geliebten väterlichen Freundes versetzt worden war, allmählich erwacht.

Düster brütend lag er auf der harten Holzpritsche seiner Zelle, den Kopf auf die Hand gestützt, den bohrenden Blick auf ein und dieselbe Stelle des Fußbodens gerichtet.

Das also waren die Hemmnisse des Lebens, von denen Tommy in belehrendem und warnendem Tone zu ihm gesprochen. Du wirst im Osten vermehrte Schwierigkeiten vorfinden, hatte er, wenn sie an den langen Winterabenden einsam auf der Arche saßen, so oft gesagt; Schwierigkeiten, von deren Tragweite das kindliche Gemüt einer Rothaut sich nichts träumen läßt, warum, weil in der Welt der Blaßgesichter die Aufrollung der Lebensumstände nicht eine so einfache wie bei euch, in der Stille der Wälder ist. Du kannst den besten Willen haben und durch deinen Fleiß Resultate herbeiführen, die eine fürwahr schöne und befriedigende Tätigkeitssumme darstellen, aber du wirst der Früchte, die du zu zeitigen wußtest, nie ganz sicher sein. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kann ein Schicksalsschlag das Haus treffen, das du errichtet hast, und es wird unversehens auseinanderbersten. Das kommt daher, weil unter deinen weißen Brüdern die Willensqualitäten weit vielseitiger und von mächtigerem Einflusse sind, weil wir neben dem Guten: der Liebe, dem Wohlwollen, der Barmherzigkeit, der Treue, dem Edelmut, der Offenheit und Gerechtigkeit, vieles sehr Schlechte: den Neid, die Habgier, die Falschheit, Herrschsucht, Hoffahrt, die Tücke, Ungerechtigkeit und Gemeinheit finden, die oft genug in einem falschen Gewande, die Niederträchtigkeit der Gesinnung zu bedecken, einherschreiten. Und weil die fortgesetzte Wirksamkeit aller Menschen, der guten und der schlechtgesinnten, eine fortgesetzte Bewegung erzeugt, deren Einfluß jeder einzelne unterworfen ist, sprechen wir von einem Geschick, vom Schicksal. Es ist eine Macht, gegen welche der einzelne nicht anzukämpfen vermag, weil sie in sich die Wirksamkeit jedes einzelnen Menschen, neben der aller übrigen Menschen enthält. Wo die Guten überwiegen, werden dem Einflusse dieser Macht, sofern sie den Menschen in das Elend zu werfen vermag, wohltätige Schranken gezogen sein; wo aber die schlechten Menschen in der Mehrzahl sind, oder, wenn deren nur wenige eine unheilvolle Einwirkung auf die übrigen auszuüben vermögen, da wird es nie zum besten aussehen. Daher ist auch das große Buch der Liebe, aus dem dich der Missionar so manches hat wissen lassen, darauf gerichtet, das Gute gutzuheißen, das Schlechte aber an den Pranger zu stellen, um auf diese letztere Weise die schlechten Menschen zur Erkenntnis des Guten zu führen, aus schlechten Menschen gute zu machen.

Und wie hatte Tommy recht!

Er, Young Ironfist, er war, ehe er noch das Land der weißen Brüder auch nur recht gesehen hatte, einer Reihe Schicksalsschläge zum Opfer gefallen. War es nicht sein redlichstes Bestreben gewesen, sich die Mittel zu beschaffen, die Ausführung seiner Pläne zu ermöglichen? Und als es ihm unter der Anleitung und Führung seines älteren Freundes gelungen war, da mußte die Handlungsweise schlechter Menschen bestimmend in sein bestes Wollen eingreifen, die Früchte seiner Arbeit zunichte machen. War es denn ein Unrecht, daß er den Mann, dem die Hauptschuld an diesem Mißgeschick zugemessen werden mußte, der seinem väterlichen Freunde den Stahl in die Brust stieß, war es ein Unrecht, daß er diesen Mann niederschlug? Mochte es vor den Gesetzen, die die weißen Brüder zur Aufrechterhaltung des Guten schufen, auch nicht bestehen können, er war als Naturkind im Grunde der Anschauung, daß es nur gutgeheißen werden konnte, wenn er die Menschheit von einem solchen Menschen befreit hatte. Und nun sollte er dafür noch bestraft werden; verstand er den Richter recht, vielleicht selbst sogar den Tod erleiden!

