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Schlangenanbeter und Schlangenbeschwörer

Es gibt keine Religion auf Erden, in der die Schlange nicht eine Rolle spielte. In der jüdischen Religion – und mit ihr sowohl in der christlichen wie der mohammedanischen – ist sie ein Bild des bösen Prinzipes, des Teufels. Sie reicht der Eva mit süßen Worten im Paradiese den gefährlichen Apfel, und nach Tausenden von Jahren erfüllte der Nazarener das Wort: er wird ihr den Kopf zertreten, aber sie wird ihn in die Ferse stechen. In der christlichen Kunst ist dann die Schlange ein sehr beliebtes Objekt geworden; allein die Bilder des ersten Sündenfalles zählen nach vielen Tausenden. Im Buddhismus gilt die Kobra als heilig und wird immer wieder mit Buddha abgebildet; meist ist die Szene gewählt, wo der Erleuchtete mit untergeschlagenen Beinen dasitzt, während die große Brillenschlange, um ihn vor der Sonne oder auch vor dem Regen – die Legende wird verschieden erzählt – mit ausgebreitetem Schirme zu schützen, sich hinter ihm hoch aufrichtet. Hat doch der Hindu von altersher die Nagas verehrt, die Schlangengötter, die zuerst Buddha nachstellten, dann aber von ihm bekehrt zu sehr eifrigen Anhängern werden. Eine Menge von afrikanischen Negervölkern erweist ebenso der Schlange göttliche Verehrung, dasselbe finden wir bei vielen Kanaken, Papuas, Melanesiern und Polynesiern. Der Vaudouxkult der christlichen Haitineger verehrt die Schlange ›houdon badagri‹, als Johannes den Täufer; ihr – oder ihm – werden die Opfer des »ungehörnten Bockes«, d. h. die Kindesopfer, gebracht. Sehr stark ist die brahmanische Religion mit dem Schlangenkult durchsetzt, wie denn auch Indien das Stammland aller Schlangenbeschwörer und Schlangengaukler ist.

Man hat kaum den Fuß in Bombay an Land gesetzt, so begrüßt einen schon der Gaukler. Er setzt sich geduldig mit seinen Säcken und Körbchen in den Straßenstaub vor das Hotel und wartet still in der Sonne, daß man herauskommen möge. Seine Tricks sind fast immer dieselben und gleichen auf ein Haar allen denen, die unsere Taschenspieler auf den Jahrmärkten dem erstaunten Publico zeigen. Auch reden die Hindugaukler genau so viel und so schnell wie unsere Kirmeskünstler; nur besteht ihr Gerede in der Hauptsache aus dem Aufzählen der Zahlen von eins bis zehn – das freilich können sie in einem ganzen Dutzend Sprachen. Ab und zu sieht man dann ein paar bessere Kunststückchen, wie den uralten Witz Mosis: das Verwandeln eines Stabes in eine Schlange und umgekehrt. Oder der Gaukler läßt einen Taler auf seiner Hand in eine Kröte sich verwandeln oder macht den alten Zauber der ägyptischen Priester nach, die Moses damit zu übertrumpfen suchten, daß sie das große Heer der Wanzen, Flöhe und Läuse herbeiberiefen. Diesen Trick wird ein europäischer Salonzauberer schwerlich nachmachen können, er müßte sich denn entschließen, auch so vielem Ungeziefer als Herberge zu dienen wie indische und ägyptische Gaukler. Inzwischen tanzen die Äffchen und Ratten, oder es wahrsagt irgendein weiser Papagei. Eine Hauptnummer ist stets der hübsche Trick mit dem Mangobaum. Der Gaukler scharrt mit den Händen ein wenig Erde zusammen, steckt einen Mangokern hinein und begießt das Ganze tüchtig mit Wasser. Dann wird das Tuch darüber gedeckt – wie nett wäre doch alle Zauberei ohne dieses leidige Tuch! – der Gaukler zählt in siebzehn Sprachen siebzehnmal bis siebzehn und arbeitet mit seinen Händen eifrig unter dem Tuche. Endlich zieht er es weg – und in dem Häufchen Schmutz steht ein hübscher kleiner Mangobaum. Ein anderer Gaukler verschluckt rote, grüne und weiße Pulver, behält sie eine Zeitlang bei sich und spuckt sie dann – ganz trocken – wieder aus. Sehr beliebt ist auch das Augenherausnehmen, das Armverbrennen, das Dolche-in-den-Bauch-stoßen, das Hochheben schwerer Steingewichte mittels einer Schnur, die an der durchlochten Zunge befestigt ist – ein reizender Anblick! – und das wilde Herumrollen zwischen haarscharfen Dolchen und Degen; kurz alle diese Tricks, die auch die sogenannten »schlafenden Fakire« auf unseren Varietès zu zeigen pflegen. Es folgt gewöhnlich das »verschwundene Mädchen«, das in einen kleinen Korb steigt, den der Zauberer zudeckt. Er nimmt nun einen Degen und stößt nach Herzenslust von allen Seiten durch den Korb – natürlich klettert am Ende das Mädchen höchst vergnügt und sehr lebendig wieder heraus.

