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An den Ufern des Narew

Ende Mai wurde die Division verladen und nach Ostpreussen gefahren. Von Willenberg aus ging sie über den Narew vor; Ostrolenka, Ostrow, Mazowiek und andere Plätze wurden zum Teil nach erbitterten Kämpfen genommen. Beinahe jeder Tag brachte Gefechte, und Talbots Batterie befand sich fast immer bei der Vorhut. Einmal war es der Wunsch des alten Generals Rudolf, der Talbot wie einen Sohn liebte und ihn in seiner Nähe haben wollte, zweitens war es Talbots eigener Wunsch. Nicht aus besonderem Ehrgeiz, sondern um nicht in Quartiere zu kommen, die von der Vorhut und den ersten Regimentern des Gros leergegessen waren. »Auch die Liebe des Soldaten geht durch den Magen«, sagte er zu Kuntze, »vorne bekommen wir alles, was die Russki übrig lassen.«

Der alte Rudolf trieb sich immer im Raum zwischen der Infanteriespitze und den Russen umher, und er und seine Begleiter bekamen oft unerwartetes Feuer. Das schreckte den Alten nicht ab, Talbot drückte sich nur an kritischen Tagen, am dreizehnten des Monats, bei Neumond und wenn er nachts gewisse Träume gehabt, von der freiwilligen Dauerpatrouille des Generals.

»Was wollen Sie denn immer bei der Vorhut?« fragte eines Tages der neue Artilleriekommandeur der Division, Oberst von Freyer, »Sie haben ja doch das Kreuz Erster schon.«

»Ach, es gibt noch so viele Orden, die ich nicht habe,« meinte Talbot harmlos, »den russischen Georgsorden zum Beispiel.«

Die Antwort war reichlich unverschämt, besonders Freyer gegenüber, der eine Menge Schwerterorden kleiner deutscher Fürsten trug; aber der Oberst sah ihn nur fragend an, die Pointe war ihm nicht klar geworden.

Selbst Bickel war von den vielen Orden an der Brust des neuen Kommandeurs geblendet.

»Die Sache ist ganz einfach«, erklärte ihm Talbot, »er ist im D-Zug zwischen Bebra und Leipzig geboren. Wussten Sie das nicht? Sieben deutsche Fürsten streiten um die Ehre, seine Landesväter zu sein. Wie bei dem ollen Homer. Hepta poleis etc.. Und um ihre Ansprüche zu beweisen, haben sie ihn alle dekoriert.«

Der schönste der vielen Orden, die der Oberst trug, war der vom weissen Falken, den der Grossherzog von Sachsen-Weimar ihm verliehen hatte. Darum nannte Talbot ihn den »Weissen Falken«. Die ganze Division nannte ihn bald nicht anders, und alle Geschichten von ihm wurden im Stil Karl May's erzählt.

Niemand lachte mehr darüber als der alte General. »Heute habe ich den grossen Häuptling mit einem Mustang besch...«, erzählte Talbot, als sie zwischen den düsteren Kieferwäldern in der Niederung dahinritten. Der Oberst war mit seinem Pferde nicht fertig geworden, und Talbot hatte es ihm umgetauscht.

Auf ihrem Rückzug hatten die Russen die Häuser und Erntevorräte ihrer Landsleute in Brand gesteckt, damit die Deutschen weder Unterkunft noch Nahrung finden sollten. Der ganze Horizont rauchte. Am Abend lohten in der Ferne tausend Fackeln auf.

Am nächsten Tag marschierte die Division in mehreren Kolonnen tiefer ins Land hinein. Die Batterie war dem zweiten Bataillon des Regiments Ludwig Franz unter dem Major Bachmeier zugeteilt, das das linke Flügeldetachement bildete.

Dieser war längst inaktiv gewesen, griesgrämig von Natur, und liess sich nichts sagen. Talbot hatte schon wiederholt Zusammenstösse mit ihm gehabt, weil er ihn auf seine unzureichenden Sicherheitsmassnahmen aufmerksam machte.

