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Lord Traveling und die Koloradokäfer

Seit der verunglückten Vorstellung im Zirkus Warrington, welche der »Weiße Mustang« gegen seine eigentliche Absicht einem vorzeitigen Ende zugeführt hatte, waren volle zwei Monate ins Land gezogen, als eines Morgens westlich der sogenannten »blauen Grasregion« im Staate Kentucky, etwa unterm 70. Längengrade, vier Reiter mit zwei Packpferden eine schier unübersehbare Prärie durchzogen.

In dem vordersten Manne erkennen wir Lord Traveling, in einer etwas gesuchten, aber eleganten Jägerkleidung, statt dem sonst üblichen großrandigen Filzhut eine karierte Reisemütze mit weich ausgepolsterten Ohrlappen auf dem blonden Haupte. Er hatte eine vorzüglich gearbeitete Kugelbüchse neuester Konstruktion am Riemen über dem Rücken hängen, während ein zusammenschiebbares, ziemlich umfangreiches Fernrohr über seine Brust niederhing, das der Lord alle Viertelstunden einmal auseinanderzog, um damit den Horizont abzusuchen. Auffallen mußte an seiner Ausrüstung eine fast einen Meter lange Keule, tadellos aus biegsamem amerikanischem Fichtenholz geschnitzt, die hinter dem Reiter quer auf den Sattel geschnallt war, ein Instrument, über dessen Bestimmung sich schon sehr viele Leute den Kopf zerbrochen hatten. Vorn am Sattelknopf hingen an einer Bandschleife die Zeugen seiner besonderen Liebhaberei, ein umfangreiches Bündel der verschiedensten dem Kartoffelkraut ähnlichen Pflanzen, die, meist schon recht vertrocknet, laut raschelnd auf der rechten Seite der braunen Stute, die der Lord ritt, hin und her baumelten.

Eines Morgens zogen vier Reiter in der blauen Grasregion über eine schier unübersehbare Prärie.

Etwa zwanzig Schritt hinter dem Lord trabte Young Ironfist auf seinem Schimmel daher, in seinem ledernen, reich mit Fransen besetzten Jagdwamse, ebensolchen Pantalons und kniehohen Lederstrümpfen eine bei aller Jugendlichkeit doch schon recht männliche Erscheinung. Ein eigenartiger sinniger Ernst, etwas wie stille Trauer, lag auf seinem kräftig gezeichneten, fast derben, verwetterten Angesicht, in dem der erste Flaum eines blonden Bartes sproßte. Die blauen Augen unter den dunklen Augenbrauen aber waren trotz dem sinnigen Zug, der in dem Angesicht des jungen Mannes lag, in steter Beweglichkeit, jeden Gegenstand scharf ins Auge fassend, unablässig die ganze engere und weitere Umgebung musternd.

Ihm zur Seite ritt ein erheblich älterer, etwas kurz geratener Mann, Mister Middleton, der Leibdiener des Lords, ebenfalls in unverfälscht westmännischer Bekleidung und Ausrüstung. Er war, seit die Reisenden Louisville verlassen hatten, wo es auch sein mochte, stets dicht hinter dem Lord und ließ ihn auch dann, wenn dieser seiner anscheinend unschuldigen botanischen Sammelleidenschaft nachging, nie aus den Augen. Die Gesichtszüge dieses Mannes verrieten hohe Intelligenz. Unter seinen buschigen Augenbrauen leuchtete ein klug blickendes, fast pfiffig dreinschauendes Augenpaar.

Der vierte Reiter, kurzweg Jack genannt, war in seiner ganzen äußeren Erscheinung das Urbild des englischen Dieners. Obwohl die weltabgelegene Prärie durchreitend war er täglich peinlich glatt rasiert, sorgfältig gekämmt und gescheitelt, war stets ernst und stumm, bocksteif saß er auf seiner Stute. Ihm war die Führung der beiden Packpferde anvertraut, die er an zwei langen Lederriemen bald hinter sich, bald zu seiner Seite hertraben ließ. Soweit diese beiden Pflegebefohlenen seine Aufmerksamkeit nicht in Anspruch nahmen, waren seine kalt und gleichgültig blickenden Augen stets auf den Lord gerichtet, jeden Augenblick seines Winkes gewärtig.

»Eine herrliche Grasfläche!« unterbrach Mister Middleton das Schweigen, indem er den Blick mit wohligem Behagen in die Ferne schweifen ließ. »Überall, wohin das Auge sieht, besät mit bunten Blumen, ein prächtiger Blumenteppich. Man muß zugestehen, daß auch diese Steppen ihre Reize, ihre Vorzüge und Schönheiten haben.«

» Yes! Mister Middleton haben sehr recht. Auch Young Ironfist die Prärie sehr lieben. Sehen den blauen Himmel, wie groß und weit sich spannen; selbst die schlechteste Nase wird riechen, daß die Blumen eine Fülle des würzigsten Duftes entsenden. Nirgends einen Menschen gewahren, das Auge nichts als die pfadlose Steppe erblicken. Die Ruhe, die hier herrschen, Young Ironfist sehr wohl tun.«

»Ihr scheint ebenfalls eine große Empfänglichkeit für erhabene Naturbilder zu besitzen; ich glaube das längst bemerkt zu haben. Ich kann mir's denken, daß Euch nichts ferner liegt, als der Wunsch, in den Zirkus zurückzukehren.«

