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Urlaub

Talbot hatte achtundzwanzig Tage Urlaub erhalten. Sein Vater, der eine Landwehrdivision in den Vogesen führte, hatte ihm geschrieben, dass er zu gleicher Zeit Urlaub bekommen könnte; er erwarte ihn daher Mitte März in Baden-Baden.

Die Fernsprecher, welche die aus der Korpszentrale durchgesagten Telegramme aufnahmen, wunderten sich über Privattelegramme, die ihr Hauptmann in diesen Tagen erhielt.

»Dem Ollen sein Onkel muss'n verrückter Kerl sein«, sagte der Unteroffizier Bertram zum Gefreiten Schall, »telegraphiert: Erwarte sehnsüchtig! und solches Zeug!«

»Der Onkel wird wohl lange Haare haben«, meinte Schall.

»Kann ich mir jarnich vorstellen.«

Gefreiter Schall hatte recht gehabt: am neunten März 1916 stand Anastasia abends in Berlin auf dem Bahnhof und wartete.

Talbot hatte Wöbke vorbereitet: »Du wirst jemanden wiedersehen, den Du nicht erwartest.«

»Befehl, Herr Hauptmann.«

»Nein, mein Lieber, das kann man nicht befehlen. Wer wird mich wohl abholen?«

»Exzellenz, der Vater von Herrn Hauptmann.«

»Nee, mein Freund, der fährt nicht zu den Preissen. Eine Dame, die Du kennst!«

»Fräulein Doktor!?«

»Woher weisst Du das?«

»Ach, Herr Hauptmann,« sagte Wöbke und machte ein Fuchsgesicht, »unsereiner ist ja auch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert!«

»Grinse nicht, Satan!«

Der Zug rollte in die Halle, Talbot stand an der Türe des Wagens, Wöbke hinter ihm. Er erkannte Anastasia nicht gleich, weil er sie noch nie im Hut gesehen hatte. Plötzlich stand sie vor ihm.

»Stascha!«

»Mein Lieber!«

»Da ist auch Wöbke, den Du sicher noch kennst.«

»Natürlich.« Sie gab Wöbke die Hand und lächelte.

»Können wir gleich nach Hause fahren?«

»Es ist alles bereit.«

Talbot hatte seine Wohnung in Berlin noch, weil er in der neuen Garnison, als er plötzlich versetzt wurde, nicht sogleich eine passende gefunden hatte. Und er hatte Stascha, die in Berlin ihr Staatsexamen gemacht hatte und in einem Krankenhaus arbeitete, die Schlüssel und eine Vollmacht geschickt.

»Aber zu essen gibt es nur serr schlecht«, sagte sie.

»Wir haben etwas mitgebracht.«

Es war merkwürdig nach der langen Zeit in verschneiten, kriegsverwüsteten russischen Wäldern durch die beleuchteten Strassen einer grossen Stadt zu fahren. In der Wohnung in der Uhlandstrasse angekommen, sah Talbot sich in den lang verlassenen Zimmern um.

Anastasia sah ihn aufmerksam an.

»Ich habe ja solche Sehnsucht gehabt«, sagte er, sie in seine Arme nehmend.

»Ich vielleicht nicht?!« stammelte sie unter Küssen. Dann begann sie zu erzählen.

»Staschenka«, unterbrach er sie, »hast Du keinen Hunger?«

»Nein.«

»Aber ich!«

»Dann habb' ich auch.«

Sie gingen in die Küche, in der Wöbke bereits die Vorräte ausgepackt und Teewasser aufgesetzt hatte. »Eier! Wurst! Mehl! Schinken!« lachte Stascha »grossartig!«

»Jawoll, Herr Hauptmann. Sechs Flaschen Rotwein, zwei Flaschen Sekt, ein Krug Kirschwasser.«

»Das haste also schon raus. Denn eine Pulle Schum. Dann mach' uns Spiegeleier und bring' von den andern Sachen. Denk auch an Dich und nimm Dir eine Flasche Rotwein. Dann geh aus, bekiek Dir Berlin und fall nich in 'n Briefkasten.«

»Befehl, Herr Hauptmann.«

Als Talbot am andern Morgen erwachte, schlief Stascha noch. Er ging leise ins Wohnzimmer und deckte den Frühstückstisch.