»Dieser olle Büchsenhummer«, sagte er zu Bickel, »ist der letzte Nagel zu meinem Sarge. Das ist nicht Tapferkeit, wie man glauben möchte, es ist nicht mal Leichtsinn, es ist völlige Schimmerlosigkeit. Wenn ein Fähnrich auf der Kriegsschule seine taktischen Aufgaben so lösen wollte, würde er eingesperrt. Wir prellen in kleinen Detachements vor, ohne eine Ahnung, was rechts und links von uns vorgeht. Wenn die Russen nicht so elend geführt würden ...!«

Man war den ganzen Tag durch dichte Wälder marschiert. Gegen Abend kam man an eine Lichtung, auf der, ein ungewohnter Anblick in dieser Gegend, ein dreistöckiges Haus stand. Es war ganz aus dunklem Holz gebaut, und ringsum lagen Nebengebäude.

Ein Herr in elegantem grauen Sommeranzug kam die Freitreppe herunter. Talbot ritt über die Lichtung auf ihn zu.

»Gott sei Dank, dass Sie kommen!« sagte der Pole und stellte sich vor: »Fürst Rutowski.«

»Latour«, sagte Talbot und grüsste. »Aber warum Gott sei Dank?«

»Vor zehn Minuten sind russische Dragoner abgeritten. Sie wollten das Schloss anzünden. Ich habe dem Starschi meine goldene Uhr gegeben, damit es nicht geschieht. Aber wahrscheinlich verdanke ich Ihrem unerwarteten Kommen ...«

Major Bachmeier auf seinem grossen Schimmel war herangekommen.

»Wieviele Dragoner waren es?« fragte Talbot.

»Hier im Schloss waren nur wenige«, sagte der Fürst, »aber sie gehören zu einer Brigade, die ganz in der Nähe sein muss.«

»Ach, das sagen die Panjes immer«, fiel der Major ein. »Wir bleiben hier.«

Talbots Soldateninstinkt war das Erbteil von Generationen. »Herr Major,« sagte er, »ich glaube, wir sprechen noch darüber.« Er hatte die Karte in der Hand. »Wir sollten das Bagno Wisna erreichen. Hier ist Menschenin. Also sind wir da. Drüben beginnt das Moor.«

»Schön. ich lege das Bataillon in die Scheunen. Ihre Batterie kommt auch noch unter.«

»Gewiss, Herr Major.«

»Ich lasse nachher ein paar Posten aufstellen, damit Sie ruhig schlafen können.«

»Ich schlafe immer ruhig, Herr Major. Aber ich werde die Batterie gegen das Bagno Wisna in Stellung gehen lassen. Nach der Karte ist es ein Moor. Aber Sümpfe und Moore sind hier im Sommer oft trocken ...«

»Ach, lassen Sie sich doch nicht bluffen ...«

»Wenn Kavallerie in der Nähe ist, bleibe ich auf dem Posten. Und ich glaube es wäre besser, wenn Herr Major ordnungsgemäss ...«

»Sie sehen Gespenster. Was ich tue, überlassen Sie gefälligst mir«, unterbrach ihn der Major, der indessen abgesessen war, grob und ging mit dem Fürsten, der schweigend zugehört hatte, ins Haus.

Während die Infanterie-Kompanien ankamen, haltmachten, und auf das Kommando »Wegtreten«, über Wiesen und Hof wimmelten und schwatzend in den Nebengebäuden hinter dem Schloss verschwanden, während die Feldküchen angefahren wurden, um die Leute sich sammelten, liess Talbot durch Leutnant Bickel die Batterie in Stellung bringen. Die Geschütze wurden auf den Rand des Waldes gerichtet, der das Moor umsäumte, und Leutnant Liebgen mit zwei Reitern zur Aufklärung vorgeschickt. Die Pferde und der Teil der Mannschaft, der nicht an den Geschützen benötigt war, wurde auf dem Gut untergebracht.

Talbot sprach noch mit Bickel, als Schüsse fielen. Mit dumpfem Knall bohrten sich die Geschosse in das Holz des Schlosses. Scheiben klirrten.

Schon kam Leutnant Liebgen im Galopp zurück, während Bachmeier oben auf dem Balkon erschien.

»Die Gespenster schiessen, Herr Major!« rief Talbot zu ihm hinauf.

»Da vorn kommt Kavallerie!« rief ein Zugführer.

Durchs Glas sah Talbot in etwa fünfzehnhundert Meter Entfernung Reitergeschwader auf sich zukommen. Die schilfgrünen Sommerblusen der Russen und ihre Schirmmützen waren unverkennbar.

»Schrapnells, Brennzünder!« kommandierte er, und dann:

»Ganze Batterie! Geradeaus Kavallerie! – Zwei höher! – Zwölfhundert! – Schnellfeuer!«

Und die Batterie feuerte.