»O, das Reiten, Schießen und Tomahawkwerfen Young Ironfist stets sehr viel Freude bereiten. Aber er wollen reiten dahin, wo es ihm beliebt; ihn das Reiten im Zirkus schon lange sehr bedrücken. Er von James Warrington wollen nichts mehr wissen; ihm die versprochenen goldenen Berge sehr gerne schenken.«

»Ihr habt ein schlechtes Geschäft gemacht. Der Direktor wollte ja sogar noch eine Entschädigung von Euch haben!«

»Weil er den Zirkus schnell abbrechen müssen und davoneilen; weil Publikum noch am selben Abend vernehmen, daß der Pe-ta-ha-vah-da keine Rothaut, sondern ein Bleichgesicht ist. James Warrington darüber in großen Zorn und Verzweiflung geraten; er Young Ironfist für den Schaden verantwortlich machen. Aber der Direktor nur bezwecken, damit seinen Geiz zu bedecken; er sehr gut wissen, daß Young Ironfist kein Geld besitzen.«

Young Ironfist lächelte ein wenig bei dieser Erinnerung.

»Empfindet Ihr denn aber nicht einige Bitterkeit darüber, daß an jenem Abend alle Eure Zukunftspläne vielleicht für längere Zeit in die Brüche gegangen sind?«

»O, Young Ironfist solche Enttäuschungen schon öfter erleben. Er ganz genau wissen, daß dem Menschen die Wünsche, die er hegt, nicht immer in Erfüllung gehen; ihn das lange zuvor schon sein bester und liebster Freund deutlich und eindringlich sagen.«

»Das war jener Wildsteller, mit dem Ihr den Biber gejagt habt?«

» Yes; das Tommy Hawking ihm sagen, dessen Worte und Lehren Young Ironfist tief in seinem Herzen bewahren.«

»Das muß ein vortrefflicher Mann gewesen sein. Nur glaube ich, daß er Euch auf eine Saite gestimmt hat, die niemals in Eurem Leben ganz rein und voll geklungen hätte.«

»Young Ironfist bezweifelt das sehr. Warum sollte Tommy Hawking, der für seinen jungen Freund nur das Beste im Auge hatte, nicht die Wahrheit gesagt haben?«

»Die Wahrheit wohl. Indessen die Schwärmerei, die Ihr für den Osten hegt, erlaubt den Schluß, daß dieser Mann Euch das Land der Bleichgesichter zu sehr als Schlaraffenland schilderte. Wißt Ihr, was man sich unter diesem Lande vorzustellen hat?«

»Young Ironfist wissen das sehr gut. Das Schlaraffenland ist nur ein Bild der Träume; ein Land, in dem die Tauben in gebratenem Zustande in der Luft umherfliegen und die Flüsse statt des Wassers Milch und Honig führen. Ein solches Land Young Ironfist sehr gut gefallen könnte; aber er wissen, daß ein solches nicht vorhanden ist.«

»Dann bitte ich um Entschuldigung; dann war das meinerseits vielleicht doch ein Trugschluß.«

»Tommy Hawking seinen jungen Freund vor Traumbilder und Trugschlüssen immer sehr eindringlich warnen. Er ihm stets sagen, daß im Lande der Bleichgesichter nur die Arbeit und das Streben nach Vervollkommnung den Menschen glücklich machen. Young Ironfist sich das seinem Herzen sehr tief einprägen. Wenn Lord Traveling sein Versprechen zur Wahrheit macht, Young Ironfist nach Europa mitzunehmen, und für seine erste Zukunft Sorge zu tragen, wird er nur mit dieser Absicht die Reise über das große Wasser antreten.«

»Ich wünsche Euch von Herzen, daß sich alles das in diesem Sinne und zu Eurem Besten erfülle. Daß der Lord sein Wort, Euch nach Europa mitzunehmen, zu halten gewillt ist, daran zweifle ich nicht. Nur fürchte ich, daß bis zur Verwirklichung dessen, worauf Ihr hofft, noch recht viele Zeit verstreichen wird, wenn sich nicht noch andere schwerwiegende Hindernisse ergeben.«

»Nun, wenn sich Hindernisse ergeben, dann wird Young Ironfist versuchen, Geduld zu üben. Welche Schwierigkeiten aber sollten sich dem Lord und seinen Absichten in den Weg stellen? Er wünschen, das im Westen liegende Colorado Country kennen zu lernen und sich einige Zeit dort aufzuhalten. Er hegen die Absicht, die hohen Berge, die sich dort befinden, zu übersteigen, um an das große Wasser zu gelangen. Er sich dort ein Schiff mieten, um damit nach Europa zu gelangen.«

»Das hört sich alles recht einfach an. Dennoch befürchte ich, daß sich die Hindernisse in demselben Maße häufen, als wir westlich vordringen und den Reiseplan, mehr als uns lieb sein dürfte, in Frage stellen werden.«

Young Ironfist schien auch diese Antwort nicht recht zu gefallen. Er wollte entgegnen, aber der Gefährte an seiner Seite gab seiner Stute die Sporen und winkte zu schweigen.

