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Ali Baba und die vierzig Räuber

Das erstemal, als ich Ali Baba auf der Bühne sah, war ich nicht mehr entzückt davon. Es war an einem Sonntagnachmittag in der Weihnachtszeit, das Stadttheater war fast leer, und wir Kinder froren. Damals dachten die Direktoren, daß für ihre Kindervorstellungen nichts dumm und schlecht genug sein könnte; der Regisseur dramatisierte irgendeine Geschichte, und die Schauspieler spielten höchst unlustig das alberne Zeug herunter. Es war so jämmerlich, daß selbst wir Kinder recht wenig zufrieden waren; in unsern Köpfen stellte sich die wunderbare Geschichte aus »Tausendundeine Nacht« ganz anders herrlich dar.

Ein paar Jahre später hatte ich einen viel schönern Genuß von Ali Baba. Ich und ein paar andere Lausbuben schlenderten am Mittwochnachmittag durch die Jahrmarktsbuden der Kirmes und beschlossen nach sehr langem Überlegen, jeder seinen Groschen für ein Stehbillett zum Kölner Hänneschen-Theater anzulegen. Wir waren begeistert über das Spiel der großen Puppen, und namentlich die Szene, wo die vierzig Räuber, einer nach dem andern, durch die Luke in den Keller kletterten, um dem Hänneschen Gelegenheit zu geben, ihnen allen den Kopf abzuhacken, gefiel uns außerordentlich. Freilich, von dem orientalischen Märchen war herzlich wenig übrig geblieben, aber das war uns natürlich völlig gleichgültig.

Eine sehr hübsche Vorstellung von Ali Baba sah ich im letzten Jahre in einem Kinema; wenn ich nicht irre, war die in jeder Beziehung vortreffliche Aufnahme des Riesenfilms von Gaumont. Ringsherum saßen kleine Jungen und Mädchen mit strahlenden Gesichtern – und ich beneidete sie; wieviel besser halten sie es doch als wir einst! Wir konnten Märchen lesen – sie aber konnten sie sehen und erleben!

Gestern nun drückte mir ein nackter Tamil einen grünen Zettel in die Hand, eng bedruckt in englisch und singhalesisch. Da stand zu lesen: Singhala Arya Subodhia Natya Sabha – das war der Name der Truppe. Und dann, daß man heute abend »Ali Baba und die vierzig Räuber« spielen würde. Natürlich schickte ich gleich meinen Boy, Karten zu besorgen.

Nun ist zwar Kolombo gewiß nicht der Brennpunkt jener Kultur, die die Märchen der Scheherazade erschuf. Die Singhalesen sind Buddhisten, die Tamilen sind Anhänger Schiwas. Die Parsen sind Feueranbeter und die Europäer und die Burgher Christen. Dennoch spielt auch der Mohammedaner – der Moorman, wie man ihn hier nennt – eine nicht unwichtige Rolle; er beherrscht namentlich, und in allen Zweigen, den Steinmarkt Ceylons, des bedeutendsten Edelsteinlandes der Welt. Gestern erst war ich zur Eröffnung der neuen, prächtigen Moschee geladen, und heute morgen sah ich drei große Schiffe nach Dscheddah abfahren, die Tausende von Mekkapilgern an Bord hatten. Freilich – die Truppe war singhalesisch. Einerlei: wie Ali Baba sich in Europa ausnahm, wußte ich; so konnte ich wenigstens erfahren, wie er sich in Indien gab.

Wir waren die einzigen Europäer im Saale und der Herr Direktor hatte sich für uns Ehrengäste irgendwo ein paar Sessel ausgeliehen und dicht vor die Bühne gerückt; die waren, um die Feierlichkeit zu heben, mit Flaggentuch dekoriert. So konnten wir sehr gut sehen, aber – leider – auch sehr gut hören: dicht vor uns saß das Orchester – in der Mitte ein Mann mit einem ganz kleinen Harmonium, ihm zur Rechten ein Violinspieler und zur Linken einer, der zwei kleine Trommeln unaufhörlich mit den braunen Fingern bearbeitete.