Infanteristen kamen aus den Quartieren gelaufen. Ein Maschinengewehr wurde in Stellung gebracht.

»Tausend!« kommandierte Talbot.

In weiter, zurückgebogener Linie, die Offiziere voran, kam die Lawa näher, während links und rechts abgesessene Dragoner, hinter Bäumen gedeckt, feuerten.

»Achthundert!«

»Sechshundert!«

Jetzt rattert das Maschinengewehr los.

»Aufsatz tief!«

Die Schrapnells heulen den Russen entgegen. Zweihundert Meter vor der Batterie bricht der Angriff zusammen und sie machen kehrt. Herrenlose Pferde jagen heran und werden eingefangen.

Talbot lässt das Feuer fortsetzen, bis die fliehenden Dragoner in der Dämmerung seinen Blicken entschwunden sind.

»Feuerpause! – Bickel, laufen Sie mal nach oben, und wenn Sie noch was sehen, schiessen Sie noch ein paar Granätchen hinterher!«

Als Talbot sich umsah, stand Leutnant Liebgen vor ihm. Er strahlte. Auf der linken Backe war von einem Streifschuss eine Schramme zu sehen. »Muss ich ins Lazarett, Herr Hauptmann?«

»Natürlich! Aber hier können Sie eine so schwere Wunde nicht ausheilen. Sie müssen nach Berlin, und dann acht Wochen zur Kur nach Wiesbaden.«

Ungläubig betroffen sah der kleine Leutnant ihn an.

»Ja. Sie müssen sich aber eilen, sonst heilt die Wunde zu, ehe Sie hinkommen. Und dann glaubt's keiner.«

»Ich bin doch kein Mädel«, sagte der kleine Leutnant blutrot.

Vom Moor herüber tönte ein grässlicher unbekannter Laut, der alle erschreckt aufhorchen liess.

»Was ist das?« rief Liebgen entsetzt, die Hände an den Ohren.

Talbots Gesicht war gequält. »Das ist der letzte Angstschrei von Pferden, die den Tod vor sich sehen. Vermutlich sind Tiere im Sumpf eingebrochen. Man hört es nur selten, und es ist nicht angenehm.«

Eine Anzahl Artilleristen wurde auf das Schlachtfeld geschickt, um die noch brauchbaren Pferde und etwa versprengte Russen einzufangen. Die Aerzte bemühten sich um die Verwundeten. Leutnant Schulz erhielt den Auftrag, die Taschen der gefallenen Offiziere nach Papieren zu durchsuchen.

»Und Du, Wöbke, bring mir einen neuen Sattel mit«, sagte Talbot.

Es war das sechste Dragonerregiment Gluchowski gewesen, das attackiert hatte. Man zählte über fünfzig Tote und hundertachtzig Verwundete, dazu noch etwa dreissig unverwundete Gefangene. Die meisten Leute hatten Beutestücke. Wöbke brachte seinem Herrn einen feinen Sattel aus rotem Saffianleder und einen kaukasischen Säbel mit. Was er selbst gefunden und mitgenommen hatte, sagte er nicht.

Jetzt liess der Major Feldwachen aufstellen für die Nacht und redete über eine halbe Stunde auf den unglücklichen Führer der Vorpostenkompanie ein. Dann begaben sich die dienstfreien Offiziere zum Abendessen ins Schloss. Sie wurden herrlich bewirtet und dem Champagner ward reichlich zugesprochen.

»Das war ein böser Bluff mit dem Sumpf«, sagte Bachmeier, wieder etwas besser gelaunt.

»Ja, und die Russen hatten Skala!« meinte der Fürst.

»Aber ich hatte den Joker!«, schmunzelte Talbot.

Man sprach noch über das Gefecht, über die politische Lage, Fürst Rutowski erzählte von seiner diplomatischen Dienstzeit.

Als man sich um zehn Uhr von der Tafel erhob, und die Deutschen sich zurückziehen wollten, sollten sie noch eine Probe davon erhalten, wie weit polnische Gastlichkeit gehen kann. Auf einen Wink des Fürsten erschien eine Anzahl der Gutsmädchen, sauber und schmuck gekleidet, rot, kichernd, im Saal.

»Wählen Sie, bitte, meine Herren!« sagte Fürst Rutowski.

Die deutschen Offiziere waren ein wenig betreten, einige lachten. Talbot dankte zuerst; dann taten es auch die anderen.

