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Flieger über Estaires

Anfang August wurde die Colonie Anglaise verlassen; die Division ging nach Carvin zurück, und Talbots Abteilung kam in das Dörfchen Oignies.

Am Morgen des zweiten Tages hörte Talbot eigentümliche Laute aus dem Pferdestall; durch die Stalltüre sah er einen kleinen grauen Esel neben den Reitpferden angebunden. »Woher kommt das Tier?« fragte er.

»Der ist uns zugelaufen«, antwortete Vizewachtmeister Wöbke mit einem Grinsen.

»Haben Sie schon gehört, dass Esel zulaufen?« sagte Talbot zu seinem Adjutanten im Weitergehen.

»Mein Gott, Herr Hauptmann, Wöbke wird einen Strick gesucht haben, und der Esel war dran. Und schliesslich ist ja ... Iwan ... auch«

»Still! Den hab ich angefordert.«

Talbot hatte nicht mehr Zeit, sich um die Sache zu kümmern, denn die Ruhe, die der Division versprochen war, nahm ein rasches Ende; bereits am dritten Tag kam der Befehl zum Abmarsch.

Die Division wurde östlich von Lille im französischen Flandern wieder eingesetzt. Es war eine stark bebaute Gegend, überall an den Strassen langgestreckte Dörfer, grüne Gärten und mannshohe Hecken, ein höchst unübersichtliches Gelände. Ein Dorf, ein Gehöft sah aus wie das andere. In den feuchten Wiesen stiess man schon nach ein paar Spatenstichen auf Wasser.

Talbots Gefechtsstand befand sich in einem Bauernhof, ein paar hundert Meter südlich von einem alten, flandrischen Städtchen, das Estaires hiess, und das die englische Artillerie Tag und Nacht beschoss.

Der dicke vierkantige Kirchturm stand noch, obwohl mehrere britische Batterien sich sichtlich bemühten, ihn umzulegen. Von den Fenstern des Hauses sah man deutlich die Treffer auf den grauen Sandsteinquadern.

»Fabelhafter Sportsgeist da drüben!« sagte Talbot. »Dass auf dem Turm niemand ist, das können sie sich an den fünf Fingern abzählen. Ich möchte den Stand der Wetten kennen!«

»Ich möchte eher wissen«, meinte der Adjutant, »was sie ihrem Falken vorlügen, um den Munitionsverbrauch zu rechtfertigen.«

»Das ist dort anders. Die Generale sind grossenteils junge Leute, so in meinem Alter. Der Falke drüben schiesst vermutlich mit.«

»Na, ihre Taktik ist nicht bedeutend.«

»Wo sollen sie's denn her haben? In so kurzer Zeit kann man Armeen aus der Erde stampfen, aber nicht Artillerieoffiziere ausbilden. Dafür machen sie es eigentlich gar nicht schlecht. Und wenn sie immer auf dasselbe Ziel funken, ... sie haben ja genug Munition. Natürlich ist es sinnlos. Kein Schwein geht durch Estaires. Lieber wird der grösste Umweg gemacht.«

»Die Kolonnen, die heute Nacht Munition und Baumaterial nach vorne fahren mussten, hatten arge Verluste in Estaires. Die müssen wir durch und können keine Umwege machen ...«

»Ja, die armen Leute haben Tag und Nacht Verluste ...«

Ein fürchterliches Gebrüll ertönte aus dem Hof.

»Cousin!« rief Leerodt. »Gleich werden sie wieder da sein!«

Ueber Estaires und den feuchten Wiesen kreisten englische Flieger. Cousin war der Esel, den Wöbke mitgebracht hatte; er konnte das Singen der englischen Rotationsmotoren von dem tiefen Brummen der deutschen Flugzeuge genau unterscheiden, und sowie er einen Engländer hörte, brüllte er los.

»Nicht jede Gruppe hat so eine erstklassige Fliegerwarnung«, sagte Talbot.

Die Flieger waren jetzt ganz nahe und gleich darauf tönte das Heulen der niedersausenden Bomben und ihr furchtbares Krachen.