Diese Wohnung hatte ihm die Mutter noch eingerichtet. Fast alles, was er in die Hand bekam, die Tischdecke, das Silber, der Kaffeewärmer, die gehäkelten Eierhäubchen waren von ihr geschenkt. Fast alles kam aus der Heimat, eine Erinnerung an Kinderzeiten und erfüllte ihn mit Wehmut. Ein anderer Gedanke kam ihm. »Sie hätte es nie begriffen«, murmelte er.

Er ging in die Küche, in der er Wöbke kramen hörte. »Wollen mal Kaffee kochen, Wöbke.«

»Jawoll.«

Er bedeutete Wöbke, nur gerufen zu kommen, und trug das fertige Frühstück selbst ins Wohnzimmer. Stascha sass auf dem Sofa und kaute bereits.

»O, ich habe Hunger, Liebster!« sagte sie.

»Hör mal, Staschenka«, sagte er, als sie einander gegenüber am Tische sassen, »der grosse Gelehrte Dr. Schleiermacher sagte einmal zu einem seichten Fant, der ihn fragte, wie er es halten sollte, folgendes: Seichter Fant, fasse nie Entschlüsse über Dich und Deine Zukunft, wenn Du im Bette liegst. Besonders nicht, wenn Du nicht allein bist. Und überhaupt nicht, wenn die Entschlüsse die betreffen, die bei Dir sind.«

»Das warr ein weiserr Mann.«

»Drum habe ich meine Entschlüsse schon in Tokaryszki gefasst, wo ich sechs Monate Zeit zum Nachdenken hatte.«

»Sei so gutt und schenk mir noch eine Tasse Kaffee ein.«

»Staschenka!«

»So ernst?«

»Ja. Hör zu. Ich will Dich heiraten; nicht jetzt, aber gleich nach dem Krieg. Ich nehme dann meinen Abschied und studiere noch was.«

»Ich danke Dir, Liebster, aber ...«

»Was aber? Kein aber!«

»Doch! Ich habbe schon aus Deinen Briefen gefühlt, dass es so kommt ...«

»Und ...?«

»Ich habe auch Schleiermacher gefragt oder Kant ... Also es gett nicht.«

»Denn ...?«

»Ich liebe Dich ...«

»Du glaubst vielleicht, es ist ein Opfer für mich, wenn ich den Abschied nehme. Ich habe den Kram bis daher.«

»Das ist mir gleichgiltig. Obwohl die Nottwendigkeit eine Beleidigung für mich ist ...«

»Nun also!«

Sie beugte sich ein wenig vor, sah auf ihre Hand, die mit einer Brotkrume spielte, und sah ihn dann voll an. »Es ist das grösste Vertrauen, das ich Dir schenken kann. Ich darf es nicht, und ich tue es doch. Es gett aus politischen Gründen nicht. Meine Freunde erlauben es nicht.«

»Wie? Was? ...«

»Ich kann es selber nicht verantworten. Bald werd' ich Deutschland verlassen müssen. Du bist ein Aristokrat. Ich bin das Gegenteil. Du bist mein Geliebter ... aber politisch bist Du mein Feind.«

»Du weisst ja gar nicht, wie ich politisch denke.«

»Ja, Du bist gescheit, Du siehst die Fehller, die in Deiner Welt gemacht werden, abber es ist Deine Welt.«

Talbot schwieg und sah vor sich hin. »Ein Anarchist oder Nihilist bin ich allerdings nicht«, sagte er.