Finster starrte Young Ironfist noch immer auf denselben Punkt am Boden, als ob sein Blick die kalten Fliesen durchbohren wolle.

Sollte er auch diesem drohenden Schlage, der vielleicht allem ein Ende machte, ohne Widerstand und ohne Murren sich ergeben? Sollte er auch das, was er allein noch besaß, sein ehrliches Vorhaben, noch viel Gutes und Edles in dieser Welt zu vollbringen, durch den Spruch eines kalt nach Gesetzesparagraphen urteilenden Richters sich nehmen lassen? Sein Vertrauen auf Gott, auf die Verheißungen des großen Buches, seinen Glauben, seine Hoffnung, alles dahingeben? Aber, handelte er wie ein Gentleman, wenn er sich dem Willen des Gesetzes entzog, das, wie Tommy so oft erklärt hatte, nur von den guten Menschen zum Schutze der Schwachen gemacht wurde? Begann er seinen Eintritt in das neue Leben dann nicht mit einem Fehltritte, der die schlimmsten Folgen nach sich ziehen konnte, der das Gewissen eines Gentleman für immer belasten und ihn so nie und nimmer das Gleichgewicht würde finden lassen? O, warum mußte er dahingegangen sein, sein einziger väterlicher Freund, der ihn in allen diesen Zweifeln mit sicherer Hand geführt hätte!

Aufseufzend hob er den Blick und ließ ihn über die verkritzelten vier kahlen Wände streifen.

Da und dort stand ein Datum eingezeichnet, dazwischen waren einige häßliche Fratzen gemalt, ungefüge Menschen- und Tiergestalten, die die Langeweile der Gefangenen mit einem oft unzureichenden Stifte zuwege gebracht hatten.

Wie er so Stück für Stück betrachtete, fesselte eine Reihe von Buchstaben, die, gut erkennbar, mit den Attributen des Jägers, einer Büchse, einem Lasso und einem Hirschgeweih umrahmt waren, seine Aufmerksamkeit.

Aufspringend las er, so gut als Tommy es ihm an den langen Winterabenden auf der Arche Noah beigebracht hatte, die ungefügen Worte:

Nicht die Schläge eines Prügels
Gaben mir die Poesie,
Und der Macht der Menschenkinder
Beugte sich mein Nacken nie.
Folge, wer sich selbst mißtraut,
Des Gesetzes straffer Spur,
Ich bin eine wilde Blume
In der Freiheit der Natur.

Lange stierte Young Ironfist diese Dichterworte an und las sie immer wieder. Sein Auge weitete sich allmählich.

War nicht auch er eine wilde Blume, die, frei in der Natur aufgewachsen, aber von fremder Hand in eine fremde Erde verpflanzt worden war? Regte sich nicht auch in ihm immer mächtiger die Begierde, nicht den Nacken zu beugen den Verhältnissen, die unverschuldet über ihn hereingebrochen waren und die Folgen zu tragen, die diese ihm noch fremde Welt an ihm vollziehen würde?

Wer und was hinderte ihn, wie dieser fremde Mann, der jene Worte an die Wand gemalt hatte, zu sprechen, der nur auf sich selbst vertraute? Stolze, männliche Worte, die ihn gar seltsam anmuteten?

Eine Hochflut von Erinnerungen aus seinen Jugendtagen stürmte zugleich auf die ehemalige Rothaut ein. Er setzte sich wieder auf sein Lager, stützte den Kopf auf die Hände und sah träumerischen Blickes vor sich hin.

Er sah weit zurück in vergangene Tage, sah sich frei und ungebunden, den Bogen in der Hand und den unfehlbaren Pfeil im Köcher, den Wald nach Wild zu durchbirschen. Er sah sich stolz zu Roß die Prärie durchfliegen, dem wilden Büffel nachzustreifen. Er sah sich im Schmucke des jungen indianischen Kriegers, bereit stolze kriegerische Taten für die Ehre und den Ruhm seines Volkes zu vollbringen – – seine Brust begann sich mächtig zu dehnen, sein Blut schneller durch die Adern zu rollen.