Es schien nichts geschehen zu sein. Talbot und der Adjutant gingen in den Hof hinab, eine Zigarre zu rauchen. Aus dem Stall, dessen Türe offen stand, tönte Lärm, und sie traten hinein. Die aufgeregten Pferde bäumten sich an den Ketten; ein mächtiger brauner Hengst war über die Kette getreten und keilte gegen den Holzverschlag; zwei Fahrer bemühten sich, das erschreckte Tier zu befreien. Talbot sah zu; dann streichelte und lobte er das Eselchen, und gab ihm eine Zigarre, die es beschnobberte und aus seiner Hand frass. Talbots braune Setterhündin Cora knurrte eifersüchtig und fuhr dem Esel an die Hinterbeine. Der feuerte aus. Talbot und Leerodt lachten. In diesem Augenblick erhob der Esel wieder sein wildes Geschrei. Das singende Geräusch der Motoren ertönte aus der Höhe, und gleich darauf wieder rasch hintereinander das Heulen und Krachen. Der Esel schrie, der Hund bellte laut, die Pferde stiegen, die Ketten rasselten und draussen tönten Rufe.

Sie traten ins Freie. Ein Unteroffizier kam auf sie zu: er zitterte am ganzen Leibe und ohne eine Aufforderung abzuwarten, sagte er erregt: »Herr Hauptmann, wäre es nicht besser, die Pferde anderswo unterzubringen? Sie schlagen sich bei dem fortwährenden Krachen im Stall die Knochen kaputt!«

»Ihr möchtet wohl selber in ein anderes Quartier, um die Vögel loszuwerden?«

»Nein, Herr Hauptmann, die Pferde ...«

»Na, schon gut. Zieht ins Protzenquartier, aber ein paar Pferde müssen dableiben. Nichts demoralisiert die Leute so«, sagte er im Weitergehen, »wie die fortwährenden Fliegerangriffe.«

»Und es werden immer mehr«, seufzte Leerodt.

Am Himmel standen Fesselballons.

»Da oben sitzt vermutlich der Bickel«, sagte Leutnant von Leerodt.

»Wie?« fragte Talbot, »Bickel?«

»Ja, er sitzt immer im Ballon bei den Luftschiffern und leitet das Feuer telefonisch von oben.«

»Er ist in der letzten Zeit überhaupt vom wilden Soldaten gebissen.« Sie kehrten ins Haus zurück und Talbot setzte sich an den Schreibtisch und sah missmutig auf die Papiere.

Zwei Tage später standen sie am Fenster und sahen nach einem Ballon, der gar nicht weit entfernt zwischen Sailly und Estaires in der blauen Höhe lag und sich im Luftzug leise schaukelnd bewegte. Ein englischer Flieger kreiste in gefährlicher Nähe über ihm.

»Er kann ihn nicht sehen«, sagte Koch.

»Da! Da! Jetzt hat er ihn!« rief Leerodt.

Eine dünne Flamme stieg aus dem Ballon in die Höhe, und er sank, ein brennender Fetzen, unter ein wenig sich kräuselndem Rauch, aus der Luft zur Erde.

»Ich hoffe, der arme Ballonfritze ist rechtzeitig gewarnt worden«, sagte Talbot.

»Da ist er schon! Er hat's geschafft!«

Hoch oben schwebte eine kleine Figur unter einem dunklen breiteren Fleck und, immer grösser werdend, kam er im Luftstrom getrieben in schräger Richtung langsam zur Erde herab, gerade über dem Obstgarten vor dem Gehöft, in dem Talbots Gefechtsstand lag. Talbot, Leerodt, Koch, Dreetz eilten hinab, und von allen Seiten kamen Offiziere, Fernsprecher, Schreiber, Ordonnanzen gelaufen, um, wenn nötig Hilfe zu leisten.

»Das ist ja der Bickolini!« rief die Stimme Leutnant Holtzems aus dem obern Stockwerk.

»Richtig, das ist er!« rief Talbot. Hinaufblickend sahen alle, wie Bickel noch in einer Höhe von etwa zwanzig Metern sein Etui aus der Tasche zog und sich eine Zigarette anzündete. Eine halbe Minute später stand er auf der Erde, und Leutnant Koch und ein Gefreiter halfen ihm, sich aus dem Seilgewirr des Fallschirms zu befreien.

»Sie sind mit einem blauen Aug davongekommen, Bickel!« rief Talbot.

»Es war ... nicht uninteressant, Herr Hauptmann!«

»Allerlei, dass Sie sich da oben einen Toback angestochen haben«, rief Leerodt.