Lord Traveling hatte plötzlich eine Gangart angeschlagen, so scharf, daß sein Gefolge mit den Packpferden alle Mühe hatte, ihm zu folgen.

Erst nach geraumer Zeit ließ der Lord etwas nach und ging in einen immer noch sehr ausgiebigen Trab über.

Fern am Horizont war mittlerweile eine ansehnliche Erhöhung und dahinter die schwachen Konturen einiger Berge sichtbar geworden, das alles der Lord mit seinem Fernrohr natürlich viel eher als seine Begleiter gewahrt hatte.

Je mehr man sich dann der Erdwelle näherte, umso größer wurde ihr Umfang.

Endlich hatte man den Fuß der langgestreckten Anhöhe erreicht. Der Lord trabte langsam bergan.

Bald befand man sich auf einer weitgedehnten Bergwiese, auf welcher der Graswuchs ein erheblich spärlicherer als zuvor, der Boden dafür aber weithin mit nachtschattenartigen Pflanzen besät war.

Schon bei den ersten Kräutern dieser Art angelangt, sprang der Lord vom Pferde und warf dem herantrabenden Mister Middleton die Zügel zu.

Mit dem Zuge der höchsten Befriedigung im Angesicht beging der Lord die nächstgelegenen Pflanzengruppen, schüttelte daran herum, zeigte sich aber bald schon sehr enttäuscht.

Mit einem Male legte er sich langgestreckt mitten unter die Kräuter, deren Blätter und Stengel er nun sehr aufmerksam betrachtete.

»In der Tat eine wildwachsende Art der Solanum tuberosum (Kartoffelpflanze), sehen Sie selbst Middleton,« sagte der Lord, indem er mit seinem Taschenmesser bedächtig einen Stengel vom Wurzelstock trennte und seinem Leibdiener darreichte.

Dieser betrachtete anscheinend sehr aufmerksam die gefiederten Blätter und die in langgestielten Trugdolden stehenden zahlreichen Blütenbüschel, seine Aufmerksamkeit schien tatsächlich aber mehr auf den Lord als auf die Pflanze gerichtet.

Der Lord aber kroch von einem Kraut zum anderen und zog schließlich ein Vergrößerungsglas aus der Tasche, mit dem er besonders die untere Seite der Blätter auf das genaueste besichtigte.

»Es ist nichts!« sagte er endlich, sich mit einem schweren Seufzer erhebend.

Sorglich und gedankenvoll säuberte er sich von dem Erdstaub, der an seiner Kleidung haften geblieben war, und stieg wieder zu Pferde.

Man trabte einige hundert Schritt weit, als der Lord plötzlich seinen Braunen wieder anhielt.

»Findest du nicht, daß die Pflanzen hier weit weniger saftig und frisch sind, als jene, die ich soeben untersucht habe,« fragte er seinen Leibdiener.

»Ew. Lordschaft können beruhigt sein, es ist wirklich kein Unterschied zu bemerken. Im Gegenteil, ich finde, daß der ganze Wiesenplan in frischem, ungeschmälertem Triebe steht; kein Blatt ist angefressen, hier können unmöglich Feinde der Pflanzen vorhanden sein.«

»Und dennoch, ich will doch schnell noch einige Stichproben machen,« versetzte der Lord, schwang sich aus dem Sattel und lag im nächsten Augenblicke schon wieder auf dem Bauche zwischen den Pflanzen.

Stillergeben ließen Mister Middleton und Jack das über sich ergehen. Nur Young Ironfist schüttelte ein ums andere Mal den Kopf, als ob er etwas ihm völlig Unbegreiflichem gegenüberstehe. Geraume Zeit sah er so dem Lord zu, schob dann endlich in merklicher Verstimmung seinen Schimmel an die Seite des Mister Middleton, offenbar eine etwas unwillige Äußerung auf den Lippen. Dieser aber winkte sehr energisch, fast erschrocken ab, so daß schließlich auch Young Ironfist sich zufrieden gab.

Nach einer Stunde endlich schien der Lord von der Vergeblichkeit seines Beginnens überzeugt zu sein. – Er erhob sich, vom Scheitel bis zur Sohle mit Staub und Erde überzogen.

Wieder säuberte er sich, soweit das überhaupt möglich war, und stieg mit umwölkter Stirne zu Pferde.

In derselben Reihenfolge, wie zuvor – der Lord voraus, gefolgt von Young Ironfist und Mister Middleton, zuletzt Jack mit den Packpferden – ging es weiter.

Als die Reiter eine kurze Strecke hinter sich hatten, blieb Mister Middleton nach und nach etwas zurück und gab Young Ironfist durch wiederholte Winke zu verstehen, an seiner Seite zu verbleiben.