Das Haus war voll: aber fast nur von Männern. Aus allen Volksklassen und Rassen. Ein paar reiche Parsen, hinter ihnen südindische Chetties. Viele Mohammedaner in Fes oder Turban, dann schmutzige afghanische Wucherer mit spitzen Hüten. Bärtige Sikhsoldaten von der Leibgarde des Gouverneurs, neben ihnen Mahratten aus dem Norden von dem 84. Regimente. Dann malaiische Schutzleute, einige Kaffern und ein paar wilde Seeleute von den Malediven. Hindu in Scharen, tamilische Kulis, viele Singhalesen in der Mitte, den Schildpattkamm im aufgewundenen Haar. Und in den ersten Reihen, europäisch angezogen, die Herren Burgher, die Halfcasts.

Alles bewunderte den schönen Vorhang. Er war genau im Stile deutscher Jahrmarktsbuden und zeigte ein Mädchen auf einem Stuhle, dem viele andere Mädchen und Amoretten sehr viele Blumen brachten. Alle waren eigentlich nackt und hatten nur da, wo es nötig war, Blumen und Schleier. Das ist immer so: man kann dabei nie herausfinden, wie die Schleier und Blumen es nur anstellen mögen, dazubleiben, ohne von den heiklen Stellen herunterzufallen. In der rechten Ecke des Vorhangs lag auf dem Boden eine Papierrolle, darauf stand: »Heinrich Käseberg, Bielefeld, pinxit.« Das berührte mich ungemein sympathisch.

Gegen 10 Uhr endlich, nachdem wir eine volle Stunde gewartet hatten, hob sich Heinrich Käsebergs Kunstwerk und zeigte eine richtige Bühne mit Kulissen. Die erste Soffitte gab eine große Säule, die zweite ein Stück Zimmer, die dritte eine Handvoll Urwald und die vierte ein paar Wolken – es können auch Wogen gewesen sein. Den Hintergrund bildete eine deutsche Dorflandschaft, in der es tüchtig schneite; wie ich annehme, auch ein Werk von Heinrich Käsebergs Meisterhand. Auf der Erde hockten Ali Baba, seine Frau, sein Sohn und seine Tochter, und alle waren schrecklich traurig und weinten sehr, weil es ihnen so schlecht ging. Als sie damit fertig waren, fiel der Zwischenvorhang, der zeigte eine Straße in Florenz. Ali Baba trat heraus, winkte der Musik und klagte allein weiter. Er sang dies Klagelied nach der Melodie: »Im Grunewald ist Holzauktion«, und es gefiel seinem Publikum so gut, daß er seine Klage da capo geben mußte. Er hatte einen gelben Pyjama an, auf dem – zum Zeichen, daß er ein armer Mann war, – ein paar rote Flicken aufgesetzt waren. Und diese Armut bewiesen auch seine braunen, nackten und schmutzigen Füße – die sehr echt und naturalistisch wirkten; sie waren leider das einzige Realistische, das die ganze Aufführung aufzuweisen hatte.

Die Florentiner Straße hob sich wieder, Ali Baba verschwand, und der Hintergrund zeigte einen herrlichen Palast, wie ihn nur Heinrich Käsebergs Phantasie ersinnen konnte. Es war eine Art Halle, so ein Mittelding zwischen Dom und Tropfsteinhöhle. In der Mitte stand ein Stuhl, und darauf saß der böse Wesir. Der hatte sich sehr schön gemacht, kam eben aus einem Maskenverleihgeschäft und sah aus wie ein Friseurgehilfe beim Fastnachtsball des Vereins »Concordia«. Er triefte von Schmalz und sang auf singhalesisch: »Noch sind die Tage der Rosen«. Als er damit fertig war, kam Ali Baba und bat um ein Almosen. Beide guckten sich sehr lange an, warteten auf das, was der Souffleur vorsprach, und sagten dann es nach. Sie »schwammen« – es war genau wie bei uns.

Der schöne Friseur warf Ali Baba hinaus, und der sang zu seinem Troste – wieder in Florenz – die Holzauktion. Dann aber ging er in den Wald zum Berge Sesam und suchte Reisig. Plötzlich fing es schrecklich an zu trampeln; Ali Baba versteckte sich hinter einem Baum: die Räuber kamen.