»Ich wollte Euch Brüdern nur zeigen, dass es bloss Spass ist. Und ich dachte daran, was der Käptn in solchem Fall wohl für Blödsinn machen würde!«

»Sie sind ja ein ganz unverschämter Kerl, Bickel«, lachte Talbot, »Käptns machen keinen Blödsinn!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

»Und jetzt kommen Sie!« Talbot zog ihn am Arm ins Haus.

Noch vor dem Essen sah er, wie der lange Leutnant von Dreetz Bickel beiseite nahm und eindringlich mit ihm sprach.

Während des Essens wurde Bickels Luftreise von allen besprochen. Nur Leutnant Holtzem redete leise und eifrig mit dem Doktor, der neben ihm sass. Hier und da wurden sie lauter, und Bruchstücke ihres Gesprächs wie »Wilson«, »die Amerikaner«, »unsere Politik« waren zu hören. Talbot sah mehrmals hinüber; sie verstummten und mischten sich in das allgemeine Gespräch.

Nach dem Essen, als sie allein miteinander sprachen, sagte Bickel: »Der Leutnant Dreetz bäte dringend um einen Burschen; er wage es nur selbst nicht zu sagen; ob die dritte Batterie nicht einen stellen könnte?«

»Eigentlich bin ich dagegen«, sagte Talbot, »er hat einen mit Holtzem zusammen, und meine Herren sollen sich zu zweien mit einem Burschen begnügen. Wir haben so viele Fehlstellen und die Burschen haben nichts zu tun. Aber da zwischen Holtzem und Iwan immer Häkeleien sind ...«

»...So werde ich einen schicken?«

»Ja, aber der Bursch darf nicht klüger sein als der Herr. Das wäre gegen die Disziplin! Schicken Sie das dümmste Luder, das Sie haben.«

Sie lachten, und Bickel ging. Im Vorzimmer traf er Leerodt: »Könnt Ihr hier nichts schaffen?« sagte er zu ihm, »das Material ist ja zum Kotzen. Heut hab ich wieder einen Rohrdetonierer gehabt. Das Pulver taugt nichts; in den Geschossen sind Gusslöcher, nächstens können wir mit Runkelrüben schiessen; es hat denselben Effekt!«

»Schreiben Sie doch an Ludendorff einen eingeschriebenen Brief, unterzeichnet 'Bickel'; vielleicht schickt er Ihnen was Besseres!« antwortete der Adjutant heftig.

Bickel wollte auffahren, da sah er, dass der kleine Leutnant Tränen in den Augen hatte. Er ging schweigend.

Leerodt trat zu Talbot ins Zimmer und legte Papiere auf seinen Tisch.

»Schon wieder Tatberichte!« sagte Talbot. »Holtzem ist viel zu sehr Jurist. Er möchte am liebsten alle Fälle ans Divisionsgericht abgeben.«

»Aber die Disziplin verfällt auch immer mehr«, sagte der Adjutant.

»Leider! Aber so geht es nicht. Bitten Sie die Batterieführer zu einer Besprechung, Leerodt!«

Eine Stunde später sass Talbot noch an seinem Tisch, als Iwan von Dreetz eintrat und eine illustrierte Zeitung vor ihn legte.

»Was soll das?« fragte Talbot und sah gelangweilt auf das Blatt.

Iwan grinste vielsagend. Talbot sah genauer hin, wurde rot im Gesicht und brüllte: »Scheren Sie sich hinaus, Sie verdammter Idiot, Sie!«

Iwan verschwand eilends.

Das Blatt brachte eine Notiz über eine fürstliche Verlobung und ein Doppelbildnis. Talbot wusste darum; seit Tagen trug er einen Brief in steiler Damenhandschrift mit der Krone im Siegel bei sich. Jetzt stützte er die Arme auf den Tisch und starrte lange vor sich hin. Endlich stand er auf, ging ans Fenster und sah in den schweren blauen Sommerhimmel hinaus, der über einer trüb erregten Welt leuchtete. »Schluss!« sagte er hart.

In der Ferne kreisten Flieger, Ballons standen wieder in der Luft. Jenseits der feuchten Wiesen vor ihm ragte der kahle viereckige Turm von Estaires aus dem zerschossenen Städtchen; hie und da krachte es dumpf auf. Nebenan summte der Apparat.

Ein Batterieführer wurde gemeldet. Talbot ging ihm entgegen. Sein Gesichtsausdruck war gequält. Als die Offiziere nach und nach eintrafen, gab er jedem die Hand und sagte verbindliche Worte, aber ohne die gewohnten Scherzreden.