Als Mister Middleton sicher war, daß der Lord seine Worte nicht mehr verstehen konnte, sagte er: »Ich bitte Euch dringend, keine Umstände zu machen, wenn sich derartige Aufenthalte, wie wir sie soeben wieder erlebt haben, von jetzt an möglicherweise öfter wiederholen werden.«

»Young Ironfist wird diesem Wunsche gern willfahren. Er weiß, daß Lord Traveling eine besondere Vorliebe für Pflanzen hat. Young Ironfist sich gar nicht darüber wundern; er selbst auch schon eine Blüte pflücken, wenn sie ihm besonders lieblich oder schön erschien. Lord Traveling aber stundenlang auf dem Boden umherkriechen, um jedes Blatt und jeden Stengel der Pflanzen zu besehen und zu beriechen; das mußte Young Ironfist doch schon auffallen und muß ihm nachgerade sehr bedenklich erscheinen.«

»Ich finde das nur zu sehr selbstverständlich und begreiflich. Da Ihr aber nun einmal in die Dienste Sr. Lordschaft eingetreten seid und zu seinem Gefolge zählt, möchte ich Euch, wie gesagt, dringend bitten, keinerlei Umstände zu machen, sondern sich den Verhältnissen, so seltsam sie auch sein mögen, zu fügen. Es könnte anders für uns alle sehr unerwünschte Folgen haben.«

»Young Ironfist wird das, was Mister Middleton wünscht, gerne tun, wiewohl er die Zwecke, die Lord Traveling verfolgt, nicht begreifen kann. Er vermag ebensowenig einzusehen, wie es möglich sein wird, das Colorado Country zu erreichen, geschweige die großen Berge hinter sich zu bringen, wenn der Lord alle Augenblicke vom Pferde steigt.«

»Eben darum, weil Euch das alles recht sonderbar erscheinen muß, fühle ich längst die Verpflichtung, ja die Notwendigkeit, Euch über die Leidenschaft, die Sr. Lordschaft verfallen ist, aufzuklären. Ich kann das aber nicht mit wenigen Worten und nur dann tun, wenn wir beiderseits nicht beobachtet sind. Auch Jack, der mit den Packpferden hinter uns herreitet, soll nämlich von dem, was ich Euch sagen will, nichts zu wissen bekommen.«

»Dann mag Mister Middleton das, was er zu sagen wünscht, aussprechen, wenn es Abend geworden ist. Wenn Lord Traveling den ganzen Tag geritten und eine Menge Pflanzen beschnüffelt haben, dann er immer sehr schnell einschlafen; er sehr gut und sehr tief schlafen.«

»Sehr gut, ich verstehe. Wir werden uns heute abend also auf kurze Zeit etwas beiseite machen und den Lord durch Jack beaufsichtigen lassen.«

»Das gut so. Auf diese Weise zwei Fliegen mit einem Schlage treffen; weder der Lord noch der Diener werden hören, was wir besprechen werden.«

Mister Middleton nickte befriedigt mit dem Haupte.

Young Ironfist gab sich ebenfalls zufrieden und schweigend ritten sie von da an nebeneinander her.

Eine Stunde später war es um Mittag.

Der Lord hielt ganz unvermittelt an, stieg vom Pferde, pflockte das Tier und gebot Jack, den Mittagsimbiß hervorzuholen.

Ohne ein Wort zu sprechen, machte auch Jack seine Tiere fest.

Er holte aus den Gepäckstücken eine Decke hervor, die er auf dem kurzen Grase ausbreitete und stellte einige Konserven darauf, ein leckeres Stück Wildbret, etwas Zwieback, Rum, Zucker und Wasser.

Während Jack bei den Pferden sich niederließ, gesondert seine Mahlzeit einzunehmen, lud der Lord die anderen beiden zu den auf dem Teppich ausgebreiteten Erfrischungen und bat zuzugreifen.

Hier war der Lord nun wieder der leutseligste Mann, ein liebenswürdiger, ja geistreicher Plauderer, der schnell eine muntere Unterhaltung in den Gang zu bringen wußte; ja nach und nach wurde er so aufgeräumt, daß er sich sogar zu dem einen und anderen Witzchen verstieg.

Nach einem kleinen Stündchen wurde wieder aufgebrochen und der Ritt mit mehreren Unterbrechungen, wie sie schon Vormittags stattgefunden hatten, fast bis zum Abend fortgesetzt.

Man hatte kurz vor der Tagesneige noch einige Hühner erlegt, dann gerade noch eine kleine, von einem Gewässer durchzogene Talsenkung erreicht, in dessen Nähe man sich häuslich niederließ.

Mit dem Eintritt der Dunkelheit legte sich der Lord in seinem von einem engmaschigen Garne umstellten Schlafsack zur Ruhe nieder und entschlief fast augenblicklich.

Jack erhielt den Auftrag, seinen Herrn für kurze Zeit zu beaufsichtigen und unter keinen Umständen von seiner Seite zu gehen.

Mister Middleton und Young Ironfist nahmen ihre Büchsen und entfernten sich.

Es war nichts Ungewöhnliches, daß der letztere um die Zeit, wenn der Lord zur Ruhe gegangen war, noch einem Wilde nachzustellen pflegte.

Einige hundert Schritt weiter oben im Talgelände ließ Mister Middleton sich in das Gras nieder und lud Young Ironfist ein, neben ihm Platz zu nehmen.