Voran der Räuberhauptmann. Kostüm: oben Herold, schwarze Puffärmeljacke und Allongeperücke; unten neapolitanischer Fischerknabe. Nach ihm die vierzig; sie waren sehr echt und trugen alles, was sie den Reisenden geraubt hatten. Der eine war als englischer Offizier, der zweite als Wallenstein, der dritte als Geisha und der vierte als Königin der Nacht. Die andern waren ein Gemisch von Türken, Seydlitzhusaren, Biedermännern, Zigeunern und holländischen Bauernmädchen. Sie hatten pappene Lanzen, Flinten, Bogen und Schwerter; der Räuberhauptmann trug eine kleine Kanone. Sie exerzierten – sehr, sehr schön. Ich denke, das hat Heinrich Käseberg einstudiert – wenn meine Vermutung recht ist, daß er nicht nur als Theatermaler in Ceylon wirkt. Sie exerzierten – und trampelten dabei, daß aller Staub hochflog und man gar nichts mehr sehen konnte. Und sie sangen: »Wer hat dich, du schöner Wald«. Nota bene: was die musikalische Leitung angeht, so habe ich wieder Heinrich Käseberg im Verdacht!

Der Räuberhauptmann rief: »Sesam, tu dich auf!« Im Hintergrund öffnete sich knallend ein großes Loch, und dahinter lagen herrliche Schätze. Alle Räuber gingen hinein, worauf sich der Sesam knallend wieder schloß.

Diese Gelegenheit benutzte Ali Baba, um schnell sein Klagelied mit der Holzauktionsmelodie noch einmal zu singen; er war gerade fertig, als die Räuber wieder aus dem Sesam krochen. Sie exerzierten noch ein bißchen, lobten wiederum den Meister, der den schönen Wald so hoch da droben aufgebaut hatte, und verschwanden.

Ali Baba kam nun und sagte seinerseits: »Sesam, öffne dich!«, holte die Schätze heraus, brachte sie seiner lieben Frau und den Kindern und war sehr gerührt mit ihnen. Sie drückten das aus, indem sie hin und her hüpften und »Kind, du kannst tanzen« sangen. Der böse Friseur, dem dann Ali Babas Glück von seiner Favoritin erzählt wurde, war sehr unzufrieden damit, weshalb er mit der Geliebten eine Art Cakewalk tanzte.

Die nächste Szene stellte zweifellos Heinrich Käsebergs Glanzleistung vor. In der Mitte der Bühne waren Papiergirlanden vom Boden bis zur Decke gezogen, und dahinter leuchteten mehrere Kerzchen. Das wirkte natürlich, und das Publikum machte »Ah!« Ali Baba und seine Familie lagen vorne auf dem Teppich und tranken Bier. Es war Münchener Augustinerbräu – wenigstens prahlte so die Flaschenetikette. Man sah also, wie gut es ihnen ging; auch konnte man das daraus ersehen, daß sich die ganze Familie besonders weiß geschminkt hatte. Überhaupt waren alle Personen, auch die Räuber, blendend weiß geschminkt im Gesicht und an den Händen, nur die braunen Arme und Beine waren geblieben. – Plötzlich kam der Friseur, macht ein freundliches Gesicht – aber es sollte sehr böse sein – und fragte, woher all der Reichtum käme. Ali Baba, als ehrlicher Mann, erzählte und lehrte ihn auch das große Wort: »Sesam, öffne dich!«

Und dann kam die Schlußszene. Der Friseur ging zum Sesam, der schnellte knallend auf und schloß sich knallend wieder, als der böse Mann drinnen war. Die vierzig Räuber kamen und exerzierten, bis sie auf einmal den Friseur drinnen rufen hörten; sie holten ihn heraus und machten ihn auf alle mögliche Weise tot: den Gnadenschuß gab ihm der Räuberhauptmann mit seiner Kanone. So siegte die Tugend.

Dann war's aus. Als wir hinausgingen, kamen der Direktor und der böse Friseur und Ali Baba und fragten, wie es uns gefallen hätte? Ich sagte: »Großartig.« Ich riet ihnen, mit dem Ali Baba eine Tournee durch Europa zu machen und schrieb ihnen die Adressen von Max Reinhardt und Ferdinand Bonn auf: die würden selig sein, wenn sie so etwas für ihre Zirkusse bekämen!


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