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Pakulwan, die Ringschule an der Ganga

Über die heilige Ganga kriecht, früh bei Sonnenaufgang, mein Boot, an dessen schweren Riemen sechs nackte Ruderer ziehen. Ein totes Rind treibt mit mächtig aufgedunsenem Leibe vorbei und schlägt mit den weit hinausragenden Beinen an die langen Riemen. Wenn ich auf die Stromseite blicke, kann ich noch manche Äser finden, Pferde, Hunde, Katzen, Affen, Ziegen und Kamele – – sie schwimmen stumm herab, bis sie weiter abwärts die Krokodile greifen. Aber ich blicke zum Ufer hin, schaue auf Benares und seine Ghats, die riesigen Treppenanlagen, die zum Wasser führen. Und über sie hinauf, auf die Tempel und Paläste –

Wie Ameisen läuft es herum. Überall wachsen wie Pilze die gelben riesigen Sonnenschirme aus dem Boden, aus ihnen heraus kriechen die Priester, die Pilger, die Büßer und die Frommen. Und alles badet in den heiligen Fluten, trinkt andächtig das Wasser der Mutter Ganga. Am Manikarnika-Ghat, unter dem Tarkeshwaratempel, brennen die Domras Leichen auf ihren Scheiterhaufen, stoßen fest zu in das Feuer mit ihren langen Stäben, daß die Flamme hoch hinaufleckt. Einem nackten, toten Kinde, nicht alt genug, um verbrannt zu werden, binden sie einen Krug um den Hals, stoßen es dann hinab in den Strom. Und es schwimmt hinab wie die Äser der Tiere, um irgendwo einem mitleidigen Kaiman zu begegnen. Schwimmt vorbei an den vielen tausend Gläubigen, die es achtlos beiseite stoßen und ruhig weiterbadend von der Ganga wundertätigem Wasser trinken.

* * *

Am Nepal-Ghat hält mein Boot; der Gauner, der mir als Führer dient, ist jedenfalls der Ansicht, daß des Königs von Nepal unzüchtiger Tempel die größte Sehenswürdigkeit von Benares sei. Ich steige hinauf, eine enge, schmutzige Treppe, die ein heiliger Bobaum mittendurch spaltet. Alles ist heilig in dieser Stadt, alles ist göttlich und genießt göttliche Ehren. Aber heiliger ist nichts als der Lingam, des furchtbaren Gottes Schiwa schwarzer Phallus. Und hier, auf dem Wege zu des Königs von Nepal obszönem Tempel ragt überall der steinerne Lingam auf, glänzend, mit geschmolzener Butter bestrichen von den Gläubigen. In einem kleinen Seitentempel spreizt sich, stehend in einer Yoni, der blutdürstigen Kali Schoß, ein großer, buntbemalter Lingam, und aus einer Schale tropft der Ganga heiliges Wasser auf Schiwas Symbol. Der Nepalesetempel selbst ist klein genug, ringsum mit Holzschnitzereien geschmückt. Eine dieser Schnitzarbeiten ist immer obszöner als die andere, abgeschmackte Szenen rohen Humors, wie auf den Bildern von Port Said. Der Priester, ein heller Brahmane, erklärt eifrig die einzelnen Szenen, gierig, ein paar Kupferstücke zu erbetteln. Frauen kommen, streuen Blumen und spritzen geschmolzene Butter, beten eifrig im Staube vor diesen Bildern und vor den schwarzen Lingams – –

Dicht drängt sich Tempel an Tempel, ich sehe das Heiligtum Mahadöhs mit seinen vielen kleinen Spitzkuppeln und nach dem Sain-Ghat zu den Goldenen Tempel Bischeschwars, des Herrn der Welt, den heiligsten und kostbarsten Bau zur Verehrung von Schiwas Lingam. Und verwirrt, unfähig zu klarem Denken, schreite ich dorthin, quer durch ein Feld schwarzer Phallen –

* * *

Da stockt mein Fuß. Ich sehe seltsame Geräte auf einem kleinen Hofe liegen, der zwischen den Tempeln hoch auf die Ganga hinausblickt. Gewaltige Hanteln, riesige Mühlsteine, mächtige Keulen – – alle aus schwerem, hellem Sandstein gearbeitet. Ich rufe meinen Führer – er versteht nicht recht, wie jemand an derlei Dingen Gefallen finden kann. Aber er gehorcht doch, schreit laut und ruft die Leute herbei. Ich bin bei den Pakulwan, den berühmten Ringern von Benares.

Seltsam, in dieser heiligen Stadt, in der jeder Atemzug Religion ist, in der Millionen von Pilgern jahrein, jahraus die Luft mit heißen Gebeten erfüllen, in der viele Tausende von Priestern und frommen Büßern der Ganga widerliches Wasser schlürfen – – mitten in dieser wahnsinnigsten Stadt der Erde ist ein Platz, der dem Sport geweiht ist. Und das ist gewiß: es ist der einzige kleine Fleck in der großen Stadt, der gesund ist, der einzige, auf dessen Boden nicht irgendein wilder Wahnsinn kriecht.

Debhi Chandhari heißt der alte Meister. Er ist ein Ringer, weil sein Vater ein Ringer war, und der war es, weil es der Großvater war. Und so fort durch unendliche Generationen. Und natürlich: die Söhne des Alten sind wieder Ringer. Zu ihnen kommen wenige Schüler – der Sport ist nicht beliebt in der heiligen Stadt. Auch treten die Ringer nie in Benares selbst auf, oder doch nur draußen in der englischen Villenstadt, wenn sich britische Sportsfreunde an ihren Spielen erfreuen wollen.

Bereitwillig zeigen sie mir ihre Arbeit. Sie machen alle ihre Geräte selbst, und stets ist es der weiße Sandstein, den sie dazu verwenden. Sie sind im Training das ganze Jahr über, arbeiten jeden Tag ein paar Stunden; dazwischen machen sie dann Fahrten durch Indien, um ihre Kunst zu zeigen. Die Athletenarbeit ist korrekt und gut durchgebildet; sie gleicht bis auf die primitiven Geräte und dem gänzlichen Mangel an exakter Bewegung durchaus der Arbeit europäischer Schwergewichtsathleten. Der Ringkampf selbst ist in der Hauptsache griechisch-römisch, doch kennen die Leute eine Reihe von Griffen, die stark an Jiu-Jitsu erinnern.

* * *

Mit einem lauten Krach warf Mahadu Sakul die schwere Steinhantel zu Boden. Er nahm die weiße Schnur von der Bank auf und legte sie über die linke Schulter: zum Zeichen, daß er ein Brahmane sei. Dann bettelte er wie ein echter Brahmane und bekam seinen Backschisch. Und stolz schritt er die Stufen herunter zur heiligen Ganga: mein Schatten war auf ihn gefallen, der Schatten eines Mleccha, eines Menschen, der keiner Kaste angehörte. Er war verunreinigt – so stieg er in die schmutzigen Fluten, sich zu baden – rein wieder zu werden.

Haßerfüllt, und doch voll tiefer Ehrfurcht blickte mein niedriger Diener dem Zweimalgeborenen nach –


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