»Meine Herren«, begann er, als alle beisammen waren, »ich habe Sie hergebeten, um meinen Standpunkt in aller Schärfe klarzulegen. Aus mir unbekannten Gründen werden mir fast täglich neue Batterien zugeteilt. Die Gruppe hat jetzt elf Batterien, also fast eine Brigade nach Friedensmassstäben. Die Arbeit wird täglich grösser. Trotzdem scheinen Sie mich für Ihr Mädchen für alles zu halten. Ueber jeden Käse reichen Sie einen Tatbericht ein. Die geltenden Militärgesetze sind vor fast hundert Jahren für ein wüstes Söldnerheer gemacht worden. Wenn so ein junger Kerl – meist ist es jüngster Ersatz – die Nerven verliert, so ranzen Sie ihn an, aber schreiben Sie nicht gleich einen Tatbericht wegen Feigheit vorm Feinde. Wir alle sind ab und zu feige vorm Feind. Nur sind wir Führer in einer ungleich bessern Lage. Wir sind gebildete Menschen, und können uns beherrschen, oder wir gehen an solchen Tagen den Granaten aus dem Weg. Denken Sie an die mangelhafte Ausbildung der Leute, an den Frass, den sie bekommen, und die Dauer des Kriegs! Wieviel Jahre Zuchthaus wären verwirkt, wenn ich Ihre Tatberichte in die Mühle geben würde?! So muss ich in vielen Fällen das Recht beugen, und Sie zwingen mich dazu. Das will ich nicht mehr! Wirklich böse Sachen sollen nicht geduldet werden; aber in den gewöhnlichen Fällen bitte ich Sie, mit Ihren Leuten allein fertig zu werden. Treten Sie den Bengels – bildlich gemeint! – in den Hintern, aber benutzen Sie nicht die Gruppe als Ihren Papierkorb! Erziehen Sie die Leute! – Ich hoffe, dass Sie mich verstanden haben. Hat einer der Herren eine Frage?«

Da niemand eine Frage hatte, ging er zur Besprechung taktischer Einzelheiten über und entliess dann die Offiziere zu ihren Batterien. Durchs Fenster sah er, wie mehrere im Hof noch in kleinen Gruppen beisammen stehen blieben und die Sache gleichfalls erregt besprachen.

Kaum hatten die letzten Herren den Hof verlassen, als der Adjutant ihm zu seinem Staunen den Hauptmann Schreiber meldete. Die Munitionsversorgung wurde jetzt von besonderen Stäben geleitet, und die Gruppe hatte mit der leichten Munitionskolonne nicht unmittelbar zu tun. Als Talbot in das Geschäftszimmer trat, erhob sich der Hauptmann schwerfällig vom Stuhl, lächelte unruhig und bat um eine Unterredung unter vier Augen. Talbot führte ihn in seinen Schlafraum.

»Ich bitte, mir meinen Wunsch nicht übel zu nehmen«, sagte der Hauptmann, »aber ich muss bitten, mich zur Ersatzabteilung zu versetzen. Ich bin dem Dienst an der Front nicht mehr gewachsen.«

»So?« erwiderte Talbot und sah zu Boden, »Sie fühlen sich Ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen?«

Er hob die Blicke wieder und sah den andern an. Der Hauptmann, der völlig grau geworden war, sah in der Tat alt und müde aus. Er griff nach dem einzigen Stuhl, der in dem Raum stand, und setzte sich schwerfällig nieder. »Verzeihen Sie mir, lieber alter Freund«, begann er wieder, »ich darf Sie doch so nennen? – Es ist nicht wegen der Schiesserei. Es gehen mir jede Nacht Pferde und Leute kaputt; aber daran gewöhnt man sich. ...Offiziere hab ich zwar auch keine mehr, nur Offizierstellmacher ..., Kriegsleutnants ..., das Volk ist nichts mehr wert ...«

»Lieber Schreiber«, fragte Talbot, »sagen Sie, was ist denn eigentlich los?«

»Vor acht Tagen bin ich vom Urlaub zurückgekommen. Zu Hause bei mir geht alles drunter und drüber. Mein Gut geht zum Teufel, obschon dick verdient wird. Ueberall Deserteure, Betrug, Schiebung. Meine Frau liegt mit allerhand Kerls ... Ich habe sie ... Ach was! ...«, er schwieg einen Augenblick, dann sagte er, »Und ... Talbot, lesen Sie denn keine Heeresberichte?«