»Das bin ich auch nicht.«

»Was denn?«

»The rest is silence!«

Talbot sah sie einen Augenblick überrascht an, dann sah er nach dem Fenster. Beide schwiegen. Endlich stand er auf. »Du zerbrichst alles«, sagte er.

»The hand-axe rushit in two – steht auf dem Ring, den Du trägst.«

Er sah auf sie herab, ihre rechte Hand in der seinen, die andere hatte er auf ihre Schulter gelegt: »Meine Geliebte willst Du sein?«

»Ja.«

»Ich aber wollte ein Kind von Dir haben.«

»Du sollst es haben.«

»Das ist Unsinn!« rief er heftig.

»Unsinn, Du siegst!« sagte sie und versuchte zu lächeln.

Da fielen Tränen aus ihren Augen.

Eine Weile später trat Talbot im Zivilanzug ins Zimmer. Stascha hatte den Hut auf; sie wollte nach Hause fahren, um sich umzuziehen.

»Kind«, sagte Talbot, »zieh doch für diese Zeit ganz zu mir!«

»Das gett nicht. – Vielleicht zwei Tage.«

»Warum nicht?«

»Ich habe zu viel Arbeit.«

»Du könntest immer hier wohnen.«

»Das gett nicht. Das will ich nicht.«

Als Stascha fortgefahren war, sass Talbot auf dem Sofa und rauchte, oder ging langsam im Zimmer umher. Viele Gedanken beschäftigten ihn, auch die Aufgabe, seinem Vater klar zu machen, dass er höchstens drei Tage in Baden-Baden bleiben konnte.

Sie trafen sich mittags am Bahnhof Friedrichstrasse und assen in einem Restaurant in der Nähe. Als Talbot eintrat, winkte ein langer Kürassier mit der Hand und rief: »Latour!«

»Oh, Wilding!«

Der Kürassier schüttelte ihm strahlend die Hand; dabei bemerkte er, dass der andere nicht allein war. »Wollen Sie mich nicht vorstellen?« fragte er.

»Herr von Wilding – Fräulein Dr. ...« den Namen sprach er möglichst undeutlich aus, Stascha machte ein abweisendes Gesicht.

»Also, lieber Kerl, ich komme nachher mal an Ihren Tisch.«

»Ja, ich muss leider gleich fort.«

»Dann setzen Sie sich so lange zu uns.«

»Wo kommen Sie her?«

»Vom Urwald im Osten. Und Sie?«

»Ich bin schon über ein Jahr hier.«

»Wo denn?«

»Wumba.«

»Sie sind doch nicht krank?«

»Nein, das gerade nicht,« erwiderte der lange, junge Mensch, nicht ohne Verlegenheit.

»Und Sie sind hier«, sagte Talbot gelassen, während er die Speisekarte überflog, und sich dann in sie vertiefte.

»Gnädiges Fräulein sind hier in Berlin?« fragte der Kürassier Anastasia.

»Wie Sie sehen, ja,« erwiderte diese.

»Ich meine, hier tätig?«

»Ja.«

Talbot sah auf. »Wir sind zur Zeit inkognito hier, lieber Wilding,« sagte er kurz.

»Oh Verzeihung, ich wollte nicht stören. Ich muss ja auch gehen«, und er verabschiedete sich.

»Ueberall fällt man über Bekannte«, sagte Talbot ärgerlich.

Anastasia war in Gedanken versunken. »Sag mal, könntest Du nicht auch hier tätig sein?« fragte sie.

»Pfui Deibel!«

»Bist Du denn unbedingt nöttig, den Krieg zu gewinnen?«

»Der Krieg ist nicht zu gewinnen. Aber ich drücke mich nicht. Darüber ist gar nichts zu reden.«

»Rege Dich nicht auf, Liebes, und iss!«

Drei Tage später fuhr Talbot nach Baden-Baden; Wöbke mit ihm. Der Generalleutnant Latour stand im grauen rotgefütterten Uniformmantel auf dem Bahnhof und schloss ihn in die Arme. Man sah dem alten Herrn die Rührung an. Wöbke stand stramm.