Nur sehr selten hat man Gelegenheit, den berühmten Trick des Abhiradana zu sehen. Der Zauberer wirft ein Seil in die Luft und läßt dann einen Knaben daran hinaufklettern: wo das scheinbar freihängende Tau oben aufhört, da verschwindet auch der Knabe. Dann steckt der Gaukler ein langes Messer quer in den Mund, macht ein furchtbar böses Gesicht, faßt das Seil und klettert auch hinauf. Er verschwindet oben, wo auch sein Knabe verschwand; das Seil baumelt eine Zeitlang allein frei in der Luft. Plötzlich hört man oben in der Luft das jämmerliche Geschrei des Knaben und dazwischen das Wutgeschnaube des alten Gauklers – aber man sieht nichts. Dann fällt ein blutendes Bein herunter, ihm folgt ein Arm, darauf der verzerrte und verstümmelte Kopf des Knaben. Noch ein Bein fällt herunter und noch ein Arm; endlich plumpst der Leib herab. Sehr zufrieden mit seiner Tat klettert dann der bärtige Zauberer am Seile zur Erde hinab. Zuerst reinigt er sorgfältig das blutige Messer, dann sammelt er die verschiedenen Menschenteile zusammen und steckt alles durcheinander in einen großen Korb. Er nimmt nun einen mächtigen Steinmörser und zerstampft den Inhalt des Korbes zu einem dicken Brei. Endlich stülpt er den Deckel auf und präsentiert den Korb freudestrahlend dem Publikum. Einer öffnet – – und vergnügt hüpft der Knabe heraus. – Dieser blendende Trick geht dem Europäer meist ein wenig auf die Nerven, ist aber so recht nach dem Geschmacke der Hindus, die sich trefflich dabei belustigen.

Aber die Hauptsache bei allen Gaukelkünsten bleiben stets die Schlangentänze und Schlangenkämpfe. Jeder Gaukler führt in einem kleinen Körbchen einen Mungo mit sich und in einem andern eine Menge Schlangen. Der kleine Mungo wird herausgenommen, dazu eine zwei bis drei Meter lange Natter. Sofort greift der behende Vierfüßler das zehnmal größere Tier an und hat es in wenigen Minuten totgebissen. Interessanter freilich ist sein Kampf mit der sehr giftigen Brillenschlange; da nimmt sich der kleine Kerl mächtig in acht und zeigt seine wundervolle Geschicklichkeit in bestem Lichte. Auch in diesem Kampfe bleibt er fast immer der Sieger.

Um ihre Kobras tanzen zu lassen, benutzen die Beschwörer eine kleine Trommel, eine Querpfeife oder auch eine Trommelpfeife. Sie öffnen nur ein wenig den Schlangenkorb und beginnen die Musik. In wenigen Sekunden kriechen die Brillenschlangen hervor, heben sich hoch und beginnen zu tanzen. Meistens hat man diesen Tanzschlangen die Giftzähne ausgebrochen, aber häufig verzichten die Beschwörer auch darauf, im festen Vertrauen, daß sie jeden Biß doch leicht mit ihren Zaubermitteln heilen können. Leider irren sie sich da stets gründlich, und mehr wie einer von ihnen muß seinen Glauben mit dem Tode bezahlen.

Die Gaukler und Schlangenbeschwörer gehören alle der niedersten Kaste an und sind schwarz oder tiefbraun. Die Schlangenbeschwörer in Hinterindien und auf den malayischen Inseln werden »Kling« genannt, d. h. Bastarde, sie sind alle indischer Herkunft; in Ceylon stellt die unreine Kaste der Rodiyas die Gaukler und Schlangenbeschwörer.