»Nein. Wozu?«

»Und das Elend in der Heimat interessiert Sie nicht?«

»Nein. Ich habe anderes zu tun. Und ... ich habe selber genug.«

»Sie?! Was haben Sie?« Schreiber lachte verzweifelt. »Sie, Junggeselle, reich, unabhängig, ein glänzender Offizier, Generalstäbler, aus purem Mutwillen an der Front, Sie und – elend?«

»Was wissen Sie von mir, lieber Schreiber? Entschuldigen Sie! – Sie können Ihre Frau verhauen oder hinauswerfen. Das macht Luft. – Wollen Sie reinen Mund halten?«

»Von mir erfährt kein Mensch etwas ...«

»Ich spucke seit einem Kamelpatrouillenritt in Palästina Blut. Es mag von meinem Lungenschuss kommen. Vielleicht sind's auch Tuberkelchens. Ist ja auch gleichgültig. Kein Mensch weiss etwas davon ausser Wöbke, der meine Taschentücher besorgt. Der Doktor sieht mich manchmal von der Seite an. Und doch ist das nicht das Schlimmste.«

»Aber Talbot, Menschenskind«, rief der Hauptmann, »Sie müssen sofort etwas tun!«

»Quatsch! Es wird schon reichen bis zum Ende. Bis zu unserem sicheren ... Sieg!«

Schreiber sah ihn an; Talbots Ausdruck war undurchdringlich; er fasste Schreiber an der Hand und sah ihn voll ins Gesicht: »So kurz vor dem Ende wollen Sie uns verlassen, Schreiber?« sagte er mit gewinnender Herzlichkeit.

»Nein«, rief der Hauptmann, »ich bleibe, Talbot, Sie lieber oller Rattenfänger! Aber geben Sie mir einen Kognak!«

»Natürlich. Und Sie bleiben zu Tische. Es gibt zwar elenden Frass ...«

»Es geht nicht. Ich muss die Brüder auf den Schwung bringen ... Talbot! So glauben Sie wirklich noch an den Sieg?!«

»Ich glaube, dass Männer aushalten bis ans Ende. Daran glaube ich, lieber Freund. Und da Sie mich Rattenfänger genannt haben, Sie kennen doch die Geschichte von den Ratten und dem sinkenden Aeppelkahn?«

Unter den fast weissen Haaren wurde Hauptmann Schreiber glühend rot.

»Sie aber bleiben!« sagte Talbot. Er hatte die Kognakflasche geholt, eine Zigarrenkiste und Gläser, schenkte ein, schnitt einer Zigarre die Spitze ab und steckte sie Schreiber in den Mund, gab ihm Feuer und trank ihm zu. Er füllte die Gläser noch mehrmals, dann zündete er sich eine Pfeife an und begleitete den Hauptmann in den Hof. »Vielen Dank, dass Sie bleiben!« sagte er, dem alten Kameraden die Hand schüttelnd.

Der Hauptmann schwang sich, gleichsam wieder jugendlich geworden, aufs Pferd und trabte grüssend davon.

Talbot kehrte ins Geschäftszimmer zurück. Der Zahlmeister brachte einen Berg von Papieren zur Unterschrift, der Verpflegungsoffizier kam mit Fragen, der Veterinär berichtete über den Stand der Pferde in den Protzenquartieren; aber der Kommandeur war sichtlich besserer Laune.

Als die Offiziere alle zum Abendessen erschienen waren, das jetzt sehr formlos, zwischen den Apparaten und Akten an den Tischen des Geschäftszimmers eingenommen wurde, sagte Talbot in aller Gegenwart: »Herr von Dreetz, ich bitte Sie wegen der Form um Entschuldigung. Takt ist nicht jedermanns Sache, und Sie ... Ach was! Also ich bitte Sie um Entschuldigung.«

Die Offiziere sahen einander an und wunderten sich. Draussen erhob Cousin sein wildes Eselsgeschrei, und am Abendhimmel kreiste ein englisches Fliegergeschwader über Estaires. »Achtzehn Farmans!« sagte Dr. Pilukeit, der am Fenster stand und sie gerade gezählt hatte, »und von uns kein Aas zu sehen!«

»Wir haben eben keine mehr!« sagte der Adjutant bitter.


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