»Zunächst muß ich mich Euch – so seltsam es auch klingen mag – vorstellen und zugleich einen Irrtum berichtigen,« begann Mister Middleton. – »Ich heiße allerdings Harry Middleton. Ich bin aber keineswegs der Leibdiener des Lord, sondern Doktor der Medizin, praktischer Arzt und Spezialist für Nerven- und Gemütsleiden.«

»Also ein Medizinmann?«

»Ja – wenn Ihr so wollt – ein Medizinmann.«

»Wie aber ist es möglich, daß Lord Traveling, wie er mir selbst wiederholt sagen, Mister Middleton für seinen Leibdiener ausgeben.«

»Weil er davon, daß ich dem Gelehrtenstande angehöre, nichts weiß und auch nichts davon wissen darf; weil er mich in der Tat als Leibdiener in seine Dienste genommen hat.«

»Das Young Ironfist sehr überraschen; er das nicht recht begreifen können.«

»Das glaube ich gerne und darum will ich Euch dieses unnatürliche Verhältnis gerne erklären.«

Young Ironfist rückte sich noch etwas bequemer zurecht und erklärte, er wäre ganz Ohr.

Der Doktor begann: »Lord Traveling war seinerzeit einer der liebenswürdigsten und geistreichsten Lebemänner Englands und dabei ein steinreicher Mann. Obwohl in seinem Heimatlande sehr begütert, nützte er eines Tages günstige Verhältnisse, sich auf sehr billige Weise in Pennsylvanien verhältnismäßig große Ländereien anzueignen. Dieser äußerlich anscheinend sehr glückliche Umstand wurde indessen die Ursache seines Unglücks.«

»Young Ironfist bis jetzt nur seine seltsame Leidenschaft für Pflanzen kennen lernen; er sonst noch nichts von einem Unglück bemerken.«

»Und dennoch – hört mich nur erst an; es wird Euch dann manches in ganz anderem Lichte erscheinen und vieles, das Euch bis jetzt nicht recht klar war, verständlich werden. – Als nämlich der Lord seinen neuen Besitz angetreten hatte, schickte er seinen besten Wirtschaftsführer nach den erworbenen Ländereien, der ihm nach Jahr und Tag berichtete, daß die Besiedlung urbar gemacht, mit den verschiedensten Getreidearten und nicht zum kleinsten Teile mit Kartoffeln angepflanzt sei, aus denen man, wie ich glaube, Branntwein zu brennen gedachte. – Der Zufall wollte es, daß der Lord in den vornehmen Klubs der Londoner Gesellschaft just um diese Zeit einen Gelehrten kennen lernte, der unter den abenteuerlichsten Umständen die ganze nördliche Hälfte des amerikanischen Kontinents wissenschaftlich bereist hatte. Dieser Mann behauptete, daß er in den Felsengebirgen westlich des Colorado Country ein Insekt entdeckt habe, das bestimmt zu sein scheine, durch die Verwüstungen, die es anzurichten im stande sei, dereinst noch das größte Aufsehen zu erregen.«

»Was haben dieses kleine Insekt mit dem Lord zu tun? Welch ein Tier ist dieses Insekt?«

»Es ist ein Insekt, das im Volke bis jetzt wenig bekannt wurde, in den wissenden gelehrten Kreisen aber, seinem Stammlande entsprechend, der Koloradokäfer genannt wird.«

»Also ein Käfer – ein großer Käfer, da er große Verwüstungen anzurichten vermag?«

»O, ganz im Gegenteil, ein sehr kleiner Käfer, der aber in seiner schnellen Verbreitung, in seiner ungeheuren Vermehrung und in seiner Gefräßigkeit von einer Größe ist, die ihresgleichen sucht.«

»Beschreiben Mister Middleton diesen Käfer. Young Ironfist liegen als kleiner Knabe den ganzen Tag im Walde; vielleicht kennen das kleine Insekt.«

»Im Walde wird dieses Insekt kaum anzutreffen sein, denn es lebte, wenigstens ursprünglich, auf einer wildwachsenden Nachtschattenart, die nur auf den Bergwiesen des Felsengebirges – denselben hohen Bergen, die der Lord vom Colorado Country aus zu übersteigen gedenkt – vorzukommen pflegte.«

»Nun, dann wird Young Ironfist dieses Insekt aus jenen Bergen noch kennen lernen.«

»Ich bezweifle das. Denn erstens dürfte dieses Insekt dort kaum mehr anzutreffen sein, und zweitens« – der Doktor stockte.

»Warum zögert Mister Middleton, das, was er zu sagen beabsichtigte, auszusprechen?«

»Zum anderen befürchte ich – offen gesagt –, daß unser Reiseplan schon viel eher eine Änderung erfahren wird, daß wir gar nicht bis ins Colorado Country zu reiten brauchen, um die Käfer, die der Lord aufsucht, anzutreffen.«

»Der kleine Käfer kann also doch auch anderswo vorhanden sein?«

»Allerdings, doch in etwas anderem Sinne, als Ihr das anzunehmen scheint. Man weiß nämlich bereits, daß das Insekt das Felsengebirge schon längst verlassen hat und eine Wanderung nach dem Osten anzutreten im Begriffe ist. Ob die Ursache seiner Reiselust auf seine ungeheure Vermehrung und aus Nahrungsmangel zurückgeführt werden muß, ist nicht sicher, das muß dahingestellt bleiben. Tatsache aber ist, daß das gefräßige kleine Tier bereits die den Nachtschattenarten sehr eng verwandte Kartoffelpflanze aufgesucht hat, die ihm durch das immer weitere Vordringen der Ansiedlungen westlich des Mississippi näher gebracht wurde. Der Käfer ist zu allem Unglück noch beflügelt, was seinem Vordringen einen äußerst verderblichen Vorschub leistet.«

