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Die Hose, oder wie man Quartier macht

Kurz vor Weihnachten 1914 langte die Division an der Pilitza an. Die Batteriestellung lag vor dem Städtchen Tomaszow. In der Dachgiebelstube eines alten Hauses war die Beobachtungsstelle. Die Russen schossen nicht viel, und Talbot hatte keine Veranlassung, ihren Eifer anzufachen.

Er stand mit Bickel in der Dachstube vor dem Scherenfernrohr. Vor sich sahen sie einzelne Häuser, den vereisten Fluss, Schneefelder, dunklen Wald und in der Ferne die leuchtenden Turmspitzen des Klosters Gelen Olen. »Nun haben wir schon eine nette Ecke Polen erobert, Herr Hauptmann«, sagte Bickel.

»Ja, und wir werden noch viel mehr erobern und immer weiter nach Osten ziehen.«

»Wir befreien die Bevölkerung vom russischen Joch«, bemerkte der Leutnant, der seine politischen Aeusserungen aus den Leitartikeln heimischer Blätter bezog, die er abends las.

»Natürlich; sie jauchzen ja auch förmlich, wenn wir kommen und ihre letzten Kühe und Schweine requirieren.«

»Herr Hauptmann machen wieder Spass.«

»So spasshaft finde ich das gar nicht. Aus dem befreiten Land machen wir ein Königreich Polen und setzen einen deutschen Prinzen auf den Thron.«

»Das wäre doch sehr schön.«

»Reizend. Und nach dem Kriege werde ich Abteilungskommandeur in Jwangorod und Sie Batteriechef in Lodz.«

»Warum nicht?«

»Und fünfzig polnische Abgeordnete im Reichstag! Also nur weiter: von der Maas bis an die Lena!«

Blaff, blaff machten zwei rosenrote Wölkchen über dem Städtchen. Es sah harmlos und nett aus. »Sehen Sie nur Bickel, da haben die Russki mit österreichischen Beutekanonen geschossen.«

Woran erkennt man das?«

»Am rosa Pulverdampf.« Blaff, blaff machte es wieder. »Die reine Kindervorstellung!«

Die Türe öffnete sich, und der Fahnenjunker Liebgen trat mit einem Teller voll Fleisch und dampfenden Kartoffeln ein. »Wollen Herr Hauptmann mal versuchen?«

»Was ist das?«

»Schweinefleisch.«

»Woher?«

»Die Fernsprecher im Haus nebenan haben ein Schwein geschlachtet.«

»War es ordnungsgemäss requiriert?«

»Ja ... das weiss ich nicht genau.« Der kleine sommersprossige Junge mit den roten Haaren wurde glühend rot.

»So, so, Sie wissen es nicht genau?« Talbot kniff ein Auge zu. »Holen Sie mir mal Wöbke und den Panje, dem das Schwein gehört.«

Liebgen machte kehrt. Zehn Minuten später kam er mit Wöbke und dem zitternden Polen wieder. Es war ein alter Mann im Schafspelz und hohen Stiefeln, die spitze Persianermütze auf dem Kopf; um die dünnen alten Lippen hing der Schnauzbart; in einer seiner schmierigen Fäuste hielt er einen Zettel.

»Zeig mal her, Panje!« Zitternd reichte der Alte ihm das Papier. Talbot las; er biss sich auf die Lippen, um ernst zu bleiben. Auf dem Zettel stand: »Für dieses Schwein bezahlt Dir der Zar im günstigsten Fall dreihundert Rubel.« Unterschrieben war er: »Drei Kanoniere« und in violetter Druckschrift überstempelt mit den Worten: »Gott strafe England!«

»Wer hat das geschrieben?«

»Ich, Herr Hauptmann«, meldete Wöbke.

»Und woher kommt der Stempel?«

»Den hat mir mei ... meine Kusine ... geschickt«, stotterte der Fahnenjunker.

»Und ich sollte mitessen und mitschuldig gemacht werden.«

»Nein, Herr Hauptmann.«

»Schert Euch raus! Der Wachtmeister soll kommen! – Der Panje bleibt!«

Der alte Mann fiel auf die Knie und begann die gewohnte Litanei: »Austryaci wczystko sabrali! ... Die Oesterreicher haben alles genommen!«

»Dobrze, dobrze, Panje«, sagte Talbot und bedeutete ihm, aufzustehen und zu warten. Der Wachtmeister kam.

»Stellen Sie dem Panje da einen ordentlichen Schein aus, Wachtmeister, und sehen Sie sich mal die Schweinerei unten in der Küche bei den Fernsprechern an. Machen Sie den Kerls mal ein bisschen Angst!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Im Divisionsbefehl, den eine berittene Ordonnanz am Abend ins Städtchen brachte, stand: »Die Batterie tritt auf Befehl der Division zur k. u. k. 34. Kavallerietruppendivision.«

Bickel, der am nächsten Morgen zu den Oesterreichern geschickt wurde, kam nach zwei Stunden wieder. »Die Oesterreicher scheinen uns im Freien unterbringen zu wollen, Herr Hauptmann.« Er las: »Die Batterie von Latour bezieht Nächtigung – was ist das für ein Wort? – im Wald zwischen Glinik und Jagdschloss Spala.«

»Sind die Nazis schon dort?«

»Nein. Der Generalstabsmajor Grautinger hat gesagt, die Batterie soll im Laufe des Tages das Biwak beziehen und zum Abend den Lageplan in dreifacher Ausfertigung nach Spala schicken.«

