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Die Götter Indiens

Das ist ganz gewiß: die brahmanische Religion ist in ihren Grundgedanken die herrlichste und erhabenste von allen Religionen auf Erden. Nur einen Schönheitsfehler hat sie: sie existiert gar nicht und hat nie existiert – außer in den Köpfen von einer Handvoll Philosophen und Dichter. Die zweihundertundzwanzig Millionen Menschen aber, die sich zu Brahmas Lehre bekennen, haben ebensowenig Ahnung davon wie ihre Väter und Großväter oder wie ihre Ahnen zu der Zeit, als Gautama Buddha und Mahavira Jaina, Indiens große Reformatoren, auftraten und ihre Saat, die so üppig aufging, in die alten Lande warfen. Daß diesen der Sieg doch nicht blieb, und daß ihre Lehren so völlig wieder ausgerottet wurden, daß heute in Indien kaum zehn Millionen Jainas und Buddhisten zusammen leben, das lag gewiß nicht an der Kraft der reinen brahmanischen Lehre, sondern einzig und allein an der wahnsinnstarken Macht des indischen Mißglaubens. Schiwa, der Zerstörer, war der große Sieger, und nicht Brahma, der Schöpfer.

Das Brahmasutram, das älteste Lehrbuch der Veden, faßt den grandiosen Inhalt dieser Religionsphilosophie etwa so: das Brahman, die ewige und unendliche Kraft, umfaßt alles; in ihr ist und aus ihr stammt das Weltall; sie kennt weder Formen noch Qualitäten. Außer dem Brahman ist die Maya, die allen Unterschied schafft und allen Schein, sie ist der große Wahn, der das Wirkliche für unwirklich, dieses aber für wirklich hält. Nur etwas vermag die Maya zu vernichten: die tiefste Erkenntnis nämlich, daß das eigene innerste »Ich« nichts anderes ist, als eben das Brahman, als das ganze Weltall. Und diese Erkenntnis ist zu gleicher Zeit die große Befreiung, die Aufhebung des Gegensatzes des »Ich« zur Außenwelt. – Man sieht, wie sich in dieser einfachsten Lehre die tiefgefühltesten Sehnsüchte aller Mystik mit einer so kopfklaren und nur auf die Logik gestellten Philosophie wie der Stirners auf das innigste berühren. Wenn das All die Gottheit ist, so ist gleichgiltig, ob »Ich« im All aufgehe – »zu Gott werde«, wie die christliche Mystik sagt – oder ob ich in mein »Ich« dieses All aufnehme – wie Stirner lehrt: die Hauptsache bleibt, daß eben der Gegensatz des »Ich« zum All aufgehoben wird – das ist die uralte Weisheit der Brahmanen.

Aber von dieser Weisheit ist nur wenigen Auserwählten etwas bewußt. Die große Menge kennt nicht einmal das Religionssystem, das die Dreieinigkeit: Brahma als Schöpfer, Wischnu als Erhalter und Schiwa als Zerstörer, zur Grundlage hat. Brahma ist im Bewußtsein des Volkes ganz verschwunden, nicht ein Tempel des tempelreichen Indien dient seinem Kulte. Schiwa, der den Buddhismus verdrängte, wurde zur Zeit der Geburt Christi alleiniger Herr; der Zerstörer wurde nun auch der Schöpfer zugleich. Er ist noch heute der gewaltige Herr, neben ihm ist erst in jüngerer Zeit ein wenig Gott Wischnu zu Ehren gekommen. Der Kultus Schiwas ist durch ganz Indien verbreitet; viele Tausende von Tempeln dienen ihm zur Wohnung und zeigen seine Bilder. Hauptsächlich aber wird er in der Form des »Lingam« verehrt, eines schwarzen Steines, der das Glied des furchtbaren Gottes darstellt. Allein Benares – einst die Wiege des Buddhismus – zeigt heute Zehntausende von Lingams, die alle glänzen von geschmolzener Butter, mit denen sie fromme Frauen bespritzen. Schiwa ist »Mahakala«, der große Zerstörer, er ist »Bhairawa«, der Schreckliche, ist »Smasana-Wasin«, der die Leichenfelder bewohnt, er ist »Bhuteswar«, der Fürst der Dämonen. Schiwa ist »Mahadöh«, der große Gott, ist »Bischeschwar«, der Herr der Welten, und »Iswara«, der höchste Herrscher. Er ist »Mahayogi«, der große Büßer, aber zugleich »Nateswera«, der Herr der Tänzer, und »Kirata«, der Geist, der den Wein liebt. Alle diese – und viele andere – Personifikationen Schiwas sind natürlich längst zu eigenen Gottheiten geworden; so liegen in Benares drei Tempel des Mahadöh, des Schiwa und des Bischeschwar dicht nebeneinander. Nach den Lehren der Tantras – das sind die jüngsten heiligen Bücher – hat jeder Gott seine besondere Kraft: Sakti; diese ist weiblich gedacht und gilt somit als seine Gemahlin. Aber fast nur die Gattinnen Schiwas haben göttliche Verehrung gefunden, vor allem die furchtbare Kali (die Gattin Mahalakalas), dann die noch entsetzlichere Durga (die Gattin Bhairawas). Während Schiwas Gattin Minakschi heißt, steht ihm als Mahadöh Dschaganmaki, die Mutter der Welten gegenüber; wie Schiwas Lingam, so ist ihre Yoni hochverehrt. Mahayogis Gattin heißt Yogini, Parwati die des Kirata.