»Warum nennen Mister Middleton das Vordringen des kleinen Tieres ein Unglück?«

»Nun – um das kurz zu sagen – weil das kleine Tier nach und nach alle Kartoffelpflanzen, diese unentbehrliche Nährpflanze der Menschheit, auffressen wird.«

»Aber das können bei einem kleinen Käfer doch unmöglich sein?«

»Und dennoch liegt diese Befürchtung sehr nahe. Der Käfer an sich ist freilich nur 10–12 mm lang, die Gefährlichkeit des Insekts aber liegt in seiner fast unglaublichen Vermehrung. Der schon erwähnte Gelehrte hat festgestellt, daß von einem einzigen Weibchen vom Frühjahr bis zum Herbst eine ganze Million, unter den ungünstigsten Verhältnissen aber mindestens 50–100 000 Käfer herrühren können. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das Insekt innerhalb eines Jahres in mindestens zwei, aber auch in drei Generationen sich fortpflanzt, gelangen wir zu einer Käferzahl, die wir uns ziffernmäßig gar nicht vorstellen können. Bedenkt man nun, daß solche Massen über die Kartoffelpflanzen herfallen, das Kraut in kürzester Zeit vollkommen kahl fressen, wodurch selbstverständlich auch die Entwicklung der Knollen geschädigt wird, dann ist die Gefahr doch einleuchtend.«

»Wenn Young Ironfist sich solche Zahlen auch nicht vorstellen können, ihm die Schädlichkeit dieses Insekts jetzt allerdings einleuchten. Er jetzt auch verstehen können, warum Lord Traveling alle Augenblick vom Pferde steigen und zwischen den Pflanzen umherkriechen. Er wünschen das Insekt näher kennen zu lernen, um vielleicht ein Mittel zu ersinnen, der Vermehrung und Verbreitung des Käfers entgegenzutreten.«

»Doch nicht so ganz. Ihr müßt mich, um in dieser Sache völlig klar zu sehen, schon noch vollends anhören. Wißt Ihr, was Spleen ist, in der gewöhnlichen, landläufigen Auffassung dieses Begriffes?«

»No. – Young Ironfist diesen Gegenstand noch niemals kennen lernen. Ist dieses auch ein Käfer?«

»Ein Käfer nun gerade nicht, aber ebenfalls ein Feind des Menschen, der ihm zum Verderben gereichen kann. Man hat sich darunter etwas mehr oder weniger Wesenloses vorzustellen, ein Etwas, das – um mich weniger wissenschaftlich als im Sinne des Volksbegriffes auszudrücken – seinen Sitz im menschlichen Gehirn hat. Er, der Spleen, ist – damit Ihr mich recht versteht – eine teilweise körperliche, mehr aber noch eine geistige, unter Umständen ebenfalls sehr gefräßige Krankheit. Sie befällt und richtet sich mit Vorliebe bei Menschen ein, die sich an keine regelmäßige Tätigkeit gewöhnt haben, oder durch den Genuß vieler Vergnügungen zu einer bestimmten Übersättigung gelangt sind.«

»Young Ironfist verstehen. Solche Menschen ermangeln der Arbeit; sie nicht streben nach Vervollkommnung; sie das Leben als eine Bürde empfinden; sie keine Freude daran haben.«

»Sehr richtig. Solche Menschen verfallen gewöhnlich früher oder später dem Spleen, wohl auch der Hypochondrie, d.h. der Einbildung von Krankheiten; nicht selten auch der Melancholie, das so viel wie Trübsinn bedeutet, wenn nicht noch schlimmere Zustände sich einstellen. Und von einem solchen Übel ist der Lord, der von jeher eine gewisse Empfänglichkeit für diese Gruppe von Krankheiten gezeigt hat, leider befallen worden.«

»Mister Middleton beschreiben dieses Übel. Young Ironfist sich sehr dafür interessieren.«

»Ich begreife das, und weil die Krankheit des Lords Euer Interesse berührt, fühle ich mich verpflichtet, Euch darüber aufzuklären. Als nämlich damals der Wirtschaftsführer aus Pennsylvanien dem Lord über die Anlage großer Kartoffelpflanzungen berichtete und dieser zufällig zu gleicher Zeit von dem Gelehrten hörte, welche Gefahren seitens des Koloradokäfers dieser Nährpflanze drohen, faßte er in seinen krankhaften Neigungen den Entschluß, das verderbenbringende Insekt zu studieren und der Verbreitung desselben, wenn irgend möglich, Schranken zu setzen. Ich will ununtersucht lassen, ob ihn dabei das eigene Interesse, seine Plantagen vor dem Verderben zu bewahren, oder seine menschenfreundliche Gesinnung leitete, die, ich muß das betonen, außer allem Zweifel steht, denn er hat, besonders in jungen Jahren, schon zahlreiche und anerkennenswerte Beweise dafür gegeben. Kurzum, er reiste sozusagen schon mit dem nächsten Schiffe über das große Wasser und begab sich nach seiner Besitzung. Hier fand er alles in bester Ordnung und von dem befürchteten Insekt keine Spur.«