Der Fürst veränderte keine Miene und verabschiedete sich von seinen Gästen mit immer gleicher Liebenswürdigkeit; es war, als ob sie von einer Dessertschüssel nicht genommen hätten.

Am anderen Morgen wurde früh weitermarschiert, und am zweiten Tag nach dem Gefecht stiess das Detachement wieder zur Division.

Als Talbot, neben dem General reitend, ihm den Vorfall mit möglichster Schonung für den Major, aber doch wahrheitsgetreu erzählte, sagte der alte Herr nur: »Na ja! ja ja!« und brummte etwas vor sich hin.

Westlich von Bialystock erreichte man den Narew wieder, und es wurden einige Ruhetage angeordnet. Von dem trägen Fluss stieg das Ufer zu einem Hügel empor, in dessen grasigem, mit Steinen besäten Abhang Schafe weideten. Oben lag das Dorf Kosly, in dem die dritte Batterie zusammen mit einer österreichischen Mörserbatterie unterkam. Alle Häuser und Gärten flammten gelbrot von den Blüten der Kapuzinerkresse. Die Einwohner waren Mohammedaner, Reste einer Tatarensiedlung. Sie trugen sich wie die Polen und sprachen polnisch, aber ihr Charakter war ungemein fröhlich. Nie hatte man in einem polnischen Dorf soviel Singen und Lachen hören ... Den Koran schienen sie nicht allzu streng zu befolgen, denn vom Empfangsschnaps der Kanoniere tranken sie, was sie kriegen konnten. Auch ihre Frauen und Mädchen zeigten keineswegs die im Orient übliche Zurückhaltung. Weder gingen sie verschleiert, noch blieben sie den Gästen fern.

Als Talbot abends in das Gehöft kam, in dem das Geschütz des Unteroffiziers Hug lag, tönte ihm Geigenspiel und Gelächter entgegen. Der Dorfschulmeister fiedelte den Krakoviak, den polnischen Nationaltanz; ein Kanister Empfangsschnaps stand auf dem Tisch, und Becher und Tassen, mit dem Fusel gefüllt, kreisten in der Runde. Die Männer waren in grün und schwarz gestreiften Pluderhosen und schwarzen Russenhemden, die Frauen, die eifrig mittranken, trugen malerische bunte Trachten in Rot und Gelb, wie die Kapuzinerkresse in den Gärten.

Hug und der Gefreite Hewelke aus Lüdenscheid begleiteten den Krakoviak mit Gesang:

»Wenn Kamrad kommt aus Polen,
Da ist nichts mehr zu holen,
Dann geht er nach Westfalen,
Der Niemez muss bezahlen.«

Dann fielen alle ein uns sangen:

»Schön dobrze, schön dobrze, schön dalla,
Violin ist Dratt kaputt,
Violin ist Dratt kaputt,
Macht sich immer hupp, hupp hupp!«

»Achtung!« brüllte ein Kanonier, der Talbot in der Türe sah.

»Lasst Euch nicht stören!« sagte Talbot abwinkend, und die Leute sangen weiter:

»Kommt Kamrad angekrochen,
Fährt Auto über Knochen,
Da ist sich Kamrad Krüppel,
Verfluchtes Automippel!

Schön dobrze, schön dobrze, schön dalla«

usw.

»Bei Matka liegt seit Jahren,
Kochan mit schwarzen Haaren,
Und seine vier Geschwister
Sind brandrot wie Tornister!
Schön dobrze, schön dobrze, schön dalla«

usw.

»Wo habt Ihr das denn her?«

»Ach, in Westfalen, Herr Hauptmann, singen das alle auf die polnischen Bergarbeiter.«

Hug thronte wie ein König auf einem Stuhl neben der Schnapsflasche. Die mohammedanischen Panjes und Panienkas kamen, nachdem sie getanzt hatten, zu ihm; er goss ihnen ein wenig in die Tassen; sie tranken aus und drehten die Tassen um.

Talbot sprach noch ein paar Worte mit den Kanonieren und ging dann in sein Quartier.

Am anderen Morgen trat Bickel in seine Stube. Talbot schrieb. »Der weisse Falke kommt«, meldete Bickel.

»Gebt ihm Schnaps und eine Zigarre. Ich komme gleich.«

Talbot ging durch eine Hintertüre zu den Fernsprechern: »Kinder, Ihr habt doch ein paar russische Orden von den Dragonern?«

»Woll, Herr Hauptmann!«

»Pumpt mir die mal auf ne halbe Stunde!«

Er steckte sich zwei Georgskreuze an und klemmte einen Halsorden in den Haken seines Rockkragens. Dann ging er ins Kasino, wo der weisse Falke Danziger Goldwasser trank.

