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Tote Städte im Dschungel

Tote Städte – ich kenne manche. – Nie werde ich die Stunden vergessen, die ich oben auf dem schweren Dache des Hotel Pompeji stand. Ein wildes Gewitter jagte vom Vesuv herunter, blaue Blitze brachen über die Römerstadt. Und die andern heißen Stunden, die ich als Knabe verträumte im Hause der Vettier und im Tempel der Juno – –

Viele Jahre später war ich im Lande Missiones; dort, wo die Staaten Paraguay, Argentinien und Rio Grande do Sul zusammenstoßen mit der orientalischen Republik. Hier zog sich vor ein paar Jahrhunderten, über die vier Staaten hin und weit hinein nach Bolivien, der mächtige Staat der Jesuiten: die Republica Christiana. Sie war das kommunistischste Gebilde, das je die Welt sah: zwei Dutzend Patres als Herren und viele Indianer als glückliche Tiere. Fünfunddreißig Städte gründeten die Väter, alle gleich, wie aus dem Baukasten; und das Leben ihrer Sklaven war auf die Minute geregelt von der Geburt bis zum Tode. Aber der Neid der Augustiner auf die jesuitische Konkurrenz verband sich dem Haß der spanischen Kolonisten, die die Arbeit der Indianer brauchten; dann brachen die Mameluken ins Land, wilde Banden von Holländern und Portugiesen, vom Rio Grande her. Die treuen Indianer verteidigten ihre Herren, ließen sich zu Zehntausenden niedermetzeln und flohen endlich in den Chaco. Und der Wuchs des Urwaldes vollendete das Werk der Zerstörung: er wuchert heute da, wo einst blühende Kulturen lagen. Fünfunddreißig Städte fraß der Urwald –

Aber diese Jesuitenstädte waren klein; viertausend und fünfhundert Seelen zählte eine jede, und nicht eine mehr oder weniger. Riesenstädte aber sind es, die in dem Dschungel Ceylons begraben liegen: Anuradhapura, Sigiri, Polonnaruwa.

* * *

Von Nordindien kamen die Singhalesen nach Ceylon und besiedelten die Insel. Es mögen einige Kämpfe mit den Ureinwohnern, den Weddah, stattgefunden haben; im allgemeinen aber vertrugen sich die beiden Völker recht gut miteinander, fochten stets Schulter an Schulter gegen auswärtige Feinde. Sehr früh drang die Lehre Buddhas nach Ceylon, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil die Singhalesen nahe Stammesverwandte der Magadhans waren, dem indoarischen Volke vom Ganges, dem Gautama entstammte. Nähere Einzelheiten über diese beiden großen Momente der Geschichte der Insel Lanka wissen wir nicht, denn die beiden »uralten« Geschichtsbücher Ceylons, das Mahawansa und das Dipawansa, sind einmal gar nicht besonders alt, zweitens stehlen sie, wo sie können – zum Beispiel die ganze Odyssee – und endlich gefallen sie sich in so maßlosen Übertreibungen, wie kein anderes Geschichtsbuch der ganzen Welt. Tatsache ist nur, daß Gautamas Lehre bereits im vierten Jahrhundert a. Chr. nach Lanka kam, also nicht sehr lange nach des Erleuchteten Tode, und daß sie dort, wenn auch sehr korrumpiert, noch heute blüht, während in Indien Gott Schiwa sie längst wieder mit Stumpf und Stiel ausgerottet hat.

Die gewaltige Stadt Anuradhapura wurde zweifellos schon vor dem Eindringen der buddhistischen Lehre gegründet; das Aufblühen dieser ging Hand in Hand mit dem der singhalesischen Stadt. Es war nicht ein Kampf des neuen Volkes gegen ein altes, den die Singhalesen ausfochten – es war ein Kampf gegen die Natur des Landes, und hier haben die Könige Lankas in der Tat Außerordentliches geleistet. Sie erkannten, daß es nur ein Mittel gab, des Dschungels Herr zu werden: die systematische Bewässerung des Landes. Und ihr System von Stauseen, Talsperren, Schleusen, Dämmen und Kanälen ist so außerordentlich ausgebildet, in so gewaltigem Maßstabe durchgeführt, daß wir heute noch die Trümmer anstaunen. Freilich stand ihnen »Radjakariya« zur Seite, die »Arbeit für den König«, wonach Alt und Jung, Frauen, Männer und Kinder ohne Entgelt und nur gegen eine Handvoll Reis, um den täglichen Hunger zu stillen, alle die gewaltigen Erdarbeiten ausführen mußten. Und »Radjakariya« war es auch, das Anuradhapura baute –