»Ich habe noch meinen Leibheiduken mitgebracht.«

»Das isch recht«, sagte der Alte und griff an die Mütze. »Lasse Sie sich nix von der Schosefine gefallen, mein Sohn!«

»Richtig, wie geht es denn dem Fräulein Bastian?«

Der General knurrte etwas. Sie durchquerten die Halle und stiegen in den Wagen.

In der Villa angekommen, ging der alte Herr persönlich mit Wöbke in den Keller hinab und belehrte ihn über die Fässer, die auf den verstaubten Steinfliesen lagen.

»Flaschewein saufe nur die Preusse«, sagte er, »dann sage sie: es schmeckt schön. Also des hier isch der Durbacher, und des der Klingelberger, und des isch Griechewein vom Menzer in Neckargemünd. Merke Sie sich das. Und dahinte isch der Champagner. Der Herr Hauptmann hat gesagt, Sie seie e zuverlässiger Mensch. Besaufe Sie sich nit, wenn man Sie herschickt, wie die Krott, die Schosefin!«

Dann zog er mit einer Literkanne Durbacher nach oben.

Bei Tisch redeten sie von Kriegs- und Friedensaussichten. »Der Falkenhayn hat so wenig Glück wie der Moltke Deux«, schimpfte der alte Herr. »Der oberschte Kriegsherr is von einer Kohorte von Rindviechern umgeben ...«

Talbot war einsilbig und fragte nach der Mutter. Der Vater erzählte von ihren letzten Tagen, und sie beschlossen zusammen auf den Friedhof zu gehen. Vorsichtig begann Talbot anzudeuten, dass er nur wenige Tage bleiben könne.

Der alte Herr wurde böse. »Du bischt ja besoffe!« sagte er.

»Nein, nein Vater. Ich habe wichtige Gründe.«

»Gell; e Unterrock sind dei wichtige Gründe? Du redst schon wie e Preuss daher.«

»Es ist ne ernste Sache, Vater.«

»So? So isch die andere Sach, endlich aus?«

»Vater ...!«

»Nu ja, nu ja, 's isch Zeit, dass Du heiratest.«

»Ja, ich möchte schon; aber sie will nicht.«

»Dann lass se doch laufe!«

»So ist es auch nicht.«

Nach kurzem Zögern erzählte er dem Vater sein ganzes Erlebnis von Anfang an, nur über die politischen Ansichten Anastasias schwieg er. Der General hörte ihn schweigend zu Ende. Als er fertig war, sagte er: »Wenn die Mutter wüsst, dass Du e Judenmädel heirate willst, die wär Dir komme!«

»Ja sicher. Und Du, Vater?«

»Wenn Du sie nit heiratst, is mirsch wurscht. Warum soll einer nit e Judenmädel gern habe?«

»Und dann begreifst Du doch, dass ich bald nach Berlin fahren muss?«

»Du muscht gar nichts. Lass sie doch herkomme!«

»Gell, Vater, dass Du sie mir anpflaumst?«

»Fällt mir gar nit ein.«

»Du verachtest sie doch!«

»Blech! 's wär mir nit grad e Freud, wenn sie Freifrau Latour von Saint-Aubin werden würd' wegen der Greifeneggs und der Dalrymples und O'Flanagans und der ganzen right honorablen Sippe. Aber Du bischt ja kei Esel. Du muscht selber wisse, ob sie herpasse tut.«

»Und die Schosefin?«

»Das alte Laster hats Maul zu halte.«

So kam es, dass Stascha nach drei Tagen nach Baden kam. Er holte sie ab und sagte ihr, was er für nötig hielt. Im Stillen wunderte er sich, dass sie gekommen war.

»Guten Tag, mein liebes Kind«, sagte der alte Latour und sah sie fröhlich an. Sie gefiel ihm auf den ersten Blick.