Und war er auch mittlerweile ein anderer geworden, wies er es jetzt auch weit von sich, zu dem Fetisch, den Göttern, Dämonen und Geistern der indianischen Schamanen gläubig aufzublicken, so war ihm doch die Kraft und ein gut Teil Wesen des Naturkindes aus jenen Jugendtagen geblieben, die Kraft und der Mut, auf dem einmal betretenen Wege fürder kühn und allen Fährnissen trotzend dahinzuschreiten.

Wer wollte es ihm wehren, seinen Besitz, die Jugend, sich nicht antasten zu lassen, die neue Welt, die er lieben und hochschätzen gelernt hatte, in ihrem Zusammenhange noch näher kennen zu lernen und der Vervollkommnung, die ihm Tommy mit so verlockenden Worten geschildert hatte, nachzustreben? War die Strecke des Weges, auf dem er stand, auch rauh und steinig, ihm wollte bedünken, daß dieser Pfad auch wieder eben, sonnig und lieblich werden müsse und ihn manche jetzt noch ungekannte Blüte zu seinen Seiten finden ließe, die er pflücken würde.

Mit leuchtenden Augen trat er hin zu dem einzigen Fenster des öden Raumes und erfaßte mit mächtigem Griff der Fäuste das Eisengitter. Er begann mit aller Kraft daran zu rütteln, und, o Freude, er gewann die Überzeugung, daß es ihm ein leichtes sei, dies Hindernis hinwegzuräumen.

Ein kurzer Blick, hinaus ins Freie, gaben ihm die Gewißheit, daß er schon manchen gefährlicheren Sprung gewagt hatte.

Befriedigt trat er zurück, legte sich auf das Lager, jetzt freundlicheren Bildern als zuvor nachzuträumen.

So lullte der Gefangene sich nach und nach in einen wohltätigen Schlummer, den ersten seit der verhängnisvollen Stunde, als er das Auge des Freundes hatte brechen sehen. Als Young Ironfist dann erwachte, war es tiefe Nacht.

Er erhob sich und durchschritt tastend den engen Raum.

Der Gefängniswärter war mittlerweile erschienen. Er hatte wie gewöhnlich Wasser und Brot auf den einzig vorhandenen niedrigen Stuhl des Gemaches gestellt.

Gierig fiel Young Ironfist darüber her. Es war zum ersten Male seit er gefangen saß, daß er Hunger verspürte.

Während er das Brot hinunterschlang, trat er an das Fenster und blickte prüfend auf zu den Sternen.

Er mußte viele Stunden hindurch geschlafen haben, die Nacht war schon ziemlich weit vorgeschritten. Es war Zeit, die Flucht auszuführen.

Er erfaßte das Eisengitter und begann das Geflecht sachte, aber unter der vollen Wucht seiner Körperkraft nach außen zu drücken. Bald entstand eine Wölbung, so daß die Stäbe an den schwächsten Stellen des Mauerwerks aus dem Gefüge sprangen. Dies war nicht ohne Geräusch möglich gewesen.

Er lauschte, viele Minuten lang. – Nichts regte sich. – Nun seine Hand einzelne Stabenden zu erfassen vermochte, war es ihm ein leichtes, das Gitter unten und zu seiner Rechten vollends aus der Fensterumschalung auszulösen und dann der Mitte zu nach auswärts zu biegen.

Gewandt schlüpfte Young Ironfist durch das Fenster.

Jetzt war Platz genug, den Körper durch die Öffnung durchzuzwängen.

Nun die Schuhe von den Füßen und an ihren Riemen um den Hals geknotet.

Noch einen kühlen Trunk aus dem Wasserkruge, dann stand Young Ironfist oben auf der Fensterbrüstung.

Gewandt schlüpfte er durch die enge Gasse der Freiheit – ein leichter, elastischer, fast geräuschloser Sprung in die Tiefe, er stand unten im Hofe. – Flink schlich er sich im Schatten der Umfassungsmauer zu dem Tore, das glücklicherweise kleine Vorsprünge und Unebenheiten genug darbot, an ihm behend empor zu klettern.

Einige Minuten später stand er am Ufer des Flusses.

Er überlegte einige Augenblicke, wohin sich wenden.

Da fing auf einer unmittelbar am Ufer liegenden Barke ein Hund an zu knurren. – Kurz entschlossen sprang Young Ironfist in den wohl an fünfhundert Meter breiten Strom, um mit kräftig ausholenden Armen an das jenseitige Ufer zu schwimmen.


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