Wichschaya gilt als der Eroberer des Reiches, sein Enkel Panduwasudawa als der eigentliche Gründer des Staates und der Hauptstadt Anuradhapura. Unter König Tissa fand der Buddhismus Einzug und damit erhielt der singhalesische Staat sein ihm eigentümliches Gepräge. Seine Regierung bedeutet Lankas große Zeit, die Zeit des Friedens, des Reichtums und der Frömmigkeit. Aber schon unter seinem Nachfolger drangen die Malabaren und Tamilen ins Land, und nun begann ein viele Jahrhunderte langer Kampf zwischen diesen südindischen Stämmen und den Singhalesen. (Von etwa 250 vor Christi bis 1200 nach Christi.) Anuradhapura geht an die Tamilen verloren, wird wieder erobert und ist nun stets der Spielball zwischen den beiden Völkern, die aber beide gut für die Stadt sorgen. Der Malabarenkönig Elara wie sein Überwinder, der Singhalese Duttha Gamini, haben beide dort gewaltige Bauten geschaffen; dieser vor allem den riesigen »Messingpalast«, die Lohaprasada, der sich auf sechzehnhundert mit Metall bekleideten Granitsäulen neun Stockwerke hoch erhob, ferner das Marikawattikloster und die titanenhafte Ruwanweli-Dagoba. Von nun an ist die Geschichte Lankas einfach genug: stets neue Einfälle der Malabaren, Niederlage und Flucht der Singhalesen – Befreiungskriege, Vertreibung der Feinde. Dann, in der Friedenszeit, Mord und Totschlag im singhalesischen Königshause; namentlich Gift ist sehr beliebt, und kaum einer der Herrscher stirbt eines natürlichen Todes. Zwei wichtige Momente: die Gründung der Bergfeste Sigiri unter König Kasyapa (470 nach Chr.) und die glorreiche Zeit König Parakramas (1164 bis 1192), während der die zweite Hauptstadt Polonnaruwa mächtig aufblühte und das Reich der Singhalesen noch einmal zum mächtigen Staate wurde. Aber gleich nach seinem Tode begann wieder das alte Lied: Krieg, Mord und Brand. Polonnaruwa mußte 1235 endgültig aufgegeben werden – schon 846 hatte Anuradhapura dies Schicksal getroffen – die Tamilen setzten sich dauernd im Norden fest und drängten die Singhalesen nach dem Süden, wo sie bald dem Ansturm der Portugiesen, dann der Holländer und endlich in dem letzten Zufluchtsorte, dem Bergreiche Kandy, den Engländern erlagen.

Die Zerstörung der Königsstädte schieben die Singhalesen natürlich auf die tamilischen Eroberer; es wird sich aber damit genau so verhalten, wie mit der sogenannten Zerstörung der Kunstschätze Roms durch die Vandalen: nicht die germanischen Kriegsscharen, sondern die geldgierigen Römer selbst tragen die Hauptschuld daran. Später, als die Städte verlassen waren, das Bewässerungssystem zerstört, die Bevölkerung vertrieben, trat, wie in den Landen der »Republica Christiana«, der Urwald in sein Recht: das Dschungel eroberte das Gebiet zurück, das ihm Menschenhände abgerungen.

* * *

Heute ist Anuradhapura, von den Briten dem Dschungel entrissen, ein gewaltiger Park, mitten im Urwald. Breite Fahrwege führen hindurch, vorbei an den alten Denkmälern der buddhistischen Könige, die englischer Fleiß dem Boden wieder abnahm.

Tuparama Dagoba, die Pagode, die der Erinnerung geweiht ist, daß hier Buddha zum ersten Male seinen Fuß auf den Boden Lankas setzte. Ein kreisrunder Unterbau, darüber eine mächtige Glocke, die wieder ein kleines Türmchen krönt. Und rings herum eine Menge roher Säulen, die wie Spargel, aber krumm und schief, aus der Erde wachsen. Ähnlich die Lankarama-Dagoba, die Ruwanweli-Dagoba, die Kadijattissarama-Dagoba und die Abayagiri-Dagoba, diese eine der gewaltigsten Stupas Asiens überhaupt. Sie ist aus Backstein gebaut – aus so vielen Backsteinen, daß man damit eine Mauer – drei Meter hoch und einen halben Meter breit – von London nach Edinburgh aufführen könnte. Das ist überhaupt das charakteristische all dieser gewaltigen Pagoden und Heiligtümer: das Riesenhafte, Gewaltige. Von Kunst freilich kann kaum die Rede sein.