»Nun, das ihn jedenfalls sehr freuen.«

»Mag sein, aber eine fixe Idee, den Schädling zu studieren und ihm entgegen zu wirken, verließ ihn von da an nimmer. Durch Umstände, die mir nicht näher bekannt geworden sind, kam er nach und nach zu dem Entschlusse, aus seiner Besitzung den drohenden Feind nicht erst abzuwarten, sondern ihn aufzusuchen und von Grund auf zu vertilgen. Er hatte u.a. gehört, daß die Ente und das Haushuhn dem gefährlichen Insekt sehr eifrig nachstellen. Das gab ihm die Grundlage für seinen Feldzugsplan. Er erbaute auf seiner Besitzung eine Unmenge Geflügelhäuser und kaufte, soweit er deren habhaft werden konnte, alle Enten und Hühner zusammen, in der Absicht, mit dem Erfolge seiner Zucht alle von dem Ungeziefer bereits heimgesuchten westlichen Ländereien zu überschwemmen.«

»Die Enten und die Hühner sollten die Käfer auffressen?«

»Ja, die sollten das Ungeziefer vertilgen. Dieses Experiment verschlang nun selbstverständlich Riesensummen. Als die Gemahlin des Lords zu diesem Zwecke immer wieder Gelder flüssig machen sollte, wurde sie stutzig und bat mich, dem Lord nachzureisen, um ihn zurückzuholen, mindestens aber wollte sie ihn unter zuverlässiger ärztlicher Behandlung und Aufsicht wissen. Ich packte meine Koffer und reiste dem Lord nach. Als ich auf seinem Besitztum ankam, wollte es das Unglück, daß unter dem Riesenheer von Hühnern, das er bereits aufgezogen hatte, eine Epidemie ausbrach, die in verhältnismäßig kurzer Zeit den größten Teil des Geflügels dahinraffte.«

»Das den Lord sehr schmerzen.«

»Selbstverständlich. Es verärgerte ihn derart, daß die Rückwirkung auf sein Leiden nicht ausblieb und dasselbe noch steigerte. Er verfiel lange Zeit in dumpfes Brüten, bis er eines Tages plötzlich wie ausgewechselt sich gebärdete. Er hatte mit einmal eine neue Idee gefaßt, nämlich ein Heer von Menschen anzustellen, die Käfer von den Pflanzen durch Menschenhand absammeln zu lassen. Der Mangel an Geld indessen – das auf meine Veranlassung in England nicht bewilligt wurde – ferner der Umstand, daß es mir gelang, den Lord zu überzeugen, der Käfer hinterließe bei der Berührung einen klebrigen Saft, von dem die Hände der Menschen anschwellen, ließen den Plan nicht zur Ausführung kommen.«

»Ihm sagen, die vielen Menschen würden schließlich mit geschwollenen Gliedmaßen und zum Absammeln des Insekts gänzlich untauglich im fernen Westen umherlaufen?«

»Sehr richtig. Er hat das eingesehen. Seine große Menschenfreundlichkeit, auf die ich gebaut hatte, sie kam mir zu Hilfe.«

»Nun der Lord aber noch immer haben ein großes Interesse für das verderbliche Insekt?«

»Leider! Als es mir gelungen war, ihm das Absammeln durch menschliche Hände auszureden, suchte ich ihn auf alle erdenkliche Weise zu zerstreuen, wozu mir zuletzt auch der Zirkus Warrington eine sehr willkommene Gelegenheit bot.«

»Er jeden Abend im Zirkus anwesend; er dem Zirkus sogar nachreisen; er sehr viel Gefallen an ihm finden.«

»Das war ganz nach meinem Wunsche. Er vergaß sich dabei und fast schon glaubte ich, eine Wendung zum Besseren wäre eingetreten. Da hörte er eines Tages irgendwo, daß der Käfer nun auch schon in Nebraska beobachtet worden sei, und das gab seinen krankhaften Vorstellungen neue Nahrung. Ich war auf das unangenehmste überrascht, als ich eines Morgens entdeckte, daß er sich insgeheim eine hölzerne Keule hatte anfertigen lassen.«

»Die Keule, die am Sattel angeschnallt sich vorfinden?«

»Dieselbe!«

»Was wollen beginnen damit der Lord?«

»Ich weiß es nicht, er spricht darüber kein Wort; ich kann mich nur in Vermutungen ergehen. Er ist inzwischen auch sehr mißtrauisch geworden; er beginnt seine Absichten und Pläne auch vor mir, der ich all die Zeit hindurch sein ganzes Vertrauen genoß, zu verheimlichen.«

Doktor Middleton schwieg.