Talbot meldete sich: »Gehorsamst zur Stelle, Herr Oberst.«

»Aber Herr von Latour, was haben Sie denn da?«

»Wie meinen, Herr Oberst?«

»Die Orden!«

»Das sind die Russen, die ich mir schon immer gewünscht habe.«

»So? hm! aber ...« Er wusste nicht recht, was er sagen sollte und lächelte zuletzt ein wenig säuerlich. Der Adjutant grinste.

»Ich habe aber auch was für Herrn Oberst!«

»Was denn? Was denn?«

»Wollen Herr Oberst sich in den Hof bemühen?«

»Gerne. Aber was ist es denn?«

»Ich lasse gerade einige Beutepferde vorführen. Wollen Herr Oberst sich eines aussuchen?«

»Das ist ja sehr nett von Ihnen!« sagte der Oberst aufstehend.

»Und Sie, lieber Bonin, können auch eins bekommen«, sagte Talbot zu dem Adjutanten.

Sie traten in den Hof hinaus. Einige Artilleristen liefen mit vier oder fünf Russenpferden auf und nieder. Der weisse Falke wählte einen schönen Rappen. Hauptmann von Bonin einen Fuchs. Beide zogen sehr befriedigt ab.

»Warum haben Herr Hauptmann den beiden bloss die Pferde geschenkt?« fragte Doktor Pilukeit, der zugesehen hatte.

»Bestechung, lieber Doktor bestialis.«

»Wieso Bestechung?«

»Jetzt kann er nichts dagegen sagen, dass wir mehr als dreissig überplanmässige Zossen haben.«

Für diesen Abend war Talbot mit seinen Offizieren bei der Mörserbatterie der Bundesgenossen eingeladen. Die acht Offiziere der Formation lagen in dem stattlichen Gehöft des Ortsschulzen.

Nach dem Abendessen ging man in die grosse Stube tanzen. Die jungen Panienkas sassen wie Schwalben auf den Tischen an den Wänden entlang. Sie tranken Slibowitz und kicherten geschmeichelt, als Doktor Pilukeit ihnen mit Jodtinktur Ornamente auf die nackten Beine malte, zu denen der österreichische Stabsarzt mit einer Nagelschere sinnreiche Schablonen schnitt.

Der österreichische Hauptmann klagte über das viele Bahnfahren. »Beileifig zweitausend Kilometer. Das ewige Einwagonieren und Auswagonieren is keine Freude.«

»Der Krieg soll auch keine Freude sein«, erwiderte Talbot. »In Belgien wurden wir 1914 auch planlos herumgefahren, so dass einer unserer Kanoniere sich beklagte, dass wir schon zum siebzehnten Mal an einem Tag in denselben Bahnhof einfuhren, der 'Femmes' hiess.«

Der Oesterreicher sah ihn an, dann begriff er und lachte.

Ein blutjunger Leutnant spielte Gitarre und sang dazu:

»Drüben am Wiesenrand
Hocken zwei Dohlen;
Sterb'ich am Donaustrand?
Fall' ich in Polen?
Was ist dabei?
Viele Hunderttausend ziehn
In Oesterreichs Reiterei!«

Talbot nahm ihm die Klampfe ab und sang:

»Unten am Narewsumpf
Sitzt eine Kröte,
Ob ich sie leben lass?
Ob ich sie töte?
Was liegt daran?
Viel hunderttausend Kröten quaken
Im Las Cygan!«

Der Leutnant zitierte: »Kennst Du das, Herr Hauptmann?

Schrecklich ist ihm, wenn er kracht
Kommt sich schneller, als gedacht,
Gutt ist, wenn im Grase liggt,
Eklig, wenn in Fresse fliggt.
Obberschrift: der Granatsplitter.

Oder das:

Auf das Berge Inowratzich
Grosses Baum gewachsen hat sich,
Himmelblau von Angesicht,
Namme sein Vergissmeinnicht.
Obberschrift: der Veilchen.«

»Alle Polen verwechseln immer Fijolek und Niezapominaijki«, sagte Talbot voll Bitterkeit und Slibowitz, während eine Harfe zum Tanz aufspielte. Er dachte an die schöne Frau von Kompina und an Stascha, die seit langem nicht mehr geschrieben hatte.


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