Wischnu, der Erhalter, tritt in vielfachen Gestalten auf, als Fisch – Matiya, als Schildkröte – Kurma, als Eber – Warata, als Löwenmann – Nara Sinha, als Zwerg – Wamana, endlich als wilder Rama und als milder Rama. Dann weiter als Krischna; als solcher wird er vielfach verehrt. Die Sakti des Wischnu – also seine Gattinnen, vor allem Lakschmi und Saraswati, treten wenig in den Vordergrund.

Neben den drei Göttern der Dreieinigkeit – der Trimurti – besteht selbständig der schöne Luftgott Indra. Sein Kult ist zweifellos der älteste und wahrscheinlich arabischen Ursprungs – aber er ist fast vollständig vergessen. Dagegen sind viele Tausende neuer Götter neu aufgetaucht.

So vor allem Ganescha, der Sohn Schiwas (als Weingott Kirata) und der Berggöttin Parwati. Er ist ein kurioser Gott und das rechte Beispiel für das, was die brahmanische Religion in Wirklichkeit ist. Ganescha ist ein kleiner knallroter Kerl mit einem ungeheuren Bauche, dazu trägt er einen riesigen Elefantenkopf; häufig reitet das dicke Scheusal noch auf einer Ratte. Dieses Mißgeschöpf ist dabei die indische Pallas Athene, ist der Gott der Weisheit und Wissenschaft, zugleich der indische Hermes, der Gott des Handels und der Schlauheit. Sein Bild findet man überall, in Höhlen und Tempeln, auf den Straßen und in den Häusern. Sicher hat Goethe auch an Ganescha gedacht, als er die Zeilen schrieb:

»Auch diese will ich nicht verschonen,
Die tollen Höhlexcavationen,
Das düstere Troglodytengewühl,
Mit Schwanz und Rüssel ein albern Spiel,
Verruchte Zierrat-Brauerei.
Nehme sich niemand zum Exempel
Die Elefanten- und Fratzentempel!
Mit heiligen Grillen treiben sie Spott,
Man fühlt weder Natur noch Gott –
In Indien möchte ich selber leben.
Hätte es nur keine Bildhauer gegeben!

Nur tut Goethe den armen Bildhauern bitter unrecht: nicht sie, die Priester schufen die Fratzen. Was die Bildhauer angeht, so kann man in Indien schon recht gut leben – freilich muß man, will man ehrlich sein, gestehen, daß fast alles, was wirklich groß und erhaben ist – und das ist sehr, sehr viel – von mohammedanischen Herrschern herrührt und meist von italienischen und französischen Meistern geschaffen wurde, wie die herrliche Tadj-Mahal in Agra von dem Bordelaiser Baumeister Austin.