»Guten Tag, Exzellenz, und schönen Dank für die Einladung.«

»Kommt nur rein; es isch noch kalt drausse, wenn die Bäum auch bald das Blühe kriege.«

An diesem Tage übernahm Fräulein Josephine Bastian gegen den Brauch das Servieren.

»Scher Sie sich raus, neugierige Urschel!« rief der General, als ihr spitzes Gesicht über dem Tablett erschien.

»You will never be a good diplomatist«, sagte Talbot, als nun Wöbke die Suppe hereinbrachte und die Ohren spitzte.

»Gefreiter, hol' eine kalte Flasche!« rief der Alte und stand selbst auf, um die Sektgläser zu holen.

– »Und Sie wolle den Fritz nit heirate?« fragte der General beim Kaffee. Er nannte den Sohn nie Talbot, sondern nur bei seinem deutschen Namen.

»Nein, Exzellenz, es geht nicht.«

»Ihr seid ja verrückt!«

Am späten Nachmittag kam der alte Herr von einem Spaziergang zurück. Talbot sass im Zimmer der Mutter am Flügel und spielte. In einem Sessel sass Stascha und hatte Tränen in den Augen. Als der Generalleutnant eintrat, stand sie auf.

»Kommt mal in mei Stub!« sagte er.

Sie folgten ihm in sein Arbeitszimmer.

»So«, sagte er, »ich hab hier Ring' gekauft. Dreckzeug, 333 gestempelt. S'isch bloss wegen dem alten Laster, der Schosefin. Dass sie 's Maul hält!«

Er sah auf und sah Talbot und Stascha belustigt lachen. »Wenn Ihnen das Freude macht, Exzellenz, so will ich den Ring schon tragen.«

»Und der Fritz wird ihn auch trage, solang er hier isch.«

»Natürlich, wenn Stascha es tut!«

»Also. Und jetzt glaubt ihr, ich hab so Dreck gekauft, weil ich e alter Geizkrage bin.«

»Nein Vater«, sagte Talbot.

»Nein, ich hab nur andeute wolle, dass ich die Ring' für Komödie ansehe tu. Aber hier«, er schloss ein Schubfach seines Schreibtisches auf, »hab ich die Schmucksache von der Mutter. Hier, dies Armband solle Sie habe, weil Sie meinem Bub lieber sind, als ich alter Kracher.«

Es war ein schweres goldenes Armband mit dem Wappen der Latour und der zerbrochenen Streitaxt der O'Flanagans.

»Das ist ja viel zu kostbar«, sagte Anastasia.

»Ach was, nehme Sie 's und basta!«

Sie griff nach seiner Hand und wollte sie küssen. Da blitze es in den Augen des alten Herrn auf und er sagte: »Wenn schon, dann ordentlich«, und drückte seinen grauen Schnurrbart auf ihren Mund.

Es waren frohe Tage, die folgten. Dennoch war Talbot bedrückt; er konnte Staschas Weigerung nicht verwinden.

Sie gab sich innig hin. »Ich werde sicher ein Kindchen von Dir mit nach Hause nehmen, Liebster«, sagte sie.

»Warum quälst Du mich?«

»Ich will es ja. Es wird ja das einzige sein, was ich behalten darf.«

Talbot versuchte zu scherzen. »Wenn das die Schosefin wüsste!« sagte er.