Der »Messingpalast« – es ist das Herrlichste, was je die Welt sah! sagt das Mahawansa. Aber dies Buch ist ein altes Waschweib und lügt sehr. Herrlich war der Palast gewiß nicht – seltsam genug mag er gewesen sein. Ein paar hundert plumpe, eckige Steinspargel wachsen aus dem grünen Rasen auf – das ist alles, was man heute noch sieht. Besser erhalten sind die merkwürdigen Pokunas, große Bäder, von denen man nicht recht weiß, ob sie Menschen oder Elefanten dienten, ferner die »Torwächter« und die seltsamen »Mondsteine«. Das einzige, was jung geblieben ist von all den Trümmern vergangener Tage, ist der heilige Bobaum, der der Legende nach – vor über zweitausend Jahren – aus einem Sprößling des geheimnisvollen Buddhabaumes zu Buddhagaya gezogen wurde.

Sigiri – ein riesiger Fels mitten im Urwald. Eigentümliche Galerien – geheimnisvolle Fresken an den Felswänden. Noch heute leuchten die bunten Farben – man weiß ebensowenig wie man diese herstellte, noch wie es den Künstlern gelang, dort oben überhaupt zu arbeiten. Dann riesige Bäder und kleine Gemächer – merkwürdig und seltsam.

Polonnaruwa. Tief durch das Dschungel, vorbei an der Minneria, einer künstlichen ausgemauerten Talsperre, größer wie der Laacher See, vorbei an dem Padavilsee, der kaum kleiner ist, zur Hauptstadt König Parakramas.

Ein eigentümliches Bild! Während oben im Gangestale indische Kunst sich mit der sarazenischen unter Kaiser Akbar zu einem gewaltigen, wuchtigen Stile vereinte, dem dann wieder unter Schah Jahan die italienische Renaissance neue Wurzelkraft gab, war es in Ceylon die altindische Kunst selbst, die verjüngend wirkte. Wir haben in König Parakramas Stadt dieselben Bauten wie in Anuradhapura, den Zug ins unerhört Große, Titanenhafte. Aber während dort alles unbeholfen, roh und plump ist, wird es in Polonnaruwa zum Kunstwerk. König Parakrama hatte gelernt von den tamilischen Eroberern, von denen er – ein letztes mal! – sein Land befreite. Er kannte ihre brahmanischen Schiwa- und Wischnutempel; nun ließ er tamilische Steinmetze die buddhistisch-singhalesischen Bauten schaffen. Noch eines kam hinzu. Die alte Kunst Magadhas war gestorben – aber im Norden, im Kabultale, war eine neue buddhistische Kunst aufgeblüht – die von Gandhara. Und dieser neue Stil war von Westen beeinflußt, von Hellas; über das Reich der Seleukiden drang die griechisch-römische Kunst zum Indus, revolutionierte von Grund aus den buddhistischen Stil und dazu den der Jaina im Gudscherat. Wie nun Gandharas Kunst zum äußersten Süden kam – obwohl dazwischen über unendliche Landstrecken sich kein kleinstes Zeichen von ihr findet – ist ein Geheimnis: Tatsache aber bleibt, daß die Buddhastatue Polonnaruwas – dreizehn Meter hoch aus dem Felsen herausgehauen – durchaus durch die Kunst von Gandhara beeinflußt ist. Der Faltenwurf des Gewandes hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Gewande der buddhistischen Mönche; es ist vollständig griechisch.

Da ist die Kiri-Vehera-Dagoba, das Djetawananamakloster, die Demela-Mahaseya, der Thuparamatempel, alle reich mit südindischen Elementen durchsetzt. Der Saptmahal, der »siebenstöckige Palast«, Parakramas stufenförmig aufsteigende Siegespyramide und Watadaga, der runde Tempel, der Buddhas großen Zahn aufnahm, als Anuradhapura gefallen war –

Im tiefen Dschungel alles. Rings umwuchert von Palmen und Baumfarren, von Bambus und Lianen. Papageien kreischen in den Bäumen, Affen jagen sich, im Dickicht heult irgendwo der Schakal und der Leopard. Und tief dröhnen dazwischen die scharfen Trompetentöne der wilden Elefanten – –


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