Auch Young Ironfist fand für den Augenblick keine Worte. Erst nach geraumer Weile sagte er mit etwas gedrückter Stimme: »Wenn der Lord auf solche Ideen geraten, dann allerdings er müssen sehr krank sein.«

»Leider, ja leider,« versetzte der Doktor, sich erhebend. »Und vor allem – um das mir hauptsächlich zu tun war – nun wißt Ihr, junger Freund, woran Ihr seid. Ich muß Euch überlassen, ob Ihr Euer Hoffnungsgebäude, wozu die Versprechungen des Lords die Grundpfeiler bilden, unter diesen Umständen aufrecht erhalten wollt. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß die täglichen Ablenkungen, die der Lord auf unserem Ritt durch dieses Land erfährt, von wohltätiger Wirkung sein werden, daß eine allmähliche Besserung seines Zustandes eintritt und damit die Möglichkeit, schon bald nach Europa zurückzukehren. Ich kann das aber keineswegs verbürgen. Jedenfalls seid Ihr, wenn Ihr eines Tages unserer überdrüssig werden solltet, meinerseits jeder Verpflichtung entbunden, so schwer und empfindlich es für uns werden kann, auf dieser Reise Eure Erfahrung und Euren Beistand zu missen. Der Lord würde aber bei klaren Erwägungen und Vorstellungen sicherlich selbst nicht von Euch verlangen, Eure Zeit und die Jugend für ihn hinzugeben. Eure Zukunft an eine Person, wie er sie leider darstellt, zu binden.«


Lord Traveling und seine Begleiter waren eines Tages, spät des Abends noch, im äußersten Westen des Kentucky-Territoriums, unweit der Ohiomündung, in einer kleinen Ansiedlung angelangt.

Sie wurden von den Farmern, die in der Ankunft der Fremden eine sehr willkommene Abwechslung in ihrem einförmigen Dasein zu erblicken schienen, sehr freundlich aufgenommen.

»Das kommt nicht alle Tage vor,« meinte gutmütig lächelnd Peter Eisenmann, ein biederer Deutscher vom Oberrhein. »Man kann es uns nicht verübeln, wenn wir von einem solch unverhofften Besuch möglichst vielen Nutzen ziehen.«

Dieser Mann hatte in dem Wettlaufe der Farmer, sich in Gastfreundschaft zu überbieten, den Preis errungen und die Fremden bei sich beherbergt.

»Die Herren müssen eben mit dem zufrieden sein, was Haus und Hof zu bieten vermag,« fügte die dralle Farmerin mit freundlichem Lächeln zum soundsovielten Male hinzu.

Auf dem einfachen Tische des Wohnraums, der aus rohen, kaum behauenen Balken gebildet war, dampfte schon eine Stunde nach der Ankunft die Suppe. Die Farmerin schleppte dann noch ein schnell bereitetes Fleischgericht herbei, einen leidlich gut gebackenen Kuchen, zum Schlusse fehlte auch eine Flasche Genever nicht.

Man langte wacker zu und besprach dabei die Verhältnisse im Osten, was es dort Neues gab; man begutachtete das schnelle Aufblühen des Südens; man erwog die Kulturfortschritte und was die Zukunft etwa bringen möchte.

Im Laufe der Unterhaltung lernten die Farmersleute das Reiseziel des Fremden genauer kennen.

Man war sich beiderseits bald darüber klar, daß ein Vordringen nach dem Colorado Country zu Pferde ein ebenso beschwerliches, als langwieriges und gewagtes Unternehmen wäre. Trapper und Grenzer, die ab und zu an der Ansiedlung vorüberkämen, erzählten übereinstimmend, daß in den endlosen Prärien jenseits des Mississippi die Rothäute übermütiger und feindlicher gesinnt denn je seien, so zwar, daß das Reisen ohne ausreichende militärische Bedeckung geradezu eine Tollkühnheit wäre.

Das war dem Doktor Wasser auf die Mühle.

Er hatte längst schon bei sich den Plan gefaßt, sobald sie den Mississippi erreicht haben würden, dem Lord den Vorschlag zu machen, bis nach St. Louis den Wasserweg zu benützen, um von dort etwa auf dem Missouri mindestens bis Kansas City gegen das Colorado-Territorium vorzudringen. Insgeheim nährte er die Hoffnung, den Lord in St. Louis hinzuhalten, ihn durch Überredung und Güte oder sonstwie auf ein Schiff zu bringen, und, statt nach dem Westen zu reisen, dem Mexikanischen Meerbusen zuzudampfen.

Stoff gab es genug, den neuen Plan nach allen Seiten hin zu beleuchten und zu erwägen, zumal Peter Eisenmann und mehrere Nachbarfarmer, die inzwischen sich eingefunden hatten, dieses Unternehmen nur wärmstens befürworteten und die flußauf in Betracht kommenden Verhältnisse ziemlich genau kannten.

Bald war man einschließlich des Lords, bei dem die Aussicht, schneller vorwärts zu kommen, den Ausschlag gab, so ziemlich entschlossen, die Pferde zurückzulassen, sich einem Ohio- oder Mississippifahrer bis zur nächsten Dampferstation anzuvertrauen oder aber selbst ein Boot zu erbauen. Nur Young Ironfist, der einsilbig und in sich gekehrt dasaß, äußerte, als man ihn um seine Meinung fragte, unverhohlen, daß er sich von seinem Schimmel, der ihm allzusehr ans Herz gewachsen sei, nur sehr ungern trennen würde. Der Lord, der sich im Laufe der Auseinandersetzung aber immer mehr für die Wasserfahrt begeistert hatte, suchte ihn zu überzeugen, daß sich ein Ausweg sicher finden lasse, sich des wohldressierten Tieres nicht entledigen zu müssen.

So war es an diesem Abend bei einem guten Haustrunk und der lebhaftesten Unterhaltung recht spät geworden, ehe die Farmersleute und ihre fremden Gäste die Lagerstätten aufsuchten.


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