Zu den Göttern des Dreieinigkeitskreises gehören auch Schiwas anderer Sohn Subramaniar, dann Dalbkyeswar, der Regengott, der Riese Bhim, der Affengott Hanumann, ferner Gauri Skankar und Anapurna, die Nahrung gebende Göttin. Sie haben natürlich alle zu Benares – und in manchen anderen Städten – ihre Tempel und ihre Standbilder.

Neben den großen Göttern der Trinität, ihren Personifikationen, Inkarnationen, weiblichen Saktiausgaben und Kindern, werden noch sehr viele andere Götter und Göttinnen verehrt, die gar nichts mit der Trimurti zu tun haben. Namentlich bei den reinen Drawidavölkern des Südens ist das der Fall. Jede Stadt, jedes Dorf, ja oft jedes eigene Haus hat seinen besonderen Schutzgott sowohl, wie seinen besonderen Dämon; beiden werden Altäre errichtet und Opfer gebracht. Aber die Schutzgötter und -Göttinnen sind durchaus nicht liebenswürdiger Natur, sie sind vielmehr oft recht boshaft: ihr »Schutz« besteht meist nur darin, daß sie gelegentlich, durch Gebet oder Opfer versöhnt, auf ihre Bosheit eine Zeitlang verzichten – ein Analogon zu der Tätigkeit Schiwas, Kalis oder Durgas. Viele dieser Schutzgöttinnen heißen »Ammen«, die Mütter. »Mari-Ammen«, die Mutter des Sterbens, zieht in den Menschen ein, der dann die Pocken bekommt; »Tschinna-Ammen«, die kleine Mutter, bringt in gleichem Falle die Masern, Isekhi ist die Göttin der Frauenleiden. Ayemar ist der einzige männliche Gott dieser Art und zugleich der einzige Gutmütige unter dieser großen Gesellschaft der Grama-Dewatas, der Schutzgottheiten; er beschäftigt sich damit, nachts über die Felder zu schweifen und die Dämonen zu verjagen.

Diese Dämonen sind zahlreich wie Sand am Meer; sie werden genau so verehrt wie die Götter, haben Tempel und Altäre und erhalten Opfer – bis vor nicht allzu langer Zeit auch Menschenopfer – genau wie die »Großen«. Heute ist das Menschenopfer, wenigstens soweit der Einfluß der englischen Regierung reicht, genau so abgeschafft wie die Satti, die Witwenverbrennung.

Neben den »höheren« Dämonen existieren dann noch gewaltige Scharen niederer, ebenso unangenehmer Geister. Da sind die Peys, die Geister Verstorbener, besonders die der Selbstmörder und Hingerichteten. Der Pey »Maden«, der die Kühe liebt, schafft Krankheiten für Mensch und Vieh; »Schudela-Maden« treibt sich auf Kirchhöfen herum, »Matschandi Muppan«, der alte Mann am Kreuzwege, lauert den Wanderern in der Nacht auf. Die Bhutan sind kleine dicke Teufel, sie bekämpfen sowohl Menschen wie Peys; am schlimmsten aber treiben es die Pisatschas. Daß auch alle diese Dämonen kleine Opferstätten haben, ist selbstverständlich.

Aber dem Inder sind diese Götterlegionen bei weitem noch nicht genug. Er verehrt am letzten Ende alles, was sich nicht wehren kann. Heilig ist das Wasser, zumal das der Ganga und ihrer Nebenflüsse, heilig sind viele Bäume, vor allem der Bobaum. Alle möglichen Steine werden angebetet, besonders die, die eine Ähnlichkeit mit der Form eines Lingam oder einer Yoni aufweisen. Angebetet werden die Affen, die in Benares und an vielen anderen Orten herrliche Tempel haben, ferner die Schiwa heiligen Kühe und Stiere, die wieder und immerwieder abgebildet werden und manche der schönsten Tempel ihr eigen nennen. Heilig sind Krokodile, heilig sind vor allem die Schlangen, die fast überall in Indien göttliche Verehrung genießen und angebetet werden. Heilig sind auch Menschen, so die Yogin, die Söhne Schiwas: stundenlang knien vor ihnen die Frommen. Denn wo immer der Inder beten kann, da tut er es. Das ist »Karma«, ein verdienstvolles Werk, und jedes Karma versöhnt die schrecklichen Götter.


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