»Die hat mir gestern gesagt, dass in wirklich feinen Häusern Braut und Bräutigam nicht unter einem Dach wohnen dürfen.«

»Und was hast Du dem Luder geantwortet?«

»Gar nichts. Das hat Dein Vater getan, und grossarrtig!«

– »Ein gescheites Frauenzimmer, die Stascha«, sagte der alte Latour eines Tages, als er mit Talbot spazieren ging. »Viel zu gescheit für eine Kommisswalküre. Von allem andern abgesehe, schon durch ihre Aperçus würd' sie Dir die Karriere verderben.«

»Das wär nicht schlimm. Ich will ohnedies nach dem Krieg den Abschied nehmen.«

»Warum denn?«

»Ich hab die Sache satt. Ich hab keine Lust, mich von den Kerls, die jetzt im K. M. und in den Stäben oder sonstwo herumsitzen, schurigeln zu lassen.«

»Da hascht vielleicht recht, Fritz. Aber Du bischt jetzt dreiunddreissig Jahre alt. In ein bis zwei Jahr is sicher Schluss. Wir werde uns noch die Amerikaner auf den Hals hetze, und dann is sowieso Finis Germaniae. Und dann wirscht als Major entlasse, mit der Erlaubnis, Dich selber rasiere zu dürfe und der Aussicht auf die Lichtenthaler Allee.«

»Ich will dann noch studieren.«

»Mach, was d' willscht.«

Sie schwiegen eine Weile, dann sagte der Alte; »Dei Urgrossvater war mit dreiunddreissig Jahr Brigadegeneral und Murat. Der Kaiser, ich meine, der wirkliche Kaiser, der Napoléon, der hat junge Leut befördert.«

»Ich bin jetzt Abteilungskommandeur, und ich bilde mir ein, ich hätte eine rasche Karriere gemacht!«

»Blech! Du könntest in eim schönen Stab sitze, wenn Du 's Maul halte könntest!«

»Kannst Du 's denn?«

»Jedenfalls besser als Du, sonscht wär ich nit Exzellenz. Na, wir alte Esel tauge nit mehr viel. Die Stascha hat mir gesagt, dass mir zu viel Wein saufe tät. Die Chrischte täten alle saufe.«

»Na, ob die Juden nicht trinken?«

»Das hab ich sie auch gefragt. Da hat sie angefangen von ihrer Mischpoche zu rede. Das muscht Du ihr abgewöhne.«

»Ja«, sagte Talbot lachend und doch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit, »sie würde ne feine Kommisswalküre geben!«

»Sie ischt mir am kleine Finger liewer als die Luder, die ehrgeizige.«

»Ja, das hilft alles nicht. Was nicht gett, gett nicht«, sagte Talbot.

Die Urlaubstage waren um, und Talbot und Stascha fuhren nach Berlin zurück. Sie verbrachten noch zwei Tage zusammen in der Wohnung in der Uhlandstrasse.

Talbot war auf einen Augenblick ausgegangen, um sich Bücher für die Langeweile in Hütten und Unterständen zu besorgen, als Wöbke zu Stascha kam. »Fräulein Doktor«, sagte er, »wenn Sie dem Herrn Hauptmann nichts verraten, möchte ich Sie was fragen.«

»Saggen Sie nur. Ich verrate nichts.«

»Ich habe russisches Geld und möchte es gerne umtauschen.«

»Gebben Sie her. Ich werde es machen.«

Wöbke brachte ein Paket Hundertrubelscheine aus seiner Kammer. »Gebben Sie; morgen bringe ich Ihnen deutsches Geld dafür«, sagte Stascha.

Am andern Tag gab sie ihm in der Küche sechzehnhundert Mark, die Wöbke befriedigt einsteckte und verbarg.

Sie fuhren zusammen zum Bahnhof. »Dass ich diese drei Wochen mit Dir verbracht habe«, sagte Stascha, »war gegen meine Pflicht.«

»Was hast Du für Pflichten?«

»Du verstehst nicht und sollst nicht verstehen. Ich werde Dir oft schreiben. Ich habe Dich lieb. Und vielleicht ... aber nein, Du bist frei in jeder Hinsicht. Und ich bin auch frei. Abber ich habbe Dich lieb!«

Talbot sah nach ihrem Gesicht und sie nach dem seinen, während der Zug aus der Halle fuhr; dann liess er sich bekümmert in den Sitz fallen.


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