Es ist seltsam genug, daß der Hindu ruhig einem Kampfe zwischen dem Mungo und einer Schlange zusieht und sich mächtig freut, wenn der geschmeidige kleine »Jaggernath« der viel größeren Schlange oder gar der giftigen Kobra das Genick durchgebissen hat. Und doch würde er nie wagen, derselben Schlange ein Leid anzutun, wenn er ihr im Busche begegnet, ganz besonders nicht der Kobra, die Buddhisten und Brahmanen gleich heilig ist. Durch ganz Süd- und Mittelindien wie in Ceylon wird die Schlange verehrt; es ist etwas durchaus nicht Ungewöhnliches, daß man einen Madrassi, Tamilen oder Singhalesen findet, der vor einem Schlangenloch – manche Arten halten sich mit besonderer Vorliebe in Ameisenhügeln auf – steht und die Tiere anbetet. Wie in unseren Märchen stellt er dann ein Töpfchen mit Milch auf, auch ein wenig Wasser und eingeweichten Reis – – obwohl der göttlichen Schlange wahrscheinlich eine Maus oder ein Frosch sehr viel sympathischer sein würde. Das sind meist so kleine Privatgottesdienste einzelner, aber auch ganz öffentlich findet an manchen Plätzen die Verehrung der Schlange statt.

Die Schlange ist ursprünglich – und das mag als feststehend bei allen Religionen gelten – das Prinzip des Bösen. Die Ophiten lehren, daß Jaldaboath, der Sohn der Sophia, der große Gott des Stoffes, die Schlange – Samiel – erzeugt habe. So ist die Schlange zugleich das Symbol des Bösen und auch das der Weisheit. Das ist ganz biblisch: die Schlange trägt die Sünde in die Welt und gilt zugleich als die Trägerin des Verstandes. (»Seid klug wie die Schlangen!«) Nun sind manche Völker mit der Zeit vom Gotte des Guten zu dem des Bösen übergegangen, und zwar zum Teil unbewußt, in atavistischem Rückfalle, wie die Haitineger, denen die Schlange Johannes der Täufer ist, zum Teil aber durchaus durchdacht und wohlüberlegt, wie die gnostischen Sekten der Katharer, der Ophiten, der Paulicianer und mancher andern. Auch der Brahmaismus hat diese Wandlung durchgemacht, und zwar zweimal. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Perso-Arier und die Hindu-Arier – – d. h. die heute noch herrschende Kaste in Indien: die Brahmanen – – anfangs ein Volk mit einer Sprache und einer Kultuslehre waren. Sie trennten sich – und mit dieser Trennung fand eine völlige Umkehrung der Religion statt: die, die Indien eroberten, sahen in Asura den Gott des Guten, in Dewa den des Bösen, die andern, die nach Persien zogen, blieben bei der ursprünglichen Meinung, die Dewa als Gott und Asura als Teufel ansah. Das war lange vor den Veden und vor dem Zendavesta, und es ist eine Hypothese, die sich mit absoluter Sicherheit natürlich nie beweisen läßt. Aber die Geschichte des Brahmaismus zeigt ein sehr in die Augen springendes Analogon zu diesem Vorgange. Als der Buddhismus sein Haupt erhob und durch ganz Indien ungeheure Fortschritte machte, da wandte sich der Kult der Brahmanen von neuem ab vom »Schöpfer«, von Brahma, und warf sich dem Zerstörer – Schiwa – ganz in die Arme. Und Schiwas Macht war die größere, er ward der Sieger in dem gewaltigen Kampfe und rottete den Buddhismus gründlich aus.

Mit dem Siege Schiwas und seiner Gattin, der grausen Durga, drang der ganze Kult der hunderttausend kleinern Götter und aller der heiligen Tiere mehr und mehr durch, nicht zuletzt der der heiligen Nagas, der Schlangengötter. In Benares, der Stadt des Wahnsinns, in der alles heilig ist, was sich nicht wehren kann, Menschen, Kühe, Affen, Bäume, Steine, Knochen, Wasser und was immer noch, spielt auch die Schlange ihre Rolle. Beim Chanki-Ghat wächst ein großer heiliger Pippalbaum, ringsherum stehen eine Menge Schlangenbilder. Vor ihnen sitzen stets Scharen von Frommen und Büßern, dazu manche Yogin, buntbemalte Söhne Schiwas, mit wilden Augen und verfilzten Haaren. Und sie zermartern den elenden Leib – – zu Ehren der heiligen Schlangengötter und zum großen Ruhme Schiwas, des Zerstörers.


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