Talbot studierte die Karte. »Lassen Sie man. Wir werden den Zaun schon pinseln. Wöbke soll mal kommen.«

Wöbke kam. »Wöbke, in meinem Koffer ist doch noch eine lange Hose mit Generalstabsstreifen?«

»Jawoll, Herr Hauptmann.«

»Eine Reithose mit Streifen ist doch auch noch da?«

»Nee, die habe ich abgetrennt.«

»Der Schneider soll sie wieder annähen – nur oberflächlich.«

»Ist Herr Hauptmann wieder zum Generalstab versetzt?«

»Quatsch! Die beiden Hosen, – die Reithose, wenn die Streifen wieder angenäht sind, – wickelst Du in eine Zeltbahn und nimmst sie morgen früh mit. Eine Bürste auch. Verstanden?«

»Zu Befehl«, sagte Wöbke verständnislos.

»Abmarsch!« Wöbke verschwand. Bickel sah Talbot erstaunt an. »Ja, mein Lieber, die Sache steigt folgendermassen. Sie reiten morgen früh, spätestens um sieben, mit fünf Quartiermachern, darunter Wöbke, nach Spala und machen Quartier. Im Schloss ist Platz für die ganze Batterie.«

»Aber da will ja der österreichische Divisionsstab unterkommen!«

»Meinetwegen. Für den haben wir unter Umständen auch noch Platz.«

»Die werden uns rausschmeissen!«

»Keine Idee. Dafür gebe ich Wöbke noch die nötigen Anweisungen.«

»Wenn das man gut geht.«

»Nichts wird passieren, lieber Bickel.«

Um sieben Uhr früh ritt Bickel mit den fünf Quartiermachern ab. Es war noch völlig dunkel. Als es heller zu werden begann, sahen sie das rote Backsteingebäude im verschneiten Wald vor sich. Einer der Quartiermacher stieg ab und schlug an die Türe des Verwaltungsgebäudes, bis ein verdriesslicher Pole erschien. Bickel liess sich das Tor des Schlosses öffnen. Es war einstöckig und Platz genug darin. Er liess es jedoch frei und machte für die Offiziere und Mannschaften der Batterie in den Nebengebäuden Quartier. »Der Chef hat vollkommen recht«, sagte er zu dem Offizierstellvertreter Korn. »Hier ist Platz für die Batterie und für mehr als einen Divisionsstab.«

Gegen zehn Uhr morgens kamen einige österreichische Offiziere angeritten. Es war ein heller Wintertag geworden. Vor dem Schloss stand Wöbke und bürstete eifrig an den Hosen, die über einer Stange hingen. Er machte eine stramme Ehrenbezeugung.

»Ist das Schloss schon belegt?« fragte einer der Oesterreicher.

»Jawoll, da liegt unser Generalkommando.«

»Das ist doch merkwürdig«, meinte der Oesterreicher. Sie berieten einen Augenblick untereinander, machten dann nachdenklich kehrt und ritten davon .

Um elf Uhr kam Talbot mit der Batterie an.

»Der erste Angriff ist abgeschlagen«, meldete Bickel.

»So? Na, denn is jut. Wöbke zieh ab mit die Buxen und verstaue sie, wo weder Mond noch Sonne sie bescheint!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Nachmittags wurden wieder Oesterreicher gemeldet. Talbot ging wie zufällig über den Hof. Ein Offizier im Radmantel, den Klemmer auf der Nase, ritt auf ihn zu und stellte sich vor: »Major Grautinger.«

»Hauptmann von Latour.«

»Aber, Herr Hauptmann, Ihre Batterie sollte doch im Walde nächtigen!«

»Jawohl. Aber ein vorüberreitender Generalstabsoffizier sagte mir, dass hier noch frei sei. Es ist massenhaft Platz. Das Schloss ist völlig unbelegt.«

»So? Kann unser Divisionsstab noch unterkommen?«

»Selbstverständlich.«

»Alsdann danke vielmals!«

Er kehrte um, ritt zu seinen Leuten zurück und gab seine Befehle.

»So wird man mit den Brüdern fertig«, sagte Talbot indessen im Hause zu seinen Offizieren.

Am Abend sass er mit Bickel und Schulz an der Tafel des Feldmarschalleutnants von Ziglynski und erzählte Geschichten.

Nach dem Essen schrieb er eine Karte an seinen Vater:

»Herrn Generalleutnant z. D. Freiherr v. Latour, Exzellenz, Kommandeur der stellv. 111. Infanterie-Brigade, Rastatt.

Lieber Vater! Du hast es gut. Du kannst Dich ins warme Bett legen. Wir aber müssen hier, Schulter an Schulter mit den Bundesgenossen, kalten Sekt trinken. Gruss Talbot.«

Die Oesterreicher mussten sämtlich mit unterschreiben.

Am nächsten Morgen sagte Bickel: »Wissen Sie, Schulz, was er zur österreichischen Exzellenz gesagt hat, als die ihn fragte, was das L. F. auf den Achselklappen des Regiments Ludwig Franz bedeute?«

»Nee.«

»Louis Philippe hat er gesagt und ausführliche historische Erläuterungen gegeben.«

Schulz lachte und sah nach dem Fenster hinauf, an dem Talbot stand und seine Zigarre rauchte.


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